Bundesgerichtshof
Urt. v. 28.11.1990, Az.: XII ZR 16/90
Unterhaltsverzicht; Kinderbetreuung; Sozialhilfe; Treu und Glauben; Ehescheidung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 28.11.1990
- Aktenzeichen
- XII ZR 16/90
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1990, 14371
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- FamRZ 1991, 306-307 (Volltext mit amtl. LS)
- FuR 1991, 108 (red. Leitsatz mit Anm.)
- Hohloch, JR 91, 333
- JR 1991, 332-333 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
- JuS 1991, 602
- JurBüro 1991, 325 (Kurzinformation)
- MDR 1991, 642 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1991, 125-126 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1991, 913-915 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1991, 579 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
1. Die Berufung auf einen Unterhaltsverzicht kann treuwidrig sein, solange der Unterhaltsberechtigte durch die Betreuung eines gemeinsamen Kindes an einer Erwerbstätigkeit gehindert ist und ohne Leistung von Unterhalt auf Sozialhilfe angewiesen wäre.
2. Der Senat hält daran fest, daß Verlobte oder Eheleute für den Fall der Scheidung ihrer (künftigen) Ehe auch auf einen Unterhaltsanspruch nach § 1570 BGB wirksam verzichten können (Bestätigung von Senat, NJW 1985, 1833 [BGH 24.04.1985 - IVb ZR 22/84] = LM § 1569 BGB Nr. 18 = FamRZ 1985, 788).
Tatbestand:
Die klagende Stadt (im folgenden Klägerin) nimmt den Beklagten aus übergeleitetem Recht auf Erstattung von Leistungen in Anspruch, die sie als Sozialhilfeträgerin seiner geschiedenen Ehefrau gewährt hat. Der Beklagte beruft sich darauf, Unterhaltsansprüche bestünden nicht, weil ein wirksamer Unterhaltsverzicht vorliege.
Vor Eingehung der Ehe am 6. Dezember 1985 schloß der Beklagte am 22. November 1985 mit seiner späteren Ehefrau einen notariell beurkundeten Ehevertrag ab, in dem sie Gütertrennung vereinbarten und für den Fall einer Ehescheidung den Versorgungsausgleich ausschlossen und gegenseitig auf Unterhalt verzichteten. Kurz nach der Heirat wurde am 28. Dezember 1985 das gemeinsame Kind Dennis geboren. Die Ehefrau des Beklagten, deren erste im Jahre 1980 geschlossene Ehe im Juli 1985 geschieden worden war, war seinerzeit 23 Jahre alt und ohne abgeschlossene Berufsausbildung.
Nach ihrer Trennung Anfang Dezember 1987 trafen die Eheleute am 18. Dezember 1987 eine privatschriftliche Vereinbarung, wonach u.a. die elterliche Sorge für das Kind der Ehefrau zustehen sollte und der gegenseitige Verzicht auf Unterhaltsansprüche, auch für den Fall der Not, wiederholt wurde. Die Ehe wurde am 29. März 1988 geschieden.
Die Ehefrau des Beklagten erhielt seit 18. Dezember 1987 fortlaufend Sozialhilfe. Die Klägerin leitete durch Anzeige vom 11. Januar 1988 deren Unterhaltsansprüche gegen den Beklagten auf sich über. Mit der Klage machte sie diese in Höhe von monatlich 750 DM für die Zeit ab 1. Februar 198 geltend. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, weil ein wirksamer Unterhaltsverzicht vorliege. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht ihr für den Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Dezember 1989, auf den sie ihre Berufung beschränkt hat, den Betrag von 8.250 DM zugesprochen. Die Entscheidung ist veröffentlicht in FamRZ 1990, 634 [OLG Hamm 01.12.1989 - 12 UF 359/88]. Mit der - zugelassenen - Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat rechtsbedenkenfrei und von der Revision unbeanstandet angenommen, daß die geschiedene Ehefrau des Beklagten in dem strittigen Zeitraum vom 1. Februar bis 31. Dezember 1989 einen Unterhaltsanspruch nach § 1570 BGB in Höhe von mindestens monatlich 750 DM hatte, sofern sie darauf nicht wirksam verzichtet hat.
2. Sowohl den Unterhaltsverzicht vom 22. November 1985 als auch denjenigen vom 18. Dezember 1987 hat das Oberlandesgericht als sittenwidrig beurteilt (§ 138 Abs. 1 BGB) und hierzu im wesentlichen ausgeführt: Durch einen schon vor Eingehung der Ehe geschlossenen Ehevertrag könne zwar grundsätzlich auf Unterhaltsansprüche für den Fall der Scheidung verzichtet werden, auch wenn der Anspruch darauf beruhe, daß wegen der Pflege und Erziehung gemeinschaftlicher Kinder eine Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden könne (§ 1570 BGB). Die Verzichtsabrede im Ehevertrag vom 22. November 1985 sei jedoch nach dessen aus seinem Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter sittenwidrig und damit nichtig. Seinerzeit habe die Geburt des gemeinschaftlichen Kindes kurz bevorgestanden. Keiner der Verlobten habe über nennenswertes Vermögen oder überdurchschnittliche Einkünfte verfügt; sie hatten negative wirtschaftliche Auswirkungen eines Scheiterns der beabsichtigten Ehe letztlich zu Lasten entweder des Trägers der Sozialhilfe oder des erwarteten Kindes regeln wollen. Die Möglichkeit einer künftigen Scheidung habe nicht ganz ferngelegen, weil die im Alter von 18 Jahren geschlossene erste Ehe der künftigen Ehefrau bereits nach fünf Jahren gescheitert sei, nachdem diese den Beklagten kennengelernt habe und von ihm schwanger geworden sei. Eine Erwerbstätigkeit sei für sie lediglich in eingeschränktem Umfang in Betracht gekommen, nämlich mangels jeder beruflichen Qualifikation oder verwertbarer Berufserfahrungen nur in Form von einfachen Frauenarbeiten. Den Vertragschließenden müsse daher klar gewesen oder könne allenfalls infolge grober Fahrlässigkeit verborgen geblieben sein, daß die Ehefrau im Falle der Scheidung aufgrund des Unterhaltsverzichts darauf angewiesen sein werde, entweder Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen oder unter dem Kindeswohl zuwiderlaufender Einschränkung der Kindesbetreuung einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das eine sei ebensowenig wie das andere mit den guten Sitten vereinbar, da entweder der Unterhalt der Ehefrau auf die Allgemeinheit abgewälzt oder das Wohl des gemeinschaftlichen Kindes unangemessen beeinträchtigt wurde. Dies alles gelte in noch verstärktem Maße für die privatschriftliche Vereinbarung vom 18. Dezember 1987; zu diesem Zeitpunkt habe festgestanden, daß die Ehefrau ihren Lebensunterhalt nicht ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe oder ohne eigene Erwerbstätigkeit zum Nachteil des gemeinsamen Kindes werde bestreiten können.
3. Die Revision hält dem entgegen: Mit dem gegenseitigen Unterhaltsverzicht im Ehevertrag vom 22. November 1985 hätten der Beklagte und seine spätere Ehefrau lediglich von der in der Rechtsordnung vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht (§ 1585c BGB). Die Vertragschließenden hätten seinerzeit ernsthaft die eheliche Lebensgemeinschaft begründen wollen und auch begründet. Eine nur kurzfristige Ehe sei nicht beabsichtigt gewesen. Wenn ein Geschiedener wieder heirate, sei nicht in Rechnung zu stellen, daß auch die neue Ehe nicht dauerhaft sein werde. Die gegenteiligen Ausführungen des Oberlandesgerichts seien unbegründete Mutmaßungen. Der Beklagte und seine spätere Ehefrau hätten seinerzeit weder angenommen noch in Rechnung stellen müssen, daß die Ehefrau im Falle einer Scheidung wegen der Betreuung des Kindes an einer Erwerbstätigkeit gehindert sein werde. Daß sie über keine berufliche Qualifikation verfügt habe, sei unerheblich; vor ihrer ersten Ehe habe sie als ungelernte Verkäuferin gearbeitet, später halbtags in einem Gebäudereinigungsbetrieb. Ein Unterhaltsverzicht könne nicht nur mit einer beruflich qualifizierten Frau vereinbart werden. Auf den am 18. Dezember 1987 wiederholten Unterhaltsverzicht komme es nicht an, da jedenfalls derjenige vom 22. November 1985 wirksam sei und einem Anspruch der Klägerin entgegenstehe.
4. Dieses Vorbringen vermag den Bestand des angefochtenen Urteils im Ergebnis nicht zu gefährden.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats besteht für Vereinbarungen, durch die während der Ehe oder sogar schon vorher vorsorglich für den Fall der Scheidung der nacheheliche Unterhalt oder sonstige vermögensrechtliche Angelegenheiten geregelt werden, grundsätzlich volle Vertragsfreiheit, die auch einen Verzicht auf den Unterhaltsanspruch gemäß § 1570 BGB einschließt, § 1585c BGB (vgl. z.B. Senatsurteile vom 24. April 1985 - IVb ZR 22/84 - FamRZ 1985, 788, 789 und zuletzt vom 19. Dezember 1989 - IVb ZR 91/88 - BGHR BGB § 1585c, Scheidungsvereinbarung, vorsorgliche 1 = FamRZ 1990, 372, 373). Daran wird auch gegenüber der neuerlichen Kritik von Bosch (in Festschrift für Habscheid 1989 S. 23, 34 ff.) festgehalten. Schranken ergeben sich allein aus den §§ 134, 138 BGB. Ob eine Vereinbarung im einzelfall gegen die guten Sitten verstößt, d.h. dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden zuwiderläuft (BGHZ 69, 295, 297), hängt von ihrem Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter ab, wobei sich aus dem zeilichen Abstand zu einer nicht beabsichtigten, sondern nur für denkbar gehaltenen Scheidung zusätzliche Gesichtspunkte ergeben können. Es reicht für sich nicht aus, daß sie in dem Bestreben abgeschlossen worden ist, sich von sämtlichen nachteiligen Folgen einer Scheidung freizuzeichnen.
b) Der Revision ist zuzugeben, daß das Oberlandesgericht die Sittenwidrigkeit des Ehevertrages vom 22. November 1985 wesentlich aus Umständen gefolgert hat, die durch das Scheitern der Ehe schon im Jahre 1988 bedingt sind. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung ist aber grundsätzlich derjenige des Vertragsabschlusses (vgl.Soergel/Häberle BGB 12. Aufl. § 1585c Rdn. 14). Wenn die Ehe solange gedauert hätte, daß die Ehefrau nach deren Scheitern durch die Kindesbetreuung nicht mehr an einer Erwerbstätigkeit gehindert wwäre, hätte die Sittenwidrigkeit des Vertrages jedenfalls nicht aus ihrer Zwangslage gefolgert werden können, entweder Sozialhilfe in Anspruch nehmen oder die Kindesbetreuung vernachlässigen zu müssen. Wenn sie sich lediglich durch "einfache Frauenarbeit" selbst hätte unterhalten können, wäre der Unterhaltsverzicht nicht schon aus diesem Grunde anstößig; es wäre lediglich verschärft auf die gesetzliche Regel des § 1569 BGB abgehoben. Das Oberlandesgericht hat auch nicht festgestellt, daß die Verlobten bei Vertagsschluß tatsächlich nur mit einer kurzfristigen Ehe gerechtnet haben; daß diese Möglichkeit "nicht ganz ferngelegen" hat, reicht nicht aus. Es hat ferner nicht festgestellt, daß Auswirkungen des Unterhaltsverzichts, wie sie im strittigen Zeitraum tatsächlich eingetreten sind, seinerzeit bedacht und zumindest mit in Kauf genommen worden sind. Insgesamt hat es danach die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB zu Unrecht bejaht.
c) Seine Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO). Nach der Rechtsprechung des Senats kann sich ein Unterhaltspflichtiger auch auf einen wirksamen Unterhaltsverzicht nicht berufen, wenn die aufgrund einer späteren Entwicklung mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) unvereinbar ist. Das ist insbesondere für Fälle entschieden worden, in denen überwiegende schutzwürdige Interessen gemeinschaftlicher Kinder der Geltendmachung des Verzichts entgegenstanden (vgl. Urteile vom 24. April 1985 aaO. und vom 15. Oktober 1986 - IVb ZR 79/85 - FamRZT 1987, 46, 47). Hiernach kann sich auch ergeben, daß die Berufung auf einen Unterhaltsverzicht zeitlich begrenzt ausgeschlossen ist, etwa für die Zeit, in der wegen der Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes nicht möglich ist und der Verzichtende mangels anderer Mittel auf Sozialhilfe angewiesen wäre (vgl. OLG Hamm FamRZ 1989, 398). Ein solcher Fall liegt hier nach den getroffenen Feststel lungen vor, ohne daß es zu dieser Beurteilung einer Zurückverweisung an die Vorinstanz bedarf.
Die Geltendmachung des Verzichts läuft darauf hinaus, daß sich der Beklagte auf Kosten der Allgemeinheit finanzielle Vorteile verschafft, obwohl diese durch Gewährung von Sozialhilfeleistungen nur deswegen einspringt, weil der Ehefrau im Interesse des gemeinsamen Kleinkindes keine Erwerbstätigkeit angesonnen wird. Dies muß bei dessen an sich gegebener Leistungsfähigkeit als anstößig angesehen werden (vgl. dazu auch Senatsurteil BGHZ 86, 82, 88 f.). Der fragliche Unterhaltsverzicht steht somit einem Anspruch der Ehefrau aus § 1570 BGB für den strittigen Zeitraum nicht entgegen.
d) Der später nach der Trennung der Eheleute am 18. Dezember 1987 wiederholte Unterhaltsverzicht ist nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts im Bewußtsein und in Kenntnis der nach dem frühen Scheitern der Ehe eingetretenen Verhältnisse vereinbart worden - am gleichen Tage setzten die Sozialhilfeleistungen für die Ehefrau ein. Insoweit verbleibt es bei dem Unwerturteil des § 138 Abs. 1 BGB, wie es das Oberlandesgericht zutreffend angenommen hat und die Revision offenbar selbst nicht bezweifelt. Insgesamt hält danach das angefochtenen Urteil im Ergebnis den Angriffen der Revision stand.