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Bundesgerichtshof
Urt. v. 23.05.1989, Az.: IVa ZR 72/88

Diktiertes Antragsformular; Mündlicher Vesicherungsvertrag

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
23.05.1989
Aktenzeichen
IVa ZR 72/88
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1989, 13604
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHZ 107, 322 - 325
  • MDR 1989, 800 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1989, 2060-2062 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1989, 984 (amtl. Leitsatz)
  • VersR 1990, 710-715 (Urteilsbesprechung von RiLG Jochem Gröning)
  • VersR 1989, 833-834 (Volltext mit red. LS)

Amtlicher Leitsatz

Zur Beweislast des Versicherers für eine Anzeigeobliegenheitsverletzung des VN bei Schließung des Vertrags, wenn es der Agent übernommen hat, das Antragsformular auszufüllen, und der VN substantiiert behauptet, er habe den Agenten mündlich zutreffend unterrichtet.

Tatbestand:

1

Der Kläger beansprucht von der Beklagten eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Er war als Polizeibeamter im Schichtdienst tätig und ist wegen dauernder Dienstunfähigkeit zum 1. März 1985 in den Ruhestand versetzt worden. Als maßgeblich für seine Pensionierung bezeichnet der Kläger eine Bauchspeicheldrüsenerkrankung. Die Beklagte ist unter dem 2. Mai 1985 »wegen zumindest fahrlässiger Nichtangabe gefahrerheblicher Umstände« bei Antragstellung vom Versicherungsvertrag zurückgetreten und hat Leistungen verweigert.

2

Der Kläger mußte sich 1973 einer Magenoperation unterziehen, bei der (nach Billroth II) 2/3 des Magens entfernt wurden. Er hat vorgebracht, er habe den Versicherungsagenten auf Beschwerden hingewiesen, die bei ihm nach der im Jahre 1973 durchgeführten Magenoperation zurückgeblieben seien. Die Operation wie deren Folgeerscheinungen seien eingehend besprochen worden. Er habe den Agenten auch auf deswegen vorgenommene Untersuchungen aufmerksam gemacht.

3

Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben. Seine Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe

4

Das Berufungsurteil wird allerdings weder von seiner Haupt- noch von seiner Hilfsbegründung getragen, soweit es um den Nachweis der unzutreffenden Beantwortung von gestellten Fragen zum Gesundheitszustand geht.

5

a) In erster Linie meint das Berufungsgericht, auf den Inhalt der Gespräche mit dem Zeugen komme es nicht an. Das ist unzutreffend.

6

Der Senat hat in seinem Urteil vom 11. November 1987 - BGHZ 102, 194 [BGH 11.11.1987 - IVa ZR 240/86] - klargestellt, daß das, was einem Agenten des Versicherers im Rahmen der Antragsaufnahme mit Bezug auf diesen Antrag zur Kenntnis gebracht wird, auch dann dem Versicherer zur Kenntnis gebracht ist, wenn es keine Aufnahme in das Antragsformular findet. Das Versicherungsvertragsgesetz stellt den Versicherer nicht von den Rechtswirkungen einer passiven rechtsgeschäftlichen Stellvertretung durch einen Vermittlungsagenten oder sonstigen Stellvertreter frei.

7

Im nunmehr zur Entscheidung anstehenden Fall wie in dem am 11. November 1987 entschiedenen Fall hatte es der Agent übernommen, das Antragsformular auszufüllen. Er hatte dabei dem Antragsteller die Rolle zugewiesen, ihm die aus dem Formular vorzulesenden Fragen mündlich zu beantworten. Das Formular wird demnach, vielfach auf Initiative des Agenten, arbeitsteilig ausgefüllt. Antwortet der Antragsteller dem Agenten dabei auf die ihm vorgelesenen Fragen wahrheitsgemäß, so hat er, wie der Senat schon in der Entscheidung vom 11. November 1987 angesprochen hat, seine Anzeigeobliegenheit ordnungsgemäß erfüllt. Es spielt deshalb in derartigen Fällen keine Rolle mehr, daß dem Versicherer, der sich die Agentenkenntnis zurechnen lassen muß, selbst bei Annahme einer Anzeigeobliegenheitsverletzung der Rücktritt gemäß § 16 Abs. 3 und § 17 Abs. 2 VVG verwehrt bliebe.

8

b) In seiner Hilfsbegründung hat das Berufungsgericht zwar zutreffend gesehen, daß der Kläger, der das Antragsformular unterzeichnet hat, hiermit (auch) eine schriftliche Erklärung zu Gesundheitsfragen abgegeben hat, die nicht den Tatsachen entsprach. Nicht gefolgt werden kann jedoch seiner Ansicht, mit Rücksicht auf diese schriftliche Erklärung sei die Beklagte leistungsfrei geworden, weil jedenfalls nicht erwiesen sei, daß der Kläger den Agenten zu den vorstehend behandelten Gesundheitsfragen umfassend und wahrheitsgemäß informiert (und dieser die Antworten nur nicht in das Antragsformular aufgenommen) habe.

9

Der Kläger hat zwar im Formular sein Vertragsangebot und Erklärungen zu den Gesundheitsfragen abgegeben. Die Abgabe der Erklärung ist durch seine Unterschrift bewiesen, deren Echtheit er selber nicht in Abrede stellt.

10

Das ausgefüllte Formular enthält demnach rechtsgeschäftliche Erklärungen und Wissenserklärungen des Klägers über Tatsachen (Gesundheitsumstände). Schriftliche rechtsgeschäftliche Erklärungen und bloße Erklärungen über Tatsachen haben aber eine unterschiedliche Beweiskraft (vgl. zur rechtsgeschäftlichen Erklärung die Urteile des Bundesgerichtshofes vom 14. April 1978 - V ZR 10/77 - WM 1978, 849 unter II und vom 13. Juli 1979 - I ZR 153/77 - WM 1979, 1157 unter I 1 und zur Quittung als einer Erklärung über Tatsachen die Urteile des Bundesgerichtshofes vom 14. Juli 1960 - II ZR 268/58 - VersR 1960, 812 und vom 19. März 1980 - VIII ZR 183/79 - NJW 1980, 1680 in Verbindung mit dem Urteil vom 18. November 1974 - VIII ZR 125/73 - NJW 1975, 206). Die Quittung als das Bekenntnis einer Tatsache ist nur ein erschütterbares Indiz für die Wahrheit der in ihr bestätigten Tatsache und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung (Baumgärtel/Strieder, Handbuch der Beweislast Bd. 1 Rdn. 1).

11

Für eine Obliegenheitsverletzung bei der Beantwortung von Gesundheitsfragen interessiert allein eine Erklärung über Tatsachen. Die schriftliche Fixierung dieser Beantwortung ist hier unstreitig dadurch zustandegekommen, daß nicht der Antragsteller selbst, sondern der Agent das Formular ausgefüllt hat. Damit ist eine andere Situation als bei eigenhändigem Ausfüllen durch den Antragsteller selbst gegeben. Hat der Agent das Formular ausgefüllt, so war er dabei auf die mündliche Information des Antragstellers angewiesen. Diese konnte er im Rahmen des abgesprochenen Vorgehens nur erhalten, wenn er alle Fragen des Formulars mit dem Antragsteller in Form eines Frage-/Antwortspiels durchging.

12

Die Beweislast, daß der Versicherungsnehmer im Zuge der Antragstellung eine Obliegenheitsverletzung durch unzutreffende Beantwortung von Gesundheitsfragen begangen hat, liegt stets beim Versicherer. Steht nun fest, daß nicht der Antragsteller, sondern der Agent das Formular ausgefüllt hat, so läßt sich allein mit der Vorlage des ausgefüllten Antragsformulars nicht mehr beweisen, daß der Versicherungsnehmer seiner Obliegenheit nicht in weiterem Umfang nachgekommen ist, sofern dieser substantiiert behauptet, den Agenten mündlich zutreffend unterrichtet zu haben. Eine Obliegenheitsverletzung ist in derartigen Fällen nicht schon damit bewiesen, daß das ausgefüllte Formular in der Beantwortung der Gesundheitsfragen nicht den Tatsachen entspricht; es muß hinzukommen, daß der Tatrichter die Überzeugung gewinnt, der Versicherungsnehmer habe entgegen seiner substantiierten Behauptung den Agenten nicht mündlich zutreffend über seinen Gesundheitszustand unterrichtet. Dieser Beweis wird regelmäßig nur durch eine Aussage des Versicherungsagenten zu führen sein, mit der er zur Überzeugung des Tatrichters darzutun vermag, daß er alle Fragen, die er schriftlich im Formular beantwortet hat, dem Antragsteller tatsächlich vorgelesen und dabei von ihm nur das zur Antwort erhalten hat, was er im Formular jeweils vermerkt hat.