Bundesgerichtshof
Urt. v. 19.02.1991, Az.: VI ZB 2/91
Berufungsbegründungsfrist; Antragsunterzeichnung; Anwaltspflicht; Fristablauf; Aktenvorlage; Sorgfaltspflicht
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 19.02.1991
- Aktenzeichen
- VI ZB 2/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1991, 14409
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BB 1991, 931-932 (Volltext mit amtl. LS)
- HFR 1992, 143-144 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1991, 999 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1991, 907 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1991, 279 (amtl. Leitsatz)
- NJW-RR 1991, 827-828 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1991, 1269-1270 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Wird einem Rechtsanwalt eine Sache zur Unterzeichnung eines Antrags auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt, so hat er den Ablauf der Frist auch dann eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Akten nicht mit vorgelegt worden sind.
Gründe
I.
Der Kläger hat gegen das seine Klage abweisende Urteil des Landgerichts am 6. August 1990 rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung des Rechtsmittels lief am 15. Oktober 1990 ab. Mit einem auf den 16. Oktober 1990 datierten und am selben Tage beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz beantragte der Kläger die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat. Dem Antrag wurde wegen bereits erfolgten Fristablaufs nicht entsprochen. Daraufhin bat der Kläger mit Schriftsatz vom 29. Oktober 1990, eingegangen am selben Tage, um Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist; zugleich reichte er die Begründung seines Rechtsmittels ein.
Das Oberlandesgericht hat durch Beschluß vom 7. Dezember 1990 den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Gegen diesen am 8. Januar 1991 zugestellten Beschluß richtet sich die am 22. Januar 1991 bei Gericht eingegangene sofortige Beschwerde des Klägers.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.
1. Der Kläger hat folgenden Sachverhalt vorgetragen und glaubhaft gemacht.
Die geschulte, zuverlässig arbeitende und regelmäßig überwachte Büroangestellte Manuela M., der in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten des Klägers, Rechtsanwältin S., die Fristenberechnung und -überwachung zur selbständigen Erledigung übertragen war, hatte als Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung im Terminkalender zunächst den 6. September 1990 eingetragen. Sie war daraufhin von Rechtsanwältin S. angewiesen worden, die Frist "umzunotieren", weil es sich nicht um eine Feriensache handele. Fräulein M. hatte nunmehr die Frist auf den 16. Oktober 1990 eingetragen. Da Rechtsanwältin S. am 13. Oktober 1990 einen Urlaub antreten wollte und die Sache vorher nicht mehr bearbeiten konnte, bat sie am Nachmittag dieses Tages Fräulein M., einen Fristverlängerungsantrag anzufertigen. Dieser wurde von der Auszubildenden P. geschrieben, die sich bei der Datierung an dem Fristenkalender orientierte und das Schreiben deshalb mit dem Datum des 16. Oktober 1990 versah. Mit dieser Angabe und dem Text ".... beantragen wir, die am heutigen Tag erstmals ablaufende Frist zur Vorlage der Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern" wurde der Schriftsatz von Rechtsanwältin S. unterzeichnet. Sie gab im Empfang der Anwaltskanzlei die Anweisung, das Gesuch beim nächsten Gerichtsgang beim Berufungsgericht einzureichen. Der Verlängerungsantrag befand sich am Montag, dem 15. Oktober 1990, im sog. "Gerichtskörbchen" des Anwaltsbüros, wurde aber von demjenigen, der an diesem Tage die Post zum Gericht brachte, nicht mitgenommen, und zwar offensichtlich deshalb, weil das Schreiben das Datum des 16. Oktober 1990 trug. So wurde der Antrag erst am Tage seiner Datierung bei Gericht eingereicht.
2. Auf dieser tatsächlichen Grundlage hat das Berufungsgericht dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung mit Recht verweigert. Der Kläger war nicht, wie nach § 233 ZPO für die Gewährung der Wiedereinsetzung erforderlich, ohne Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Denn seine Prozeßbevollmächtigte trifft an der Versäumung ein Verschulden, das sich der Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß.
a) Nicht unbedenklich ist allerdings die Ansicht des Berufungsgerichts, Rechtsanwältin S. habe schon dadurch gegen ihre anwaltlichen Sorgfaltspflichten verstoßen, daß sie Fräulein M. lediglich angewiesen habe, die fälschlich auf den 6. September 1990 eingetragene Begründungsfrist "umzunotieren", ohne ihr die Frist genau anzugeben. Zwar ist ein Rechtsanwalt dann, wenn der Lauf einer Frist von den Gerichtsferien beeinflußt wird, grundsätzlich gehalten, den Ablauf der Frist selbst zu bestimmen (BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 1979 - VIII ZB 57/78 - VersR 1979, 368, 369 und vom 27. Juni 1985 - III ZB 2/85 - VersR 1985, 889). Im Streitfall waren aber, nachdem Rechtsanwältin S. gegenüber Fräulein M. den Rechtsstreit klar als Nicht-Feriensache bezeichnet hatte, zur Bestimmung des Ablaufs der Begründungsfrist keine schwierigen Berechnungen anzustellen, da die Frist gemäß § 223 Abs. 1 Satz 3 ZPO erst mit dem Ende der Gerichtsferien begann, ihr Ablauf also weder ganz noch teilweise in die Ferien fiel. Ob die Übertragung der Fristberechnung auf Fräulein M. deshalb hier zu vertreten war (s. dazu BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 1963 II ZB 11/62 - VersR 1963, 266 und vom 26. November 1984 II ZB 4+5/84 - VersR 1985, 168), kann aber letztlich dahinstehen. Denn die Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat, wie sogleich auszuführen ist, jedenfalls in anderer Hinsicht gegen ihre anwaltlichen Sorgfaltspflichten verstoßen.
b) Mit Recht legt das Berufungsgericht der Rechtsanwältin zur Last, daß sie den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist unbeanstandet mit dem falschen Datum des 16. Oktober 1990 unterzeichnet und damit schuldhaft eine Ursache für die Fristversäumung gesetzt hat.
aa) Bei dem Verlängerungsantrag handelte es sich, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, um eine fristwahrende Prozeßhandlung; er mußte, damit ihm stattgegeben werden konnte, vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist bei Gericht eingegangen sein. Bei solchen fristgebundenen Handlungen hat der Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung den Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der betreffenden Prozeßhandlung vorgelegt wird (Senatsbeschlüsse vom 1. Juni 1976 VI ZB 23/75 - VersR 1976, 962, 963 und vom 2. November 1976 - VI ZB 7/76 - VersR 1977, 255). Dies gilt nicht nur, wie die Beschwerdebegründung meint, wenn dem Anwalt zugleich auch die Akten vorgelegt werden, was allerdings in Fällen einer Vorlage zur Fertigung der Rechtsmittelbegründung regelmäßig miteinander verbunden sein wird. Soweit deshalb in Entscheidungen des Bundesgerichtshofes auf die Vorlage der Akten abgehoben wird (s. etwa Senatsbeschluß vom 12. Juli 1983 - VI ZB 6/83 - VersR 1983, 988 f m.w.N.), geschieht dies nicht, um zwischen den "Akten" und der "Sache" zu unterscheiden, sondern um sachgerecht dahin zu differenzieren, ob die Akten zur Vorlage der fristwahrenden Prozeßhandlung oder aus sonstigen Gründen vorgelegt worden sind. Da der rechtzeitige Eingang eines Fristverlängerungsantrages bei Gericht für die Zulässigkeit des Rechtsmittels von gleich großer Bedeutung ist wie die fristgerechte Begründung selbst, kann sich der Anwalt seiner Pflicht zu eigenverantwortlicher Nachprüfung des Fristablaufs nicht schon dadurch entziehen, daß er den Antrag unterzeichnet, ohne sich die Handakten vorlegen zu lassen.
Gegen die Pflicht zur eigenverantwortlichen Fristenprüfung hat Rechtsanwältin S. hier verstoßen; anderenfalls hätte sie am 13. Oktober 1990 unschwer festgestellt, daß die Begründungsfrist bereits am 15. Oktober 1990 ablaufen würde. Ihr Sorgfaltsverstoß wird um so deutlicher, als ein Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 16. Oktober 1990 ungewöhnlich erscheinen mußte und die Anwältin selbst darlegt, daß sie schon in den Wochen vor ihrem beabsichtigten Urlaub Anweisung gegeben hatte, für mehrere zum 15. Oktober 1990 ablaufende Fristen die Gerichtsakten zu besorgen. Es sprach also vieles dafür, daß es sich bei der unter dem 16. Oktober 1990 als "am heutigen Tage ablaufende Frist" niedergelegten Berechnung um ein Büroversehen handelte, was wiederum zu besonderer Sorgfalt Anlaß gab (vgl. BGH, Beschluß vom 8. Februar 1979 - VII ZB 23/78 - VersR 1979, 376).
bb) Der Sorgfaltsverstoß der Prozeßbevollmächtigten des Klägers wurde auch nicht, wie sie geltend macht, dadurch wieder behoben, daß die Anwältin am 13. Oktober 1990 die Anweisung erteilte, den Verlängerungsantrag rechtzeitig zum Berufungsgericht zu bringen. Freilich kann sich ein Anwalt grundsätzlich darauf verlassen, daß sein Büropersonal auch mündlich erteilte Weisungen befolgt, wenn diese genügend klar und präzise gefaßt sind (Senatsurteil vom 6. Oktober 1987 - VI ZR 43/87 - VersR 1988, 185, 186). Gerade daran fehlte es aber hier. Denn Rechtsanwältin S. hat nach ihrem eigenen Vorbringen nicht etwa einer bestimmten Bürokraft die Weisung erteilt, den Verlängerungsantrag genau am 15. Oktober 1990 zum Gericht zu bringen, sondern lediglich allgemein "im Empfang" der Anwaltskanzlei die Anweisung gegeben, das Gesuch "beim nächsten Gerichtsgang" bzw. "rechtzeitig" zu überbringen. Selbst wenn es nahegelegen haben mag, diese Weisung auf den 15. Oktober 1990 zu beziehen, so war doch von der Rechtsanwältin jedenfalls eine Unklarheit dadurch geschaffen worden, daß sie den Antrag unter dem 16. Oktober 1990 unterzeichnet hatte, was leicht wie dann auch geschehen - dahin verstanden werden konnte, daß er nicht schon vor dem eingesetzten Datum zum Gericht gelangen sollte.
c) Da bereits die dargelegte Sorgfaltsverletzung der Prozeßbevollmächtigten des Klägers der Gewährung der Wiedereinsetzung entgegensteht, kommt es nicht mehr darauf an, ob ein weiterer Pflichtenverstoß auch darin liegt, daß die Anwältin ohne anderweitige Vorsorge darauf vertraut hat, das Berufungsgericht werde dem aus ihrer Sicht erst am letzten Tage eingereichten und deshalb erhöhten Sorgfaltsanforderungen unterliegenden Fristverlängerungsantrag ohne weiteres stattgeben (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 1986 - IVb ZB 82/86 - VersR 1987, 261 und vom 5. Juli 1989 - IVb ZB 53/89 - VersR 1989, 1064 f). Zwar handelte es sich um die erste Verlängerung; jedoch verlangt auch in einem solchen Fall § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO "erhebliche Gründe" für die Fristverlängerung, und dazu enthielt der Antrag keinerlei Angaben (s. auch BVerfG, Beschluß vom 28. Februar 1989 - 1 BvR 649/88 - NJW 1989, 1147 [BVerfG 28.02.1989 - 1 BvR 649/88]).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.