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Bundesgerichtshof
Urt. v. 05.02.1987, Az.: I ZR 210/84
„Raubpressungen“

Beweis des ersten Anscheins; Schallplattenhüllen; Umfang des Schadens

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
05.02.1987
Aktenzeichen
I ZR 210/84
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1987, 13110
Entscheidungsname
Raubpressungen
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • BGHZ 100, 31 - 35
  • MDR 1987, 734-735 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1987, 2876-2878 (Volltext mit amtl. LS) "Raubpressungen"

Amtlicher Leitsatz

Die ohne Auftrag des Nutzungsberechtigten erfolgte Herstellung und Veräußerung von Schallplattenhüllen begründet grundsätzlich den Beweis des ersten Anscheins dafür, daß Schallplatten in einem der Anzahl der Plattenhüllen entsprechenden Umfang hergestellt und vertrieben worden sind.

Tatbestand:

1

Die Klägerin befaßt sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Tonträgern. Sie nimmt die Herstellerrechte nach § 85 UrhG an vier Tonträgern in Anspruch (folgen unter 1 bis 4 die Bezeichnungen der vier Tonträger).

2

Die Beklagten waren zu unterschiedlichen Zeiten Gesellschafter der 1969 gegründeten und 1978 aufgelösten S. und G. OHG, die sich u. a. mit der gewerblichen Herstellung von Plattentaschen für verschiedene Auftraggeber aus der Schallplattenindustrie befaßte.

3

Bei dem Beklagten zu 1 wurden anläßlich einer polizeilichen Durchsuchung Preßwerkzeuge für eine Reihe von Schallplatten sichergestellt, darunter auch für die unter 2 und 4 genannten Tonträger.

4

Die Klägerin hat die Beklagten zu 1 und 2 auf Unterlassung in Anspruch genommen, die Tonträger unter 1 bis 4 sowie die dazugehörigen Außenhüllen und Rundetiketten herzustellen bzw. herstellen zu lassen und zu vertreiben bzw. vertreiben zu lassen. Außerdem macht sie gegen die Beklagten zu 1 bis 3 Ersatz des ihr entstandenen Schadens, den sie zuletzt mit 144 711,22 DM beziffert hat, geltend. In der Revisionsinstanz geht es nur noch um den Schadensersatzanspruch.

5

Die Klägerin hat vorgebracht, die Beklagten hätten die ihr zustehenden ausschließlichen Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte an den streitigen Tonträgern schuldhaft verletzt. Die beim Beklagten sichergestellten Preßwerkzeuge seien zur Herstellung von Raubpressungen der Tonträger 2 bis 4 verwendet worden. Der Staatsanwaltschaft H. seien Raubpressungen dieser Tonträger vom Bundeskriminalamt übergeben worden. Außerdem seien unter verantwortlicher Mitwirkung der Beklagten Schallplattenhüllen für die streitigen Tonträger hergestellt worden, und zwar von dem Tonträger unter 1 insgesamt 21 000 Exemplare, von dem Tonträger unter 2 2 686, von dem Tonträger unter 3 3 553 und dem unter 4 7 655. Von diesen Stückzahlen ist die Klägerin bei ihrer letzten Schadensberechnung auf der Grundlage eines fiktiven Lizenzanspruchs ausgegangen.

6

Die Beklagten sind dem entgegengetreten. Der Beklagte zu 1 hat vorgetragen, er habe die Preßwerkzeuge nur gefälligkeitshalber für einen Bekannten aufbewahrt. Während des Anspruchszeitraums habe er der Firma S. und G. nicht mehr angehört und in ihrem Namen auch keine Aktivitäten mehr entfaltet. Der Beklagte zu 2 hat bestritten, an der Herstellung von Schallplattenhüllen beteiligt gewesen zu sein. Der Beklagte zu 3 hat bestritten, daßüberhaupt Raubpressungen der in Streit befindlichen Titel hergestellt worden seien.

7

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme der Klage mit dem Unterlassungsbegehren stattgegeben und sie mit dem Schadensersatzanspruch abgewiesen, weil die Klägerin den behaupteten Schaden nicht ausreichend dargelegt habe.

8

Die gegen die Klageabweisung gerichtete Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe

9

I. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch verneint und ausgeführt: Die Klägerin habe nicht hinreichend dargetan, daß die Beklagten die Herstellerrechte der Klägerin (§ 85 UrhG) verletzt und ihr den behaupteten Schaden zugefügt haben. Dabei könne zugunsten der Klägerin unterstellt werden, daß in Verantwortung aller Beklagten Schallplattenhüllen für die vier streitigen Tonträger hergestellt worden seien. Dieser Herstellungsvorgang begründe für sich genommen aber noch keine Verletzung der Rechte der Klägerin. Dazu wäre erforderlich, daß die vier Tonträger als Fälschungen hergestellt, in die unter Mitwirkung der Beklagten gefertigten Schallplattenhüllen eingelegt und in den Verkehr gebracht worden seien. Einen solchen Gesamtvorgang habe die Klägerin nicht dargetan. Er könne nicht nach den Regeln des Anscheinsbeweises mit dem dafür erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad allein aus der Herstellung der Schallplattenhüllen geschlossen werden. Von der Herstellung der Schallplattenhüllen bis zur Entstehung eines Schadens auf Seiten der Klägerin müsse eine Kette weiterer wirtschaftlicher Vorgänge hinzugedacht werden; diese könne an jeder beliebigen Stelle unterbrochen worden sein. Es entspreche auch nicht der Lebenserfahrung, daß alle geplanten Straftaten auch tatsächlich ausgeführt würden. Überdies fehle es an jeglichen Anhaltspunkten für eine Schadensschätzung.

10

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung und Zurückverweisung.

11

1. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht die auf §§ 97, 85 UrhG gestützte Haftung der Beklagten schon dem Grunde nach verneint, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

12

a) (von der weiteren Darstellung wird abgesehen)

13

b) Das Berufungsgericht hat der Klägerin unter Verstoß gegen § 286 ZPO den Beweis des ersten Anscheins versagt. Die Frage, ob ein Anscheinsbeweis eingreift, unterliegt der Prüfung durch das Revisionsgericht (BGH Urt. v. 4. Oktober 1983 - VI ZR 98/82, VersR 1984, 40, 41).

14

Der Beweis des ersten Anscheins greift nur bei typischen Geschehensabläufen ein, d. h. in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (st. Rspr., vgl. BGH Urt. v. 29. Juni 1982 - VI ZR 206/80, NJW 1982, 2447, 2448; BGH Urt. v. 22. September 1982 - VIII ZR 246/81, VersR 1982, 1145). Davon ist zwar auch das Berufungsgericht ausgegangen, es hat aber ersichtlich zu strenge Beweisanforderungen gestellt. Dies beruht offensichtlich darauf, daß es den Anscheinsbeweis als Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast verstanden hat. Das ist rechtsfehlerhaft. Der Anscheinsbeweis führt nach ständiger Rechtsprechung nicht zu einer Umkehr der Beweislast, sondern macht den Gegenbeweis nötig, wenn der Gegner eine atypische Folge behauptet (vgl. BGH Urt. v. 25. Oktober 1951 - III ZR 8/50, NJW 1952, 217; BGH Urt. v. 8. Dezember 1971 - IV ZR 81/70, NJW 1972, 1131).

15

Im Streitfall ist aufgrund des vom Berufungsgericht unterstellten Sachverhalts, von dem für die Prüfung in der Revisionsinstanz auszugehen ist, der Beweis des ersten Anscheins als geführt anzusehen. Das Berufungsgericht hat zugunsten der Klägerin unterstellt, daß in Verantwortung aller Beklagten Schallplattenhüllen für die vier streitigen Tonträger hergestellt worden seien. Aus diesem Verhalten hat es zunächst auch zutreffend gefolgert, daß es den Anschein einer Beteiligung an einem rechtsverletzenden Geschäft begründe, weil die Schallplattenhülle nur ihrem bestimmungsmäßigen Zweck dienen könne und nicht geeignet sei, als selbständiges Produkt den Endverbrauchern angeboten zu werden. Gleichwohl hat es diesen Anschein nicht ausreichen lassen, weil zur weiteren Verwertung der Hülle bis zum Verkauf der Schallplatten zahlreiche wirtschaftliche Vorgänge hinzutreten müßten, die an jeder beliebigen Stelle unterbrochen worden sein könnten. Anhaltspunkte für eine derartige Unterbrechung hat das Berufungsgericht indessen nicht festgestellt. Die Annahme, es entspreche nicht der Lebenserfahrung, daß alle geplanten Straftaten auch tatsächlich ausgeführt werden, besagt nichts. Schon allein die ohne Auftrag des Inhabers der Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte erfolgte Herstellung und Veräußerung der Schallplattenhüllen begründet eine - für die Annahme eines Anscheinsbeweises grundsätzlich ausreichende - erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, daß es nicht bei bloßen Vorbereitungshandlungen geblieben ist. Im Streitfall kommen überdies weitere Beweisanzeichen hinzu, die das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang rechtsfehlerhaft außer Acht gelassen hat. Das Berufungsgericht hätte zusätzlich berücksichtigen müssen, daß bei einem der für die Herstellung der Schallplattenhüllen Verantwortlichen, dem Beklagten zu 1, bei einer polizeilichen Durchsuchung Preßwerkzeuge für eine Reihe von Schallplatten - darunter auch für zwei der vier streitigen Tonträger, sichergestellt worden sind. Weiter hätte es beachten müssen, daß - was das Berufungsgericht bei seinen Ausführungen zur Schadenshöhe selbst unterstellt - von der Staatsanwaltschaft Raubpressungen der streitigen Tonträger asserviert worden sind. Ergänzend läßt sich auch die Erwägung der Revision anführen, daß schon wegen der Geheimhaltungsbedürftigkeit der illegalen Tätigkeit die nachgemachten Schallplattenhüllen nicht auf Vorrat produziert, sondern zum sofortigen Umschlag bestimmt sein müssen, um mit den Raubpressungen möglichst schnell im Markt zu verschwinden und daß daher die illegale Herstellung der Schallplattenhüllen, die Fälschung der Tonträger und die Verbreitung der Fälschungen regelmäßig in einem engen zeitlichen Zusammenhang erfolgen wird. All diese Umstände zusammengenommen stellen einen typischen Geschehensablauf dar, bei dem nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, daß die illegal hergestellten Schallplattenhüllen auch ihrer Zweckbestimmung entsprechend verwendet worden sind. Ein atypischer Geschehensablauf ist von den Beklagten bislang nicht dargetan worden.

16

(von der weiteren Darstellung wird abgesehen)