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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 24.07.1987, Az.: 2 StR 338/87

Versuchsbeginn in Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern; Anordnung der Sicherungsverwahrung, wenn die zur zweiten Vorverurteilung führende Tat nach Rechtskraft der ersten Vorverurteilung begangen worden ist; Rücktritt vom Versuch des sexuellen Missbrauchs von Kindern; Versuchsbeginn mit der objektiven Gefährdung des geschützten Rechtsguts; Freiwillige Mitwirkung des Kindes an seinem sexuellen Missbrauch

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
24.07.1987
Aktenzeichen
2 StR 338/87
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1987, 12016
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Trier - 05.03.1987

Fundstellen

  • BGHSt 35, 6 - 13
  • NJW 1988, 1274-1276 (Volltext mit amtl. LS)
  • StV 1987, 531

Verfahrensgegenstand

Sexueller Mißbrauch von Kindern

Amtlicher Leitsatz

Zum Versuchsbeginn in Fällen des § 176 Abs. 1 StGB

Sicherungsverwahrung darf nach § 66 Abs. 1 StGB nur angeordnet werden, wenn die zur zweiten Vorverurteilung führende Tat nach Rechtskraft der ersten Vorverurteilung begangen worden ist.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf Antrag des Generalbundesanwalts und
nach Anhörung des Beschwerdeführers
am 24. Juli 1987
gemäß § 349 Abs. 2-4 StPO
einstimmig beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 5. März 1987 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

    1. a)

      soweit der Angeklagte wegen versuchten sexuellen Mißbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist,

    2. b)

      im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und

    3. c)

      soweit Sicherungsverwahrung angeordnet wurde.

  2. 2.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  3. 3.

    Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

I.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes und die Verhängung der Einzelstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten wegen dieser Tat weisen keinen Rechtsfehler auf. Die Revision des Angeklagten ist insoweit im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

2

Das Rechtsmittel hat hingegen Erfolg, soweit der Angeklagte wegen versuchten sexuellen Mißbrauchs eines Kindes verurteilt worden ist. Damit entfällt auch die Grundlage für die Gesamtstrafe.

3

Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB ist aufzuheben, weil die Urteilsgründe nicht alle formellen Voraussetzungen dieser Maßregel ausweisen und sie auch sonst nicht rechtsfehlerfrei begründet ist.

4

1.

Das Landgericht hat zum Vorwurf des versuchten sexuellen Mißbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB festgestellt, daß der Angeklagte sich dem nahezu zwölfjährigen Mädchen Tanja gegenüber als neuer Lehrer der von dem Kind besuchten Schule ausgegeben hatte und mit ihm in ein nicht einsehbares, abgelegenes Gelände gefahren war. Dort öffnete der Angeklagte die Motorhaube und den Kofferraumdeckel seines Pkw's, um - dem schon bei Antritt der Fahrt gefaßten Plan entsprechend - im Fahrzeug unbeobachtet sexuelle Handlungen an dem Mädchen vornehmen zu können. Er setzte sich neben das Kind und fragte, ob es in der Schule schon einmal Sexualkundeunterricht gehabt habe und aufgeklärt worden sei. Das Mädchen wurde nun argwöhnisch und sagte dem Angeklagten, es wolle jetzt unbedingt zur Schule, öffnete - überraschend - die Autotür und lief davon. Der Angeklagte folgte ihm kurze Zeit später, holte es an einer weit einsehbaren Stelle ein und forderte das Mädchen auf, doch wieder ins Fahrzeug steigen, er werde es zur Schule bringen. Die Strafkammer führt in diesem Zusammenhang weiter aus:

"Das durch die Verfolgung zusätzlich verängstigte Mädchen lehnte dies jedoch entschieden ab und schrie "Nein, nein", so daß der Angeklagte, der Entdeckung fürchten mußte, sich aber auch fest vorgenommen hatte, keinerlei Gewalt anzuwenden, zu seinem Fahrzeug zurückging und mit diesem auf dem auf dem Hinweg genutzten Wege zurückfuhr. Als er so Tanja erneut erreicht hatte, flüchtete das Mädchen auf ein Feld, während der Angeklagte ihr erneut zurief, sie solle doch vernünftig sein und zu ihm kommen, er werde sie zurückfahren. Tanja flüchtete jedoch weiter über Felder auf den Aussiedlerhof B. zu, den sie von hier aus erkennen konnte."

5

a)

Das Landgericht vertritt die Auffassung, der Angeklagte habe bereits Handlungen vorgenommen gehabt, die nach seinem Tatplan unmittelbar in die Tatbestandshandlung einmünden sollten, und damit zur Verwirklichung des Tatbestandes des § 176 Abs. 1 StGB unmittelbar angesetzt (§ 22 StGB).

6

b)

Ein Rücktritt vom Versuch liege nicht vor.

7

aa)

Der Angeklagte habe mit Tanja sexuelle Handlungen auf freiwilliger Basis vornehmen wollen und eine Gewaltanwendung strikt abgelehnt. Eine gewaltsam ausgeführte Tat hätte für den Angeklagten nicht das Erreichen seines Ziels mit anderen Mitteln dargestellt. Es wäre eine ganz andere, von ihm überhaupt nicht gewollte Tat gewesen. Unter diesen Umständen sei der Angeklagte seit dem Weglaufen des Mädchens und seiner Weigerung, zu ihm in den Wagen zurückzukommen, nicht mehr Herr seiner Entschlüsse gewesen, er habe nicht mehr von der Tat zurücktreten können.

8

bb)

Im übrigen habe er befürchten müssen, bei einem gewaltsamen "Einfangen" des Mädchens von Zeugen beobachtet zu werden. Dies habe er - wie seine außergewöhnliche Sorgfalt bei der Auswahl des Tatortes und die weiteren Vorbereitungen zur Vermeidung eines Entdecktwerdens bewiesen - jedoch verhindern wollen.

9

2.

Die Ausführungen des Landgerichts zur Frage des Versuchs und des Rücktritts vom Versuch sind unzureichend, sie erlauben dem Senat keine ausreichende rechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils.

10

Sowohl die Entscheidung darüber, ob die Handlungen des Angeklagten bereits als unmittelbares Ansetzen zur Vornahme sexueller Handlungen im Sinne von § 176 Abs. 1 StGB zu bewerten sind, als auch die Beantwortung der Rücktrittsfrage hängen wesentlich von den Wünschen und Vorstellungen des Angeklagten zu verschiedenen Zeitpunkten ab. Das erkennt die Strafkammer auch und beruft sich bei der Erörterung der genannten Fragen weitgehend auf die Einlassung des Angeklagten hierzu, ohne sie jedoch im Zusammenhang deutlich wiederzugeben. Eine solche Darstellung wäre hier indessen erforderlich gewesen, um ausschließen zu können, daß das Landgericht die Bedeutung der Einlassung verkannt oder sie unzutreffend gewürdigt hat (vgl. NStZ 1984, 213; StV 1981, 509; BGH GA 1965, 208; BGH, Beschluß vom 27. September 1983 - 4 StR 550/83; Beschluß vom 13. August 1986 - 4 StR 404/86; Beschluß vom 22. April 1986 - 4 StR 162/86).

11

Von Bedeutung für die Beantwortung der Frage, ob der Angeklagte bereits mit dem Versuch begonnen hatte, war hier vor allem, welche Vorstellungen vom Ablauf der beabsichtigten Tat er sich gemacht hatte und auf welche Weise er sein Ziel erreichen wollte. Die offenbar auf seine Einlassung zurückzuführende Feststellung, er habe sexuelle Handlungen nur auf freiwilliger Basis vornehmen wollen und Gewaltanwendung strikt abgelehnt, mit der das Landgericht später einen freiwilligen Rücktritt vom Versuch verneint, ist hier zu ungenau und bietet keine ausreichende Grundlage für die Entscheidung, die Tathandlungen seien einerseits bereits als Versuch des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes zu bewerten, andererseits müsse aber ein freiwilliger Rücktritt von diesem Versuch verneint werden.

12

Der Versuch beginnt, wenn der Täter "nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt." Das Versuchsstadium wird hiernach erst erreicht, wenn der Täter Handlungen vornimmt, die nach seiner Vorstellung der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals unmittelbar vorgelagert sind, bzw. im Falle eines ungestörten Fortganges ohne Zwischenakte in die tatbestandliche Ausführungshandlung unmittelbar einmünden (vgl. BGHSt 26, 201, 202 f;  28, 162, 163;  30, 363, 364 [BGH 26.01.1982 - 4 StR 631/81];  BGH, Urteil vom 4. Dezember 1979 - 1 StR 703/79; Beschlüsse vom 25. Juni 1985 - 1 StR 273/84 und vom 10. April 1984 - 5 StR 183/84). Tatbestandliche Ausführungshandlungen im Sinne von § 176 Abs. 1 StGB sind sexuelle körperliche Kontakte zwischen dem Täter und dem Kind. Zur Vornahme solcher Handlungen kann ein Täter zwar schon dann unmittelbar ansetzen, wenn er - fest zur Tat entschlossen - das Kind an einen zur Vornahme von sexuellen Handlungen besonders geeigneten Ort führt, wo er nach seiner Vorstellung ohne weitere Zwischenakte sogleich den sexuellen körperlichen Kontakt aufnehmen will, weil er erwartet, das Kind werde sich ihm auch ohne ausdrückliche Drohung oder Gewaltanwendung in dieser Situation aus Angst fügen und/oder weil er plant, etwaigen Widerstand ohne weiteres zu brechen.

13

Es ist aber auch denkbar, daß ein Täter allein beabsichtigt, das Kind - etwa unter Ausnutzung der sexuellen Neugier - zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen auf freiwilliger Basis zu verführen und eine etwaige Ablehnung zu respektieren. Bei einem solchen Vorhaben wäre nach dem Verbringen des Kindes an den Tatort dem beabsichtigten sexuellen körperlichen Kontakt ein weiteres Geschehen, nämlich die erfolgreiche Verführung des Tatopfers vorgelagert, so daß die Fahrt zum Tatort und das weitere Geschehen noch nicht als Anfang der Ausführung angesehen werden können. Zwar entsteht auch bei einem derartigen Tatplan eine besondere Gefahr für das Kind, zumal der Täter ein durch Angst bestimmtes Handeln des Kindes als freiwillig mißdeuten oder entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben doch sofort Gewalt anwenden kann. Eine objektive Gefährdung des geschützten Rechtsguts allein reicht jedoch weder nach dem Wortlaut noch nach dem mit der Neuregelung des § 22 StGB verfolgten Zweck aus, um bereits einen Versuch zu bejahen (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 144; Protokolle des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform V S. 1651 f, 1745 f; Roxin Jus 1973, 329). Bei dieser Bewertung kann der Versuch des sexuellen Mißbrauchs von Kindern bei Verwirklichung der Tatbestandsalternative des § 176 Abs. 2 StGB schon früher beginnen als bei einer Tat nach § 176 Abs. 1. Diese sich aus der unterschiedlichen Tatbestandsbeschreibung ergebende Diskrepanz kann nicht durch eine dem Wortlaut der §§ 176 Abs. 1, 22 StGB widersprechende Auslegung zu Lasten des Angeklagten behoben werden.

14

Auf eine freiwillige Mitwirkung des Kindes wird ein Täter in der Regel allenfalls dann hoffen können, wenn zwischen ihm und dem Kind bereits persönliche Beziehungen bestehen. Spricht er - wie der Angeklagte - ein ihm bis dahin unbekanntes Mädchen an, dann wird er regelmäßig kaum annehmen können, daß es aus Neugier zu sexuellen Handlungen auf freiwilliger Basis bereit ist. Seine Vorstellung vom künftigen Tatablauf wird sich dann nicht auf eine freiwillige Mitwirkung des Opfers beschränken, sondern die Duldung sexueller Handlungen aus Angst und/oder unter Gewaltanwendung miterfassen.

15

Das Landgericht hat jedoch im Zusammenhang mit der Verneinung des freiwilligen Rücktritts vom Versuch ausdrücklich festgestellt, der Angeklagte habe sexuelle Handlungen "nur auf freiwilliger Basis vornehmen wollen". Es hat zudem an anderer Stelle zwischen Duldung aus Angst und freiwilligem Tun ausdrücklich unterschieden (UAS 10/11). Unter diesen Umständen mußte es sich auch mit der möglichen Konsequenz einer solchen Feststellung für die Bewertung der die Tat vorbereitenden Handlungen als Versuch auseinandersetzen. Von Bedeutung war hier vor allem, was der Angeklagte unter Handlungen "auf freiwilliger Basis" verstand. Die Urteile des 1. Strafsenats vom 22. Januar 1974 - 1 StR 606/73 (BGH bei Dallinger MDR 1974, 545) und vom 11. Juni 1974 - 1 StR 108/74 (a.a.O. S. 722) stehen der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Sie behandeln zum einen andere Sachverhalte und sind zum anderen vor der Neufassung des § 22 StGB ergangen, mit dem der Versuchsbereich "hart an die Grenze der Tatbestandsverwirklichung herangerückt" werden sollte (Vogler in LK 10. Aufl. § 22 Rdn. 29).

16

Besondere Umstände, welche die Annahme rechtfertigen, der Angeklagte habe geglaubt, nunmehr ohne weiteres unmittelbar zur Tat schreiten zu können (vgl. BGH, Urt. vom 7. März 1979 - 2 StR 798/78), hat das Landgericht bisher nicht festgestellt.

17

Sollte der neu entscheidende Tatrichter den Versuch wiederum bejahen, so wird er sich im Zusammenhang mit der Rücktrittsfrage ebenfalls ausführlicher mit den Vorstellungen des Angeklagten auseinandersetzen und neu prüfen müssen, warum der Angeklagte das Mädchen nicht sofort verfolgte, wann er sein Vorhaben endgültig aufgab und von welchen Gedanken er zu diesem Zeitpunkt geleitet wurde. Daß der Angeklagte in der insoweit entscheidenden Phase des Geschehens "in stärkerem Maße befürchten mußte" bei einem "gewaltsamen Einfangen" des Mädchens von Zeugen beobachtet zu werden, daß er dies erkannt und sich deshalb aus subjektiven Gründen an der Durchführung der Tat gehindert sah, ist durch die bisherigen Feststellungen nicht ausreichend mit Tatsachen belegt.

18

Der Umstand, daß der Täter bei Gewaltanwendung auch den Tatbestand der sexuellen Nötigung erfüllt hätte, ist für die Rücktrittsfrage ohne Bedeutung. Die vor der Neuregelung der Versuchsvorschriften vertretene gegenteilige - nicht näher begründete - Ansicht des 1. Strafsenats (Urteil vom 11. Juni 1974 - 1 StR 108/74) beruht auf einer inzwischen überholten Rechtsauffassung (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 S. 1 - Versuch, unbeendeter 2).

19

Sollte der neu entscheidende Tatrichter den Angeklagten wiederum wegen versuchten sexuellen Mißbrauchs eines Kindes verurteilen, müßte er bei der Strafzumessung beachten, daß die Annahme eines minder schweren Falles nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden darf, die vollendete Tat hätte nicht als minder schwer beurteilt werden können.

20

II.

Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat aus folgenden Gründen keinen Bestand:

21

1.

Die Strafkammer hält die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB für erfüllt, weil der Angeklagte im vorliegenden Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes mit einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten belegt worden ist, bereits am 14. Mai 1981 wegen Vergewaltigung zu 2 Jahren und 6 Monaten und am 23. März 1982 wegen gefährlicher Körperverletzung zu 1 Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Die Tat, die zur Verurteilung vom 23. März 1982 führte, hatte der Angeklagte bereits am 20. Juni 1981, also kurz nach der ersten Verurteilung vom 14. Mai 1981 begangen. Der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der ersten Verurteilung und der Tat, die Gegenstand der zweiten Verurteilung war, legt hier die Annahme nahe, daß der Angeklagte die zweite Tat bereits vor Rechtskraft des ersten Urteils begangen hatte. Die angefochtene Entscheidung geht auf diese Frage nicht ein. Der Senat kann deshalb nicht prüfen, ob die vom Landgericht bejahten formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung tatsächlich vorliegen. Sicherungsverwahrung darf nach § 66 Abs. 1 StGB nur angeordnet werden, wenn die zur zweiten Vorverurteilung führende Tat nach Rechtskraft der ersten Vorverurteilung begangen worden ist. Der Täter muß die Warnfunktion eines jeweils rechtskräftigen Strafurteils zweimal mißachtet haben (vgl. Hanack in LK 10. Aufl. § 66 Rdn. 30; Lang-Hinrichsen in LK 9. Aufl. § 42 e Rdn. 20; Jeschek, Lehrbuch AT 3. Aufl. S. 659; Preisendanz, StGB 30. Aufl. § 66 Anm. II 2). Der gegenteiligen Ansicht, für die Warnfunktion komme es nur darauf an, daß der Täter bei Begehung der die Sicherungsverwahrung auslösenden Tat zweimal rechtskräftig verurteilt worden sei (z.B. Dreher-Tröndle, StGB 43. Aufl. § 66 Rdn. 5 a) vermag der Senat nicht zu folgen. Nicht die rasch aufeinanderfolgende Begehung einzelner Taten und die Mißachtung der in verschiedenen Hauptverhandlungen ergangenen Warnungen sind die entscheidenden Kriterien für die Bejahung der Unbelehrbarkeit und schweren kriminellen Verstrickung des Täters, der von § 66 Abs. 1 StGB erfaßt werden soll, entscheidend ist vielmehr die jeweils erneute Begehung einer schweren Straftat trotz rechtskräftiger Aburteilung einer früheren Tat.

22

Der Bundesgerichtshof hat zum inzwischen aufgehobenen § 20 a StGB, der auch die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung nach altem Recht regelte, bereits die gleiche Ansicht vertreten (vgl. BGHSt 7, 178 f). Die Neuregelung in § 42 e Abs. 1 StGB a.F. (1. StrRG) und § 66 Abs. 1 StGB (2. StrRG) - § 85 StGB E 62 sollte an diesem Rechtszustand nichts ändern. Das ergibt sich nicht nur aus § 66 Abs. 3 S. 1 StGB, wonach die Verurteilung zu einer Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung gilt, sondern wird vor allem auch durch die Entstehungsgeschichte der Neuregelung belegt. Unter ausdrücklichem Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gingen die Verfasser des Gesetzesentwurfes und der Sonderausschuß für die Strafrechtsreform davon aus, daß nach der vorgeschlagenen Fassung der neuen Vorschrift sowohl die zweite Vortat als auch die die Sicherungsverwahrung auslösende Tat auf die Rechtskraft des früheren Urteils folgen muß (Protokolle des Sonderausschusses V S. 289, 292, 308, 312, 314, 315, 1315). Anders als der frühere § 20 a StGB und die ursprüngliche Fassung der neuen Gesetzesregelung bestimmt § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB zwar nicht mehr ausdrücklich, daß nur rechtskräftige Vorverurteilungen die Anordnung der Sicherungsverwahrung begründen können. Mit dem Verzicht auf das Wort "rechtskräftig" sollte jedoch keine inhaltliche Aussage verbunden sein. Vielmehr wurde als selbstverständlich angesehen, daß nur eine rechtskräftige Verurteilung rechtlich relevant sein kann (vgl. Protokolle a.a.O. S. 2269, 2301).

23

Die Auffassung des Sonderausschusses blieb im weiteren Gesetzgebungsverfahren unwidersprochen (vgl. Protokolle a.a.O. S. 2713, 2733 ff, 2805, 2825, 2834, 2864, 3258, 3284, 3288, 3324, 3337; Erster schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-Drucks. V/4094 S. 19).

24

Nach allem ist die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB nur zulässig, wenn die zur zweiten Vorverurteilung führende Tat nach Rechtskraft der ersten Vorverurteilung begangen wurde. Da das angefochtene Urteil diese Feststellung nicht enthält, kann die Entscheidung nach § 66 Abs. 1 StPO schon aus diesem Grunde keinen Bestand haben.

25

Das Urteil des 1. Strafsenats vom 10. August 1976, der für den inzwischen aufgehobenen § 48 StGB aus der Nichtanführung des Wortes "rechtskräftig" andere Schlüsse gezogen, dabei aber die Entstehungsgeschichte der Vorschriften des § 48 StGB a.F. und des § 66 StGB nicht berücksichtigt hat (vgl. BGHSt 26, 387), steht der hier getroffenen Entscheidung nicht entgegen.

26

Die Prüfung der Frage, ob eine Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB angemessen gewesen wäre, ist dem Senat verschlossen.

27

Im übrigen kann die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung im vorliegenden Falle auch deshalb nicht aufrechterhalten bleiben, weil die Strafkammer den Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher rechtswidriger Taten auch mit der ihm angelasteten versuchten Tat begründet hat, die Verurteilung in diesem Falle jedoch aufzuheben war. Desweiteren geben die Ausführungen zum Vorliegen der materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung insoweit Anlaß zur Beanstandung, als dort den Angeklagten belastende Erklärungen gegen ihn verwertet werden, ohne daß seine Einlassung im Zusammenhang wiedergegeben wird. So schließt das Gericht aus dem Umstand, "daß darauf verwiesen wird, der Angeklagte habe sich ganz bewußt dahin entschieden, bei Straftaten künftig keine Gewalt mehr anzuwenden", er habe die Entscheidung getroffen, "immer wieder derartige Straftaten zu begehen". Bei dieser Art der Urteilsbegründung läßt sich nicht ausschließen, daß die Strafkammer Angaben des Angeklagten in Verbindung mit - möglicherweise mißverständlichen - Erklärungen der Verteidigung fehlerhaft interpretiert hat.

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