Bundesgerichtshof
Urt. v. 09.11.1995, Az.: IX ZB 65/95
Berufung; Hilfsantrag; Neuer Antrag
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 09.11.1995
- Aktenzeichen
- IX ZB 65/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 15292
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- GRUR 1996, 230 (red. Leitsatz) "xx"
- NJW 1996, 320 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1996, 420-421 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Der Kläger kann das erstinstanzliche Urteil mit der Berufung in der Weise anfechten, daß er einen neuen Antrag stellt, wenn er den bisherigen als Hilfsantrag zumindest teilweise weiterverfolgt.
Gründe
I. Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht wegen angeblich falscher Beratung im Zusammenhang mit dem Beitritt ihres Ehemannes zu einem Bauherrenmodell einen Schadensersatzanspruch geltend. Sie hat zu diesem Zweck Klage gegen A. M. erhoben, der als Mitarbeiter der F. Steuerberatungsgesellschaft mbH (im folgenden: GmbH) ihren Ehemann seinerzeit beraten hat. M. hat unter anderem eingewandt, der Ehemann der Klägerin sei nicht sein Mandant gewesen, sondern von der GmbH betreut worden; er persönlich habe jenem gegenüber auch keine qualifizierte Vertrauensstellung eingenommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. In der Berufungsbegründungsschrift vom 23. Dezember 1993 hat sie angekündigt, sie werde im Wege der Klageänderung nunmehr beantragen, - anstelle des bisherigen Beklagten - die GmbH zur Zahlung des eingeklagten Schadensersatzbetrages zu verurteilen. Sie hat dazu ausgeführt, M. selbst hafte nicht, weil die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Verschuldens bei Vertragsschluß nicht vorlägen. In einer ergänzenden Berufungsbegründung, die ebenfalls innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen ist, hat die Klägerin hilfsweise beantragt, den früheren Beklagten, M., entsprechend dem Klageantrag zu verurteilen, und dessen angebliche persönliche Haftung unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens im einzelnen begründet.
Das Oberlandesgericht hat durch Beschluß die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Zulässigkeit der Berufung scheitere daran, daß die Klägerin ihren erstinstanzlichen - gegen A. M. gerichteten - Antrag auch nicht teilweise weiterverfolge. Auf die Frage, ob die nunmehr in Anspruch genommene Beklagte rechtsmißbräuchlich handele, wenn sie ihre Zustimmung zu dem Parteiwechsel verweigere, komme es nicht an, weil ein solcher voraussetze, daß die Berufung zulässig sei. Gegen diese Behandlung der Sache wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde zu Recht.
Soweit das Berufungsgericht meint, eine Partei-(oder Klage-)änderung in der Berufungsinstanz setze voraus, daß mit der Berufung zunächst zumindest ein Teil des in der ersten Instanz geltend gemachten Anspruchs weiterverfolgt werde, befindet es sich allerdings in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 85, 140, 142 f; Senatsurt. v. 22. Oktober 1990 - IX ZR 73/90, WM 1991, 609 [BGH 22.11.1990 - IX ZR 73/90]; Senatsbeschl. v. 17. September 1992 - IX ZB 45/92, NJW 1992, 3243, 3244; BGH, Urt. v. 8. März 1988 - VI ZR 234/87, NJW 1988, 2540, 2541; Beschl. v. 21. September 1994 - VIII ZB 22/94, NJW 1994, 3358 f; ebenso BAG DB 1961, 920; offengelassen in BGH, Urt. v. 13. April 1988 - VIII ZR 199/87, WM 1988, 883; vgl. auch BGHZ 52, 169, 170 f). Auf die gegen diese Rechtsprechung in einem Teil des Schrifttums erhobenen Einwände (Baumgärtel, SAE, 1961, 164; Altmeppen, ZIP 1992, 449, 453 ff; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 21. Aufl. Einleitung zum dritten Buch (vor § 511) Rdnr. 73) ist hier nicht einzugehen. Auch auf dem Boden der Rechtsprechung bestehen im vorliegenden Fall entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts gegen die Zulässigkeit der Berufung wegen des Hilfsantrags, mit dem der erstinstanzliche Antrag weiterverfolgt wird, keine Bedenken. Daß dieser Antrag unter eine Bedingung (Unbegründetheit oder Unzulässigkeit des Hauptantrags) gestellt ist, macht die Berufung nicht unzulässig. Diese ist als solche unbedingt eingelegt. Es ist nicht anders als bei einer Klage, mit der ein Haupt- und ein Hilfsantrag verfolgt werden und bei der sich der Hauptantrag als unzulässig erweist; in einem solchen Fall ist über den Hilfsantrag sachlich zu entscheiden. Die Bedingung, unter die eine prozessuale Erklärung gestellt ist, darf nur nicht in einem außerprozessualen Ereignis bestehen. Das ist nicht der Fall, wenn eine Prozeßhandlung vom Erfolg oder Mißerfolg einer eigenen - anderen - Prozeßhandlung oder einer solchen des Gegners abhängig gemacht wird. Unter dieser Voraussetzung ist deshalb eine Eventualwiderklage zulässig (BGHZ 21, 13, 15 ff). In einem Fall wie dem vorliegenden ist es nicht anders. Verfolgt der in erster Instanz unterlegene Kläger in der Berufungsinstanz ausweislich der Berufungsbegründung in erster Linie einen neuen, hilfsweise aber wiederum den erstinstanzlichen Antrag weiter, so wendet er sich jedenfalls im Hinblick auf diesen Hilfsantrag auch gegen das erstinstanzliche Urteil. Damit steht ihm das Rechtsmittel der Berufung zur Verfügung. Ob die Klage hinsichtlich des nunmehrigen Hauptantrags zulässig ist, hängt davon ab, ob die Voraussetzungen einer zulässigen Klage- oder Parteiänderung gegeben sind. Auf die Zulässigkeit der Berufung als solcher hat diese Frage keinen Einfluß.