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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 04.11.2003, Az.: VI ZB 50/03

Erforderlichkeit einer Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ; Verletzung von Verfahrensgrundrechten ; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ; Verschulden des Prozessbevollmächtigten; Darlegung der Organisation der Fristenkontrolle; Mündliche Vermittlung der Notierung einer Berufungsfrist

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
04.11.2003
Aktenzeichen
VI ZB 50/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 23197
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Saarbrücken
LG Saarbrücken - 08.07.2003

Fundstellen

  • BB 2003, 2711
  • BGHR 2004, 263-264
  • BGHReport 2004, 263-264
  • BRAK-Mitt 2004, 25 (amtl. Leitsatz)
  • FamRZ 2004, 179 (amtl. Leitsatz)
  • INF 2004, 9-10
  • KF 2004, 141-142
  • MDR 2004, 478-479 (Volltext mit amtl. LS)
  • Mitt. 2004, 94 "mündliche Einzelanweisung"
  • NJW 2004, 688-689 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 2003, VIII Heft 52 (Kurzinformation)
  • NWB 2004, 369
  • ProzRB 2004, V Heft 1 (amtl. Leitsatz)
  • RENOpraxis 2004, 74
  • VersR 2005, 94-96 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZAP 2004, 163 (Kurzinformation)

Amtlicher Leitsatz

  1. a)

    In einer Anwaltskanzlei müssen organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass eine mündliche Einzelanweisung über die Eintragung einer an eine Fachangestellte nur mündlich mitgeteilten Berufungsfrist in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung deshalb unterbleibt.

  2. b)

    Werden die (gegen das Vergessen einer lediglich mündlichen Anweisung) getroffenen organisatorischen Vorkehrungen nicht mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist vorgetragen und glaubhaft gemacht, ist ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) zu vermuten und der Antrag zurückzuweisen.

In dem Rechtsstreit
hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
am 4. November 2003
durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Müller,
den Richter Dr. Greiner,
die Richterin Diederichsen und
die Richter Pauge und Zoll
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss der 13. Zivilkammer A des Landgerichts Saarbrücken vom 8. Juli 2003 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat auch die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 1.565,74 EUR

Gründe

1

I.

Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 17. April 2003 die Klage abgewiesen. Die Berufungsfrist lief am 30. Mai 2003 ab. Die Berufung des Klägers ist am 17. Juni 2003 zusammen mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beim Landgericht eingegangen. Der Kläger hat zur Begründung vorgetragen, er habe am 13. Mai 2003 seine Prozessbevollmächtigten mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragt. Der die Sache bearbeitende Assessor T. habe die Unterlagen zur Neuanlage der Akte, Notierung der Berufungsfrist auf den 30. Mai 2003 und der Berufungsbegründungsfrist auf den 30. Juni 2003 an die Fachangestellte C. verfügt. Bei einer routinemäßigen Durchsicht der Akte zur Vorbereitung der Berufungsbegründung am 13. Juni 2003 habe T. festgestellt, dass die Berufung nicht eingelegt war und die Berufungsfrist und die Berufungsbegründungsfrist im Terminbuch nicht eingetragen gewesen seien. Auf Frage habe die Mitarbeiterin C. mitgeteilt, sie habe trotz entsprechender Weisung versäumt, die Fristen einzutragen.

2

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 8. Juli 2003 die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen und seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zurückgewiesen. Der Kläger habe nichts dazu vorgetragen, in welcher Form der Fristenkalender bei seinen Prozessbevollmächtigten geführt werde, ob hier eine Wiedervorlagefrist verfügt und ob der Zustellungstag in der Handakte vermerkt worden sei. Eine Überprüfung, ob die Fristeneintragung und -überwachung ausreichend organisiert gewesen sei, sei nicht möglich. Von einem fehlenden Verschulden des zweitinstanzlichen Anwalts an der Fristversäumung könne daher nicht ausgegangen werden.

3

Gegen den ihm am 18. Juli 2003 zugestellten Beschluss des Landgerichts hat der Kläger am 12. August 2003 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese innerhalb verlängerter Begründungsfrist am 18. September 2003 begründet.

4

II.

Die Rechtsbeschwerde des Klägers ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 2, 238, 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nicht zulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist entgegen der Ansicht des Klägers zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 ZPO) nicht erforderlich.

5

1.

Eine Divergenz (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02 - NJW-RR 2003, 1366; BGHZ 151, 221, 225  f.) macht die Rechtsbeschwerde nicht geltend.

6

2.

Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dann erforderlich, wenn bei der Auslegung oder Anwendung revisiblen Rechts Fehler über die Einzelfallentscheidung hinaus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berühren (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02 - a.a.O.; BGHZ a.a.O.). Das kann insbesondere auch bei einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Fall sein, etwa wenn der angefochtene Beschluss die Partei in ihrem verfassungsrechtlich Gewähr leisteten Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02 - VersR 2003, 1144, 1146, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) oder wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02 - a.a.O.) beeinträchtigt. Eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten muss nach den Darlegungen des Beschwerdeführers im Einzelfall klar zu Tage treten, also offenkundig sein; ferner muss die angefochtene Entscheidung hierauf beruhen (vgl. BGHZ a.a.O. und BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02 - a.a.O.).

7

Ein solcher Zulassungsgrund liegt hier nicht vor. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht nicht auf einem entscheidungserheblichen klar zu Tage tretenden Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte des Klägers; sie ist zudem einzelfallbezogen und erfordert deshalb keine korrigierende Entscheidung des Bundesgerichtshofs.

8

a)

Dies gilt insbesondere, soweit das Berufungsgericht Angaben zur allgemeinen Organisation und Fristenkontrolle vermisst, obwohl der Kläger eine Einzelanweisung seines Berufungsanwalts im konkreten Fall zur Fristeintragung vorgetragen hat, die von der Fachangestellten versehentlich nicht berücksichtigt worden sei. Die Rechtsbeschwerde verkennt die für einen solchen Fall in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze.

9

Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Das ist hier nicht der Fall. Die Versäumung der Berufungsfrist beruht auf einem Verschulden des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten, das sich der Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

10

aa)

Die ordnungsgemäße und insbesondere fristgerechte Einlegung des Rechtsmittels setzt voraus, dass die Berufungsschrift rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Anwalt eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - VersR 2002, 380, 381). Dabei setzt eine wirksame Fristenkontrolle voraus, dass Fristen zur Einlegung und Begründung von Rechtsbehelfen deutlich als solche gekennzeichnet werden. Sie müssen so notiert werden, dass sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen unterscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2000 - XII ZB 93/00 - VersR 2001, 607, 608). Ferner obliegt dem Prozessbevollmächtigten eine wirksame Ausgangskontrolle, durch die gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Er hat sicherzustellen, dass eine Frist im Fristenkalender erst dann als erledigt gekennzeichnet wird, wenn der Schriftsatz abgesandt oder zumindest postfertig gemacht ist (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2000 - V ZB 1/00 - VersR 2000, 1564). Dass die Organisation der Fristenkontrolle im Büro seines Prozessbevollmächtigten diesen Anforderungen genügt hätte, hat der Kläger weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Das Berufungsgericht hat hiernach ohne Rechtsfehler ein Verschulden des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten für nicht ausgeschlossen erachtet und dementsprechend den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Oktober 1995 - I ZB 15/95 - VersR 1996, 256, 257 und vom 9. Juni 1994 - I ZB 5/94 - VersR 1995, 72, 73).

11

bb)

Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang darauf, vorliegend komme es auf die allgemeine Organisation der Fristenkontrolle im Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht an, weil die Fachangestellte eine auf den konkreten Fall bezogene Einzelanweisung zur Fristeintragung versehentlich nicht befolgt habe. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers hierzu nicht übergangen und nicht gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verstoßen.

12

Allerdings braucht ein Rechtsanwalt grundsätzlich nicht die Erledigung jeder konkreten Einzelanweisung zu überwachen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91 - VersR 1992, 764, 765). Im Allgemeinen kann er ferner darauf vertrauen, dass eine sonst zuverlässige Büroangestellte auch mündliche Weisungen richtig befolgt (vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1987 - VI ZR 43/87 - VersR 1988, 185, 186). In der Anwaltskanzlei müssen jedoch ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die mündliche Einzelanweisung über die Eintragung einer an eine Fachangestellte nur mündlich mitgeteilten Berufungsfrist in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. September 2002 - VI ZR 419/01 - NJW 2002, 3782, 3783 und vom 5. November 2002 - VI ZR 399/01 - NJW 2003, 435, 436). Wenn ein so wichtiger Vorgang wie die Notierung einer Berufungsfrist nur mündlich vermittelt wird, dann bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen entscheidenden Organisationsmangel (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91 - a.a.O.).

13

b)

Aus demselben Grund ist auch keine Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung anzunehmen. Der Rechtsbeschwerde kann nicht darin gefolgt werden, dass auch bei Beachtung der erforderlichen Organisationsmaßnahmen die Fehlleistung der Büroangestellten nicht vermieden worden wäre. Sie verkennt, dass es nicht darum geht, die Möglichkeit eines Fehlers auszuschließen. Es muss vielmehr Vorsorge dagegen getroffen werden, die Folgen eines Fehlers von Büroangestellten möglichst zu vermeiden. Das aber wäre durch eine Kontrolle der Fristeintragung erreicht worden, beispielsweise in Form der vom Berufungsgericht vermissten Wiedervorlageanweisung, wozu selbstverständlich auch deren Vermerk gehört, oder durch einen deutlich sichtbaren Vermerk auf der Handakte, wenn dessen Bearbeitung durch eine weitere Person sichergestellt worden wäre.

14

c)

Nach alledem ist die Rechtsbeschwerde auch nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht gegen die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich einer auf den konkreten Fall bezogenen Einzelanweisung verstoßen hätte. Die hierzu aufgestellten Grundsätze (etwa zum Vertrauen auf die Ausführung durch eine bisher zuverlässige Büroangestellte - vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 1998 - VIII ZB 1/98 - NJW-RR 1998, 932) betrafen die Übermittlung eines Schriftsatzes an das Rechtsmittelgericht oder eine eigenmächtige Berechnung der Rechtsmittelfrist trotz anderweitigem Vermerk auf einem Handzettel (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2000 - IX ZB 83/00 - VersR 2002, 211  f.). Hier dagegen geht es um die unterlassene Ausführung einer lediglich mündlich erteilten Anweisung über die Eintragung einer Rechtsmittelfrist, die schon auf Grund allgemeiner Anweisung hätte sichergestellt werden müssen.

15

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 1.565,74 EUR