Bundesgerichtshof
Urt. v. 30.09.1987, Az.: IVb ZR 86/86
Berufung; Begründung; Fristverlängerung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 30.09.1987
- Aktenzeichen
- IVb ZR 86/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 13685
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHZ 102, 37 - 41
- MDR 1988, 131 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1988, 268-269 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1987, 1195-1196 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Zur Wirksamkeit einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist.
Tatbestand:
Die Klägerin macht einen übergeleiteten Unterhaltsanspruch des Sohnes R. des Beklagten geltend.
Das Amtsgericht - Familiengericht - hat die Klage abgewiesen, da die Klägerin die Voraussetzungen des Anspruchs nicht hinreichend substantiiert dargetan habe.
Gegen das ihr am 23. August 1985 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 6. September 1985 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 27. September 1985 hat sie um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat gebeten; der Schriftsatz trägt den Eingangsstempel der Briefannahmestelle der Justizbehörden F. vom 8. Oktober 1985 (Dienstag). Auf den Einwand des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, daß er den Schriftsatz persönlich am 1. Oktober 1985 bei der gemeinsamen Postannahmestelle des Oberlandesgerichts abgegeben habe, hat das Berufungsgericht über den Zeitpunkt des Eingangs des Verlängerungsantrages Beweis erhoben. Alsdann hat der Vorsitzende am 18. März 1986 die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß um einen Monat bis zum 6. November 1985 verlängert. Die Berufungsbegründung war am 28. Oktober 1985 eingegangen. Das Berufungsgericht hat sodann durch Sachurteil die angefochtene Entscheidung teilweise abgeändert und den Beklagten unter Klageabweisung im übrigen zur Zahlung von 1 485,50 DM an die Klägerin verurteilt.
Hiergegen wendete sich der Beklagte mit der zugelassenen Revision. Das Rechtsmittel blieb überwiegend ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
I.
1. Der Beklagte stützt seine Angriffe gegen das Berufungsurteil in erster Linie darauf, daß die Berufung der Klägerin nicht fristgerecht begründet worden und deshalb unzulässig gewesen sei; denn der Verlängerungsantrag sei erst nach Ablauf der Begründungsfrist bei dem Berufungsgericht eingegangen. Hierzu greift die Revision die Würdigung des Ergebnisses der durchgeführten Beweisaufnahme in dem angefochtenen Urteil an und macht im übrigen geltend: Eine nachträgliche Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist habe, wenn überhaupt, allenfalls bis zum Ablauf eines Monats nach dem Ende der Frist ausgesprochen werden können; die hier erst mehr als fünf Monate nach Fristablauf verfügte Fristverlängerung sei daher auch aus diesem Grunde unzulässig.
2. Das Oberlandesgericht hat die Berufung jedoch rechtsfehlerfrei als (form- und) fristgerecht (eingelegt und) begründet und demgemäß als zulässig behandelt.
a) Die Zulässigkeit der Berufung ist noch vom Revisionsgericht - von Amts wegen - zu überprüfen; denn ein gültiges und rechtswirksames Verfahren vor dem Revisionsgericht ist nur möglich, solange das Verfahren noch nicht rechtskräftig beendet ist. Das setzt neben der Zulässigkeit der Revision voraus, daß das erstinstanzliche Urteil durch eine zulässige Berufung angegriffen worden und die Rechtskraft dieses Urteils damit zunächst in der Schwebe gehalten ist (vgl. Senatsurteile vom 4. Juni 1986 - IVb ZR 51/85 = BGHR ZPO 599 II Verfahrensmangel, absoluter 1; vom 4. November 1981 - IVb ZR 625/80 = FamRZ 1982, 255 m. w. Nachw.).
b) Die Klägerin hat die fristgerecht am 6. September 1985 eingelegte Berufung gegen das Urteil des Familiengerichts am 28. Oktober 1985 begründet. Zu diesem Zeitpunkt war zwar die - gesetzliche - Monatsfrist nach § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO abgelaufen, nicht jedoch die bis zum 6. November 1985 durch Verfügung des Vorsitzenden vom 18. März 1986 - nachträglich - verlängerte Frist.
c) Durch diese Verfügung ist die Berufungsbegründungsfrist wirksam verlängert worden.
Die prozeßleitende Verlängerungsverfügung des Vorsitzenden nach § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO ist eine gerichtliche Entscheidung. Als solche ist sie, selbst wenn sie fehlerhaft erlassen sein sollte, grundsätzlich wirksam. Beruht eine gerichtliche Entscheidung auf einem Verfahrensverstoß, so führt dies nach allgemeinen Grundsätzen - abgesehen allenfalls von Fällen besonders schwerwiegender Mängel, wie etwa der Entscheidung durch ein Nichtgericht, der inhaltlichen Unmöglichkeit oder auch bei Verletzung oberster Grundsätze des Parteiprozesses (vgl. dazu BGHZ 37, 125, 126, 128 m. w. Nachw.) - nicht zu ihrer Unwirksamkeit. Vielmehr ist der Verfahrensverstoß durch ein Rechtsmittel geltend zu machen, sofern die Entscheidung einem solchen unterliegt. Die prozeßleitende Verfügung, durch die der Vorsitzende gemäß § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO die Berufungsbegründungsfrist verlängert ist indessen nach dem Prozeßrecht unanfechtbar, da eine Anfechtung im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen ist (§ 225 Abs. 3, vgl. § 567 Abs. 1 ZPO) und es sich im übrigen um eine nicht unter § 519 b ZPO fallende Entscheidung eines Oberlandesgerichts handelt, § 567 Abs. 3 ZPO (vgl. BGHZ 37, 125, 17 m. Anm. Johannsen bei LM Nr. 44 zu § 519 ZPO; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO 20. Aufl. § 519 II Rdn. 11, § 548 Rdn. 2). Das hat zur Folge, daß die Entscheidung über die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, auch im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Berufung, nach § 548 ZPO nicht der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt (vgl. dazu BGH Urteile vom 17. September 1953 - I ZR 139/52 - LM Nr. 2 zu § 548 ZPO , vom 23. November 1972 - III ZR 13/71 - LM Nr. 4 zu § 512 ZPO; Johannsen aaO). Dieses hat daher nicht zu überprüfen, ob die prozessualen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist überhaupt (noch) gegeben waren, hier also, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig vor Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist am 7. Oktober 1985 (Montag) bei dem Berufungsgericht eingegangen war (vgl. hierzu BGHZ 37, 125, 126 für den Fall der Verlängerung durch einen nach der Geschäftsverteilung nicht zuständigen Vorsitzenden; BGH Urteil vom 14. Juli 1953 - V ZR 87/52 = LM Nr. 3 zu § 554 ZPO für den Fall des Fehlens eines wirksamen Antrags; entsprechend RGZ 160, 307; dazu auch BGHZ 93, 300 [BGH 23.01.1985 - VIII ZB 18/84]).
An der Wirksamkeit der Verlängerungsverfügung bestehen nicht ausnahmsweise deshalb begründete Zweifel, weil sie erst mehr als fünf Monate nach dem Ende der gesetzlichen Frist des § 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO erlassen worden ist und damit, wie die Revision geltend macht, auf einen besonders schweren Verfahrensfehler beruhe. Das ist nicht der Fall. Denn das Zivilprozeßrecht enthält keine zeitliche - absolute - Schranke für die nachträgliche Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist. Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht, worauf die Revision zutreffend hinweist, in dem Beschluß vom 24. August 1979 (GS 1/87 = NJW 1980, 309 ff. [BAG 24.08.1979 - GS - 1/78]) für das arbeitsgerichtliche Verfahren eine äußerste Grenze für die Fristverlängerung von einem Monat nach Ablauf der ursprünglichen Frist angenommen. Das beruht jedoch auf den Besonderheiten des Verfahrens vor den Arbeitsgerichten und insbesondere auf dem Umstand, daß § 66 Abs. 1 Satz 4 ArbGG grundsätzlich nur eine einmalige Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestattet, die - in Anlehnung an die für das Revisionsverfahren geltende Regelung des § 74 Abs. 1 Satz 2 ArbGG - »keinesfalls über die Monatsgrenze hinaus« erstreckt werden könne. Eine solche zeitliche Begrenzung enthält die Zivilprozeßordnung weder in § 519 Abs. 2 Satz 3 für das Berufungs- noch in § 554 Abs. 2 Halbs. 2 für das Revisionsverfahren. Auch der Große Senat für Zivilsachen des Bundesgerichtshofs hat die Zulässigkeit der nachträglichen Verlängerung von Rechtsmittelbegründungsfristen nicht an eine zeitliche Schranke geknüpft. In dem seiner Entscheidung zugrundeliegenden Fall (Beschluß vom 18. März 1982 BGHZ 83, 217) war die gesetzliche Begründungsfrist am 20. Oktober 1980 abgelaufen, der Vorsitzende des Berufungsgerichts hatte den Antrag auf Fristverlängerung am 23. Dezember 1980 (also erst nach Ablauf von zwei Monaten) beschieden. Trotzdem ist der Große Senat zu dem Ergebnis gelangt, daß die begehrte Verlängerung gewährt werden konnte, weil der Verlängerungsantrag noch rechtzeitig vor Ablauf der Frist gestellt worden war.
Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit stehen dem nicht entgegen. Die betroffenen Parteien werden, wie es auch hier geschehen ist, von dem Eingang des Verlängerungsantrages in Kenntnis gesetzt, sofern dieser nicht unverzüglich zu einer - dann ihrerseits den Parteien mitgeteilten - Fristverlängerung oder deren Versagung führt. Damit befinden sich die Beteiligten nicht im Unklaren über den Eintritt der Rechtskraft des angefochtenen Urteils. Sofern sich im Einzelfall die Ermittlungen zur Zulässigkeit einer beantragten Fristverlängerung über eine längere Zeit hinziehen, wie es hier der Fall war, begründet diese Verfahrensdauer weder Rechtsunklarheit noch Rechtsunsicherheit, da den Parteien sowohl der Grund als auch der jeweilige Stand des Verfahrens bekannt ist. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Rechtsmittelgegners darauf, daß einem rechtzeitig gestellten Fristverlängerungsantrag nicht oder nur bis zu einem bestimmten Zeitpunkt stattgegeben werde, kennt das Verfahrensrecht nicht.
(von der weiteren Darstellung wird abgesehen)