Bundesgerichtshof
Beschl. v. 10.07.1985, Az.: IVa ZB 8/85
Ermittlung eines Rechtmittelberechtigten durch Auslegung einer Berufungsschrift; Zurückweisung einer Berufung eines vierten Beklagten wegen Befinden des Namens auf der Rückseite des Urteils; Indiz für die Rechtskraft eines Urteils für einen Beklagten durch durch Tipp-Ex verdeckten Hinweis
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 10.07.1985
- Aktenzeichen
- IVa ZB 8/85
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1985, 13067
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Frankfurt am Main - 30.04.1985
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- VersR 1985, 970-971 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Über die Anforderungen an eine zur Zustellung geeignete Urteilsausfertigung (hier: unübersichtliche Bezeichnung der beklagten Parteien).
- 2.
Zu den wesentlichen Erfordernissen einer Berufungsschrift gehört die genaue Bezeichnung aller Streitgenossen, die Rechtsmittelführer sein sollen.
- 3.
Bei Anfertigung einer Berufungsschrift gehört es zu den Aufgaben des Anwalts, insbesondere auch die vorliegende Urteilsausfertigung auf die darin aufgeführten und als Rechtsmittelkläger in Betracht kommenden Streitgenossen sorgfältig zu überprüfen.
In dem Rechtsstreit
hat der IV a - Zivilsenat des Bundesgerichtshofes
durch
die Richter Rottmüller, Dr. Lang, Dr. Schmidt-Kessel, Dr. Zopfs und Dr. Ritter
am 10. Juli 1985
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 4) gegen den Beschluß des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. April 1985 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert beträgt 12.500,- DM.
Gründe
I.
Das gegen die Beklagten zu 1)-4) antragsgemäß erlassene Urteil des Landgerichts, wonach sie unter entsprechender Kostenverteilung zu je 1/4 an die Klägerin insgesamt 50.000,- DM nebst Zinsen zahlen müssen, ist dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 23. Oktober 1984 zugestellt worden. Die zugestellte Ausfertigung besteht aus 11 nur einseitig beschriebenen Blättern. Das erste Blatt, das Rubrum, Gerichtsbezeichnung und Tenor enthält, ist auf einem Urteilsvordruck geschrieben. Offenbar weil der auf dem Vordruck vorhandene Platz nicht ausreichte, alle vier Beklagten aufzunehmen, sind nur die Beklagten zu 1)-3) über dem vorgedruckten Wort "Beklagte" und der ebenfalls vorgedruckten Angabe des Prozeßbevollmächtigten aufgeführt. Ein ausdrücklicher Hinweis darauf, daß zu den Beklagten auch die Beklagte zu 4) gehört, findet sich auf der ersten Seite der zugestellten Ausfertigung nicht. Jedoch ist auf der Rückseite des ersten Blattes nach einem Sternchen die Beklagte zu 4) aufgeführt.
Der mit dem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten in einer Sozietät verbundene erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte beauftragte seine Sekretärin, die Berufungsschrift anzufertigen. Diese setzte als Berufungsklägerinnen nur die in der zugestellten Urteilsausfertigung auf dem Vordruck genannten Beklagten zu 1)-3) ein. Der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte unterschrieb diese Berufungsschrift, die dann am 22. November 1984 bei den Justizbehörden einging.
Durch den angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht die Berufung der Beklagten zu 4) als unzulässig verworfen, da die Zustellung der Ausfertigung nicht zu beanstanden sei und auch eine Auslegung der Berufungsschrift nicht ergebe, daß auch die Beklagte zu 4) Berufungsklägerin habe sein sollen. Den von der Beklagten zu 4) rechtzeitig gestellten und begründeten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Oberlandesgericht gleichzeitig zurückgewiesen, weil der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte nicht für eine korrekte Weiterleitung des Berufungsauftrages an den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten gesorgt habe.
II.
Die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 4) ist nicht begründet.
1.
Die Beklagte zu 4) hat die Berufungsfrist versäumt.
a)
Dem angefochtenen Beschluß ist darin zu folgen, daß die Zustellung der genannten Urteilsausfertigung die Berufungsfrist in Lauf setzte. Der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte, der das Empfangsbekenntnis unterzeichnet hat, konnte wegen seiner Kenntnis des Verfahrens nicht im Zweifel darüber sein, daß das Urteil gegen alle vier Beklagten ergangen war, wie auch sein Tenor ergab; bei der Durchsicht der Ausfertigung konnte ihm deshalb nicht verborgen bleiben, daß die Beklagte zu 4) ebenfalls, wenn auch auf der Rückseite, darin aufgeführt war. Allein auf seine Kenntnis als die des Zustellungsempfängers kommt es an (BGH Beschluß vom 23.4.1980 - VIII ZB 6/80 - VersR 1980, 771, 772 m.w.N.).
b)
Im Wege der Auslegung konnte der Berufungsschrift nicht entnommen werden, daß die Beklagte zu 4) weitere Berufungsklägerin sein sollte. Auch das hat der angefochtene Beschluß rechtsfehlerfrei ausgeführt. Die Person des Rechtsmittelklägers muß sich aus der Rechtsmittelschrift zweifelsfrei ergeben, wenn - wie hier - andere Unterlagen dem Rechtsmittelgericht innerhalb der Notfrist nicht vorliegen (BGHZ 21, 168 und 65, 114, 115 sowie Beschluß vom 25.6.1980 - VIII ZB 15/80 - VersR 1980, 1027). Allerdings wird als ausreichend angesehen, daß von mehreren Rechtsmittelgegnern nur der an der ersten Stelle stehende Berufungsbeklagte ausdrücklich genannt wird (BGH Urteil vom 19.3.1969 - VIII ZR 63/67 - NJW 1969, 928), oder daß die Streitgenossen zwar alle aufgeführt, jedoch nicht sämtlich ausdrücklich als Rechtsmittelgegner bezeichnet sind (BGH Urteil vom 21.6.1983 - VI ZR 245/81 - NJW 1984, 58 = LM ZPO § 518 Abs. 2 Ziff. 1 Nr. 8). Anders liegt es aber schon dann, wenn von mehreren Streitgenossen und Rechtsmittelgegnern nur einige genannt werden (BGH Beschluß vom 26.9.1961 - V ZB 24/61 - NJW 1961, 2347). Wegen der notwendigen Formenstrenge ist aber erst recht unabdingbar, daß alle Streitgenossen genannt werden, die Rechtsmittelführer sein sollen (BGH Beschluß vom 19.12.1975 - I ZB 14/75 - VersR 1976, 493).
2.
Der Beklagten zu 4) kann auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt werden. Sie war nicht ohne Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten verhindert, die Berufungsfrist zu wahren.
Prozeßbevollmächtigter der Beklagten zu 4) war im Zeitpunkt der Berufungseinlegung ihr zweitinstanzlicher Rechtsanwalt. Dieser mußte aus der ihm vorliegenden, vom Landgericht gefertigten und von Amts wegen zugestellten Urteilsausfertigung entnehmen, daß neben den auf dem Urteilsvordruck aufgeführten drei Beklagten noch, eine weitere Beklagte unterlegen war und deshalb Rechtsmittelklägerin sein sollte. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte vorwerfbar den Berufungsauftrag nicht korrekt weitergeleitet hat, wie das Oberlandesgericht meint.
Nach der durch die Vereinfachungsnovelle eingeführten Änderung des § 233 ZPO geht es allerdings nicht mehr darum, Zufälle abzuwenden, sofern dies nur irgend möglich ist, also um die äußerste Sorgfalt, Vielmehr hat der Rechtsanwalt die pflichtgemäße, im Einzelfall von ihm zu fordernde Sorgfalt walten zu lassen (Senatsbeschluß vom 17.2.1982 - IVa ZB 19/81 - VersR 1982, 495 m.w.N.). Die Durchsicht und Überprüfung eines Schriftsatzes, mit dem Berufung eingelegt werden soll, erfordert jedoch deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil es sich um einen bestimmenden Schriftsatz handelt. Dabei ist entscheidend, daß auf den in § 518 Abs. 2 ZPO genannten Inhalt und weiter auf die von der Rechtsprechung geforderte Angabe der Parteien, ihrer Beschwer und ihrer Rolle in der Rechtsmittelinstanz geachtet wird. Diese Angaben waren ohne Schwierigkeiten schon der ersten Urteilsseite der Ausfertigung zu entnehmen und in die Berufungsschrift zu übertragen.
Allerdings konnte das auf dieser Ausfertigung befindliche Rubrum auch bei einem aufmerksamen Betrachter den Eindruck erwecken, daß nur die drei über den Worten des Vordrucks "Beklagte" und "Prozeßbevollmächtigter" aufgeführten Parteien die Beklagten waren. Daß auf der ersten Seite der Ausfertigung in Höhe des Wortes "Beklagte" sich Spuren von Tipp-ex fluid befinden, die den auf dem Urteilsoriginal angebrachten Hinweis "* 4. s. Rücks." überdecken, war entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht auffällig; diese Spuren können nicht als Hinweis auf die nur auf der Rückseite vermerkte Beklagte zu 4) angesehen werden.
Entscheidend ist jedoch, daß der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte sich nicht damit begnügen durfte, das Rubrum zu vergleichen. Schon um die Frage beantworten zu können, ob die von ihm vertretenen Parteien, die Beklagten also, sämtlich durch das anzufechtende Urteil beschwert waren, mußte er jedenfalls außerdem den sofort unter dem Rubrum abgedruckten Tenor der Urteilsausfertigung durchlesen. Dabei konnte ihm nicht verborgen bleiben, daß neben den aus der ersten Seite der Ausfertigung ersichtlichen Beklagten zu 1) bis 3) auch die Beklagte zu 4) von der Entscheidung betroffen war. Die Beklagten waren verurteilt, die volle Klagsumme "zu je einem Viertel" zu zahlen und die Kosten des Rechtsstreits "zu je einem Viertel" zu tragen. Die auf der Rückseite aufgeführte Beklagte zu 4) mußte der Anwalt sofort bei dem nach diesem Tenor angezeigten Durchblättern der Ausfertigung bemerken, wenn ihn diese Auffälligkeit nicht ohnehin zu genauerer Prüfung veranlaßte.
Streitwertbeschluss:
Der Beschwerdewert beträgt 12.500,- DM.
Dr. Zopfs