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Bundesgerichtshof
Urt. v. 29.01.1991, Az.: XI ZR 76/90

Berufungsgericht; Wiederholte Vernehmung; Erstgericht; Andere Würdigung einer protokollierten Aussage

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
29.01.1991
Aktenzeichen
XI ZR 76/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 14655
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • JurBüro 1991, 586 (Kurzinformation)
  • MDR 1991, 670 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1991, 829-830 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1991, 1194 (Volltext mit amtl. LS)
  • WM 1991, 963-964 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Das Berufungsgericht verstößt gegen § 398 ZPO, wenn es die protokollierte Aussage eines Zeugen ohne erneute Vernehmung anders würdigt als das Erstgericht.

Tatbestand:

1

Die Beklagte und ihr Ehemann kauften im Jahre 1981 ein Hausgrundstück in K. zum Preis von 680.000 DM. Sie finanzierten den Kaufpreis, die Renovierungskosten und die Grunderwerbsteuer durch ein Darlehen der Stadtsparkasse K. in Höhe von 750.000 DM. Den Darlehensvertrag unterzeichnete neben der Beklagten und ihrem Ehemann auch der Kläger - ein Rechtsanwalt - als Mitverpflichteter. Zwischen dem Kläger und den Käufern bestanden weder persönliche noch geschäftliche Beziehungen. Der Kläger stand jedoch mit dem Vater des Verkäufers in geschäftlicher Verbindung.

2

Da die Beklagte und ihr Ehemann mit den Zinszahlungen für das Darlehen in Rückstand gerieten, erhöhte sich die Gesamtforderung der Stadtsparkasse K. auf ca. 800.000 DM. Diese kündigte deshalb das Darlehen und verlangte vom Kläger im Juli. 1984 wegen seiner persönlichen Mithaftung Ausgleich des Kontos. Die Bemühungen der Parteien um eine wirtschaftliche Lösung der Angelegenheit führten im Dezember 1985 zu einer Sanierungsvereinbarung mit der Stadtsparkasse K.. Danach sollten die im zweiten und dritten Obergeschoß des Hauses gelegenen Wohnungen für insgesamt 360.000 DM an Dritte veräußert werden. Die Gaststätte und die in der ersten Etage gelegene Wohnung der Beklagten und ihres Ehemannes sollten unter Berücksichtigung des Umstandes, daß dies die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit bildete, mit insgesamt 450.000 DM in Ansatz gebracht werden. In dieser Höhe sollte das Darlehen neu festgelegt werden. Da der Schuldenstand inzwischen auf ca. 945.000 DM angewachsen war, sollte der danach ungedeckte Restsaldo in Höhe von ca. 135.000 DM von der Stadtsparkasse K. und von dem Kläger übernommen werden. Die Stadtsparkasse K. verzichtete auf Zinsrückstände in Höhe von ca. 85.000 DM. Der Kläger übernahm gegenüber der Stadtsparkasse die Verpflichtung zur Zahlung von 50.000 DM. Außerdem ging er für die Beklagte eine Bürgschaftsverpflichtung in Höhe von 150.000 DM ein, die durch eine Umschuldung ohne seine Inanspruchnahme erledigt ist.

3

Der Kläger fordert von der Beklagten als Ausgleich für den von ihm an die Stadtsparkasse geleisteten Betrag Zahlung von 50.000. DM. Die Beklagte macht geltend, daß der Kläger den Betrag von 50.000 DM zu seinen Lasten endgültig übernommen und damit auf Ausgleichsansprüche verzichtet habe.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht,hat ihr stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache.

6

I.

Das Berufungsgericht gelangt zu dem Ergebnis, daß der Kläger von der Beklagten als Gesamtschuldnerin die Zahlung von 50.000 DM fordern könne (§ 426 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 i.V.m. § 607 BGB). Der Kläger sei für die Darlehensverbindlichkeiten der Eheleute H. im Wege des Schuldbeitritts als Gesamtschuldner mitverpflichtet worden. Nachdem er die Darlehensforderung der Stadtsparkasse K. in Höhe von 50.000 DM befriedet habe, könne er von der Beklagten und deren Ehemann Ausgeich verlangen. Denn im Innenverhältnis hätten diese als Gesamtschuldner letztlich allein für das auch nur ihnen zugute kommende Darlehen haften sollen. Der Kläger habe nach der ursprünglichen Vereinbarung zwischen den Parteien vom 30. März 1982 lediglich die Funktion des uneigennützigen Sicherungsgebers übernommen.

7

Der Kläger habe auf diese ihm zustehenden Rückgriffsrechte auch nicht im Rahmen der Sanierungsvereinbarung vom Dezember 1985 verzichte.t. Er habe die Beklagte nicht konkludent von i.hren Verbindlichkeiten ihm gegenüber freigestellt. Insbesonde lasse die Aussage des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten nicht den Schluß zu, daß der Kläger die von ihm geleistete Zahlung von 50.000 DM endgültig übernommen habe. Es sei kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb der Kläger den Eheleuten H. hätte 50.000 DM schenken sollen. Die Mitwirkung der Stadtsparkasse K. an der Sanierung sei von einer solchen Schenkung nicht abhängig gewesen. Dieser sei es allein darauf angekommen, sofort eine Zahlung in Höhe von 50.000 DM zu erhalten. Über das Innenverhältnis zwischen dem Kläger und den Eheleuten H. hätten sich die Beteiligten bei Abschluß der Sanierungsvereinbarung keine Gedanken gemacht.Für die Sanierung sei nur erforderlich gewesen, daß der Kläger zunächst einmal 50.000 DM zur Rückführung des Kredites zahlte. Das Innenverhältnis zwischen dem Kläger und den Eheleuten H. habe dagegen keine Rol.le gespielt. Bezeichnenderweise habe der Kläger der Beklagten seinen angeblichen Verzicht auch nie schriftlich bestätigt Er habe sich vielmehr bereits im November 1986 an die Beklagte und ihren Ehemann gewandt, um die Rückzahlung des Betrages von 50.000 DM zu erreichen.

8

I.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

9

Zwar läßt die Beurteilung der ursprünglichen Vereinbarung zwishen den Parteien im Zusammenhang mit der Schuldmitübernahme keine Rechtsfehler erkennen. Die Revision beanstandet jedoch zu Recht die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den Verzicht des Klägers auf seine Ausgleichsansprüche anläßlich der Sanierungsvereinbarungen nicht bewiesen. Außerdem sind wesentliche Beweisergebnisse und erheblicher Parteivortrag unberücksichtigt geblieben.

10

1. Das Berufungsgericht hat, wie die Revision mit Recht geltend macht, gegen § 398 Abs. 1 ZPO verstoßen, indem es die Aussage des Zeugen N. ohne erneute Vernehmung anders würdigte als das Landgericht. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht nach seinem Ermessen die wiederholte Vernehmung eines Zeugen anordnen. Diesem Ermessen sind Grenzen gesetzt. Unter gewissen Umständen kann eine erneute Vernehmung rechtlich

11

geboten sein. Das ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht nur dann der Fall, wenn das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit des Zeugen anders beurteilen will als die Vorinstanz (BGH, Urteil vom 7. Juli 1981 - VI ZR 48/80,NJW 1982, 108, 109), oder wenn es die protokollierten Angaben des Zeugen für zu vage und präzisierungsbedürftig hält (BGH, Urteil vom 14. Oktober 1981 IVa ZR 152/80, NJW 1982, 1052/1053), sondern auch dann, wenn es die protokollierte Aussage eines Zeugen anders verstehen will als der Richter der Vorinstanz (BGH, Urteil vom 3. April 1984 - VI ZR 195/82, NJW 1984, 2629; BGH, Urteil vom 22. Septem.ber 1988 IX ZR 219/87,WM 1988, 1654) und wenn das Berufungsgericht einer ihrem Wortlaut nach eindeutigen Stelle in der Vernehmungsniederschrift, zu der das erstinstanzliche Gericht nicht Stellung genommen hat, eine von dem Wortsinn abweichende, die Entscheidung aber tragende Auslegung geben will (BGH, Urteil vom 12. Dezember 1984 IVa ZR 216/82, NJW-RR 1986, 284).

12

Diese Grundsätze sind hier verletzt worden. Das Berufungsgericht hätte zu seiner von der Auffassung des Landgerichts abweichenden Beurteilung der Sanierungsvereinbarung und des Verzichts des Klägers auf seine Ausgleichsansprüche nicht gelangen dürfen ohne den Zeugen N. nochmals zu vernehmen. Dieser Zeuge, der frühere anwaltliche Vertreter der Beklagten, hat in der ersten Instanz unter Darlegung der näheren Umstände bekundet, er sei mit dem Kläger telefonisch übereingekommen, daß dieser, um aus der Haftung gegenüber der Stadtsparkasse K. herauszukommen, 50.000 DM endgültig übernehmen sollte. Das Landgericht hat die Aussage des Zeugen,ohne auf Einzelhei.ten seiner Schilderung einzugehen, im Ergebnis dahin verstanden, daß der Kläger mit der Übernahme von 50.000 DM auch im Innenverhältnis einen eigenen Beitrag zur Sanierung leisten.wollte. Das Berufungsgericht durfte diesen Teil der protokollierten Aussage des Zeugen nicht relativien, ohne den Zeugen selbst nochmals vernommen und sich durch ergänzende Befragung Gewißheit darüber verschafft zu haben, auf welche Einzelheiten des Gesprächs sich die Schlußfolgerung des Zeugen stützt. Der protokollierten Aussage des Zeugen kommt hier besondere Bedeutung zu, weil es sich um den früheren anwaltlichen Vertreter der Beklagten handelt, dem von Berufs wegen eine Klärung der rechtlichen Auswirkungen des vom Kläger übernommenen Beitrages oblag.

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2. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ist außerdem fehlerhaft, weil sie nicht den gesamten Inhalt der Verhandlung und des Beweisergebnisses berücksichtigt (§ 286 ZPO). Sie läßt wesentliche für einen Verzicht des Klägers und seinen endgültigen Beitrag zum Sanierungskonzept sprechende Umstände außer Betracht.

14

So weist das Berufungsgericht zwar darauf hin, daß der Kläger der Beklagten seinen angeblichen Verzicht nie schriftlich bestätigt habe. Dabei geht es jedoch nicht auf die Aussage des Zeugen N. ein, nach der es zu einer schriftlichen Vereinbarung zwischen ihm und dem Kläger damals nur deshalb nicht gekommen sei, weil zwischen ihnen ein gutes kollegiales Verhältnis bestanden habe.

15

Auch die Aussage des Zeugen F. wird nicht erschöpfend gewürdigt. Dieser hat bekundet, daß der bei dem Sanierungskonzept verbleibende Schuldsaldo von 135.000 DM auf die Stadtsparkasse K. (Zinsverzicht in Höhe von 85.000 DM) und auf den Kläger (Zahlung von 50.000 DM) aufgeteilt werden sollte. Der Zeuge sprach davon, daß der Kläger diesen Betrag beisteuern sollte. Er hat weiter angegeben, daß der Darlehensbetrag von 450.000 DM mit einer monatlichen Leistungsrate von 3.000 DM das Maximum dessen darstellte, was die Beklagte und ihr Ehemann leisten konnten. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, daß es für sie deshalb sinnlos gewesen wäre, wenn der Kläger nur vorübergehend 50.000 DM geleistet hätte und diesen Betrag alsbald wieder von ihr hätte zurückfordern konnen. Damit hätte sich das Berufungsgericht auseinandersetzen müssen. Seine in diesem Zusammenhang angestellte Erwägung, es sei kein vernünftiger Grund ersichtlich, weshalb der Kläger den Eheleuten H. hätte 50. 000 DM schenken sollen, wird der Interessenlage nicht gerecht.

16

III.

Das angefochtene Urteil beruht auf den dargelegten Verfahrensfehlern. Es mußte daher aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden (§ 565 Abs. 1 ZPO).