Bundesgerichtshof
Urt. v. 11.07.1996, Az.: IX ZR 80/95
Klageänderung; Anspruchserweiterung; Zulässigkeit
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 11.07.1996
- Aktenzeichen
- IX ZR 80/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 14302
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DB 1997, 325 (Kurzinformation)
- MDR 1997, 91-93 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1996, 2869-2870 (Volltext mit amtl. LS)
- VuR 1996, 419 (amtl. Leitsatz)
- WM 1996, 1507-1509 (Volltext mit amtl. LS)
- ZBB 1996, 380
- ZIP 1996, A85-A86 (Kurzinformation)
Amtlicher Leitsatz
1. Ändert der Kläger seinen ursprünglichen Antrag nach § 264 Nr. 3 ZPO und führt er zusätzlich einen neuen Anspruch in den Rechtsstreit ein, ist nur dessen Zulässigkeit und nicht die Umstellung des Antrags insgesamt nach § 263 ZPO zu beurteilen.
2. Verlangt der Schuldner, der zunächst vom Gläubiger die Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde begehrt hatte, nach Auszahlung der Bürgschaftssumme deren Rückzahlung, ist die Änderung des Klageantrags regelmäßig nach § 264 Nr. 3 ZPO zulässig.
Tatbestand:
Die Klägerin beauftragte die Beklagte mit Vertrag vom 22./28. März 1990 als Generalunternehmerin mit der schlüsselfertigen Bebauung zweier Grundstücke zum Pauschalpreis von 2, 4 Mio DM. Vertragsgemäß übergab sie der Beklagten eine selbstschuldnerische Bankbürgschaft bis zum Höchstbetrag von 240.000 DM für die Vertragserfüllung; Zahlung sollte auf erste schriftliche Anforderung des Generalunternehmers erfolgen. Das Bauvorhaben wurde in der Folgezeit aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig sind, nicht ausgeführt. Unter dem 11. Februar 1991 übersandte die Beklagte der Klägerin eine Rechnung über insgesamt 267.538, 61 DM. Abgerechnet wurden Kosten für ein geologisches Gutachten, damit zusammenhängende Erdarbeiten, Rodungsarbeiten, allgemeine Nebenkosten in Höhe von 7, 5 % des Pauschalpreises und Preiserhöhungen von 6 %. Mit Schreiben vom 18. Februar 1991 kündigte die Klägerin den Generalunternehmervertrag aus wichtigem Grund; ihrer Aufforderung, die Bürgschaftsurkunde zurückzugeben, kam die Beklagte nicht nach.
Um eine Inanspruchnahme der Bürgin zu verhindern, erhob die Klägerin Klage auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde. Die Beklagte erwirkte indessen gegen die Bürgin ein Urteil des Landgerichts Stuttgart, durch das ihr der Bürgschaftsbetrag von 240.000 DM zugesprochen wurde. Dieses Urteil wurde im Berufungsverfahren abgeändert, vom Bundesgerichtshof (Urt. v. 28. Oktober 1993 - IX ZR 141/93, NJW 1994, 380) aber wiederhergestellt. Die Bürgin zahlte daraufhin die Bürgschaftssumme an die Beklagte aus.
Im vorliegenden Rechtsstreit änderte die Klägerin nunmehr ihren Antrag. Statt der Herausgabe der Bürgschaftsurkunde verlangte sie die Rückzahlung der Bürgschaftssumme abzüglich einer als berechtigt zugestandenen Forderung der Beklagten in Höhe von 24.047, 87 DM (anteilige Kosten des geologischen Gutachtens) sowie 200.000 DM Schadensersatz, insgesamt also 415.952, 13 DM. Den ursprünglichen Antrag erklärte sie hilfsweise in der Hauptsache für erledigt. Zur Begründung der Schadensersatzforderung führte sie aus, daß nach der von der Beklagten zu vertretenden Kündigung des Generalunternehmervertrags die Bauausführung durch Dritte Mehrkosten von über 1, 6 Mio DM verursacht habe; hiervon mache sie einen Teilbetrag von 200.000 DM geltend.
Die Klage blieb in zwei Instanzen ohne Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
I. Das Berufungsgericht hat - wie schon das Landgericht - in der Umstellung des Antrags eine unzulässige Klageänderung gesehen. Es hat hierzu ausgeführt: Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Klageänderung nicht hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs nach § 264 Nr. 3 ZPO und hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs nach § 264 Nr. 2 ZPO zu beurteilen. Mit der Schadensersatzforderung habe die Klägerin den Klageantrag nicht im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO erweitert, da das ursprüngliche Herausgabeverlangen nicht aufrechterhalten und der Rückzahlungsanspruch erst zusammen mit dem Schadensersatzanspruch erhoben worden sei. Für den Übergang vom Herausgabe- zum Rückzahlungsantrag könne nicht § 264 Nr. 3 ZPO gelten, weil die Änderung des Klageantrags in einen Zahlungsantrag prozessual einheitlich beurteilt werden müsse und der Klagegrund insgesamt nicht identisch geblieben sei. Die Zulässigkeit der Klageänderung richte sich deshalb einheitlich nach § 263 ZPO, setze also mangels Einwilligung der Beklagten Sachdienlichkeit voraus. Die Entscheidung des Landgerichts zur Sachdienlichkeit liege im Rahmen des dem Gericht eingeräumten Beurteilungsspielraums. Es habe zu Recht darauf abgestellt, daß der ursprüngliche Klageantrag abweisungsreif gewesen und daß zur Begründung der Schadensersatzforderung völlig neuer Prozeßstoff eingeführt worden sei, während der bisherige nicht zu verwerten gewesen wäre. Der Gedanke der Prozeßwirtschaftlichkeit spreche nicht zwingend für die Sachdienlichkeit der Klageänderung. Im übrigen werde der Klägerin nicht mehr zugemutet als jedem anderen Schuldner, der eine Bürgschaft auf erstes Anfordern gestellt habe und deshalb Einwendungen regelmäßig erst in einem Rückforderungsprozeß geltend machen könne. Der hilfsweise gestellte Erledigungsantrag sei unbegründet, weil die Klägerin nicht hinreichend dargelegt habe, daß der Sicherungszweck der Bürgschaft entweder nicht zur Entstehung gelangen konnte oder nachträglich endgültig weggefallen sei; die Herausgabeklage sei deshalb von Anfang an unbegründet gewesen.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Im Ergebnis zutreffend nimmt das Berufungsgericht allerdings an, daß die Umstellung der Klage vom Herausgabe auf den Zahlungsantrag insoweit, als erstmals ein Schadensersatzanspruch erhoben wurde, keine Klageerweiterung im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO ist. Dies wird auch von der Revision hingenommen. Sämtliche Fallgruppen des § 264 ZPO setzen voraus, daß der Klagegrund, also der zur Begründung des Klageantrags vorgetragene Lebenssachverhalt (BGHZ 117, 1, 5 [BGH 19.12.1991 - IX ZR 96/90] m.w.N.; BGH, Urt. v. 18. November 1993 - IX ZR 244/92, NJW 1994, 460) unverändert bleibt; dies war aber hier nicht der Fall. Zur Begründung des Herausgabeanspruchs hatte die Klägerin vorgetragen, der Beklagten stünden keine durch die Bürgschaft gesicherten Forderungen zu, abgesehen von den Kosten des geologischen Gutachtens in Höhe von 24.074, 87 DM. Weitere von der Bürgschaft erfaßte Leistungen habe sie nicht erbracht. Da die Beklagte einen wichtigen Grund zur Kündigung gegeben habe und bei Ausführung des Auftrags Verlust gemacht hätte, komme auch ein Vergütungsanspruch der Beklagten nach § 649 BGB nicht in Betracht. Den Schadensersatzanspruch hatte die Klägerin demgegenüber darauf gestützt, daß sie infolge der Pflichtverletzungen der Beklagten Dritte mit der Ausführung der Bauvorhaben habe beauftragen müssen, wodurch ihr beträchtliche Mehrkosten entstanden seien. Das ist ein anderer Lebenssachverhalt. Mit der Schadensersatzforderung führte die Klägerin somit einen neuen prozessualen Anspruch ein. Darin lag eine nachträgliche objektive Klagehäufung, die wie eine Klageänderung nach § 263 ZPO nur zulässig war, wenn die Beklagte in die Änderung einwilligte oder das Gericht sie für sachdienlich erachtete (vgl. BGH, Urt. v. 6. Juli 1989 - IX ZR 280/88, WM 1989, 1546, 1548 m.w.N.).
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht jedoch den neuen Zahlungsantrag insgesamt und nicht nur den auf den Schadensersatzanspruch entfallenden Teil nach § 263 ZPO beurteilt. Der Übergang vom Antrag auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde zum Zahlungsantrag war gemäß § 264 Nr. 3 ZPO zulässig, soweit die Klägerin nun die Rückzahlung der Bürgschaftssumme verlangte.
a) Nach § 264 Nr. 3 ZPO ist es nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, wenn statt des ursprünglich geforderten Gegenstandes wegen einer später eingetretenen Veränderung ein anderer Gegenstand oder das Interesse gefordert wird. Das war hier der Fall.
aa) Wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, änderte sich der Klagegrund durch die Umstellung vom Herausgabeanspruch auf den Rückzahlungsanspruch nicht. Sowohl der Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde, der sich grundsätzlich aus der Sicherungsabrede im Generalunternehmervertrag ergeben konnte (vgl. BGH, Urt. v. 2. Februar 1989 - IX ZR 182/87, WM 1989, 521, 524 m.w.N.), als auch der Anspruch auf Rückzahlung der Bürgschaftssumme wegen ungerechtfertigter Bereicherung (vgl. BGH, Urt. v. 27. Februar 1992 - IX ZR 57/91, WM 1992, 773, 776) setzten voraus, daß die Beklagte nach der Kündigung des Generalunternehmervertrags keine durch die Bürgschaft gesicherten Forderungen hatte; dann hatte die Beklagte kein Recht mehr zum Besitz der Bürgschaftsurkunde und keinen Anspruch auf den Bürgschaftsbetrag. Dementsprechend bezog sich die Klägerin zur Begründung des Rückzahlungsanspruchs im wesentlichen auf den Vortrag, auf den sie bereits den Herausgabeanspruch gestützt hatte (GA II 247).
bb) Auch die besonderen Voraussetzungen des § 264 Nr. 3 ZPO sind erfüllt. Durch die im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens erfolgte Auszahlung des Bürgschaftsbetrags an die Beklagte war eine Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. Aus diesem Grund verlangte die Klägerin nicht mehr, wie ursprünglich gefordert, die Herausgabe der Bürgschaftsurkunde, sondern deren Surrogat, die Bürgschaftssumme.
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts muß die Umstellung des Klageantrags vom Herausgabe- auf den Zahlungsanspruch nicht prozessual einheitlich beurteilt werden. Die gesetzliche Regelung der eingeschränkten Zulässigkeit der Klageänderung in den §§ 263 ff ZPO dient zunächst dem Schutz des Beklagten; er hat grundsätzlich einen Anspruch auf eine sachliche Entscheidung über den ursprünglichen Antrag des Klägers und soll sich in einem laufenden Verfahren nicht gegen einen geänderten Angriff verteidigen müssen. Andererseits haben der Kläger und das Gericht ein berechtigtes Interesse an einer alsbaldigen, prozeßwirtschaftlichen Erledigung des Streitstoffs. Den sich daraus ergebenden Konflikt entscheidet § 264 ZPO für die dort geregelten Fälle zugunsten des Klägers. Er soll berechtigt sein, unter bestimmten Voraussetzungen seinen Antrag zu ändern, sofern nur der Klagegrund unverändert bleibt. Diese Entscheidung des Gesetzgebers ist auch dann zu respektieren, wenn der Kläger zusätzlich einen neuen prozessualen Anspruch erhebt. Über ihn kann, wie auch sonst bei Klagehäufungen nach § 260 ZPO, unabhängig vom anderen Anspruch entschieden werden, auch wenn die verschiedenen Ansprüche zu einem einheitlichen Antrag zusammengefaßt sind. An der Interessenlage ändert eine solche Zusammenfassung nichts. Es besteht kein Grund, dem Kläger die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, die Klage nach § 264 ZPO umzustellen, zu nehmen, nur weil er neben dieser Umstellung einen zusätzlichen Streitgegenstand in den Prozeß einführt.
3. War sonach die Änderung des Klageantrags vom Herausgabe- auf den Rückzahlungsanspruch zulässig, stellt sich die Beurteilung der Zulässigkeit der Klageänderung durch das Berufungsgericht auch hinsichtlich des neu eingeführten Schadensersatzanspruchs als rechtsfehlerhaft dar. Maßstab ist insoweit - wie unter II. 1 ausgeführt wurde - § 263 ZPO; da die Beklagte nicht einwilligte, kam es darauf an, ob das Vorgehen der Klägerin sachdienlich war. Die diesbezügliche Beurteilung eröffnet dem Tatrichter einen Ermessensspielraum und kann im Revisionsverfahren nur daraufhin überprüft werden, ob der Begriff der Sachdienlichkeit verkannt und damit die Grenzen des Ermessens überschritten wurden (st. Rspr., vgl. etwa BGHZ 123, 132, 137 [BGH 07.07.1993 - IV ZR 190/92]; BGH, Urt. v. 21. Dezember 1989 - VII ZR 84/89, WM 1990, 657, 658; jeweils m.w.N.).
Beide Tatsacheninstanzen haben von ihrem Ermessen einen fehlerhaften Gebrauch gemacht, indem sie den neuen Zahlungsantrag als ganzen auf seine Sachdienlichkeit hin prüften. Statt dessen hätten sie berücksichtigen müssen, daß der neue Antrag hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs in Höhe von 215.952, 13 DM nach § 264 Nr. 3 ZPO zulässig war und deshalb ohnehin sachlich über ihn entschieden werden mußte. Dem Umstand, daß der Rechtsstreit deshalb in jedem Falle wegen des Rückzahlungsanspruchs fortzusetzen war, kam unter dem Gesichtspunkt der Prozeßwirtschaftlichkeit auch für die Beurteilung der Sachdienlichkeit einer Einbeziehung der Schadensersatzforderung in den laufenden Prozeß Bedeutung zu. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Tatrichter dabei zu einem anderen Ergebnis gekommen wären, wenn sie die Rechtslage bezüglich des Rückzahlungsanspruchs zutreffend berücksichtigt hätten.
III. 1. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Da nicht nur das Berufungsgericht, sondern schon das Landgericht verkannt hat, daß die Klageänderung teilweise nach § 264 Nr. 3 ZPO zulässig war, und deshalb auch sein Ermessen bei der Beurteilung der Sachdienlichkeit nach § 263 ZPO fehlerhaft ausgeübt hat, litt bereits das Verfahren des ersten Rechtszugs an einem wesentlichen Mangel. Dieser hätte das Berufungsgericht nach § 539 ZPO zu einer Zurückverweisung der Sache an das Landgericht veranlassen müssen. Diese Entscheidung kann das Revisionsgericht nachholen (vgl. BGH, Urt. v. 13. April 1992 - II ZR 105/91, NJW 1992, 2099, 2100; v. 12. Januar 1994 - XII ZR 167/92, WM 1994, 865, 868).
2. Bei der Beurteilung der Sachdienlichkeit des neu erhobenen Schadensersatzanspruchs wird der Tatrichter zu berücksichtigen haben, daß es gegen die Sachdienlichkeit sprechen kann, wenn der Rechtsstreit im übrigen entscheidungsreif ist; maßgeblich ist hier aber nicht der ursprüngliche Herausgabeantrag, sondern wegen der insoweit zulässigen Klageänderung der Antrag auf Rückzahlung der Bürgschaftssumme. Dieser ist begründet, soweit die Beklagte - abgesehen von dem zugestandenen Anspruch von 24.047, 87 DM - keine durch die Bürgschaft gesicherte Forderung gegen die Klägerin hat. Die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen solcher Forderungen liegt allerdings bei der Beklagten. Nach Zahlung auf eine Bürgschaft auf erstes Anfordern ist im Rückforderungsprozeß ungeachtet der vertauschten Parteirollen die Darlegungs- und Beweislast so verteilt, wie wenn der Gläubiger den Bürgen in Anspruch nähme (BGH, Urt. v. 13. Juli 1989 - IX ZR 223/88, WM 1989, 1496, 1498 m.w.N.).