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Bundesgerichtshof
Urt. v. 13.11.1997, Az.: IX ZR 289/96

Gültigkeit eines Bürgschaftsvertrages mit formularmäßig (Allgemeine Geschäftsbedingungen) unbegrenzter Ausdehnung der Bürgschaft; Erfordernis einer summenmäßigen Begrenzung einer Bürgschaft; Sicherung eines Kontokorrents ohne Kreditlimit duch eine Bürgschaft; Gestaltungserhaltende Reduktion im Falle einer unwirksamen Klausel; Höhe eines Kreditsaldos am Tage der Bürgschaftserklärung als sachgerechte Eingrenzung des Bürgschaftsumfangs

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
13.11.1997
Aktenzeichen
IX ZR 289/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 13925
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Düsseldorf - 14.11.1996
LG Düsseldorf

Fundstellen

  • BGHZ 137, 153 - 161
  • BB 1998, 238-240 (Volltext mit amtl. LS)
  • DB 1998, 189-190 (Volltext mit amtl. LS)
  • DStR 1998, 350-351 (Volltext mit amtl. LS)
  • EWiR 1998, 165-166 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • JR 1998, 416-419
  • JZ 1998, 730-732 (Volltext mit amtl. LS)
  • JurBüro 1998, 277
  • KTS 1998, 228-233
  • MDR 1998, 296-297 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1998, 450-453 (Volltext mit amtl. LS) "Tagessaldo"
  • NJW-RR 1998, 989 (amtl. Leitsatz)
  • WM 1998, 67-69 (Volltext mit amtl. LS)
  • WuB 1998, 413-415
  • ZBB 1998, 36
  • ZIP 1998, 1218-1220 (Urteilsbesprechung von RA Dr. iur. Stephan Schmitz-Herscheidt)
  • ZIP 1997, A97 (Kurzinformation)
  • ZIP 1998, 16-19 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Eine Bürgschaft ist auch dann nicht insgesamt wirkungslos, wenn die formularmäßige Ausdehnung der Haftung auf alle bestehenden und zukünftigen Verbindlichkeiten des Hauptschuldners aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung einen betragsmäßig nicht begrenzten Kontokorrentkredit betrifft. In diesem Falle beschränkt sich die Verpflichtung des Bürgen der Höhe nach regelmäßig auf den Saldo der Hauptschuld am Tage seiner Willenserklärung.

In dem Rechtsstreit
hat der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 1997
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch und
die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof und Dr. Fischer
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. November 1996 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der frühere Ehemann der Beklagten war jahrelang als Kursmakler an der Düsseldorfer Börse tätig. Die klagende Bank gewährte ihm im Rahmen eines nicht limitierten Kontokorrents den Kredit, den er für seine Wertpapiergeschäfte benötigte.

2

Im September 1987 brachte der Hauptschuldner ein mit einem Supermarkt und anderen gewerblichen Gebäuden genutztes Grundstück in eine mit der Beklagten gegründete BGB-Gesellschaft ein; die Beklagte wurde zur Hälfte Miteigentümerin dieses Objekts. Das Grundstück hat einen Wert von mehreren Millionen DM, ist aber in Höhe von etwa 3 Millionen DM belastet. Den aktuellen Wert des Gesellschaftsanteils der Beklagten beziffert die Klägerin auf 1 Million DM, die Beklagte auf 300.000,00 DM. Insbesondere wegen dieser Veränderung der Kreditgrundlage infolge der Grundstücksübertragung übernahm die Beklagte nach Feststellung des Berufungsgerichts auf Verlangen der Klägerin am 1. Februar 1988 eine betragsmäßig unbeschränkte selbstschuldnerische Bürgschaft für alle bestehenden und künftigen Verbindlichkeiten aus der Geschäftsbeziehung zwischen der Bank und dem Ehemann. Der Beklagten gehörten damals auch Wertpapiere im Nennwert von etwa 280.000,00 DM.

3

Der Hauptschuldner geriet später in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Über sein Vermögen wurde das Konkursverfahren eröffnet. Die Klägerin hat die Beklagte zunächst in Höhe von 2.767.088,52 DM, in der Berufungsinstanz nur noch auf Zahlung von 800.000,00 DM aus der Bürgschaft in Anspruch genommen. Das Berufungsgericht hat die Klageabweisung durch das Landgericht bestätigt. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr im Berufungsrechtszug gestelltes Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

5

I.

Das Berufungsgericht - sein Urteil ist in WM 1997, 410 [OLG Düsseldorf 14.11.1996 - 6 U 246/95] veröffentlicht - hält den Bürgschaftsvertrag gemäß § 9 AGBG für unwirksam. Die formularmäßig unbegrenzte Ausdehnung der Bürgschaft sei mit der in § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB getroffenen gesetzlichen Leitentscheidung nicht zu vereinbaren. Aus der Vorschrift folge, daß das Gesetz neben der Bestimmtheit der zu sichernden Forderungen eine summenmäßige Begrenzung der Bürgschaft verlange. Die unzulässig weite Zweckerklärung könne hier - im Gegensatz zu den bisher entschiedenen Fällen - nicht in einen zulässigen und einen unzulässigen Teil zerlegt werden; denn es fehle an einem objektiven Anknüpfungspunkt für die Feststellung des Sicherungsbedürfnisses der Klägerin. Im Streitfall sei selbst der Betrag, den die Bank vom Hauptschuldner am Tag der Eingehung der Bürgschaft habe fordern können, unklar; er werde von eher zufälligen Faktoren bestimmt. Anlaß für die Bürgschaft sei zudem nicht die Inanspruchnahme eines betragsmäßig bestimmten oder bestimmbaren Kredits gewesen, sondern die Einbringung des ursprünglich dem Hauptschuldner zu Alleineigentum gehörenden Gewerbegrundstücks in eine Gesellschaft mit der Beklagten. Die im Interesse des Bürgen erforderliche Abgrenzung zukünftiger Forderungen nach Grund und Umfang sei bei einem unlimitierten Kontokorrentkredit unmöglich.

6

II.

Diese Erwägungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die formularmäßig erteilte unbegrenzte Bürgschaft mit weiter Zweckerklärung ist auch dann nicht insgesamt wirkungslos, wenn sie die Schuld aus einem Kontokorrent ohne Kreditlimit sichern soll.

7

1.

Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß die formularmäßige Ausdehnung der Bürgenhaftung auf alle bestehenden und künftigen Forderungen aus der Geschäftsverbindung zwischen der Klägerin und dem Hauptschuldner nicht wirksam geworden ist.

8

Nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung des Senats verstößt eine solche Klausel gegen § 9 AGBG, weil sie sich mit der gesetzlichen Leitentscheidung des § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht vereinbaren läßt und wesentliche Rechte des Bürgen in einer den Vertragszweck gefährdenden Weise einschränkt (BGHZ 130, 19, 32 f[BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94];  132, 6, 9 [BGH 18.01.1996 - IX ZR 69/95];  BGH, Urt. v. 7. März 1996 - IX ZR 43/95, WM 1996, 766, 768; v. 13. Juni 1996 - IX ZR 229/95, WM 1996, 1391, 1392 [BGH 13.06.1996 - IX ZR 229/95]; v. 15. April 1997 - IX ZR 112/96, WM 1997, 1045, 1047 f). Ein Bürge, dem formularmäßig die Haftung für andere Forderungen auferlegt wird als jene, die objektiv die Verbürgung veranlassen, wird dadurch in der Regel unangemessen benachteiligt. Ihn mit einem Risiko zu belasten, dessen Umfang allein vom Handeln Dritter bestimmt wird, das er infolgedessen weder beeinflussen noch kalkulieren kann, widerspricht den Grundsätzen der im Vertragsrecht geltenden Privatautonomie (BGHZ 130, 19, 27[BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94]; Senatsurt. v. 13. Juni 1996, aaO). Die entsprechende Klausel in Verträgen mit einem Bürgen, der keinen Einfluß darauf nehmen kann, welche Verbindlichkeiten der Hauptschuldner eingeht, ist generell unwirksam, unabhängig davon, wie die Rechtsbeziehungen des Gläubigers zum Hauptschuldner im Einzelfall gestaltet sind.

9

2.

Der Senat behandelt eine Klausel, die den Gegenstand der Bürgenhaftung bestimmt und zugleich deren Umfang in unzulässiger Weise ausdehnt, nicht als insgesamt unwirksam, was dazu führen würde, daß keine Bürgschaftsverpflichtung mehr bestände. Nach der im Urteil vom 18. Mai 1995 (BGHZ 130, 19[BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94]) vertretenen Auffassung ist die Klausel in dem Sinn teilbar, daß die Verpflichtung des Bürgen für die Forderungen bestehen bleibt, die den Anlaß zur Übernahme der Haftung gebildet haben.

10

Diese Rechtsprechung hat im Ergebnis nahezu einhellige Zustimmung gefunden (Palandt/Heinrichs, BGB 56. Aufl. § 9 AGBG Rdnr. 2; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht S. 12; dies. DB 1995, 2301, 2305; Altvater WiB 1996, 374; Hager JZ 1996, 175; Keim DNotZ 1996, 283; Pfeiffer LM § 765 BGB Nr. 99/100/ 101; Reich/Schmitz NJW 1995, 2533, 2534; a.A. Schmitz-Herscheidt ZIP 1997, 1140). Verbreitet wird jedoch eingewandt, daß sich das Ergebnis nur im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung oder einer geltungserhaltenden Reduktion rechtfertigen lasse. Der Kritik ist einzuräumen, daß es nicht darauf ankommt, ob die betreffende Klausel in dem bisher angenommenen Sinne teilbar ist; denn deren ersatzlose Streichung kommt schon aus anderen Gründen nicht in Betracht.

11

a)

Läßt sich die mit dem Wegfall einer nach § 9 Abs. 1 AGBG unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht durch dispositives Gesetzesrecht füllen und führt dies zu einem Ergebnis, das den beiderseitigen Interessen nicht in vertretbarer Weise Rechnung trägt, so bedient sich die Rechtsprechung der ergänzenden Vertragsauslegung; denn es wäre unbillig und widerspräche der Zielsetzung des AGB-Gesetzes, dem Kunden einen Vorteil zu belassen, der das Vertragsgefüge völlig einseitig zu seinen Gunsten verschiebt (BGHZ 90, 69, 77) [BGH 01.02.1984 - VIII ZR 54/83]. An die Stelle der Klausel tritt dann die Gestaltungsmöglichkeit, die die Parteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen gewählt hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Geschäftsbedingungen bekannt gewesen wäre (BGHZ 90, 69, 75[BGH 01.02.1984 - VIII ZR 54/83];  117, 92, 98 ff;  120, 108, 122). Neuerdings verfährt die Rechtsprechung auch in dieser Weise, wenn eine formularmäßige Zweckerklärung die Grundschuldhaftung überraschend im Sinne des § 3 AGBG ausdehnt (BGHZ 131, 55, 60; BGH, Beschl. v. 24. März 1992 - XI ZR 205/91, BGHR AGBG § 6 Abs. 1 ergänzende Auslegung 3). Es liegt nahe, bei einer formularmäßig unwirksamen Bestimmung der Bürgenhaftung ebenso vorzugehen.

12

b)

Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 6 AGBG. Der Vertrag soll trotz unwirksamer Klauseln grundsätzlich erhalten bleiben (§ 6 Abs. 1 AGBG). Entfiele er schon infolge einer einzelnen unzulässigen Bestimmung, stände dies im Widerspruch zu dem, was durch diese Norm sichergestellt werden soll. Eine solche Rechtsfolge würde über das mit den Klauselverboten der §§ 9 bis 11 AGBG verfolgte Ziel hinausschießen. Sie wäre in der Regel mit den berechtigten Interessen beider Teile nicht zu vereinbaren; denn dem Vertragspartner des Verwenders unzulässiger Klauseln wird meistens daran gelegen sein, daß der Vertrag erhalten bleibt und lediglich die unbilligen Abreden entfallen. Die Anwendung der generalisierenden Regeln der §§ 6, 9 AGBG hängt nicht davon ab, ob der jeweilige Vertrag gegenseitige oder einseitige Verpflichtungen begründet. Zudem ist ein schutzwürdiges Interesse des Bürgen, wegen einer zu weit gefaßten Haftungserklärung ganz von seiner Verpflichtung freizuwerden, nicht anzuerkennen.

13

c)

Die auf diesem Wege an die Stelle der unwirksamen Klausel tretende Abrede grenzt die Haftung des Bürgen nach dem mit seiner Erklärung verbundenen Anlaß ein. Dieser richtet sich nach dem erkennbar gewordenen Sicherungsbedürfnis des Gläubigers im Zeitpunkt der Haftungsübernahme unter Wahrung des Verbots der Fremddisposition (vgl. BGHZ 130, 19, 34) [BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94]. Das Ergebnis der bisherigen Rechtsprechung entspricht der Regelung, die die Parteien bei sachgerechter Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben gewählt hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der Klausel bewußt geworden wäre.

14

3.

Nach diesen Grundsätzen ist die Haftung des Bürgen auch dann sachgerecht einzugrenzen, wenn der Gläubiger dem Hauptschuldner einen unlimitierten Kontokorrentkredit gewährt hat.

15

a)

Dem Berufungsgericht ist im Ergebnis darin zu folgen, daß an die Stelle der unwirksamen Klausel nicht eine auf diesen einen Kredit begrenzte, der Höhe nach aber unbeschränkte Haftungsabrede tritt; denn eine solche Regelung wäre nicht angemessen.

16

Wegen des Verbots der Fremddisposition über die Bürgenschuld können zukünftige Forderungen formularmäßig nur unter der Voraussetzung einbezogen werden, daß sie für den Bürgen von Anfang an nach Grund und Umfang hinreichend abgesteckt sind (Senatsurt. v. 13. Juni 1996, aaO). Bildet ein Kontokorrentkredit den Anlaß für die Erteilung der Bürgschaft, begrenzt sich die Haftung auf das im Zeitpunkt der Willenserklärung vereinbarte Kreditlimit. Darauf, ob die Beteiligten dessen spätere Erweiterung für möglich halten und dies dem Bürgen bekannt ist, kommt es nicht an (BGHZ 130, 19, 33 f) [BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94].

17

Soll die Bürgschaft einen betragsmäßig nicht limitierten Kontokorrentkredit sichern, ist für den Bürgen zwar ohne weiteres ersichtlich, daß die Hauptschuld in Zukunft über den aktuellen Stand hinaus steigen kann. Den Umfang der späteren Kreditverbindlichkeit vermag er jedoch nicht einmal in Umrissen abzuschätzen. Eigene Einflußmöglichkeiten stehen ihm in der Regel nicht oder nur sehr eingeschränkt zur Verfügung. Bezieht sich die formularmäßige Haftung auf ein solches Kreditverhältnis, ist das Risiko des Bürgen demjenigen vergleichbar, das bei einer Haftung für Verbindlichkeiten aus der gesamten bankmäßigen Geschäftsverbindung begründet wird. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn der Hauptschuldner, wie im Streitfall, aufgrund der von ihm ausgeübten beruflichen Tätigkeit nahezu täglich sowohl neuen Kredit benötigt als auch Tilgungsleistungen erbringt. Eine entsprechende Bestimmung würde daher einer unbeschränkten Haftung des Bürgen im wesentlichen gleichstehen.

18

b)

Der Anlaß der Verbürgung ist im Rahmen des § 9 AGBG im wesentlichen objektiv nach dem aktuellen Sicherungsinteresse des Gläubigers zu bestimmen (BGHZ 130, 19, 33[BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94];  132, 6, 9) [BGH 18.01.1996 - IX ZR 69/95]. Auf diese Weise läßt sich auch der Haftungsumfang einer Bürgschaft für einen nicht limitierten Kontokorrentkredit sachgerecht eingrenzen.

19

aa)

Die Frage nach dem Anlaß bezieht sich immer auf die Hauptverbindlichkeit, deren Sicherung die Bürgschaft nach den damaligen Gegebenheiten dienen sollte. Wer für einen Kontokorrentkredit einsteht, haftet für eine zukünftige Verbindlichkeit; denn es liegt in der Natur dieses Rechtsverhältnisses, daß erst der künftige Rechnungsabschluß die Hauptforderung dem Grunde und der Höhe nach zur Entstehung bringt (§ 355 HGB). Daher ließe sich daran denken, bei einem unlimitierten Kontokorrentkredit den Haftungsumfang des Bürgen auf die Höhe des erstmaligen Rechnungsabschlusses nach Übernahme seiner Verpflichtung zu begrenzen. Dies hätte jedoch zur Folge, daß der Bürge alle ihm ungünstigen Veränderungen innerhalb des Kontokorrents bis zur ersten Saldofeststellung hinnehmen müßte. Liegt ein längerer Zeitraum zwischen der Erteilung der Bürgschaft und dem nächsten Rechnungsabschluß oder ist aufgrund der Geschäftstätigkeit des Hauptschuldners mit ständigen Veränderungen des Kontostands zu rechnen, so erwüchse daraus für den Bürgen ein beträchtliches unkalkulierbares Risiko, das sich mit der in § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB getroffenen Leitentscheidung des Gesetzgebers kaum vereinbaren ließe. Dies zeigen die Umstände des hier zu beurteilenden Sachverhalts besonders deutlich. Zwischen dem Tag, als die Beklagte die Bürgschaft unterzeichnete, und dem nächsten Rechnungsabschluß lagen elf Monate, für die sich aufgrund der beruflichen Tätigkeit des Hauptschuldners nicht voraussehen ließ, in welchem Umfang der Kredit in Anspruch genommen werden würde. Auch bei einem nach oben offenen Kontokorrentkredit darf der Haftungsumfang nicht von Umständen abhängig sein, die der Bürge bei Vertragsschluß noch nicht kennt und die er in der Folgezeit nicht oder nur unzureichend beeinflussen kann.

20

bb)

Die Haftung läßt sich nur in der Weise sachgerecht eingrenzen, daß auf die Höhe des Kreditsaldos am Tage der Bürgschaftserklärung abgestellt wird. Wer eine unbegrenzte Bürgschaft für einen betragsmäßig offenen Kredit eingeht, bringt damit zum Ausdruck, für die Verbindlichkeiten aus diesem Vertrag jedenfalls in ihrer aktuellen Höhe einzustehen, und ist sich dessen auch in aller Regel bewußt. Der Bürge kann zudem den Tagessaldo der Hauptforderung beim Gläubiger erfragen und damit rechtzeitig erfahren, auf welchen Betrag sich seine Haftung erstrecken soll. Gleichzeitig wird er damit vor allen Nachteilen aus späteren Erweiterungen der Hauptschuld in gleicher Weise geschützt wie derjenige, der für einen limitierten Kontokorrentkredit haftet.

21

Die rechtliche Bedeutung des Tagessaldos im Verhältnis der Kontokorrentparteien zu Dritten, etwa bei Pfändungen durch Gläubiger des Kontoinhabers (vgl. BGHZ 84, 325, 330;  84, 371, 377[BGH 08.07.1982 - I ZR 148/80];  93, 315, 322 f) oder der Haftung ausgeschiedener Gesellschafter der Kontokorrentschuldnerin (vgl. BGHZ 50, 277[BGH 28.06.1968 - I ZR 156/66]), ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit langem anerkannt. Die Tatsache, daß der Tagessaldo für die Parteien des Kreditvertrages nur einen unselbständigen Rechnungsposten darstellt, bildet deshalb kein rechtliches Hindernis dafür, den Umfang der durch die Bürgschaft gesicherten Kreditverbindlichkeit nach dem Saldo am Tage der Verpflichtungserklärung des Dritten zu bestimmen. Bei limitierten Kontokorrentkrediten hat die Höhe des ersten der Bürgschaft nachfolgenden Rechnungsabschlusses ebenfalls keine rechtliche Bedeutung für den Umfang der Haftung, weil sich diese auf das zwischen Gläubiger und Hauptschuldner zustande gekommene Dauerschuldverhältnis bezieht. Ist der Kontokorrentkredit der Höhe nach nicht begrenzt, besteht kein anerkennenswertes Bedürfnis nach einer davon abweichenden Regelung. Die Bürgschaftsschuld verringert sich also nicht dadurch, daß der erste nachfolgende Rechnungsabschluß eine niedrigere Kreditverbindlichkeit als der maßgebliche Tagessaldo feststellt.

22

4.

Treffen die in der Revisionsinstanz zu unterstellenden Behauptungen der Klägerin zu, ist durch die Bürgschaft eine Haftung der Beklagten in Höhe der Klagesumme begründet worden. Der Tagessaldo vom 1. Februar 1988 weist eine Sollstellung von mehr als 5,5 Mio. DM auf.

23

III.

Das Berufungsurteil erweist sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig.

24

1.

Entgegen der Meinung der Revisionserwiderung hat die Beklagte die Echtheit der Bürgschaftsurkunde in den Tatsacheninstanzen nicht hinreichend substantiiert bestritten.

25

2.

Die Beklagte hat weiter eingewandt, die Bürgschaft sei gemäß §§ 53, 59 BörsG nicht wirksam geworden, weil ihr früherer Ehemann den Kredit auch für Börsentermingeschäfte verwandt habe und ihr die Börsenterminsgeschäftsfähigkeit fehle. Dem ist jedoch nicht zu folgen.

26

Zwar hat das Reichsgericht die Auffassung vertreten, Bürgschaften nicht termingeschäftsfähiger Personen begründeten keine klagbaren Verbindlichkeiten, wenn damit nach §§ 52, 53 BörsG voll wirksame Forderungen gesichert werden sollen (RGZ 140, 132, 135 f). Ob dieser Auffassung uneingeschränkt zuzustimmen ist (vgl. Häuser/Welter in: Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts 2. Aufl. § 16 Rdnr. 333, 335; Schwark, BörsG 2. Aufl. § 53 Rdnr. 1, § 59 Rdnr. 4), bedarf keiner Entscheidung; denn die Bürgschaft der Beklagten sichert nicht die Verbindlichkeiten aus den Wertpapiergeschäften ihres früheren Ehemannes, sondern allein den für diese Geschäftstätigkeit benötigten, von der Klägerin gewährten Kredit. Wozu dieser verwendet wird, hat keine rechtliche Bedeutung für den Bestand der Bürgschaft.

27

3.

Die Bürgschaft verstößt nicht gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB).

28

Als die Beklagte die Verpflichtung übernahm, gehörte ihr - als Mitgesellschafterin zur Hälfte - ein gewerblich genutztes Grundstück, dessen Wert auf mehrere Millionen DM geschätzt wurde. Außerdem besaß sie Wertpapiere im Nennwert von 280.000,00 DM. Damit fehlt es schon an der Voraussetzung, daß sie durch die eingegangene Verbindlichkeit eindeutig wirtschaftlich überfordert wurde. Zwar war das Grundstück damals mit etwa 3 Mio. DM dinglich belastet. Die Klägerin durfte jedoch davon ausgehen, daß in der Zukunft mit dem aus dem Grundstück gezogenen Gewinn die Schulden abgebaut wurden und das Objekt durch die allgemeine Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt einen weiteren Wertzuwachs erfuhr. Jedenfalls hat die Beklagte keine Tatsachen dargetan, die entsprechende Möglichkeiten von Anfang an ausschlossen. Die Klägerin hat vorgetragen, der Ehemann habe nach 1988 Gewinne in Millionenhöhe erzielt, bevor er später in Vermögensverfall geriet.

29

3.

Da für die Klägerin das Vermögen der Beklagten von Anfang an ein wesentliches Zugriffsobjekt darstellte, kann diese sich trotz Scheidung der Ehe mit dem Hauptschuldner nicht auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen (vgl. Senatsurt. v. 25. April 1996 - IX ZR 177/95, WM 1996, 1124, 1126 f, z.V.b. in BGHZ 132, 128[BGH 29.02.1996 - IX ZR 153/95]).

30

IV.

Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO). Dieses wird nunmehr zu prüfen haben, ob die Behauptungen der Klägerin über die Höhe der Forderung am Tag der Unterzeichnung der Bürgschaft zutreffen und die dem geltend gemachten Anspruch zugrunde liegende Forderung aus demselben Kreditvertrag herrührt oder auf einem anderen, davon rechtlich selbständigen Schuldgrund beruht (vgl. BGHZ 130, 19, 34) [BGH 18.05.1995 - IX ZR 108/94], wie die Beklagte behauptet. Allein die Tatsache, daß zwischenzeitlich einzelne Rechnungsabschlüsse ein Guthaben des Hauptschuldners auswiesen, führte nicht zur Beendigung des Kontokorrentkreditvertrages und schließt es daher nicht aus, daß noch eine von der Bürgschaft gedeckte Hauptforderung besteht.

Paulusch
Kreft
Stodolkowitz
Kirchhof
Fischer