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Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.06.1988, Az.: VI ZR 279/87

Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Grund eines amputierten Arms; Berücksichtigung eines Mitverschuldens bei selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit durch Begehung eines Diebstahl am ehemaligen Arbeitsplatz; Berücksichtigung der Schadensminderungspflicht bei Entstehen bestimmter Schäden

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
14.06.1988
Aktenzeichen
VI ZR 279/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 13351
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Frankfurt - 16.06.1987
LG Kassel - 16.04.1985

Fundstellen

  • MDR 1988, 1048-1049 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1989, 105-106 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1988, 1139 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessführer

Rentner Rudolf S., D. straße ..., K., jetzt wohnhaft: Ka.straße ..., W.

Prozessgegner

1. Chefarzt Dr. H. U. M., Marienkrankenhaus, Ma. Straße ..., Ka.

2. das Haus der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul, Körperschaft des öffentlichen Rechts,
vertreten durch die Generaloberin, Kan.straße ..., F.

Amtlicher Leitsatz

Die Rechtskraft eines Feststellungsurteils steht auch der Berücksichtigung des Einwandes des Verstoßes gegen eine Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB entgegen, sofern die dafür maßgebenden Tatsachen schon zur Zeit der letzten Tatsachenverhandlung vorgelegen haben.

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes
hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juni 1988
durch
die Richter Dr. Kullmann, Dr. Ankermann, Dr. Macke Dr. Lepa und Dr. Birkmann
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats in Kassel des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 16. Juni 1987 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers gegen die Abweisung seiner bezifferten Klage auf Ersatz von Verdienstausfall zurückgewiesen und die Klage auf weiteren Verdienstausfall abgewiesen worden sind.

Auf die Berufung des Klägers werden das Teilurteil des Landgerichts Kassel vom 16. April 1985 teilweise geändert, soweit darin die Klage auf Ersatz von Verdienstausfall abgewiesen worden ist, und das Schlußurteil des Landgerichts vom 11. März 1986 im Kostenpunkt aufgehoben.

Die Klage auf Ersatz von Verdienstausfall ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Zur Entscheidung über den Betrag dieses Anspruchs sowie über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen des Revisionsverfahrens wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger, der als Krankenpfleger im M.-Krankenhaus in K. beschäftigt war, erlitt bei einer Operation am rechten Unterarm, die der Erstbeklagte am 25. Oktober 1978 in diesem Krankenhaus vorgenommen hat, eine Verletzung des nervus medianus. Seitdem sind Daumen, Zeige- und Ringfinger der rechten Hand des Klägers gelähmt, sein rechtes Handgelenk ist verkrümmt geblieben. Träger des M.-Krankenhauses ist die Zweitbeklagte.

2

Der Kläger wurde nach der Operation zunächst im M.-Krankenhaus weiterbeschäftigt. Weil er am Heiligabend 1979 einem Patienten auf der Intensivstation eine goldene Uhr gestohlen und diese in einem Leihhaus versetzt hatte, kündigte die Zweitbeklagte das Arbeitsverhältnis zum 15. Mai 1980. Seitdem ist der Kläger arbeitslos; er bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Seinen rechten Unterarm ließ er wegen ständiger, durch ärztliche Behandlung nicht behebbarer Schmerzen am 22. Januar 1985 amputieren.

3

Durch Urteil des Landgerichts Kassel vom 25. August 1982 ist u.a. festgestellt worden, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger denjenigen Schaden zu ersetzen, der auf die Operation seines rechten Unterarms am 25. Oktober 1978 zurückzuführen ist. Die Berufung der Beklagen ist durch Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt, 14. Zivilsenat in Kassel, vom 15. November 1983 zurückgewiesen worden.

4

Der Kläger hat im vorliegenden Rechtsstreit von den Beklagten neben einem weiteren Schmerzensgeld und einer Rente wegen des durch die Amputation des rechten Unterarms bedingten Mehrbedarfs Ersatz seines Verdienstausfalls verlangt, den er in erster Instanz für die Zeit vom 16. Mai 1980 bis zum 31. Oktober 1984 auf 71.030,46 DM, in zweiter Instanz dann für die Zeit von Dezember 1978 bis Februar 1984 auf 134.673,27 DM beziffert hat, ferner die Feststellung begehrt, daß die Beklagten ihm vorbehaltlich des Übergangs auf Sozialversicherungsträger zum Ersatz des ab 1. März 1984 entstandenen Verdienstausfalles verpflichtet seien. Er hat geltend gemacht, seine Erwerbsunfähigkeit sei Folge der bei der Operation vom 25. Oktober 1978 erlittenen Schädigung des rechten Unterarms, und meint, die Beklagten müßten aufgrund des rechtskräftigen Feststellungsurteils des Landgerichts Kassel vom 25. August 1982 dafür einstehen.

5

Die Beklagten haben u.a. geltend gemacht, die Erwerbslosigkeit des Klägers beruhe nicht auf den Folgen der Operation vom 25. Oktober 1978, sondern darauf, daß er durch eigenes Verschulden seine Arbeitsstelle im M.-Krankenhaus verloren habe.

6

Das Landgericht hat durch Teilurteil vom 16. April 1985 die Klage auf Ersatz des Verdienstausfalls und die diesen betreffende Feststellungsklage abgewiesen, durch ein weiteres Teilurteil vom 26. November 1985 die Beklagten zur Zahlung (weiteren) Schmerzensgeldes von 40.000 DM und durch Schlußurteil vom 11. März 1986 zur Zahlung einer monatlichen Mehrbedarfsrente von 600 DM ab 1. Februar 1985 verurteilt. Das Oberlandesgericht hat der Berufung der Beklagten wegen anrechenbarer Zahlungen und Aufrechnungsbeträgen teilweise stattgegeben. Die Berufung des Klägers hat es zurückgewiesen und seine Klage auf Ersatz von Verdienstausfall, soweit sie in der zweiten Instanz erweitert worden ist, abgewiesen.

7

Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche auf Ersatz des Verdienstausfalls weiter. Hinsichtlich des Feststellungsausspruchs hat der Senat die Revision des Klägers nicht angenommen.

Entscheidungsgründe

8

I.

Das Berufungsgericht führt zunächst aus, der Verdienstausfall des Klägers sei auch unter Berücksichtigung dessen, daß der Kläger seine Entlassung bei der Zweitbeklagten durch den Diebstahl der goldenen Uhr selbst herbeigeführt habe, ursächlich auf die Operation seines rechten Unterarms am 25. Oktober 1978 zurückzuführen. Gleichwohl hält es den Ersatzanspruch nicht für gegeben, weil der Kläger diesen Schaden ganz überwiegend durch Verletzung seiner Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB selbst verschuldet habe. Die Rechtskraft des Feststellungsurteils des Landgerichts Kassel vom 25. August 1982 stehe dem nicht entgegen. Dazu erwägt das Berufungsgericht im wesentlichen: Zwar dürfe nicht mehr geprüft werden, ob ein Mitverschulden des Klägers im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB zu der Gesundheitsbeeinträchtigung und damit zum Schaden beigetragen habe. Ein Mitverschulden des Klägers nach § 254 Abs. 2 BGB, das sich allein auf den Eintritt eines bestimmten Schadens beziehe, sei indessen nicht Gegenstand des Feststellungsurteils gewesen. Zur Prüfung, ob und in welcher Höhe dem Kläger aus seiner Gesundheitsbeschädigung ein Schaden entstanden sei, gehöre auch die Frage, ob er bei der Entstehung eines bestimmten Schadens seine Schadensminderungspflicht verletzt habe. Das, so meint das Berufungsgericht, entspreche der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

9

II.

Das angefochtene Urteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes steht die Rechtskraft des Feststellungsurteils vom 25. August 1982 der Geltendmachung des Mitverschuldenseinwandes durch die Beklagten entgegen. Diese sind mit ihrem Vorbringen insoweit präkludiert.

10

1.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die im Schrifttum einhellig gebilligt wird, führt die Rechtskraft eines Feststellungsurteils, in dem die Schadensersatzpflicht des in Anspruch genommenen Schädigers festgestellt worden ist, dazu, daß Einwendungen, die das Bestehen des festgestellten Anspruchs betreffen und sich auf Tatsachen stützen, die schon zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorgelegen haben, nicht mehr berücksichtigt werden dürfen. Das schließt insbesondere die Geltendmachung eines Mitverschuldens des Klägers im späteren Verfahren über die Höhe des Schadens aus; anders als beim Erlaß eines Grundurteiles müssen solche Einwendungen, die den Grund des Schadensersatzanspruchs betreffen, beim Erlaß des Feststellungsurteils beschieden werden. Das hat der erkennende Senat zuletzt in seinem Urteil vom 15. Juni 1982 - VI ZR 179/80 - (VersR 1982, 877 m.w.N.) so entschieden. Wenn in den Gründen dieses Urteils von "vorgetragenen Tatsachen" die Rede ist, auf die Einwendungen gegen den festgestellten Anspruch nicht mehr gestützt werden dürfen, hat der Senat damit nicht etwa einschränkend aussprechen wollen, daß nur solche Einwendungen durch das rechtskräftige Feststellungsurteil präkludiert sind, die bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor seinem Erlaß auch tatsächlich Gegenstand der Erörterung im Prozeß waren. Gegen ein solches Verständnis spricht schon die Bezugnahme auf die anderslautende Entscheidung des Reichsgerichts in RGZ 144, 220, 222 ff, darüber hinaus auch die Formulierung des vom Senat gebildeten Leitsatzes. Vielmehr ist der Beklagte auch mit solchen Einwendungen und den diesen zugrundeliegenden Tatsachen ausgeschlossen, die damals bereits bestanden haben, aber nicht vorgetragen worden sind (BGHZ 98, 353, 359; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 322 RN 229 m.w.N. bei FN 251). Mindestens muß das dann gelten, wenn - wie im Streitfall - diese Tatsachen dem Beklagten bekannt waren und von ihm hätten vorgetragen werden können.

11

2.

Der Ansicht des Berufungsgerichtes, im Streitfall liege es anders, weil der Mitverschuldenseinwand nach § 254 Abs. 2 BGB, also die Behauptung eines Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht, nicht den Grund, sondern die Höhe des Schadens betreffe, kann nicht gefolgt werden. Sie wird, soweit ersichtlich, auch sonst nirgends vertreten, und sie widerspricht der Rechtsprechung schon des Reichsgerichts (RGZ 144, 220). Zu Unrecht bezieht sich das Berufungsgericht auf eine beiläufige Bemerkung in den Entscheidungsgründen des Senatsurteils vom 23. Januar 1979 - VI ZR 199/77 - (VersR 1979, 272). Der Senat hat auch in diesem Fall zunächst ausgeführt, die Rechtskraft des Feststellungsurteils führe dazu, daß die Ersatzpflicht des Beklagten nicht mehr in Zweifel gezogen und nicht mehr überprüft werden dürfe, sondern dem bezifferten Leistungsbegehren des Klägers zugrunde zu legen sei. Wenn es im folgenden heißt, im Leistungsprozeß seien im Rahmen der das Feststellungsurteil ausführenden Entscheidung diejenigen Einwendungen zu erörtern, die den geltend gemachten konkreten Schaden beträfen und zu denen z.B. auch der Vorwurf einer Verletzung der Schadensminderungspflicht nach § 254 Abs. 2 BGB zu rechnen sei, so betrifft das nur Einwendungen aufgrund von Tatsachen, die erst nach der letzten mündlichen Verhandlung vor Erlaß des Feststellungsurteils entstanden sind. Soweit die Verletzung der Schadensminderungspflicht bereits dem Schadensersatzanspruch insgesamt oder zum Teil entgegenstehen könnte, muß die beklagte Partei das gegenüber dem Feststellungsbegehren des Klägers geltend machen, weil dadurch der Grund der Forderung in Frage gestellt wird. Daran ändert sich nichts, wenn der Einwand nur eine Schadensposition betrifft, hier den Anspruch auf Ersatz von Verdienstausfall. Gegenstand der Feststellungsklage des Klägers war der Ersatz aller ihm entstandenen Schäden aus der Operation vom 25. Oktober 1978, und der Feststellungsanspruch umfaßt somit auch alle Schäden, mithin auch den Verdienstausfall, der in den Entscheidungsgründen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts im Vorprozeß besonders erwähnt ist. Die darin vorgenommenen Einschränkungen betreffen ausdrücklich nur solche Schäden, die nicht auf der fehlerhaften Operation vom 25. Oktober 1978, sondern auf beim Kläger bereits vorher bestehenden Schäden am Arm beruhen. Die Ersatzpflicht der Beklagten besteht danach mit dieser Maßgabe uneingeschränkt.

12

Etwas anderes kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht aus der bereits angeführten Entscheidung des Reichsgerichts oder dem Senatsurteil vom 15. Juni 1982 a.a.O. entnommen werden. Im ersten Fall umfaßte das Feststellungsurteil ebenfalls den Ersatz des gesamten geltend gemachten Schadens aus dem Unfallereignis, wobei nur zur Erläuterung im Tenor hinzugefügt worden war, der Beklagte sei insbesondere zum Ersatz des durch eine vorzeitige Pensionierung entstandenen Schadens verpflichtet. In dem vom erkennenden Senat entschiedenen Fall diente die geringfügige Einschränkung im Tenor des Feststellungsurteils des Landgerichts ebenfalls nur der Erläuterung, um welche vom Verletzten geltend gemachte Schäden es sich handelte. Beide Entscheidungen stellen ersichtlich nicht darauf ab, daß der Feststellungsausspruch nur einen bestimmten Schaden betrifft. Darauf kann es rechtlich auch nicht ankommen. Steht die Ersatzpflicht der beklagten Partei für alle Schäden aus dem haftungsbegründenden Ereignis fest, dann sind spätere Einwendungen gegen die Ersatzpflicht aller in Betracht kommenden Schäden dem Grunde nach ausgeschlossen, und das betrifft, wie gerade aus dem vom Reichsgericht a.a.O. entschiedenen Fall hervorgeht, auch den im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor Erlaß des Feststellungsurteils möglichen Einwand einer Verletzung der Schadensminderungspflicht.

13

3.

Damit steht die Ersatzpflicht der Beklagten für die geltend gemachten Erwerbseinbußen des Klägers dem Grunde nach fest. Da die Sache insoweit zur Endentscheidung reif ist - daß dem Kläger überhaupt ein Verdienstausfall entstanden ist, ist nicht streitig -, ist die Klage auf bezifferten Verdienstausfall nach §§ 565 Abs. 3 Nr. 1, 304 ZPO dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären (vgl. BGHZ 16, 71, 82). Wegen des Streites zur Höhe des Verdienstausfalles hat der Senat in Anwendung des § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die je nach dem endgültigen Ausgang des Verfahrens neu zu verteilenden Kosten des Rechtsstreits überlassen bleibt. Dabei wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß der Kläger, soweit er das Berufungsurteil nicht angegriffen hat und soweit der erkennende Senat seine Revision nicht angenommen hat, endgültig unterlegen ist.

Dr. Kullmann
Dr. Ankermann
Dr. Macke
Dr. Lepa
Dr. Birkmann