Bundesgerichtshof
Urt. v. 13.05.1983, Az.: 3 StR 82/83
Rücktritt vom Versuch der Steuerhinterziehung oder strafbefreiende Wirkung gemäß § 371 Abs. 1 Abgabenordnung (AO); Voraussetzungen für eine Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 13.05.1983
- Aktenzeichen
- 3 StR 82/83
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1983, 11102
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Krefeld - 30.11.1982
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- Betriebsberater 1984, 398
- NStZ 1983, 415
- StV 1983, 368-369
Verfahrensgegenstand
Versuchte Steuerhinterziehung
Prozessführer
Kaufmann Jürgen W. aus G., geboren am ... 1936 in H./Schlesien
Amtlicher Leitsatz
Entdeckt i. S. des § 371 II Nr. 2 AO ist die Tat nicht schon bei bloßem Tatverdacht. Dieser bedarf vielmehr einer Konkretisierung, die dann gegeben ist, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist.
In der Strafsache
hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
aufgrund der Hauptverhandlung vom 11. Mai 1983
in der Sitzung vom 13. Mai 1983,
an denen teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schauenburg als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Laufhütte, Dr. Gribbohm, Zschockelt, Kutzer als beisitzende Richter,
Bundesanwalt ... in der Verhandlung Bundesanwalt ... bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Dr. ... aus ... in der Verhandlung als Verteidiger,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 30. November 1982 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Die Strafkammer hat den Angeklagten wegen versuchter Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von neunzig Tagessätzen zu je 120,00 DM verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
1.
Nach den Feststellungen stellte der Angeklagte, als Prokurist für die Firma M.-Werke handelnd, beim Hauptzollamt G. den Antrag, aus Billigkeitsgründen auf die in der Zeit vom 19. Oktober 1978 bis zum 28. Februar 1979 zu entrichtenden Mehrbeträge einer Ausgleichsabgabe für importiertes Milchpulver zu verzichten. Der Antrag war, wie er wußte, unbegründet, weil die Ausgleichsabgabe nach dem mit dem niederländischen Exporteur vor dem 19. Oktober 1978 geschlossenen Lieferverträgen in voller Höhe auf diesen hätte abgewälzt werden können. Im Einvernehmen mit dem niederländischen Exporteur hatte der Angeklagte deshalb seinem Antrag rückdatierte Kontrakte beigefügt, nach deren Inhalt der Erstattungsanspruch der Firma M.-Werke gegen den Exporteur - entgegen der tatsächlichen Vertragslage - begrenzt war. Mit Bescheid vom 4. Juli 1980 lehnte das Hauptzollamt G. den Erstattungsanspruch mit der Begründung ab, die Erhöhung des Ausgleichsbetrages habe nicht zu einer unvorhersehbaren zusätzlichen Belastung der Firma M.-Werke geführt. Die Leitung des genannten Unternehmens, die über die Hintergründe der Antragstellung nicht informiert war, hielt diese Begründung für unzutreffend und beabsichtigte, Beschwerde einzulegen. Davon nahm sie jedoch auf Veranlassung des Angeklagten Abstand. Am 10. September 1980 nahm die niederländische Zollfahndung auf Ersuchen des Zollkriminalinstituts K. bei der niederländischen Lieferfirma Ermittlungen wegen des Verdachts auf, daß mehrere Firmen - darunter auch die Firma M.-Werke - fingierte Kaufkontrakte zur Erstattung des Ausgleichsmehrbetrages vorgelegt hätten. Davon erfuhr der Angeklagte, Seine Arbeitgeberin erstattete daraufhin auch für ihn Selbstanzeige.
2.
Die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte habe versucht, eine Steuerhinterziehung zu begehen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Versuch war beendet. Denn der Angeklagte hatte nach seinen Vorstellungen, auf die es bei der Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch ankommt (BGHSt 10, 129, 131 [BGH 20.12.1956 - 4 StR 447/56]; 22, 176, 177; 22, 330, 331; 31, 46, 48; 31, 170, 171 BGH, Urteil vom 9. Oktober 1979 - 1 StR 438/79 -, insoweit in NJV 1980, 195 nicht abgedruckt), "alles getan ..., um sein Ziel - den nicht gerechtfertigten Verzicht der Zollbehörde auf einen Teil der zu entrichtenden Ausgleichsbeträge ... - zu erreichen" (UA S. 8).
3.
Die Ausführungen des Landgerichts, mit denen es seine Auffassung begründet hat, das Verhalten des Angeklagten nach Beendigung des Versuchs sei nicht geeignet, ihm Straffreiheit zu verschaffen, halten jedoch rechtlicher Prüfung nicht stand.
a)
Der Angeklagte hat die Vollendung der Tat verhindert, indem er die Geschäftsleitung der Firma M.-Werke veranlasste, den ablehnenden Bescheid des Zollamts hinzunehmen. Das Landgericht hat angenommen, darin liege kein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch, weil der Versuch schon vorher fehlgeschlagen gewesen sei. Der Senat kann offenlassen, ob diese Annahme zutrifft. Er braucht auch nicht zu entscheiden, ob § 24 StGB beim beendeten Versuch der Steuerhinterziehung durch § 371 AO verdrängt wird (so Hübner in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung VI 8. Aufl. § 371 AO Rdn. 124, 129 mit Nachweisen; differenzierend Kohlmann, Steuerstrafrecht 3. Aufl. § 371 AO Rdn. 197), was der Bundesgerichtshof (BStBl 1957 I S. 122) unter der Geltung des § 410 AbgO aF und des § 46 Nr. 2 StGB aF in einem obiter dictum ohne nähere Begründung vertreten hat (vgl. auch BayObLG in Henneberg, Entscheidungen zum Recht der Steuerverfehlungen Teil A. 2. Aufl. 1972, unter Selbstanzeige/Versuch S. 3). Bedenken gegen eine solch allgemeine Lösung könnten in Fällen bestehen, in denen der Täter durch Handlungen, die durch § 371 AO nicht erfaßt sind, die Vollendung einer Steuerstraftat verhindert.
b)
Das Landgericht hält diese - verfassungsrechtlich unbedenkliche (a.A. AG Saarbrücken Wistra 1983, 84) - Vorschrift für unanwendbar, weil die Tat im Zeitpunkt der Selbstanzeige bereits entdeckt gewesen sei und der Angeklagte dies gewußt habe (UA S. 8). Die im Rahmen der rechtlichen Würdigung vorgenommene Wertung, die Straftat sei entdeckt gewesen, wird indes durch die Feststellungen nicht getragen.
Entdeckt im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ist die Tat nicht schon bei bloßem Tatverdacht. Das ist bereits dem Wortsinn des Merkmals des Entdeckens zu entnehmen, der die Fälle bloßen Verdachtschöpfens nicht mit umfaßt. Das Gesetz stellt auf die Entdeckung der Tat ab, so daß die Person, die als Täter oder Teilnehmer der Steuerstraftat in Betracht kommt, noch nicht bekannt zu sein braucht (Hübner a.a.O. Rdn 108; a.A. Baur BB 1983 498, 500). Das Merkmal der Tatentdeckung erfordert aber mehr als die Kenntnis von Anhaltspunkten, die zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens Anlaß geben können (Kohlmann a.a.O. § 371 AO Rdn 168), selbst wenn die Wahrscheinlichkeit späterer Aufklärung gegeben ist (Franzen/Gast/Samson, Steuerstrafrecht 2. Aufl. § 371 Rdn 120 ff.; a.A. Dietz DStR 1981, 372, 374; Bilsdorfer BB 1982, 670, 672). Eine andere Auslegung würde dem § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b AO widersprechen. Diese Vorschrift nimmt die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens zur Anknüpfung für den Ausschluß der Straffreiheit, versagt dem Täter die Vergünstigung des § 371 Abs. 1 AO aber nur dann, wenn ihm die Einleitung des Verfahrens bekanntgegeben worden ist. Ihr ist zu entnehmen, daß die Entdeckung der Tat nicht notwendig mit dem Zeitpunkt zusammenfällt, in dem die Finanzbehörde zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verpflichtet ist (a.A. OLG Hamburg NJW 1970, 1385 [OLG Hamburg 27.01.1970 - 2 Ss 191/69]; BayObLG ZfZ 1971, 29). Maßgebend ist auch nicht der Zeitpunkt, in dem die Finanzbehörde zu der Schlußfolgerung kommt, es sei eine Steuerverkürzung vorgenommen worden (a.A. OLG Celle BB 1971, 205). Es bedarf vielmehr einer Konkretisierung des Tatverdachts, die gegeben ist, wenn bei vorläufiger Tatbewertung die Wahrscheinlichkeit eines verurteilenden Erkenntnisses gegeben ist (Hübner a.a.O. Rdn 110 ff.).
Den bisherigen Feststellungen kann nicht entnommen werden, daß die Finanzbehörden mehr als bloßen Anfangsverdacht hatten. Das Zollkriminalinstitut K. hatte zwar wegen des Verdachts, daß neben anderen Firmen auch die Firma M.-Werke fingierte Kontrakte vorgelegt habe, Ermittlungen aufgenommen. Eine Bestätigung des Verdachts durch die Ermittlungen ist jedoch nicht festgestellt. Ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten wurde erst "auf Grund" der Selbstanzeige der Firma M.-Werke eingeleitet (UA S. 7). Nach allem ist es möglich, daß seine Tat noch nicht im Sinne des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO entdeckt war, als die Firma M.-Werke auch für den Angeklagten die unrichtigen Angaben berichtigte.
Der Senat weist auf § 42 StGB für den Fall hin, daß die neu entscheidende Strafkammer wieder zu einer Verurteilung kommen sollte.
Laufhütte
Dr. Gribbohm
Zschockelt
Kutzer