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Bundesgerichtshof
Urt. v. 24.09.2003, Az.: XII ZR 70/02

Klage auf Zahlung von rückständigem und zukünftigem Mietzins aus gewerblichem Mietverhältnis; Mietvertrag auf bestimmte Dauer geschlossen; Kündigung vor Ablauf der Mietzeit mit der Begründung, Schriftform sei nicht eingehalten und der Behauptung, eine auflösende Bedingung sei eingetreten; Frage der doppelten Rechtshängigkeit (Feststellungsklage und Leistungsklage); Bestandskraft des Urteils im Vorprozess (Feststellungsklage bezüglich Bestehen des Mietverhältnisses); Bindungswirkung des Urteils im Vorprozess und Ausschluss eines Vorbringens, das im Widerspruch zu den Feststellungen des Urteils im Vorprozess steht

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
24.09.2003
Aktenzeichen
XII ZR 70/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 23808
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Dresden - 19.02.2002
LG Chemnitz - 22.02.2001

Fundstellen

  • BGHR 2004, 52
  • BGHReport 2004, 52
  • DB 2003, XII Heft 45 (amtl. Leitsatz)
  • GuT 2004, 100-101 (Volltext mit amtl. LS)
  • JZ 2004, 347* (amtl. Leitsatz)
  • NJW 2004, 294-296 (Volltext mit red./amtl. LS)
  • NZM 2004, 99-100 (Volltext mit red./amtl. LS)
  • ProzRB 2004, 35-36 (Volltext mit amtl. LS)
  • ProzRB 2003, VI Heft 12 (Kurzinformation)
  • WM 2004, 532-533 (Volltext mit amtl. LS)
  • WuM 2004, 304 (Kurzinformation)
  • ZMR 2004, 24-26 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZfIR 2004, 36 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

Zu den Auswirkungen der rechtskräftigen Feststellung des Fortbestehens des Mietverhältnisses auf die nachfolgende Leistungsklage auf Mietzins

In dem Rechtsstreit
hat der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2003
durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und
die Richter Sprick, Weber-Monecke, Fuchs und Dr. Vézina
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 19. Februar 2002 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil des Landgerichts Chemnitz vom 22. Februar 2001 wird zurückgewiesen.

Der Beklagten werden die Kosten der Berufung und der Revision auferlegt.

Tatbestand

1

Die Klägerin macht rückständige und künftige Miete aus einem gewerblichen Mietverhältnis geltend.

2

Die Beklagte unterzeichnete am 11. September 1996 als Mieterin den ihr von der L. Grundbesitzverwertung GmbH (im Folgenden: L. ) als Vermieterin zugeleiteten Mietvertrag über gewerbliche Mieträume im Gewerbeobjekt M. Straße 75 in C. . Nach Gegenzeichnung am 15. November 1996 sandte die L. den Mietvertrag an die Beklagten zurück. Der Mietvertrag enthält u.a. folgende Regelungen:

"§ 1 - Mieträume

...

5.
Dieser Mietvertrag wird unter der auflösenden Bedingung geschlossen, dass der erste Mietzins vor Übergabe der Mietsache vom Mieter an den Vermieter geleistet worden ist.

§ 2 - Mietzeit und Kündigung

1.
Das Mietverhältnis beginnt bei Bezugsfertigkeit/Übergabe und ist fest auf zehn Jahre abgeschlossen. Die Übergabe erfolgt voraussichtlich bis Juni 97 und wird zwei Monate vorher angekündigt.

...

§ 21 - weitere Vereinbarungen

...

6.
Die Wertsicherungsklausel gemäß Anlage 2 ist Bestandteil des Vertrages.

..."

3

Am 13. Dezember 1996 unterzeichnete die Beklagte folgende Wertsicherungsklausel:

"Wertsicherungsklausel

Für die ab Übergabe zu zahlende Miete gilt folgende Mietgleitklausel als vereinbart:

Sollte sich der vom Statistischen Bundesamt ermittelte Lebenshaltungskostenindex für einen 4-Personen-Haushalt von Arbeitern und Angestellten mit mittlerem Einkommen in der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Stand zum Mietbeginn oder der letzten Mietangleichung (Basis 1985 = 100 Punkte) um 7 % oder mehr nach oben oder nach unten verändern, so ändert sich der Mietzins um 70 % der jeweiligen Indexänderung entsprechend.

..."

4

Die Klägerin erwarb durch notariellen Vertrag vom 21. November 1996 das Grundstück und wurde am 8. Januar 1998 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.

5

Die Mietsache wurde am 10. oder 17. Juni 1997 an die Beklagte übergeben. Am 11. Juli 1997 zahlte die Beklagte erstmals die vereinbarte Miete. Mit Schreiben vom 17. und 21. September 1999 kündigte die Beklagte den Mietvertrag zum 31. März 2000.

6

In einem Vorprozess, in dem die Klägerin die Feststellung des Fortbestehens des Mietverhältnisses begehrt hatte, hatte die Beklagte das Zustandekommen eines Mietverhältnisses bestritten, den Eintritt einer auflösenden Bedingung geltend gemacht und sich darauf berufen, dass jedenfalls die ordentliche Kündigung zum 31. März 2000 wirksam sei, weil die Schriftform des § 566 BGB a.F. nicht eingehalten sei und der Vertrag deshalb als auf unbestimmte Zeit abgeschlossen gelte. Das Landgericht war mit Urteil vom 22. März 2000 (2 O 5168/99 LG Chemnitz) vom Zustandekommen des Mietvertrages ausgegangen, hatte den Eintritt einer auflösenden Bedingung verneint und festgestellt, dass das Mietverhältnis ungeachtet der Kündigungserklärungen der Beklagten bis 17. Juni 2007 fortbestehe. Die Berufung war ohne Erfolg geblieben. Das Oberlandesgericht hatte ausgeführt, die Schriftform sei eingehalten. Deshalb sei der Mietvertrag durch die Kündigungen der Beklagten vom 17. und 21. September 1999 nicht beendet worden. Mit Beschluss vom 27. August 2003 hat der Senat die Annahme der Revision abgelehnt.

7

Im vorliegenden Verfahren hat das Landgericht im Urkundenprozess mit Vorbehaltsurteil vom 9. November 2000 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 12.064,00 DM (Monatsmieten für die Monate April bis Juli 2000) nebst Zinsen zu zahlen. Ferner wurde die Beklagte verurteilt, beginnend ab 3. August 2000 bis einschließlich Mai 2007 monatlich, spätestens bis zum 3. Werktag des jeweiligen Monats, 3.016,00 DM an die Klägerin zu zahlen. Mit Schlussurteil vom 22. Februar 2001 hat das Landgericht das Vorbehaltsurteil für vorbehaltlos erklärt.

8

Auf die Berufung der Beklagten gegen das Schlussurteil hat das Oberlandesgericht das Vorbehaltsurteil sowie das Schlussurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung.

10

1.

Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, doppelte Rechtshängigkeit liege nicht vor. Es handele sich um verschiedene Streitgegenstände. Die Feststellungsklage betreffe nur eine Vorfrage der Leistungsklage. Entgegen der im Vorprozess vertretenen Auffassung sei davon auszugehen, dass die gesetzliche Schriftform nicht eingehalten sei und das Mietverhältnis auf die Kündigung der Beklagten zum 31. März 2000 geendet habe. Zwar werde an der Auffassung im Vorprozess festgehalten, dass es nicht schon deshalb an der Schriftform mangele, weil Beginn und Ende des Mietverhältnisses nicht datumsmäßig erfasst seien, sondern als Beginn in § 2 Nr. 1 lediglich die "Bezugsfertigkeit/Übergabe" angegeben sei, die für voraussichtlich bis Juni 97 "ins Auge gefasst" sei. Weiter halte der Senat daran fest, dass der Mietvertrag nicht dadurch aufgelöst worden sei, dass der Beklagte nicht vor Übergabe der Räumlichkeiten den ersten Mietzins bezahlt habe. Die Regelung in § 1 Ziff. 5 sei nicht als Bedingung anzusehen, sondern enthalte lediglich ein den Anspruch der Beklagten auf Überlassung der Mieträume beschränkendes Zurückbehaltungsrecht des Vermieters. Die Schriftform sei aber deshalb nicht eingehalten, da nicht sämtliche wesentlichen Vereinbarungen in der von beiden Parteien unterzeichneten Urkunde enthalten seien. Nach § 21 Nr. 6 des Mietvertrages habe die Wertsicherungsklausel gemäß Anlage 2 Bestandteil des Vertrages sein sollen. Eine derartige Anlage sei aber bei Abschluss des Vertrages nicht vorhanden gewesen, nicht unterzeichnet und dem Vertrag auch nicht hinzugefügt worden. Damit sei hinsichtlich der Anpassung des vereinbarten Mietzinses, somit hinsichtlich eines wesentlichen Bestandteiles des Mietvertrages, die Schriftform nicht eingehalten. Die Vereinbarung einer Wertsicherungsklausel sei auch nicht unwesentlich. Werde - wie vorliegend - bei Abschluss des Vertrages die Anpassung des Mietzinses vereinbart, so könne dies erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen für beide Vertragsparteien haben.

11

2.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

12

a)

Ohne Erfolg macht die Revision allerdings geltend, in der Berufungsinstanz sei der Rechtsstreit nicht von den gesetzlichen Richtern entschieden worden. Zur Begründung einer Verfahrensrüge nach § 547 Nr. 1 ZPO ist die Angabe der Einzeltatsachen nötig, aus denen sich der Fehler, im vorliegenden Fall das angebliche Fehlen eines ordnungsgemäßen Geschäftsverteilungsplanes im Sinne des § 21g GVG bzw. die Entscheidung durch eine nach dem Geschäftsverteilungsplan nicht zuständige Spruchgruppe, ergibt. Wenn es sich um gerichtsinterne Vorgänge handelt, muss die Revision zumindest darlegen, dass sie zweckentsprechende Aufklärung gesucht hat; die Rüge darf nicht auf bloßen Verdacht hin erhoben werden (BGH, Urteil vom 20. Juni 1991 - VII ZR 11/91 - NJW 1992, 512). Diesen Voraussetzungen genügt der Vortrag der Revision nicht.

13

b)

Zutreffend ist das Oberlandesgericht auch davon ausgegangen, dass dem neuen Verfahren der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht entgegensteht. Doppelte Rechtshängigkeit setzt voraus, dass aus demselben konkreten Lebenssachverhalt dieselbe Rechtsfolge abgeleitet, d.h. der nämliche Antrag gestellt wird (BGHZ 7, 271[BGH 10.10.1952 - V ZR 159/51]). Das ist hier nicht der Fall. Im Vorprozess war Streitgegenstand die Feststellung, dass das Mietverhältnis ungeachtet der Kündigungserklärungen der Beklagten bis 17. Juni 2007 fortbesteht. Im vorliegenden Rechtsstreit macht die Vermieterin demgegenüber den Mietzins geltend. Im Vorprozess war daher nur über die Frage zu entscheiden, ob das Mietverhältnis durch die Kündigung aufgelöst worden ist. Über diese kann das Gericht (des Zweitprozesses) solange frei entscheiden, als über sie nicht (im Erstprozess) rechtskräftig entschieden ist (BGH, Urteil vom 22. Januar 1964 - V ZR 37/62 - NJW 1964, 1316, 1318).

14

c)

Der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichts steht aber nunmehr die inzwischen eingetretene Rechtskraft des Urteils im Vorprozess entgegen. Mit Beschluss vom 27. August 2003 hat der erkennende Senat die Annahme der Revision im Vorprozess abgelehnt. Damit ist das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden vom 31. August 2000 rechtskräftig geworden (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juni 1980 - KZR 12/79 - NJW 1981, 55). Es steht fest, dass das zwischen den Parteien mit Vertrag vom 15. November 1996 begründete Mietverhältnis ungeachtet der Kündigungserklärungen der Beklagten bis 17. Juni 2007 fortbesteht. Damit kann der Beklagte nicht mehr mit Erfolg geltend machen, die ordentliche Kündigung vom 17. September 1999 habe das Mietverhältnis beendet, weil für die Anpassung des vereinbarten Mietzinses die Schriftform des § 566 BGB a.F. nicht eingehalten sei. Über die Frage, ob die ordentliche Kündigung vom 17. September 1999 das Mietverhältnis mangels Einhaltung der Schriftform beendet hat, hat das Oberlandesgericht bereits im Vorprozess entschieden. Zwar hatte der Beklagte dort den Formmangel nicht mit der fehlenden Schriftform für die Anpassungsklausel begründet, sondern aus anderen Umständen hergeleitet. Gleichwohl kann der Beklagte diesen im Vorprozess nicht erhobenen Einwand im jetzigen Verfahren nach Eintritt der Rechtskraft nicht mehr geltend machen. Das gebietet die der Rechtskraft innewohnende Präklusionswirkung (BGHZ 123, 137  ff.; Zöller/Vollkommer ZPO 23. Aufl. vor § 322 Rdn. 70). Sie bedeutet, dass die Parteien mit allem tatsächlichen Vorbringen ausgeschlossen sind, das im Widerspruch zu den Feststellungen des Urteils im Vorprozess steht. Tatsachen, die im maßgebenden Zeitpunkt des Vorprozesses schon vorhanden waren, aber nicht vorgetragen wurden, sind mit dem Ziel, das "kontradiktorische Gegenteil" der früher festgestellten oder abgelehnten Rechtsfolge auszusprechen, insoweit ausgeschlossen, als sie bei natürlicher Anschauung zu dem im Vorprozess vorgetragenen Lebensvorgang gehören (BGH a.a.O. 141; Zöller/Vollkommer a.a.O.).

15

Das ist hier der Fall. Der Beklagte hatte im Vorprozess die Nichteinhaltung der Schriftform geltend gemacht und daraus das Recht zur ordentlichen Kündigung hergeleitet. Damit hatte das Gericht darüber zu entscheiden, ob die ordentliche Kündigung vom 17. September 1999 das Mietverhältnis beendet hatte. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, alle für die Beendigung des Mietverhältnisses, nämlich für die Verletzung der Schriftform maßgebenden Tatsachen, vorzubringen. Soweit sie das nicht getan hat, ist sie durch die rechtskräftige Entscheidung, die Schriftform sei eingehalten und die ordentliche Kündigung daher unwirksam, mit dem betreffenden Vortrag ausgeschlossen.

16

3.

Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist. Die Beklagte schuldet die mit der Klage geltend gemachten Mieten für die Monate April bis Juli 2000 in Höhe von 12.064,00 DM nebst Zinsen. Da der Mietvertrag wirksam ist und bis zum 17. Juni 2007 fortbesteht, hat sie - wie von der Klägerin beantragt - bis einschließlich Mai 2007 monatlich jeweils bis spätestens zum dritten Werktag die vereinbarte Miete von 3.016,00 DM zu bezahlen.