Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.03.1984, Az.: 3 StR 36/84
Auswirkungen einer Alkoholkonzentration von 2,4 Promille auf die Schuldfähigkeit; Krankhaftes Außmaß seelischer Störungen und schwere neurotische Entwicklung im Zusammenhang mit der Alkoholisierung; Rechtlich zulässige Auslegung strafrechtlich erheblicher, mündlicher wie schriftlicher Erklärungen durch den Tatrichter; Verwendung der Parole "Tod dem Klerus" an öffentlich zugänglichen Häuserwänden und Fenstern, als öffentliche Aufforderung zu Straftaten; Begriff der Aufforderung im Sinne des § 111 Strafgesetzbuch (StGB)
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 14.03.1984
- Aktenzeichen
- 3 StR 36/84
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1984, 11344
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Würzburg - 13.10.1983
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BGHSt 32, 310 - 313
- MDR 1984, 595-596 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1984, 1631-1632 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Fortgesetztes Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen u. a.
Amtlicher Leitsatz
Zum Begriff des Aufforderns in den §§ 111, 130 Nr. 2 StGB (hier: Parolen an Wänden).
In der Strafsache
hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
in der Sitzung vom 14. März 1984,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Schmidt,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schauenburg, Laufhütte, Dr. Gribbohm, Zschockelt als beisitzende Richter,
Bundesanwalt S... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte H...als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 13. Oktober 1983 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Volksverhetzung (begangen in der Nacht vom 22. auf den 23. August 1980) sowie wegen Sachbeschädigung (begangen in der Nacht vom 23. auf den 24. August 1980) unter Einbeziehung einer anderen Strafe zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
1.
Die Ausführungen der Strafkammer zu der Frage, ob der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig gewesen ist, halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
Der Angeklagte war, als er die beiden ihm zur Last gelegten Taten beging, erheblich alkoholisiert. Bei Beginn seiner ersten fortgesetzten Tat am 22. August 1980 gegen 23.00 Uhr betrug seine Blutalkoholkonzentration maximal 2,4 Promille (UA S. 23). Bei Beginn der zweiten Tat am 23. August 1980 gegen 23.55 Uhr kann diese 3 Promille betragen haben (UA S. 24).
a)
Der letzte Wert liegt bei der Grenze, von der ab nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besonderer Anlaß zu der Prüfung besteht, ob der Täter schuldunfähig gewesen ist (BGH bei Holtz MDR 1976, 632; BGH, Urteil vom 23. Mai 1978 - 1 StR 131/78; Beschluß vom 30. August 1978 - 3 StR 300/78; ständige Rechtsprechung).
Zwar kann im Einzelfall trotz einer Alkoholkonzentration, wie sie beim Angeklagten am Abend des 23. August 1980 vorlag, Schuldfähigkeit gegeben sein (BGH GA 1974, 344; BGH, Urteil vom 25. Juli 1978 - 1 StR 260/78). Deren Bejahung bedarf dann jedoch stets eingehender Begründung (BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 1977 - 3 StR 248/77 -und vom 30. August 1978 - 3 StR 300/78). Es kommt daher auf die Umstände des Einzelfalles an, wobei Alkoholverträglichkeit, allgemeine körperliche und seelische Verfassung zur Tatzeit, vorangegangene Nahrungsaufnahme und Trinkgeschwindigkeit eine wesentliche Rolle spielen (BGH VRS 23, 209, 210; BGH bei Holtz MDR 1976, 632). Eine solche eingehende Prüfung läßt das angefochtene Urteil vermissen.
Das Landgericht führt im Rahmen der Prüfung der Frage, ob der Angeklagte bei Begehung der zweiten Tat schuldfähig gewesen ist, lediglich aus, der Angeklagte habe nach dem Gutachten des Sachverständigen gezielt gehandelt und sei noch zu differenzierten Handlungen in der Lage gewesen (UA S. 24). Diesen Umständen kommt aber für die Frage der Schuldfähigkeit nur ein begrenzter Beweiswert zu. Sie mögen zwar dafür, ob der Täter im Alkoholrausch noch die Tragweite seiner Handlung erkennt, von ausschlaggebender Bedeutung sein, nicht aber dafür, ob er noch in der Lage war, nach seiner Einsicht zu handeln (BGHSt 1, 384, 385; BGH GA 1955, 269, 271; BGH VRS 23, 209, 211; BGH, Beschluß vom 6. Juli 1977 - 3 StR 248/77).
Ob das Landgericht dies bei der Prüfung der Schuldfähigkeit hinreichend bedacht hat, kann seinen Ausführungen nicht entnommen werden.
b)
Dies gilt entsprechend auch für die Ausführungen des Landgerichts dazu, ob der Angeklagte bei Begehung der ersten Tat schuldfähig gewesen ist. Wegen der dort gegebenen, im Verhältnis zur zweiten Tat geringeren Alkoholbeeinträchtigung wäre dies allerdings unter Umständen nicht von entscheidender Bedeutung, wenn das Urteil nicht einen weiteren Begründungsmangel aufwiese.
Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. J..., die vom Landgericht mitgeteilt werden, liegt beim Angeklagten "ein krankhaftes Ausmaß der seelischen Störungen, nämlich eine schwere neurotische Entwicklung, vor" (UA S. 25). Der Tatrichter hatte Bedenken, ob allein deswegen von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit auszugehen sei. Diese Bedenken könnten, so hat das Landgericht ausgeführt, auf sich beruhen, weil jedenfalls nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. M... in Verbindung mit dem übermäßig genossenen Alkohol eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit angenommen werden müsse. Der Grad der Schuldunfähigkeit werde nicht erreicht.
Nicht ausgeführt hat das Landgericht, aus welchen Gründen Schuldfähigkeit auch dann zu bejahen ist, wenn man dem Gutachten der Sachverständigen Dr. J... folgt. Dies wäre aber erforderlich gewesen.
Nach dem Gutachten der Sachverständigen Dr. J... könnten die neurotischen Züge in der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten so schwerwiegend sein, daß sie als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB zu bezeichnen sind [vgl. dazu BGH bei Holtz MDR 1979, 105 [OLG Stuttgart 07.02.1979 - 3 Ss 3 24/79]; Urteil vom 13. Mai 1983 - 3 StR 22/83 (S)]. Dieser Zustand kann im Zusammenwirken mit Alkoholbeeinflussung zu Schuldunfähigkeit geführt haben, wie den Ausführungen der Sachverständigen Dr. J... entnommen werden kann, die das Urteil bei der Würdigung der Frage mitteilt, ob die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen. Danach ist der Alkohol der "letzte Tropfen gewesen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat" (UA S. 32). Eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie der Hinweis zu verstehen ist, ob etwa eine schwere andere seelische Abartigkeit im Zusammenwirken mit auch geringer Alkoholbeeinflussung zu Schuldunfähigkeit des Angeklagten führt, fehlt im angefochtenen Urteil. Dies stellt einen sachlichrechtlichen Mangel dar, der die Aufhebung des gesamten Schuldspruchs notwendig macht.
2.
Soweit die Schuldsprüche wegen Sachbeschädigung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Frage stehen, läßt das Urteil im übrigen keine Rechtsfehler erkennen. Das gilt indes nicht für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe bei der ihm zur Last gelegten ersten Tat zugleich gegen § 111 Abs. 2 StGB und gegen § 130 Nr. 2 StGB verstoßen.
a)
Der Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten setzt eine bestimmte Erklärung an die Motivation anderer voraus, bestimmte Straftaten zu begehen (BGHSt 28, 312, 314). Die Aufforderung muß - dem Auffordernden bewußt - den Eindruck der Ernstlichkeit machen und diesen Eindruck machen sollen, braucht aber nicht ernst gemeint zu sein (von Bubnoff in LK, 10. Aufl. § 111 Rdn 8).
Die Feststellung, ob Parolen, die der Angeklagte an öffentlich zugänglichen Häuserwänden und Fenstern angebracht hat ("Tod dem K...", "Tod W... und B...", "Tötet C...", "Hängt B..."), diese Voraussetzungen erfüllen, obliegt dem Landgericht. Denn die Auslegung mündlicher wie schriftlicher Erklärungen ist Sache des Tatrichters (BGHSt 21, 371, 372). Das Revisionsgericht ist an sie gebunden, wenn die Erwägungen, auf denen sie beruht, rechtlich fehlerfrei sind und Umstände berücksichtigt, die ihr entgegenstehen könnten. Insoweit ist das angefochtene Urteil nicht mängelfrei. Bei Aussprüchen, wie sie der Angeklagte verwandt hat, versteht sich der Aufforderungscharakter nicht von selbst. Dieser bedarf deshalb näherer Darlegung, die im angefochtenen Urteil fehlt. Die Strafkammer hat lediglich ausgeführt, der Angeklagte habe gewußt und gewollt, daß die Parolen als Aufforderung, "die katholischen Priester sowie die Politiker B..., W... und C... zu töten", "aufgefaßt und ernst genommen werden" (UA S. 19, vgl. auch UA S. 27). Sie hat sich nicht damit auseinandergesetzt, ob das, was der Angeklagte danach gewußt und gewollt hat, in der Öffentlichkeit auch objektiv so verstanden worden ist.
aa)
Die Formulierungen "Tod dem Klerus" und "Tod W... und B..." lassen zwar erkennen, daß der Tod der beiden Politiker und des Personenkreises, der mit dem Begriff Klerus umrissen ist, nach Meinung des sie Äußernden erwünscht ist. Vom Wortsinn her bleibt aber offen, ob der Tod durch eine strafbare Handlung herbeigeführt werden soll. Bei beiden Parolen kommt hinzu, daß sie verbal nicht zu einer Handlung auffordern und deshalb lediglich das Erwünschtsein des Todes der genannten Personen zum Ausdruck bringen. Auch wenn dennoch das Einverständnis mit einer Straftat gemeint sein sollte, so wäre das bloße Gutheißen solcher Straftaten nicht mit einer Aufforderung dazu gleichzusetzen. Die Erklärung, eine Straftat sei begrüßenswert, notwendig oder unvermeidbar, ist, wenn in ihr nicht die Kundgebung liegt, einen anderen zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen bringen zu wollen (vgl. von Bubnoff aaO Rdn 9), keine Aufforderung zu Straftaten, sondern lediglich die Befürwortung von solchen (BGHSt 28, 312, 314). Nach Streichung des § 88 a StGB durch das 19. Strafrechtsänderungsgesetz vom 7. August 1981 (BGBl I S. 808) ist die Befürwortung von Straftaten nicht mehr mit Strafe bedroht.
bb)
Kommt den Parolen dennoch Aufforderungscharakter zu, wozu es allerdings näherer Darlegung der Umstände des Falles, die trotz des dem nicht entsprechenden Wortlautes zu dieser Auslegung drängen, bedurft hätte, so versteht sich die Frage der Konkretisierung der Straftat, zu der aufgefordert wird, zumindest bei der Parole "Tod dem Klerus" nicht von selbst. Zwar braucht die Tat, zu der aufgefordert wird, nicht in der Weise konkretisiert zu sein, wie dies bei der Anstiftung zu einer Straftat (§ 26 StGB) oder der Bestimmung zu Straftaten (§ 30 StGB) verlangt wird (Dreher/Tröndle, StGB 41. Aufl. § 111 Rdn 4 mit Nachweisen). Es genügt, daß sie der Art nach - hier als Tötungsdelikt - ohne Bestimmung von Ort und Zeit ihrer Begehung gekennzeichnet wird. Das Opfer muß jedoch, wenn auch nur in allgemeinen Wendungen (BGHSt 31, 16, 22), genannt werden. Dies könnte bei dem vom Angeklagten mit dem Begriff "Klerus" umrissenen Personenkreis etwa dann der Fall sein, wenn er dazu aufgefordert hätte, jedes Mitglied des katholischen Klerus oder wahllos irgendeines der Mitglieder zu töten. Das Landgericht führt dazu aus, daß der "örtlich zuständige katholische Priester ... unmittelbar erreichbar gewesen" sei (UA S. 27). Daß zu seiner Tötung aufgefordert worden ist, ergibt sich aus diesem Umstand aber allein noch nicht bei einer Wendung, die zahllose Personen in aller Welt umschließt und so allgemein gehalten ist, daß es ebenso naheliegt, sie als Unmutsäußerung über eine dem Angeklagten mißliebige Institution, für die der Klerus Verantwortung trägt, zu verstehen und nicht als Auffordern zur Tötung von bestimmten Mitgliedern dieser Institution.
cc)
Die Parole "Tötet C..." und die nach Auffassung der Strafkammer trotz ihrer Verstümmelung verständlichen Parolen (nämlich: tötet C..., hängt B...) fordern zwar verbal zu einem strafbaren Verhalten an bestimmt bezeichneten Personen auf. Ob sie objektiv den Eindruck erweckten, die Aufforderung sei ernstlich gemeint, bedarf aber der Prüfung, da nicht von vornherein auszuschließen ist, daß sie als unpassende Unmutsäußerungen eines Außenseiters zu verstehen sind, der in ungehöriger Form sein Mißfallen über die genannten Politiker zum Ausdruck bringen wollte. Das Landgericht hat dazu keine näheren Ausführungen gemacht. Es beschränkt sich vielmehr lediglich auf die Prüfung, ob der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat, ohne bei seiner Bewertung, was ebenfalls ein Rechtsfehler ist, die nach den Angaben der Sachverständigen Dr. J... abnorme Persönlichkeit des Angeklagten und seine bei der Tat erhebliche Alkoholisierung zu berücksichtigen.
b)
Der Tatbestand der Volksverhetzung setzt in der vom Landgericht angenommenen Alternative des § 130 Nr. 2 StGB - von den sonstigen Merkmalen der Vorschrift abgesehen (vgl. zum Merkmal des Angriffs auf die Menschenwürde BGHSt 21, 371, 373) - eine Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung voraus. Der Begriff der Aufforderung ist wie in § 111 StGB auszulegen (von Bubnoff aaO § 130 Rdn 8). Er verlangt also eine bestimmte Erklärung an die Motivation anderer, die den Eindruck der Ernstlichkeit erweckt und erwecken soll.
Die Parolen "Juden raus", "Ausländer raus" und "Türken raus" enthalten nach ihrem Wortlaut keine Aufforderung an andere, gegen die genannten Personengruppen bestimmte Maßnahmen zu ergreifen. Das Landgericht ist der Auffassung, durch die Anbringung des Hakenkreuzsymbols neben den Parolen sei deutlich geworden, daß der Angeklagte "eine nicht verfassungs- und gesetzmäßige gewaltsame Vertreibung der in der Bundesrepublik lebenden ausländischen Gastarbeiter und deutschen Juden gemeint hat" (UA S. 22). Die Auslegung, daß die Parolen wegen der Beifügung des Hakenkreuzes objektiv diesen Erklärungswert hatten und auch als Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen zu verstehen sind, liegt vor dem geschichtlichen Hintergrund der nationalsozialistischen Judenverfolgung (vgl. BGHSt 21, 371, 372) bei der Parole "Juden raus" auf der Hand. Sie ist nicht ohne weiteres auf die anderen Äußerungen übertragbar. Ihrem Wortsinn nach sind sie zwar als an Ausländer gerichtete Aufforderungen zu verstehen, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Bei ihnen fehlen aber allgemeinbekannte geschichtliche Erfahrungen, die sie darüber hinaus ohne weiteres als - im Sinne des § 130 Nr. 2 StGB strafbare - Aufforderungen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen erscheinen lassen. Die Annahme einer Tatbestandsverwirklichung hätte deshalb näherer Begründung bedurft.