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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 25.09.1990, Az.: 4 StR 359/90

Rechtfertigung der Annahme eines Gesamtvorsatzes als Voraussetzung für das Vorliegen eines Fortsetzungszusammenhangs; Zeitliche Lücke von zwei Monaten zwischen zwei Verkaufsgeschäften; Einstellung des Verfahrens wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz ; Kausalität der Tat für den Tod eines Heroinabhängigen und die Bewusstlosigkeit seines mitkonsumierenden Begleiters ; Anwendbarkeit der Grundsätze zur sogenannten bewussten Selbstgefährdung; Vorsatz hinsichtlich der Gefahr einer Gesundheitsgefährdung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
25.09.1990
Aktenzeichen
4 StR 359/90
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1990, 17081
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Saarbrücken - 30.03.1990

Fundstellen

  • BGHSt 37, 179 - 183
  • JZ 1991, 571-572 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • JuS 1991, 515
  • MDR 1991, 75-76 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1991, 307-309 (Volltext mit amtl. LS)
  • NStZ 1991, 392-393 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • StV 1992, 272-273

Verfahrensgegenstand

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln u.a.

Prozessführer

Ramazan S. aus S. geboren am ... 1947 in K. (Türkei), zur Zeit in Haft.

Amtlicher Leitsatz

Der Schutzzweck der Vorschriften des Betäubungsmittelrechts verlangt eine Einschränkung des Prinzips der Selbstverantwortung und somit der Grundsätze zur bewußten Selbstgefährdung.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts, zu III auf dessen Antrag,
am 25. September 1990
gemäß § 349 Abs. und 4 StPO
beschlossen:

Tenor:

  1. I.

    Auf die Revision des Angeklagten wird

    1. 1.

      das Verfahren - unter Auferlegung der dadurch veranlaßten Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten auf die Staatskasse - insoweit eingestellt, als er wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in der Zeit vor Dezember 1988 verurteilt worden ist.

    2. 2.

      das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 30. März 1990 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

  2. II.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  3. III.

    Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Abgabe von solchen" zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine Revision hat mit der allein erhobenen Sachrüge teilweise Erfolg. Sie führt zur Teileinstellung des Verfahrens wegen Einbeziehung von Taten, die zu Unrecht als Bestandteil der angeklagten fortgesetzten Handlung beurteilt und von Anklage und Eröffnungsbeschluß nicht erfaßt sind, sowie zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1.

Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich einer einzigen fortgesetzten Handlung schuldig gemacht, findet keine ausreichende Grundlage in den Urteilsfeststellungen. Zur subjektiven Seite des Fortsetzungszusammenhangs ist im Urteil lediglich ausgeführt, der Angeklagte habe spätestens im September 1988 den Entschluß gefaßt, künftig mit Heroin Handel zu treiben, und, als er im Dezember 1988 die heroinabhängige Isabell K. kennengelernt habe, darüber hinaus beschlossen, an diese in der Zeit ihres Zusammenlebens Heroin abzugeben. Zum äußeren Tatgeschehen hat die Strafkammer festgestellt, daß der Angeklagte zwischen Dezember 1988 bis zu seiner Festnahme am 7. Juni 1989 aufgrund "seines Entschlusses" insgesamt 48 Gramm Heroin mit einem Heroinhydrochloridanteil von mindestens 40 % erwarb und davon wenigstens 28 Gramm gewinnbringend in einer Vielzahl von zum Teil näher geschilderten Einzelgeschäften veräußerte sowie mindestens 20 Gramm an Isabell K. abgab. Für den Zeitraum von September bis Ende November 1988 hat das Landgericht dagegen nur Verkaufsgeschäfte geringen Umfangs ermitteln können: Den Urteilsfeststellungen zufolge verkaufte der Angeklagte bis Ende September 1988 lediglich ein halbes Gramm Heroin und zwei oder drei "Hunderter Hits" unbestimmten Reinheitsgehalts an einen Kleinabnehmer.

3

Damit ist ein Fortsetzungszusammenhang nicht dargetan. Der hier festgestellte weitgehend unbestimmte Entschluß, Straftaten derselben Deliktsart zu begehen, rechtfertigt die Annahme eines Gesamtvorsatzes nicht. Daß der Angeklagte sich eines "eingespielten Bezugs- und Verkaufssystems" bedient hätte und deswegen die Anforderungen zur inneren Tatseite geringer sein könnten (vgl. BGHR BtMG § 29 I Nr. 1 Fortsetzungszusammenhang 5; Körner BtMG 3. Aufl.§ 29 Rdn. 140 mit weit. Nachw.), ist zumindest nicht ausreichend festgestellt. Auch unter dem Gesichtswinkel eines sogenannten erweiterten Gesamtvorsatzes (vgl. BGHSt 19, 323, 325 [BGH 30.06.1964 - 1 StR 193/64];  23, 33, 35) genügen die Feststellungen nicht, um durchgehenden Fortsetzungszusammenhang bejahen zu können. Gegen die Annahme eines einheitlichen Gesamtvorsatzes, der sich über den gesamten der Verurteilung zugrunde liegenden Tatzeitraum erstreckt hätte, spricht überdies die zeitliche Lücke von zwei Monaten, die zwischen den Verkaufsgeschäften im September 1988 und den seit Dezember 1988 getätigten besteht.

4

Die rechtsfehlerhafte Beurteilung des Tatgeschehens als fortgesetzte Handlung beschwert den Angeklagten insoweit, als in die Verurteilung der Tatzeitraum von September bis Ende November 1988 einbezogen worden ist. Denn der Vorwurf der Anklage erstreckt sich nur auf die Zeit von Dezember 1988 bis zur Festnahme des Angeklagten am 7. Juni 1989. Davor liegende Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz hätten daher ohne eine - hier nicht erhobene - Nachtragsanklage nur dann zum Gegenstand der Verurteilung gemacht werden dürfen, wenn sie im Fortsetzungszusammenhang mit der angeklagten Tat stünden oder aus anderem Grunde mit ihr eine einheitliche Tat im verfahrensrechtlichen Sinne bildeten (BGH, Senatsbeschluß vom 3. Mai 1990 - 4 StR 177/90). Beides ist jedoch nicht der Fall. Das angefochtene Urteil kann daher hinsichtlich der für die Zeit vor Dezember 1988 festgestellten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz keinen Bestand haben (vgl. dazu BGH, Beschluß vom 31. Januar 1989 - 5 StR 22/89). Da weitere Feststellungen, welche einen Fortsetzungszusammenhang rechtfertigen könnten, für die Zeit vor Dezember 1988 aufgrund einer neuen Hauptverhandlung nicht zu erwarten sind, stellt der Senat das Verfahren insoweit wegen des Verfahrenshindernisses fehlender Anklage ein.

5

Durch die Annahme von Fortsetzungszusammenhang für den von der Anklage erfaßten Tatzeitraum ist der Angeklagte dagegen nicht beschwert. Dies gilt auch für die Anwendung des § 29 Abs. 3 Nr. 4 BtMG, weil das Landgericht einen Teilakt festgestellt hat, der schon für sich genommen die Voraussetzungen eines besonders schweren Falles nach dieser Regelung erfüllt.

6

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat im übrigen zum Schuldspruch keine den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben. Insbesondere belastet ihn nicht, daß das Landgericht, obwohl nach den Urteilsfeststellungen ein Heroinabhängiger nach dem Genuß von Heroin, das er über einen Dritten vom Angeklagten gekauft hatte, verstorben war, die Anwendbarkeit des § 222 StGB verneint hat. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG sind insoweit jedenfalls deswegen nicht erfüllt, weil zureichende Anhaltspunkte für eine leichtfertige, somit in grobem Maße fahrlässige Verursachung des Todes (vgl. BGHSt 33, 66) fehlen.

7

2.

Der Strafausspruch kann jedoch nicht bestehenbleiben.

8

a)

Die Beschränkung des Schuldumfangs infolge der Teileinstellung würde sich wegen des verhältnismäßig geringen Gewichts der für die Zeit vor Dezember 1988 festgestellten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nicht zwangsläufig auf den Bestand der Strafe auswirken. Das Landgericht hat aber bei der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten besonders auf den "festgestellte(n) Zeitraum von 1 Jahr" abgehoben, in dem er "auf der Saarbrücker Rauschgiftszene als Heroinlieferant in Erscheinung trat, davon ca. 6 Monate mit Heroin sehr guter Qualität" (UA 23). Dies ist rechtlich bedenklich. Allein schon wegen ihres geringen Gewichts, ihrer geringen Zahl und wegen der vorhandenen zeitlichen Lücke schieden die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz vor Dezember 1988 als Grundlage für eine Strafschärfung wegen der Dauer des strafbaren Verhaltens aus. Für die nachteilige Wertung konnten daher insoweit nur die Aktivitäten des Angeklagten in der Zeit von Dezember 1988 bis zu seiner Festnahme am 7. Juni 1989 und damit ein Zeitraum von etwas mehr als sechs Monaten von Bedeutung sein. Bei der besonderen Höhe der verhängten Strafe ist nicht auszuschließen, daß das Landgericht sie bei zutreffender Beurteilung (ins Gewicht fallender Zeitraum strafbaren Verhaltens sechs Monate und nicht ein Jahr) geringer festgesetzt hätte. Sie muß daher neu zugemessen werden.

9

b)

Der Strafausspruch unterliegt aus einem weiteren Grunde durchgreifenden Bedenken: Die Strafschärfung wegen der Tatfolgen, welche die gemessen am Tatumfang außergewöhnlich hohe Strafe allenfalls erklären könnte, ist rechtlich nicht einwandfrei begründet worden.

10

Das Landgericht hat insoweit auf seine Feststellungen Bezug genommen, wonach ein Heroinabhängiger nach dem Genuß von Heroin, das er über einen Dritten vom Angeklagten gekauft hatte, verstorben war und drei andere nach Einnahme von Heroin, das ebenfalls vom Angeklagten stammte, bewußtlos zusammengebrochen waren. Zwar dürfen - und müssen in der Regel auch - Auswirkungen der Tat gemäß § 46 Abs. 2 StGB bei der Strafzumessung straferhöhend gewertet werden, wenn der Täter sie verschuldet hat, sie somit von ihm mindestens vorausgesehen werden konnten und ihm vorzuwerfen sind (vgl. BGHR StGB § 46 II Tatauswirkungen 1 bis 3; BGH NStZ 1986, 85, 86; StV 1987, 100; Dreher/Tröndle StGB 44. Aufl. § 46 Rdn. 23 mit weit. Nachw.). Erste Voraussetzung dafür ist jedoch schon begrifflich, daß die Ursächlichkeit der Tat für diese "Auswirkungen" außer Zweifel steht. Daran fehlt es hier. Soweit es den Tod eines Heroinabhängigen und die Bewußtlosigkeit seines mitkonsumierenden Begleiters angeht, hat die Strafkammer zwar im Rahmen der Tatschilderung den Kausalzusammenhang ausdrücklich festgestellt, diese Feststellung aber bei der Prüfung des § 29 Abs. 3 Nr. 2 BtMG wieder in Zweifel gezogen (UA 20). Dies bedarf der Klärung. Die Rechtskraft des Schuldspruchs schließt ergänzende und klärende Feststellungen dazu nicht aus. Dabei wird zu beachten sein, daß die Ursächlichkeit nicht schon dadurch in Frage gestellt wird, daß die Bewußtlosigkeit und der Tod erst aufgrund eines Zusammenwirkens von Heroingenuß und anderen Faktoren (Alkoholgenuß oder Tabletteneinnahme) eingetreten sind. Allerdings bedarf es außerdem der Darlegung, daß die schweren Folgen für den Angeklagten voraussehbar waren. Handelt es sich um Auswirkungen, die ihrer Art nach für ihn erkennbar waren, ist jedoch nicht erforderlich, daß er sie in allen Einzelheiten voraussehen konnte; es genügt, daß sie in ihrem Gewicht im wesentlichen voraussehbar waren (BGHR StGB § 46 II Tatauswirkungen 3; vgl. auch BGH NStZ 1981, 350).

11

3.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:

12

a)

Die in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Grundsätze zur sogenannten bewußten Selbstgefährdung (vgl. BGHSt 32, 262 ff [BGH 14.02.1984 - 1 StR 808/83];  36, 1, 17/18; BGH NStZ 1985, 25, 26 und 319, 320; 1986, 266, 267; 1987, 406; BGH StV 1985, 56; LK StGB 10. Aufl. § 222 Rdn. 21; Cramer in Schönke/Schröder StGB 23. Aufl. § 15 Rdn. 155 f; Rudolphi in SK StGB vor § 1 Rdn. 79, 79 a, b, jeweils mit weit. Nachw.), mit deren Anwendung die Strafkammer fahrlässige Tötung und im wesentlichen auch die Voraussetzungen des § 29 Abs. 3 Nr. 2 BtMG verneint hat, stünden der strafschärfenden Berücksichtigung tödlicher oder gesundheitsschädlicher Folgen des Genusses von Heroin, mit dem der Angeklagte Handel getrieben hat, in dem durch § 29 Abs. 3 Nr. 4 BtMG vorgegebenen Strafrahmen nicht entgegen. Danach darf im Bereich der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte ein Verletzungserfolg, insbesondere auch der Tod eines Menschen, einem Dritten, der dafür mitursächlich gewesen ist, im Sinne aktiven Tuns dann nicht zugerechnet werden, wenn er die Folge einer bewußten, eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung ist und sich die Mitwirkung des Dritten in einer bloßen Veranlassung, Ermöglichung oder Förderung des Selbstgefährdungsakts erschöpft hat. Der Senat läßt offen, ob die Entscheidung in BGHSt 32, 262 [BGH 14.02.1984 - 1 StR 808/83], mit welcher der Bundesgerichtshof dieser Auffassung für einen den Betäubungsmittelbereich betreffenden, im Tatsächlichen jedoch etwas anders gelagerten Fall gefolgt ist, in zwingender Konsequenz eine Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung zur fahrlässigen Tötung durch Abgabe von Heroin oder anderen Betäubungsmitteln (vgl. BGH bei Holtz MDR 1980, 985 [BGH 21.03.1980 - V ZR 41/78]; BGH NStZ 1981, 350;  1983, 72) bedeutet, wie dies trotz eines entsprechenden Vorbehalts (BGHSt 32, 262, 267) [BGH 14.02.1984 - 1 StR 808/83] fast ausnahmslos angenommen wird (so BGH NStZ 1985, 319, 320 mit Anm. Roxin; nicht ganz eindeutig: BGH StV 1985, 56; aus dem Schrifttum vgl. für viele: Gramer und Rudolphi jeweils aaO; Dreher/Tröndle StGB 44. Aufl. § 222 Rdn. 15 a; Körner BtMG 3. Aufl. § 30 Rdn. 36; zweifelnd Joachimski, Betäubungsmittelrecht 4. Aufl. § 30 BtMG Anm. 4 a; vgl. auch LK aaO). Diese Frage kann hier deshalb unentschieden bleiben, weil der Angeklagte durch die Nichtanwendung des § 222 StGB nicht beschwert ist. Für den Bereich der Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes indes kann den Regeln über die bewußte Selbstgefährdung in den Fällen, in denen wie bei § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG und § 29 Abs. 3 Nr. 2 BtMG der Tod eines Menschen oder die Gefahr von Gesundheitsbeschädigungen infolge des Genusses von Betäubungsmitteln Grund für erhöhte Strafe sind oder in denen es wie hier ganz allgemein um die strafschärfende Bewertung solcher Folgen geht, eine die Verantwortung des Täters eingrenzende Bedeutung nicht zukommen (a.A. offenbar Körner a.a.O. § 30 BtMG Rdn. 36; Slotty in Pfeil/Hempel/Schiedermair/Slotty, Betäubungsmittelrecht 2. Aufl. § 30 BtMG Rdn. 16; Hügel/Junge/Winkler, Deutsches Betäubungsmittelrecht 6. Aufl. § 30 BtMG Rdn. 4.4; Loos JR 1982, 342). Dies folgt aus dem anders gearteten Schutzzweck der Vorschriften des Betäubungsmittelrechts. Er verlangt eine Einschränkung des Prinzips der Selbstverantwortung, auf das die Grundsätze zur bewußten Selbstgefährdung letztlich zurückgeführt werden (Cramer in Schönke/Schröder StGB 23. Aufl. § 15 Rdn. 155). Schutzgut der betäubungsmittelrechtlichen Strafnormen sind nicht allein und nicht in erster Linie das Leben und die Gesundheit des einzelnen wie bei den §§ 211 f, 222, 223 ff StGB. Vielmehr soll Schäden vorgebeugt werden, die sich für die Allgemeinheit aus dem verbreiteten Konsum vor allem harter Drogen und den daraus herrührenden Gesundheitsbeeinträchtigungen der einzelnen ergeben (Schutzgut "Volksgesundheit"; vgl. BGHSt 31, 163, 168; BGH StV 1983, 202; Pelchen in Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze Vorbem. zu § 1 BtMG). Wegen ihrer abstrakten Gefährlichkeit für dieses komplexe und universelle, nicht der Verfügung des einzelnen unterliegende Rechtsgut sind die mannigfachen Formen des unerlaubten Umgangs mit Betäubungsmitteln unter Strafe gestellt. Bei der Beurteilung der Tathandlungen als gefährlich ist aber der Aspekt der Selbstgefährdung denknotwendig eingeschlossen (vgl. dazu Slotty a.a.O. vor § 29 BtMG Rdn. 29; vgl. auch Loos aaO), weil der zu verhindernde Konsum in aller Regel eine Selbstgefährdung bedeutet. Dieser Gesichtspunkt kann daher zur Normeinschränkung nicht herangezogen werden. Daran ändert sich nichts, wenn sich die abstrakte Gefährlichkeit für das Schutzgut in Einzelfällen darin konkretisiert, daß Menschen infolge des Genusses zu Tode kommen oder an der Gesundheit beschädigt werden. Der Regelungsinhalt der §§ 30 Abs. 1 Nr. 3, 29 Abs. 3 Nr. 2 BtMG deutet gerade darauf hin, daß der bei ihrem Erlaß zwangsläufig zu bedenkende Aspekt der Selbstgefährdung nach positivrechtlicher Entscheidung des Gesetzgebers die objektive Zurechnung der sich aus dem Konsum von Betäubungsmitteln ergebenden schweren Folgen nicht hindern soll. Waren es doch nicht zuletzt die steigenden Zahlen der auf Rauschgiftgenuß unmittelbar oder mittelbar zurückzuführenden Todesfälle, die eine Verschärfung des Betäubungsmittelstrafrechts mitbewirkt haben (vgl. Hügel/Junge/Winkler § 29 BtMG Rdn. 1.2 mit Nachweisen).

13

b)

Auch wenn die Grundsätze zur bewußten Selbstgefährdung demnach vom Landgericht bei der Prüfung des § 29 Abs. 3 Nr. 2 BtMG zu Unrecht herangezogen worden sind, hat es die Voraussetzungen dieser Strafzumessungsregel im Ergebnis zu Recht verneint, weil die Gefahr von Gesundheitsschäden ersichtlich nicht, wie dies vorauszusetzen ist (BGHSt 26, 344 [BGH 17.05.1976 - AnwSt R 81/75] zur vergleichbaren Vorschrift des § 11 Abs. 4 Nr. 2 BtMG 1972; vgl. auch Körner § 29 BtMG Rdn. 760; Joachimski § 29 BtMG Anm. 24; Pelchen in Erbs/Kohlhaas § 29 BtMG Anm. 17), vom Vorsatz des Angeklagten erfaßt war. Daraus folgt jedoch nicht, daß die schweren Auswirkungen deswegen auch nicht innerhalb des nach § 29 Abs. 1 oder Abs. 3 Nr. 4 BtMG vorgesehenen Strafrahmens bei der Strafhöhenbemessung schärfend berücksichtigt werden dürften. Der Regelung in § 29 Abs. 3 Nr. 2 BtMG ist nicht die Bedeutung beizumessen, daß sich derartige Tatfolgen nur unter den dort genannten besonderen Voraussetzungen auf die Bestrafung des Täters auswirken könnten (für den vergleichbaren Fall des § 113 Abs. 2 Nr. 2 StGB: BGHSt 26, 176, 182 [BGH 24.07.1975 - 4 StR 165/75]; a.A. Stree in Schönke/Schröder StGB 23. Aufl. § 46 Rdn. 26).

14

Allerdings darf, soweit es die Verursachung des Todes und der Gesundheitsbeschädigungen durch einzelne Teilakte angeht, nicht zusätzlich zu solchen Tatauswirkungen die besondere Gefährlichkeit des Stoffes, mit dem der Angeklagte Handel getrieben hat, zu seinen Lasten gewertet werden, weil darin eine unzulässige Doppelverwertung desselben Umstandes liegt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. September 1980 - 2 StR 364/80).

15

c)

Schon bei der aufgrund einer Gesamtabwägung vorzunehmenden Prüfung, ob trotz Verwirklichung von Regelbeispielen des § 29 Abs. 3 BtMG ein besonders schwerer Fall ausnahmsweise zu verneinen ist, muß eine Aufklärungshilfe im Sinne des § 31 Nr. 1 BtMG in erkennbarer Weise mitbedacht werden (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Körner § 31 BtMG Rdn. 52).

Salger
Jähnke
Meyer-Goßner
Steindorf
Blauth