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Bundesgerichtshof
Urt. v. 09.11.1984, Az.: 2 StR 257/84

Strafbarkeit wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln; Anforderungen an die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts; Voraussetzungen für die Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
09.11.1984
Aktenzeichen
2 StR 257/84
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1984, 11291
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Koblenz - 09.12.1983

Fundstellen

  • BGHSt 33, 66 - 69
  • EzSt BtMG § 30 Nr. 14
  • JZ 1985, 198
  • MDR 1985, 246-247 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1985, 690-691 (Volltext mit amtl. LS)
  • NStZ 1985, 319
  • StV 1985, 148-150

Verfahrensgegenstand

Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz u.a.

Amtlicher Leitsatz

Der Vorwurf der Leichtfertigkeit, die den Tod des Opfers verursacht, bezieht sich auf die Tathandlung - hier: Abgabe des Betäubungsmittels -, nicht auf ein danach liegendes Verhalten.

Redaktioneller Leitsatz

Zu den Anforderungen an eine leichtfertige Verursachung des Todes durch Abgabe von Betäubungsmitteln iSv § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, insbesondere zum Begriff der Leichtfertigkeit und zur Kausalität zwischen der Leichtfertigkeit und der Abgabe des Betäubungsmittels.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf Grund der Verhandlung vom 7. November 1984
in der Sitzung vom 9. November 1984,
an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mösl,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Müller, Theune, Niemöller, Gollwitzer als beisitzende Richter,
Staatsanwalt ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ... aus B. als Verteidiger des Angeklagten in der Verhandlung vom 7. November 1984,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. I.

    Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 9. Dezember 1983 wird

    1. 1.

      das Verfahren eingestellt, soweit sich der gegen den Angeklagten erhobene Tatvorwurf auf den Erwerb von Betäubungsmittels in der Zeit bis zum 31. Dezember 1981 bezieht.

      Die insoweit entstandenen Kosten des Verfahrens und notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last;

    2. 2.

      der Schuldspruch wie folgt geändert:

      Der Angeklagte Gerald H. ist schuldig in einem Fall der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, des Handeltreibens mit und des Erwerbs von Betäubungsmitteln - sämtlich in Tateinheit begangen - sowie in einem weiteren Fall der tateinheitlich begangenen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, des Handeltreibens mit und des Erwerbs von Betäubungsmitteln, der fahrlässigen Tötung und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

      Die Angeklagte Ulrike Ho. ist schuldig in einem Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und in einem weiteren Fall der tateinheitlich begangenen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, des Handeltreibens mit und des Erwerbs von Betäubungsmitteln und der fahrlässigen Tötung;

    3. 3.

      der Strafausspruch, auch soweit er die Angeklagte Ulrike Ho. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

  2. II.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  3. III.

    Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen, davon in einem Falle in Tateinheit mit leichtfertiger Verursachung des Todes eines anderen durch Abgabe von Betäubungsmitteln und mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen, eine Sperrfrist von drei Jahren bestimmt und die sichergestellten Betäubungsmittel eingezogen.

2

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts.

3

Das Rechtsmittel hat zum Teil Erfolg. Es führt zur Teileinstellung des Verfahrens, zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Änderung des Schuldspruchs ist teilweise auf die Mitangeklagte Ulrike Ho. zu erstrecken, was auch zur Aufhebung des sie betreffenden Strafausspruchs nötigt.

4

Die weitergehende Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Maßregel- und Einziehungsausspruch bleiben bestehen.

5

Die rechtliche Bewertung des festgestellten Sachverhalts ist nicht frei von Rechtsfehlern.

6

Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten (ebenso wie dasjenige der Mitangeklagten Ulrike Ho.) in zwei zeitliche Abschnitte zerlegt, deren erster von 1978 bis zum 20. Mai 1982 und deren zweiter vom 20. Juni bis zum 11. November 1982 reicht. Für jeden dieser Abschnitte hat es (auch bei der Mitangeklagten Ulrike Ho.) jeweils eine einzige Tat im Sinne des § 52 StGB angenommen. Dies ist rechtsfehlerhaft, beschwert den Angeklagten jedoch nur, soweit der erste Abschnitt in Rede steht, so daß es, was den zweiten Abschnitt angeht, bei der Annahme einer Tat bewenden kann.

7

Zum Teil ist die strafrechtliche Bewertung des festgestellten Sachverhalts rechtsfehlerhaft. Im einzelnen gilt:

8

I.

Der erste Abschnitt (1978 bis 20. Mai 1982)

9

1.

Zu Unrecht bezieht das Landgericht die für die Zeit von 1978 bis Ende 1981 festgestellten Erwerbshandlungen des Angeklagten in die Fortsetzungstat ein, die sich ab Januar 1982 (unter anderem auch) als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln darstellt.

10

Zwischen dem Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch und dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist angesichts der Ungleichartigkeit beider Tatbestände kein Fortsetzungszusammenhang möglich (BGH, Beschlüsse vom 2. Juni 1981 - 1 StR 176/81 - bei Schoreit NStZ 1982, 65 und 13. September 1983 - 5 StR 595/83; Körner, BtMG § 29 Rdn. 157); ein Fall, in dem Erwerb zum Eigenverbrauch tateinheitlich mit Handeltreiben zusammenträfe, liegt nicht vor.

11

Da es sich hiernach bei dem (fortgesetzten) Erwerb von Betäubungsmitteln in der Zeit von 1978 bis zum Jahresende 1981 um eine selbständige Tat handelt, ist das Verfahren insoweit einzustellen, da der Verfolgung dieser Tat ein Verfahrenshindernis entgegensteht. Sie war nicht Gegenstand der Anklagen, die im vorliegenden Verfahren erhoben worden sind. Die Anklageschrift vom 6. Juni 1983 (StA Koblenz, 102 Js 7094/82 = Bd. VI Bl. 719 ff d.A.) betraf die Zeit ab 23. Juni 1982, die Anklageschrift vom 16. Juli 1982 (StA Koblenz - 102 Js 6220/82 = Bd. V Bl. 564 ff d.A.) die Zeit ab Januar 1982. Soweit dem Angeklagten zur Last gelegt worden war, vor Januar 1982 Betäubungsmittel erworben (besessen, eingeführt und mit ihnen Handel getrieben) zu haben, hatte die Staatsanwaltschaft Koblenz mit Verfügung vom 16. Juli 1982 (Bd. V Bl. 562 d.A.) die Verfolgung gemäß § 154 a StPO beschränkt und damit diesen Tatvorwurf ausgeschieden. Nachtragsanklage ist nicht erhoben worden. Der dem Angeklagten im Hauptverhandlungstermin vom 2. Dezember 1983 gemäß § 265 StPO erteilte rechtliche Hinweis, die angeklagte Fortsetzungstat beginne für ihn möglicherweise bereits mit dem 18. Lebensjahr (Protokollband Bl. 22), vermochte die Tat nicht zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

12

Die hiernach gebotene Teileinstellung des Verfahrens ist nicht auf die Mitangeklagte Ulrike Ho. zu erstrecken, da sich bei ihr die Anklage auch auf Handlungen vor dem Jahresende 1981 bezog.

13

2.

Die Handlungen des Angeklagten in der Zeit vom 1. Januar bis 20. Mai 1982 - Fahrten nach Holland, Einkauf von Heroin zum Zwecke des Eigenverbrauchs und der Weiterveräußerung, Verbringen des Rauschgifts ins Inland - stellen sich hinsichtlich der Gesamtmenge des über die Grenze gebrachten Heroins als (fortgesetzte) Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge dar (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG). Tateinheitlich damit hat der Angeklagte mit Bezug auf das zum Weiterverkauf bestimmte Rauschgift den Tatbestand des Handeltreibens verwirklicht. Dabei geht die Einfuhr nicht geringer Mengen keineswegs - wie das Landgericht offenbar annimmt - im Handeltreiben auf (BGHSt 31, 163); das wäre nur bei der Einfuhr solcher Mengen der Fall, die unterhalb der nicht geringen Menge bleiben (BGH, Beschluß vom 18. Juli 1984 - 3 StR 224/84). Hinsichtlich derjenigen Mengen, die dem Eigenkonsum des Angeklagten dienen sollten, liegt zugleich Erwerb von Betäubungsmitteln vor, der mit dem Handeltreiben und damit auch mit der Einfuhr in Tateinheit steht (BGH, Urteil vom 20. April 1977 - 2 StR 120/77). Der Angeklagte ist demgemäß der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben und Erwerb schuldig.

14

Das Landgericht hat lediglich das Handeltreiben in den Schuldspruch aufgenommen. Das hindert den Senat jedoch nicht, die unterlassene Verurteilung wegen Einfuhr nicht geringer Mengen und wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln nachzuholen. Das Verschlechterungsverbot, das sich nur auf die Rechtsfolgen, nicht aber auf den Schuldspruch bezieht (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO), steht dem nicht entgegen.

15

Die Änderung des Schuldspruchs ist, soweit sie sich auf den hier erörterten Tatzeitraum bezieht, nicht auf die Mitangeklagte Ulrike Ho. zu erstrecken, weil sie zwar keine verbotene Verschlechterung darstellt, andererseits aber auch nicht zugunsten des Angeklagten wirkt (§ 357 StPO).

16

II.

Der zweite Abschnitt (20. Juni bis 11. November 1982)

17

1.

Keinen Bestand hat die Verurteilung des Angeklagten wegen leichtfertiger Verursachung des Todes eines anderen durch Abgabe von Betäubungsmitteln (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG).

18

Das Landgericht hat hierzu folgendes festgestellt:

19

Als die Mitangeklagte Ulrike Ho. in der Nacht zum 22. August 1982 mit 2 g Heroin aus Amsterdam zurückgekehrt war, setzten sich sie und der Angeklagte je eine Spritze aus ungefähr 1/10 g Heroin und stellten fest, daß der Stoff eine stärkere Wirkung hatte als sonst. Später erschien Bernhard O., der am Abend zwei bis drei Bier getrunken hatte. Auf den Angeklagten und die Mitangeklagte Ulrike Ho. wirkte er "aufgekratzt". Sie dachten, er habe vielleicht "Speed" genommen; auch bemerkten sie bei ihm eine "leichte Alkoholfahne". Der Angeklagte und die Mitangeklagte Ulrike Ho. händigten O. 3/4 g Heroin aus, wobei ihn der Angeklagte darauf hinwies, daß der Stoff nicht gestreckt sei und eine starke Wirkung habe. O. nahm sodann ungefähr 1/10 g Heroin, löste es in Zitronensäure, kochte das Gemisch auf und setzte sich damit eine Spritze. Wenig später kippte er um und verlor das Bewußtsein. Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. O. starb, wofür das injizierte Heroin zumindest mitursächlich war (UA S. 14-18).

20

a)

Dieser Sachverhalt rechtfertigt die Verurteilung des Angeklagten wegen leichtfertiger Todesverursachung durch Betäubungsmittelabgabe nicht. Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Angeklagte insoweit nicht leichtfertig gehandelt. Mit Leichtfertigkeit umschreibt das Gesetz ein Verhalten, das - bezogen auf den Todeseintritt - einen hohen Grad von Fahrlässigkeit aufweist (BGH bei Dallinger MDR 1973, 728), also in grobem Maße fahrlässig ist (BGH bei Dallinger MDR 1975, 543). Damit deckt sich der auch vom Landgericht zugrunde gelegte Begriff der "groben Achtlosigkeit" (Körner, BtMG § 30 Rdn. 19). Leichtfertig handelt hiernach, wer die sich ihm aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit außer acht läßt (vgl. Herdegen in LK StGB 10. Aufl. § 251 Rdn. 8; Joachimski, BtMG 3. Aufl. § 30 Anm. 4 c).

21

Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Bernhard O. war dem Angeklagten bereits als Heroinkonsument bekannt; er hatte noch eine Woche zuvor von ihm und der Mitangeklagten Ulrike Ho. Heroin erworben und es in Gegenwart beider - offenbar ohne sogleich auffällige Folgen - injiziert (UA S. 14). Er befand sich im Zeitpunkt des Vorfalls in einem "guten Allgemeinzustand" (UA S. 18). Der Angeklagte und die Mitangeklagte Ulrike Ho. hatten sich vor Abgabe des Heroins dieselbe Menge des gleichen Stoffes gespritzt, die den Tod Orthens dann mitverursachte; sie hatten dabei zwar eine stärkere Wirkung als sonst verspürt, aber keine akut lebensbedrohliche Verschlechterung ihres Befindens wahrgenommen. Wenn der Angeklagte unter diesen Umständen den Tod O. als Folge der - mit dem Hinweis auf die Beschaffenheit des Stoffs und seine starke Wirkung verbundenen - Abgabe des Heroins nicht in Betracht zog, so liegt darin jedenfalls keine Leichtfertigkeit. Daran ändert auch nichts, daß er bei O. eine "leichte Alkoholfahne" bemerkt hatte, und dieser - wie der Angeklagte wußte - sich sogleich eine Heroinspritze setzen wollte. Einerseits war die Alkoholisierung O. gering - er hatte lediglich zwei bis drei Bier getrunken -, andererseits hatte der Angeklagte selbst an jenem Abend bereits mehrere Pfeifen Haschisch geraucht, ohne durch die Kombinationswirkung der beiden Rauschmittel in einen akut lebensbedrohlichen Zustand versetzt worden zu sein.

22

Soweit das Landgericht den Vorwurf der Leichtfertigkeit darauf stützt, daß der Angeklagte - ebenso wie die Mitangeklagte Ulrike Ho. - dachte, O. habe vielleicht "Speed" genommen, muß dieser Umstand schon deshalb außer Betracht bleiben, weil nicht festgestellt ist, ob diese ihre Vermutung tatsächlich zutraf.

23

Fehl geht des weiteren die Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe insbesondere deshalb leichtfertig im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG gehandelt, weil er "nach Eintritt der Bewußtlosigkeit" O. nicht alsbald dessen ärztliche Behandlung veranlaßte (UA S. 44).

24

Die verschärfte Strafdrohung des Gesetzes gilt demjenigen, der Betäubungsmittel abgibt und dadurch leichtfertig den Tod eines anderen verursacht. Der Vorwurf der Leichtfertigkeit bezieht sich demgemäß auf die Tathandlung der Abgabe, nicht auf ein danach liegendes Verhalten. Der Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG unterscheidet sich insoweit nicht von jenen Qualifizierungstatbeständen und gesetzlichen Regelbeispielen besonders schwerer Fälle, bei denen ausdrücklich vorausgesetzt ist, daß "durch die Tat" leichtfertig der Tod eines Menschen verursacht wird (§ 177 Abs. 3, § 178 Abs. 3, § 239 a Abs. 2, § 239 b Abs. 2, § 251, § 310 b Abs. 3 Satz 2, § 311 Abs. 3, § 311 a Abs. 3 Satz 2, § 311 e Abs. 3 Satz 2, § 316 c Abs. 2, § 330 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 StGB). Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Erörterung, ob die "Tat" im Sinne der genannten Vorschriften nur bis zu ihrer Vollendung oder bis zu ihrer Beendigung reicht (vgl. zu dieser Streitfrage im Rahmen des § 251 StGB etwa: Herdegen in LK StGB 10. Aufl. § 251 Rdn. 7 mit Nachweisen). Denn bei der Abgabe von Betäubungsmitteln, also der Übertragung der tatsächlichen Verfügungsgewalt auf den Empfänger (Körner, BtMG § 29 Rdn. 126 mit Nachweisen), fallen Vollendung und Beendigung stets zusammen. Im Sinne beider Begriffe reichte die Tathandlung der Abgabe nicht über den Zeitpunkt hinaus, in dem O. das für ihn bestimmte Heroin von dem Angeklagten und der Mitangeklagten Ulrike Ho. ausgehändigt bekam. Ein leichtfertiges Verhalten der Angeklagten, das erst nach diesem Zeitpunkt einsetzte, kann mangels der gesetzlich geforderten Verknüpfung mit der Tathandlung der Abgabe den Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG nicht erfüllen. Demgemäß entfällt der Vorwurf der leichtfertigen Todesverursachung durch Betäubungsmittelabgabe.

25

b)

Die Aushändigung des Heroins stellt sich auch nicht als Tötungsdelikt, insbesondere nicht als fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) dar. Der Tod O. beruhte auf einer eigenverantwortlich gewollten Selbstgefährdung; es verwirklichte sich das von ihm bewußt, insbesondere in Kenntnis aller hierfür maßgeblichen Umstände eingegangene Risiko. O. war von dem Angeklagten bei der Abgabe des Heroins darauf hingewiesen worden, daß der Stoff noch nicht gestreckt sei und eine starke Wirkung habe; er befand sich, obwohl er "aufgekratzt" wirkte und - geringfügig - Alkohol getrunken hatte, nicht in einem Zustand, der eigenverantwortliches Handeln und Entscheiden ausschließen konnte. Ein solcher Zustand mag bei einem Heroinsüchtigen vorliegen, der an einer Intoxikationspsychose leidet, unter dem Zwang seiner Sucht steht und sich in unbeherrschter Gier nach dem Rauschgift sogleich eine todbringende Injektion setzt (BGH Strafverteidiger 1983, 148 f). Dafür, daß O. sich in einem solchen, seine freie Selbstbestimmung ausschließenden (oder auch nur erheblich beeinträchtigenden) Zustand befand, bieten die Feststellungen keinerlei Anhalt. Wer aber - wie der Angeklagte durch Aushändigung des Heroins an O. - lediglich eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung veranlaßt, ermöglicht oder fördert, macht sich, auch wenn sich das Risiko dann realisiert, nicht eines Tötungsdelikts schuldig (BGHSt 32, 262 [BGH 14.02.1984 - 1 StR 808/83]).

26

c)

Anders zu bewerten ist dagegen das Verhalten des Angeklagten in der Zeitspanne zwischen dem Zusammenbruch O. und dessen Tod. Insoweit hat das Landgericht im wesentlichen folgendes festgestellt:

27

Nachdem Wiederbelebungsversuche - Schläge mit der Hand, Behandlung mit Wasser, Injektion einer Kochsalzlösung - erfolglos verlaufen waren, baten der Angeklagte und die Mitangeklagte Ulrike Ho. den Mitangeklagten L., er möge den bewußtlosen O. zu einem Arzt fahren. L. weigerte sich mit dem Bemerken, das sei nicht "sein Bier"; er schlug seinerseits vor, einen Krankenwagen zu rufen. Dies wiederum erschien der Mitangeklagten Ulrike Ho. zu gefährlich: sie befürchtete, daß dadurch die Abgabe des Heroins entdeckt und die ihrem Ehemann, dem Angeklagten, gewährte Haftverschonung aufgehoben werden könnte; deshalb lehnte sie die Herbeiholung eines Krankenwagens ab. Der Angeklagte war damit einverstanden, obwohl er - ebenso wie die Mitangeklagte Ulrike Ho. - damit rechnete, daß O. ohne ärztliche Hilfe sterben könnte. Auf Vorschlag der Mitangeklagten Ulrike Ho. schaffte man O., der zu Beginn des Transports noch lebte, aus der Wohnung, fuhr ihn in seinem eigenen Wagen zu einem Obstgarten, setzte ihn dort auf den Fahrersitz und überließ ihn seinem Schicksal.

28

Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten, nachdem O. bewußtlos geworden war, nicht nur - wie bereits dargelegt - zu Unrecht dem Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG zugeordnet, sondern sich dadurch zugleich den Zugang zur richtigen rechtlichen Bewertung versperrt. Wohl trifft es zu, daß die Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten wegen (vollendeten oder versuchten) Totschlags durch Unterlassen nicht tragen, zumal das Landgericht nicht auszuschließen vermochte, daß ärztliche Hilfe für O. bereits in dem Zeitpunkt zu spät gekommen wäre, als der Angeklagte - möglicherweise mehr als eine halbe Stunde nach Eintritt der Bewußtlosigkeit O. - erstmals mit dessen Tod rechnete und sich damit abfand (UA S. 16, 47). Weitere Feststellungen dazu, wann O. gestorben ist, bis zu welchem Zeitpunkt sein Leben durch ärztliche Hilfe noch zu retten (oder nicht unwesentlich zu verlängern) gewesen wäre und welche Vorstellungen sich der Angeklagte insoweit gemacht hat, sind nach Lage der Sache ausgeschlossen.

29

Die bereits getroffenen Feststellungen rechtfertigen indessen die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung. Der Angeklagte hätte sofort, nachdem O. zusammengebrochen und bewußtlos geworden war, einen Arzt zuziehen müssen. Für ihn war bei Aufwendung der objektiv gebotenen und ihm auch subjektiv zumutbaren Sorgfalt vorhersehbar, daß O. sterben könne, falls ihm nicht alsbald ärztliche Hilfe zuteil werde. Die unterlassene Zuziehung eines Arztes war auch ursächlich für O. Tod. Wäre Orthen nach Eintritt der Bewußtlosigkeit alsbald in ärztliche Behandlung verbracht worden, hätte er - wie eindeutig festgestellt ist (UA S. 18) - "auf jeden Fall gerettet werden können".

30

Die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung scheitert nicht daran, daß ihm - wie das Landgericht zu Unrecht meint (UA S. 45 a ff) - eine Garantenstellung gefehlt hätte, aus der sich die Pflicht zur Erfolgsabwendung ergibt. Der Angeklagte war gemäß § 13 StGB unter dem Gesichtspunkt vorhergegangenen Tuns verpflichtet, den Tod O. abzuwenden, weil er durch das pflichtwidrige und strafbare Überlassen des Heroins an O. die mit dessen Bewußtlosigkeit eingetretene Gefahrenlage herbeigeführt hatte. Seiner Handlungspflicht steht nicht entgegen, daß er zunächst durch sein Verhalten dem Opfer - mit dessen Einverständnis - nur eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung ermöglicht hat. Die Straflosigkeit dieses Verhaltens im Hinblick auf die Herbeiführung des Risikos ändert nichts daran, daß für den Täter Garantenpflichten in dem Zeitpunkt entstehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Sobald eine solche Gefahrenlage eintritt, ist der Täter, der sie mit herbeigeführt hat, verpflichtet, den drohenden Erfolg - hier den Tod des Opfers - abzuwenden (BGH NStZ 1984, 452).

31

Dem Angeklagten war auch zuzumuten, sofort nach Eintritt der Bewußtlosigkeit O. für ärztliche Hilfe zu sorgen. Daran ändert es nichts, daß er sich damit selbst der Strafverfolgung wegen eines Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz ausgesetzt hätte (BGH a.a.O.).

32

2.

Wie bereits dargelegt, beschwert es den Angeklagten nicht, daß die vom Landgericht zu Unrecht als Verbrechen nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG gewertete, bei zutreffender Würdigung als fahrlässige Tötung zu qualifizierende Tat mit weiteren Delikten nach dem Betäubungsmittelgesetz und einem Vergehen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer einzigen Tat im Sinne des § 52 StGB zusammengefaßt worden ist. Dabei kann es bewenden.

33

Der Schuldspruch ist jedoch aus denselben Gründen, wie sie oben (I 2) angeführt worden sind, dahin zu ändern, daß der Angeklagte, was die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz angeht, der tateinheitlich begangenen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, des Handeltreibens mit und des Erwerbs von Betäubungsmitteln schuldig ist. Damit sind sämtliche Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz in der Zeit vom 20. Juni bis 11. November 1982 erfaßt. Fahrlässige Tötung und Fahren ohne Fahrerlaubnis treten - in Tateinheit damit stehend - hinzu.

34

Der Änderung des Schuldspruchs steht § 265 StPO nicht entgegen. Der Angeklagte ist - ebenso wie die Mitangeklagte Ulrike Ho. - in der Hauptverhandlung darauf hingewiesen worden, daß auch eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung in Betracht kommen könne (Protokollband Bl. 29). Soweit im Bereich der Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz etwa erforderliche rechtliche Hinweise unterblieben sind, läßt sich unter den gegebenen Umständen ausschließen, daß sich der Angeklagte bei ihrer Erteilung wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Den festgestellten Umgang mit Betäubungsmitteln hat er eingeräumt (UA S. 20). Das gilt auch für die eingeführten Mengen.

35

Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

36

Entsprechendes gilt für die Mitangeklagte Ulrike Ho.. Auf sie ist die Änderung des Schuldspruchs hier - anders als im Tatkomplex des ersten Abschnitts (I) - zu erstrecken, obgleich sie keine Revision eingelegt hat. Die Änderung des Schuldspruchs wirkt zugunsten des Angeklagten. Es bedarf keiner Erörterung, daß fahrlässige Tötung weniger schwer wiegt als ein Verbrechen nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 BtMG. Dieser Vorteil, der mit der Schuldspruchänderung für den Angeklagten verbunden ist, wird auch nicht dadurch ausgeglichen, daß zum bisher allein im Schuldspruch erscheinenden Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nun die tateinheitlich begangene Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) hinzutritt. Denn obgleich auch die Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge dem Verbrechenstatbestand des § 30 BtMG unterfällt, ist doch der Unrechtsgehalt einer leichtfertigen Todesverursachung durch Abgabe von Betäubungsmitteln - abstrakt gesehen - größer.

37

Auch bei der Mitangeklagten Ulrike Ho. führt die hiernach gebotene Erstreckung der Schuldspruchänderung zur Aufhebung des Strafausspruchs.

38

III.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung wird darauf hingewiesen, daß die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) nicht - wie es im angefochtenen Urteil geschehen ist (UA S. 64 f) - deshalb unterbleiben darf, weil das Gericht der Auffassung ist, der Zweck der Unterbringung könne "durch die flexiblere und speziell auf Betäubungsmittelabhängigkeit zugeschnittene vollstreckungsrechtliche Lösung des § 35 BtMG erreicht werden". Liegen die Voraussetzungen des § 64 StGB vor, so hat das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anzuordnen (BGHSt 28, 327 f; BGH, Urteil vom 9. Dezember 1980 - 1 StR 583/80). Der neu entscheidende Tatrichter ist auch durch das Verschlechterungsverbot nicht gehindert, die bisher unterbliebene Unterbringungsanordnung nachzuholen, falls deren Voraussetzungen im Zeitpunkt der neuen Hauptverhandlung gegeben sind (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Vorsorglich wird bemerkt, daß Strafbemessung und Unterbringungsanordnung nach Möglichkeit zu einer sinnvollen Wirkungseinheit zu verbinden und aufeinander abzustimmen sind (hierzu wie auch zu den Maßstäben für die Bestimmung der Vollstreckungsreihenfolge vgl. BGH, Beschluß vom 28. September 1984 - 2 StR 568/84).

39

Der Angeklagte hat die nach der Teileinstellung des Verfahrens verbleibenden Taten als Erwachsener begangen. Gleichwohl muß die Sache schon deshalb an eine Jugendkammer zurückverwiesen werden, weil auch über den Strafausspruch gegen die Mitangeklagte Ulrike Ho. neu zu verhandeln ist. Was den Angeklagten betrifft, so wird bei Verhängung einer Freiheitsstrafe die in BGHSt 29, 269 näher erläuterte Auswirkung des Verschlechterungsverbots zu beachten sein.

Vorsitzender Richter am BGH Dr. Mösl kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben. Müller
Müller
Theune
Niemöller
Gollwitzer