Bundesgerichtshof
Urt. v. 03.02.1989, Az.: V ZR 224/87
Grunddienstbarkeit; Bebaubarkeit eines Grundstücks; Sicherstellung; Deckungsgleiche Baulast; Übernahmeverpflichtung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 03.02.1989
- Aktenzeichen
- V ZR 224/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1989, 13060
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHZ 106, 348 - 354
- DNotZ 1989, 565-567
- JR 1989, 420
- MDR 1989, 622-623 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1989, 1607-1609 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1989, 777 (amtl. Leitsatz)
- NVwZ 1989, 692 (amtl. Leitsatz)
- NVwZ-RR 1989, 399 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
Bezweckt eine Grunddienstbarkeit die Sicherstellung der Bebaubarkeit eines Grundstücks, hängt diese aber noch von der Übernahme einer - deckungsgleichen - Baulast ab, so kann der Eigentümer des belasteten Grundstücks verpflichtet sein, die Baulast zu übernehmen.
Tatbestand:
Die Kläger sind Eigentümer eines Grundstücks in N. (Flurstück 186), das über keinen direkten Zugang zu einer öffentlichen Straße verfügt. Eigentümerin des unmittelbar an der Bahnhofstraße liegenden Grundstücks (Flurstück 185) ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft, die aus den Parteien dieses Rechtsstreits und den Eheleuten Sch. besteht.
Beide Grundstücke befanden sich früher im ungeteilten Eigentum einer Frau H. Im Zusammenhang mit der Teilung bestellte Frau H. eine Grunddienstbarkeit mit folgendem Inhalt:
»Der jeweilige Eigentümer des Grundstücks Flur 13 Nr. 186 ist berechtigt, einen etwa 3 m breiten Streifen, der unmittelbar entlang der Grenze zu dem Nachbargrundstück Flur 13 Nr. 177 über das Grundstück Flur 13 Nr. 185 von der Bahnhofstraße zur Parzelle 186 verläuft, zum Gehen, zum Befahren mit Pkw der Bewohner des Grundstücks 186 und zum Transport von Gegenständen zu benutzen und unter der Oberfläche dieses Wegstreifens die Versorgungsleitungen (Strom, Wasser, Gas) und die Abwasserleitungen (Regenwasser- und Fäkalienkanal) zu verlegen und zu unterhalten.«
Die Kläger beabsichtigen, ihr Grundstück als Bauland zu verkaufen. Die Bauaufsichtsbehörde der Stadt N. hat die Bebauung dieses Grundstücks von der Sicherung der Be- und Entwässerung sowie des Zugangs und der Zufahrt zur Bahnhofstraße durch eine Baulast abhängig gemacht.
Die Kläger und die Eheleute Sch. sind zur Übernahme einer Baulast bereit, die Beklagten haben dies abgelehnt. Mit ihrer Klage haben die Kläger beantragt, die Beklagten zu verurteilen, der Eintragung einer Baulast mit einem der Grunddienstbarkeit entsprechenden Inhalt in das Baulastenverzeichnis zuzustimmen.
Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, aus dem Zweck und Inhalt der Grunddienstbarkeit ergebe sich für die Beklagten eine vertragliche Nebenpflicht, daran mitzuwirken, daß der mit der Bestellung der Grunddienstbarkeit erstrebte Zweck auch eintrete.
Die Bestellung der Grunddienstbarkeit durch die damalige Eigentümerin beider Grundstücke sei ausschließlich zum Zwecke der Benutzung des Flurstücks 186 als Baugrundstück erfolgt. Dies folge aus der Ausgestaltung der Grunddienstbarkeit als Recht zum Gehen und Befahren eines Grundstücksstreifens und zur Verlegung der Versorgungs- (Strom, Wasser, Gas) und Abwasser-(Regenwasser, Fäkalien)leitungen.
Zur Erreichung des Zwecks der Grunddienstbarkeit seien die Beklagten verpflichtet, die Eintragung der von der Bauaufsichtsbehörde geforderten Baulast zu bewilligen.
II.
Hiergegen wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.
A.
(von der weiteren Darstellung wird abgesehen)
B.
Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht die Beklagten für verpflichtet gehalten, die Übernahme der beantragten Baulast zu erklären.
1. Eine entsprechende Pflicht ergibt sich allerdings nicht schon aus Vertrag. Eine Vereinbarung, welche die Beklagten zur Übernahme einer Baulast gegenüber der Behörde verpflichtete (vgl. Füsslein DVBl 1965, 270, 272; Rößler, BauO NW 3. Aufl. § 78 Anm. 1 S. 470), ist nicht geschlossen worden. Zwischen den Parteien bestehen auch sonst keine vertraglichen Bindungen, welche die Übernahme der Baulast im Wege einer vertraglichen Nebenpflicht begründen könnten.
2. Zweifelhaft ist auch, ob ein das Klagebegehren rechtfertigender Anspruch sich unmittelbar aus der Grunddienstbarkeit selbst (vgl. Füsslein aaO) herleiten läßt.
Jedenfalls ergibt sich die Verpflichtung zur Übernahme einer Baulast aus dem durch die Grunddienstbarkeit begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis (BGHZ 95, 144, 145 ff.). Gegenstand eines solchen Schuldverhältnisses sind zwar vor allem »das Nutzungsrecht begleitende Pflichten des aus der Dienstbarkeit Berechtigten« (BGHZ 95, 144, 146; BGH Beschl. vom 30. Oktober 1986, III ZR 10/86, NVwZ 1987, 356), können aber auch Pflichten des belasteten Grundstückseigentümers sein. Dabei geht es, soweit nicht gesetzlich begründete Pflichten zu einem positiven Tun in Rede stehen, immer nur um Nebenpflichten, weil eine Pflicht zu positivem Handeln nicht wesentlicher Inhalt einer Grunddienstbarkeit sein kann (Senatsurt. vom 25. Februar 1959, V ZR 176/57, DNotZ 1959, 240). Ist dagegen der Inhalt der Belastung nach § 1018 BGB zulässig, dann wird an dem so begründeten Charakter der Grunddienstbarkeit nicht dadurch etwas geändert, daß mit ihr eine Nebenverpflichtung des Eigentümers des dienenden Grundstücks zu positivem Handeln verknüpft ist (Dehner, Nachbarrecht im Bundesgebiet (ohne Bayern) 6. Aufl. § 30 III 6 S. 637). Solche Nebenpflichten sind auch über den im Gesetz ausdrücklich geregelten Umfang hinaus möglich (Senatsurt. vom 25. Februar 1959 aaO), weil für den Dienstbarkeitsumfang das jeweilige Bedürfnis des Berechtigten maßgebend ist. Wächst dieses nachträglich, so wird dadurch der Umfang der sich aus der Dienstbarkeit ergebenden Rechte und Pflichten erweitert, sofern sich die Steigerung in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung des dienenden Grundstücks hält und nicht auf eine unvorhersehbare willkürliche Änderung in der Benutzung des herrschenden Grundstücks zurückzuführen ist (Senatsurt. vom 21. Januar 1959, V ZR 133/57, NJW 1959, 2059; BGHZ 44, 171, 174; Senatsurt. vom 24. September 1982, V ZR 96/81, NJW 1983, 115, 116; Senatsurt. vom 20. Mai 1988, V ZR 29/87, BGHR BGB § 1018 - Anpassung 1). Die Abgrenzung der aus der Dienstbarkeit und dem hierdurch begründeten gesetzlichen Schuldverhältnis hergeleiteten Rechte und Pflichten beruht im Kern auf einer Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen und damit auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (Senatsurt. vom 25. Februar 1959, V ZR 176/57, aaO).
C.
Die danach auch im vorliegenden Fall gebotene Interessenabwägung führt dazu, daß dem Interesse der Kläger der Vorrang vor dem der Beklagten gebührt. Diese sind daher verpflichtet, die begehrte Baulast zu übernehmen.
1. Die Grunddienstbarkeit ist zu dem Zweck bestellt worden, das den Klägern gehörende Flurstück baulich zu nutzen. Die Angriffe der Revision gegen die entsprechende Auslegung der Grundbucheintragung sind unbegründet.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht die Behauptungen der Beklagten nicht berücksichtigt, die Kläger hätten das Grundstück nur als »Spielgarten« für ihre Tochter erwerben wollen und das Bauamt habe ihnen vor dem Erwerb ihrer Eigentumswohnung die Auskunft erteilt, daß eine Bebauung des Flurstücks 186 nicht in Betracht komme. Die Revision räumt selbst ein, daß eine Heranziehung dieser Umstände bei der Bestimmung des Inhalts und Umfangs der Grunddienstbarkeit der Rechtsprechung des Senats widersprochen hätte, nach der insoweit allein die Grundbucheintragung und die für jedermann erkennbaren Umstände maßgebend sind (BGHZ 92, 351, 355).
b) Der erkennende Senat, der den Inhalt des Grundbuchs selbst auslegen kann (BGHZ 92, 351, 355 m. w. Nachw.), kommt zu demselben Ergebnis wie das Berufungsgericht.
Eine Grunddienstbarkeit kann auch zur Sicherung eines zukünftigen Bedarfs des herrschenden Grundstücks bestellt werden (vgl. Senatsurt. vom 30. November 1965, V ZR 90/63, WM 1966, 254); insbesondere kann mit ihr der Zweck verfolgt werden, eine spätere Bebauung des herrschenden Grundstücks zu ermöglichen (vgl. RGZ 142, 231, 238; Senatsurt. vom 21. Mai 1971, V ZR 8/69, LM Nr. 20 zu § 1018 BGB; Dehner, Nachbarrecht im Bundesgebiet 6. Aufl. § 30 III 1 S. 629 Fußn. 88).
Die hier bestellten Wege- und Leitungsrechte sind nur zum Zwecke einer baulichen Erschließung des Grundstücks nötig und sinnvoll. Dies hat das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt.
2. Die Übernahme der begehrten Baulast ist zwingende Voraussetzung für eine Bebauung des Grundstücks der Kläger. Die entgegenstehenden Ausführungen der Revision gehen von einem nicht mehr geltenden Rechtszustand aus.
a) Das zu bebauende Grundstück muß grundsätzlich an eine befahrbare öffentliche Verkehrsfläche grenzen. Hiervon gestattete § 4 Abs. 4 der bis 31. Dezember 1984 in Kraft gewesenen BauO NW in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Januar 1970 (GV NW S. 96) Ausnahmen, wenn das Grundstück einen eigenen oder einen öffentlich-rechtlich gesicherten fremden Zugang hatte. Nach der Rechtsprechung des für N. zuständigen Oberverwaltungsgerichts Münster (BRS 20 Nr. 97 und BRS 29 Nr. 93) war das durch eine Grunddienstbarkeit gesicherte Wegerecht als ein eigener Zugang anzusehen (a. A. OVG Lüneburg BRS 35 Nr. 103).
Dies hat sich durch die Novellierung der Landesbauordnung NW im Jahr 1984 geändert. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 der Bauordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 1984 (GV NW S. 419) muß das Baugrundstück nunmehr entweder an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegen oder eine öffentlich-rechtlich gesicherte Zufahrt haben. Ein eigener Zugang genügt nicht mehr; die frühere Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Münster ist dadurch überholt (Gädtke/Böckenförde/Temme, BauO NW 7. Aufl. § 4 Rdn. 14; Rößler, BauO NW 3. Aufl. § 4 Anm. b).
b) Unbegründet ist auch der Hinweis der Revision auf die Generalklausel für ordnungsbehördliches Eingreifen nach § 14 OBG NW. Nach dieser Vorschrift kann die Behörde zwar die Anschließung und Versorgung eines bereits errichteten Bauwerks sichern, nicht aber die gesetzlichen Voraussetzungen für eine künftige Bebauung selbst schaffen.
3. Eine Befreiung von dem Baulastzwang kommt - für die Parteien erkennbar - nicht in Betracht. Die gesetzliche Voraussetzung für eine solche Ermessensentscheidung, daß nämlich die Durchführung der Bestimmung »zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte« führt (§ 68 Abs. 3 Nr. 2 BO NW), ist nicht gegeben. Die in dem Baulastzwang mit allen sich daraus für die Bebaubarkeit eines Grundstücks ergebenden Folgen liegende Härte ist von der Landesbauordnung gewollt, um die Zufahrt eines Baugrundstücks der privaten Disposition zu entziehen. Sie kann daher nicht zu einer Befreiung führen (vgl. Thiel/Rößler/Schuhmacher, Baurecht in NRW, LBO § 68 Anm. 3). Den Klägern ist deswegen auch nicht zuzumuten, die Möglichkeit der Erteilung eines Dispenses notfalls in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren klären zu lassen (vgl. OLG Frankfurt NVwZ 1988, 1162, 1164 [OLG Frankfurt am Main 20.04.1988 - 21 U 11/878]).
4. Für die Voreigentümerin der Grundstücke bestand bei der Bestellung der Grunddienstbarkeit aufgrund der damals geltenden Rechtslage kein Anlaß, die Übernahme einer Baulast überhaupt in Erwägung zu ziehen. Es kann deswegen dahingestellt bleiben, ob der Anspruch auf Übernahme einer Baulast dann ausgeschlossen wäre, wenn schon zur Zeit der Bestellung der Grunddienstbarkeit diese nach allgemeiner Rechtsauffassung bauordnungsrechtlich nicht als ausreichende Sicherung der Zufahrt hätte angesehen werden können und die Parteien sich gleichwohl damit zufriedengegeben hätten.
5. Inhalt und Umfang der geforderten Baulast entsprechen dem der Dienstbarkeit. Ihre Übernahme ist den Beklagten zumutbar.
Zwar bewirkt die Baulast im Verhältnis zur Grunddienstbarkeit eine zusätzliche Belastung des Grundstücks. Sie begründet ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zur Bauaufsichtsbehörde und ist der privaten Dispositionsbefugnis entzogen. Dieser Nachteil rechtfertigt aber entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt (NVwZ 1988, 1162) nicht die Ablehnung der Baulastübernahme. Er wirkt sich in der Regel wirtschaftlich erst nach einem Verzicht des Begünstigten auf die Grunddienstbarkeit aus. In diesem Fall wäre zwar das Benutzungsrecht erloschen, weil eine Baulast der begünstigten Privatperson grundsätzlich kein Recht gegenüber dem Verpflichteten gewährt (BGHZ 88, 97, 100; Gädtke/Böckenförde/Temme, BauO NW 7. Aufl. § 78 Rdn. 25; Rößler, BauO NW 3. Aufl. § 78 Anm. 1 S. 468). Die öffentlich-rechtliche Duldungspflicht bestünde aber gleichwohl fort, wenn anderenfalls eine baurechtswidrige Lage einträte (BGHZ 79, 201, 210[BGH 09.01.1981 - V ZR 58/79]; Gädtke/Böckenförde/Temme aaO; Rößler aaO). Da ein Verzicht auf die Grunddienstbarkeit unter Berücksichtigung der Interessenlage der Berechtigten nur als eine fernliegende Möglichkeit in Betracht zu ziehen ist, wäre es mit dem Grundsatz von Treu und Glauben unvereinbar, wenn die Verpflichteten sich den aus der Grunddienstbarkeit ergebenden Beeinträchtigungen ihrer Eigentümerrechte allein aus dem Grund entziehen könnten, weil die Möglichkeit eines Verzichts auf die Dienstbarkeit nicht ausgeschlossen werden kann. Der Hinweis auf einen zukünftigen, nicht naheliegenden Verzicht führte dann für die begünstigten Eigentümer bereits jetzt die Folgen eines Rechtsverlustes herbei und ließe den Inhalt der Grunddienstbarkeit leerlaufen.