Bundesgerichtshof
Urt. v. 27.06.1996, Az.: 4 StR 166/96
Natürliche Handlungseinheit; Mehrere Diebstähle; Gleicher Ort; Zeitlicher Zusammenhang
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 27.06.1996
- Aktenzeichen
- 4 StR 166/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 12344
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- NStZ 1996, 493-494 (Volltext mit red. LS)
- StV 1996, 605
Amtlicher Leitsatz
Zur Annahme der natürlichen Handlungseinheit bei mehreren Diebstählen am gleichen Ort und im zeitlichen Zusammenhang.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten F. wegen schweren Bandendiebstahls in 51 Fällen, darunter in neun Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in 18 Fällen, wegen schweren Raubes, wegen Computerbetruges in zwei Fällen und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Den Angeklagten Fi. hat die Jugendkammer wegen schweren Bandendiebstahls in 72 Fällen, darunter in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in 37 Fällen, wegen schweren Raubes und wegen Computerbetruges in drei Fällen unter Einbeziehung eines anderen Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren verurteilt.
Den Angeklagten He. hat sie wegen schweren Bandendiebstahls in 37 Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis, wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in 31 Fällen, wegen Diebstahls in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, und wegen Computerbetruges unter Einbeziehung eines weiteren Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Außerdem hat es bei allen Angeklagten eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von zwei Jahren festgesetzt.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte F. die Verletzung materiellen Rechts. Die zuungunsten des Angeklagten F. eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft beanstandet mit einer Verfahrensrüge, daß der Angeklagte in den Fällen II 14 und 18 der Urteilsgründe lediglich wegen versuchter statt vollendeter Tatbegehung verurteilt worden ist; außerdem begehrt die Staatsanwaltschaft mit einer weiteren Verfahrensrüge und der - auch vom Generalbundesanwalt vertretenen - Sachbeschwerde die Aufhebung des gesamten Strafausspruches mit dem Ziel einer höheren Bestrafung.
Beide Rechtsmittel sind teilweise begründet.
I. Die Revision des Angeklagten
1. Der Schuldspruch wegen (vollendeten) schweren Bandendiebstahls in den Fällen II 21 und 40 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach den Feststellungen kamen die Angeklagten F., Fi. und He. sowie der gesondert verfolgte B. im Sommer 1994 überein, "gemeinsam und wiederholt Diebstähle zu begehen, um sich dadurch für längere Dauer Einnahmen zu verschaffen". In der Folgezeit, beginnend am 9. September 1994, setzten sie ihren Plan in die Tat um.
Die drei Angeklagten entwendeten im Fall II 21 ein Ledermäppchen und im Fall II 40 eine Geldbörse. Beide Gegenstände enthielten entgegen ihren Erwartungen kein Geld.
Danach kommt jeweils nur eine Bestrafung wegen versuchten schweren Bandendiebstahls in Betracht. Wenn für den Täter nämlich nur der Inhalt des Behältnisses von Interesse ist, er dieses selbst aber - was hier naheliegt und wovon zugunsten des Angeklagten mangels gegenteiliger Feststellungen ausgegangen werden muß - nach Entnahme des Inhalts wegwerfen will, so eignet er sich das Behältnis selbst nicht zu (vgl. BGHSt 4, 58 [BGH 20.02.1953 - 1 StR 719/52]; BGHR StGB § 249 Abs. 1 Zueignungsabsicht 1; BGH NJW 1985, 812 [BGH 26.09.1984 - 3 StR 367/84]; BGH StV 1990, 408).
2. Die Auffassung des Landgerichts, daß sämtliche Fälle des schweren Bandendiebstahls untereinander in Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehen, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
In den Fällen II 4 bis 6 der Urteilsgründe öffneten alle Angeklagte in derselben Nacht, an demselben Ort und auf dieselbe Weise die Personenkraftwagen von drei verschiedenen Eigentümern, um daraus Gegenstände zu entwenden, wobei sie im Falle II 6 der Urteilsgründe nichts fanden, was stehlenswert war. Alle Fahrzeuge waren in der Tatnacht in der Tiefgarage des Anwesens W. Straße 18-22 in Speyer abgestellt. Zwar enthalten die Feststellungen keine näheren Angaben zum (zeitlichen) Ablauf des Tatgeschehens; es ist aber - wie zugunsten der Angeklagten anzunehmen ist - jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß die Fahrzeuge gleichzeitig oder zumindest sofort hintereinander aufgebrochen wurden.
Diese festgestellten Handlungsteile sind bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise als einheitliches zusammengehörendes Tun und damit rechtlich als eine Tat anzusehen; denn eine natürliche Handlungseinheit ist anzunehmen, wenn ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen den strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen festgestellt wird und wenn sie auf einer einzigen Willensentschließung beruhen (st. Rspr.; BGHR StGB vor § 1 natürliche Handlungseinheit, Entschluß, einheitlicher 3, 4, 6 und 8). Der Annahme einer natürlichen Handlungseinheit steht nicht entgegen, daß sich die Angriffe gegen verschiedene Personen richteten.
Da hier eine natürliche Handlungseinheit vorliegt, stehen die beiden vollendeten Taten und die versuchte Tat in Tateinheit. Dasselbe gilt für die gleichgelagerten Fälle II 8 bis 13 - Autoaufbrüche in derselben Nacht auf dem Parkplatz des Priesterseminars St. German in Speyer -, in denen das Landgericht bei den Angeklagten F. und Fi. jeweils fünfmal versuchten - und einmal vollendeten - schweren Bandendiebstahl angenommen hat. Auch hier liegt Tateinheit vor.
In gleicher Weise ist in den allen drei Angeklagten zuzurechnenden Fällen II 19 und 20 (Tiefgarage "I. V. -" Nr. 4 in Speyer) gleichartige Tateinheit gegeben. Dasselbe gilt für die Angeklagten F. und Fi. in den Fällen II 30 bis 33 (Kellerverschläge im Anwesen B.-Straße 11 in Speyer), II 34 und 35 (Tiefgarage des Anwesens B. Straße 10 bis 16 in Speyer), II 43 bis 46 (Tiefgarage des Anwesens B.-E.-Straße 7-9 in Speyer) und II 54 bis 56 (Tiefgarage des Anwesens B. Straße 14 in Speyer); auch hier ist somit von insgesamt nur vier statt von 13 in Tatmehrheit stehenden schweren Bandendiebstählen auszugehen. Schließlich liegt aus demselben Grund in den Fällen II 107 und 108 (Tiefgarage des Anwesens B. Straße 13 in Speyer) bei allen Angeklagten nur ein versuchter schwerer Bandendiebstahl in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen vor.
3. Insgesamt ergeben sich damit bei F. nur 38 vollendete und 13 versuchte, bei Fi. nur 59 vollendete und 32 versuchte sowie bei He. nur 33 vollendete und 31 versuchte schwere Bandendiebstähle; dabei stehen die Taten - wie aufgezeigt - teilweise in gleichartiger Tateinheit. Der Senat ändert - auch unter Berücksichtigung einer nach § 154 Abs. 2 StPO durch ihn erfolgten Einstellung der beiden Fälle des Computerbetruges und des selbständigen Falles des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis - den den Angeklagten F. betreffenden Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil auszuschließen ist, daß sich der Angeklagte F. anders als geschehen hätte verteidigen können. Der Senat sieht gemäß § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO davon ab, die gleichartige Tateinheit im Tenor zum Ausdruck zu bringen. Nach § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO genügt die Angabe der rechtlichen Bezeichnung der Tat. Daher reicht hier die Formulierung "schwerer Bandendiebstahl" aus. Zwar empfiehlt es sich grundsätzlich auch bei gleichartiger Tateinheit, dies auch im Urteilsspruch kenntlich zu machen. Davon kann aber abgesehen werden, wenn - wie hier - der Tenor unübersichtlich und unverständlich würde; dies entspräche nicht dem auch zu berücksichtigenden Gebot der Klarheit und Verständlichkeit der Urteilsformel (vgl. Kroschel/Meyer-Goßner, Die Urteile in Strafsachen, 26. Aufl. S. 12).
Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der hiervon betroffenen Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis bleibt aufrechterhalten.
Gemäß § 357 StPO ist die Schuldspruchänderung in den Fällen II 4 bis 6, 19 bis 21, 40 sowie 107 und 108 auf den Mitangeklagten He. und in den Fällen II 4 bis 6, 8 bis 13, 19 bis 21, 30 bis 35, 40, 43 bis 46, 54 bis 56 sowie 107 und 108 auf den Mitangeklagten Fi. zu erstrecken.
Die gegen die Mitangeklagten verhängten Einheitsjugendstrafen können dagegen bestehen bleiben; denn im Hinblick auf die Vielzahl und den erheblichen Schuldgehalt der von der Schuldspruchänderung nicht betroffenen Straftaten und wegen der für die Bemessung der Jugendstrafe maßgeblichen erzieherischen Gründe (vgl. § 18 Abs. 2 JGG) schließt der Senat aus, daß die Jugendkammer bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf geringere Einheitsjugendstrafen erkannt hätte.
II. Die Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die Verfahrensrügen der Staatsanwaltschaft bleiben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 11. April 1996 zutreffend dargelegten Gründen erfolglos.
2. Die Sachbeschwerde führt jedoch hinsichtlich des Angeklagten F. zur Aufhebung aller Einzelstrafen und der Gesamtstrafe.
a) Das Landgericht hat ohne jede Begründung in allen Fällen des vollendeten und des versuchten Diebstahls aus Kraftfahrzeugen und von Warenautomaten (Fälle II 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 bis 13, 16, 17, 19 und 20, 21, 29, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 43 bis 46, 53, 54 bis 56, 57, 59, 60, 61, 63, 64) minder schwere Fälle nach § 244 a Abs. 2 StGB angenommen.
Außerdem hat die Jugendkammer im Fall II 116 einen minder schweren Fall des § 250 Abs. 2 StGB bejaht, weil der Regelstrafrahmen "zur Ahndung dieser Tat unangemessen hoch (wäre)". Sie hat hierzu festgestellt, daß die Angeklagten mit ihrem Motorrad eine 65 Jahre alte Radfahrerin verfolgten und ihr die Handtasche u.a. mit 300 DM Bargeld und einer Scheckkarte entrissen, wobei sie in Kauf nahmen, daß die Frau stürzen und sich erheblich verletzen könnte. Tatsächlich schlug sie sich die Knie auf und verstauchte sich eine Hand.
Die knappen Darlegungen der Jugendkammer zur Strafrahmenwahl halten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Entscheidung der Frage, ob ein minder schwerer Fall angenommen werden kann, erfordert eine Gesamtbetrachtung. Dafür sind alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichviel, ob sie der Tat innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Dabei müssen auch die Persönlichkeit des Täters, sein Gesamtverhalten seine Tatmotive und die seine Tat begleitenden Umstände gewürdigt werden (BGHR StGB vor § 1 minder schwerer Fall Gesamtwürdigung 1, 3, 5, 6; st. Rspr.).
Eine solche Gesamtwürdigung hat die Jugendkammer nicht vorgenommen. Der Senat vermag auch unter Berücksichtigung der Unreife des Angeklagten nicht völlig auszuschließen, daß das Landgericht nach der gebotenen Prüfung entweder minder schwere Fälle verneint oder zur Annahme eines minder schweren Falles nur unter Heranziehung des vertypten Milderungsgrundes gemäß § 23 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB gelangt wäre, mit der Folge, daß dann eine weitere Strafrahmenverschiebung nach den genannten Vorschriften ausgeschlossen gewesen wäre.
b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet zudem, daß das Landgericht "in sämtlichen Versuchsfällen von der Möglichkeit der Milderung nach § 23 Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht hat", ohne dies zu begründen (Fälle II 6, 9 bis 13, 14, 17, 18, 22, 24, 42, 78, 107 bis 110 und 113 der Urteilsgründe). Die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB verlangt regelmäßig eine Gesamtschau, die neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte einbezieht, wie Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie (vgl. BGHSt 16, 351, 353; 35, 347, 355 [BGH 15.09.1988 - 4 StR 352/88]; BGHR StGB § 23 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung l, 2, 4, 5, 8, 9, 11 und 12); allerdings ist insoweit eine Zusammenfassung der Ausführungen in bezug auf gleichliegende Fälle nicht ausgeschlossen.
c) Die Festsetzung der Einzelstrafen in den Fällen II 15, 23, 27, 28 und 30 bis 33 ist ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern, weil die Jugendkammer, die jeweils den normalen Strafrahmen des § 244 a Abs. 1 StGB mit einer Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe gewählt hat, Einzelstrafen zwischen sechs und zehn Monaten Freiheitsstrafe verhängt hat. Mag dies in den Fällen 15 und 30 bis 33 noch auf einem Versehen in der Aufzählung der minder schweren Fälle beruhen, so kann hiervon jedoch in den übrigen Fällen, in denen jeweils den Tatopfern (Radfahrerinnen) von den Angeklagten F. und Fi. im Vorbeifahren mit einem Motorrad ihre Handtaschen entrissen wurden, nicht ohne weiteres ausgegangen werden.
d) Da wegen der engen Verknüpfung aller Taten nicht auszuschließen ist, daß sich die aufgezeigten Rechtsfehler auf die Bemessung der übrigen Einzelstrafen ausgewirkt haben, hebt der Senat sämtliche Einzelstrafen auf. Der Wegfall der Einzelstrafen hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruches zur Folge.
III. Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurück, weil das Verfahren nur noch einen Erwachsenen betrifft (BGHSt 35, 267).