Bundesgerichtshof
Urt. v. 26.10.1977, Az.: VIII ZR 197/75
Bürgschaft zwischen einer GmbH & Co. KG und einer Sparkasse; Anforderungen an eine Höchstbetragsbürgschaft; Umfang der Haftung des Bürgen über den Höchstbetrag hinaus; Auslegung der formularmäßigen Bürgschaftsurkunde nach Inhalt der Klausel oder Formularbedingung; Anwendbarkeit der sog. Unklarheitenregel
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 26.10.1977
- Aktenzeichen
- VIII ZR 197/75
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1977, 13049
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Oldenburg - 29.04.1975
Rechtsgrundlagen
- § 765 BGB
- § 5 AGB-G
Fundstelle
- DB 1978, 629-630 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
1. Konrad Lu., J.-von-L.-Straße ... in A.,
2. Julius Andreas Sch.-W., K. in H.,
3. Gerhard M., Sa. in P.,
Prozessgegner
Kreissparkasse As.-Hü. zu P.,
vertreten durch den Vorstand in P.,
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Oktober 1977
durch
den Vorsitzenden Richter Braxmaier und
die Richter Claßen, Dr. Hiddemann, Hoffmann und Dr. Brunotte
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 29. April 1975 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Beklagten sind Gesellschafter der Firma B.- Fertigstall-Vertrieb GmbH & Co. KG (nachfolgend: KG). Diese stand zu der klagenden Sparkasse in laufenden Geschäftsbeziehungen. Mit formularmäßiger Bürgschaftsurkunde vom 21. April 1970 übernahmen die Beklagten "ohne zeitliche Beschränkung als Selbstschuldner für alle bestehenden und künftigen" Ansprüche der Klägerin gegen die KG "aus Hauptsumme, Zinsen und Kosten" die Bürgschaft bis zu einem Betrag von 250.000 DM. Die Bürgschaftsurkunde enthielt unter Nr. 1 folgende Bedingung:
"Die Bürgschaft erstreckt sich auch auf etwaige bei Fälligkeit nicht bezahlte Zinsen, Provisionen und Kosten der Bürgschaftssumme, selbst wenn die vorstehend erwähnte Bürgschaftssumme überschritten wird...."
Mit Darlehensvertrag vom 4. August 1970 räumte die Klägerin der KG einen mit 8 % zu verzinsenden Kredit in Höhe von 400.000 DM ein, der im April 1974 noch mit über 260.000 DM in Anspruch genommen war. Als die KG 1972 in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet, zahlten die Beklagten Anfang September 1972 als Bürgen 80.000 DM an die Klägerin, die daraufhin die Beklagten in dieser Höhe aus der Bürgschaft entließ und nachfolgend von einer Bürgschaftssumme von nunmehr 170.000 DM ausging. Unstreitig waren im Dezember 1972 sämtliche von der KG geschuldeten Zinsen beglichen. In der Folgezeit zahlten die Beklagten insgesamt weitere 170.037,86 DM an die Klägerin, die die eingehenden Beträge teilweise auf die fällig werdenden Darlehenszinsen verrechnete, teilweise zur Rückführung der Bürgschaftssumme verwandte.
Die Beklagten sind der Ansicht, daß mit der Zahlung von 170.000 DM - die Mehrzahlung von 37,86 DM beruhe auf einem Rechenfehler - ihre Bürgschaften erloschen seien. Demgegenüber meint die Klägerin, die Bezahlung der jeweils fällig werdenden Darlehenszinsen durch die Beklagten anstelle der KG als Hauptschuldnerin habe im Hinblick auf Nr. 1 der Bürgschaftsbedingungen nicht zu einer Rückführung der Bürgschaft geführt. Sie errechnet eine noch offenstehende Bürgschaftssumme von 53.235,80 DM und nimmt daraus die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung eines Teilbetrages von 50.000 DM nebst Zinsen in Anspruch.
Das Landgericht hat - der Rechtsansicht der Beklagten folgend - die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage als Gesamtschuldner zur Zahlung von 8.909,82 DM nebst Zinsen verurteilt. Mit ihrer zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstreben die Beklagten weiterhin die Abweisung der Klage in vollem Umfang.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht legt die Bürgschaftsurkunde vom 21. April 1970 dahin aus, daß - entgegen der Ansicht der Klägerin - die Beklagten über den Bürgschaftshöchstbetrag hinaus nicht für alle von der Haupt Schuldnerin geschuldeten Kreditzinsen, sondern lediglich für die auf die jeweilige Bürgschaftssumme entfallenden Zinsen hafteten; andererseits seien die Zinsleistungen, die die Beklagten insoweit anstelle der Haupt Schuldner in zur Vermeidung von Zinsrückständen erbracht hätten, nicht auf die Bürgschaftssumme anzurechnen, hätten diese mithin auch nicht entsprechend herabsetzen können. Diese Auslegung - so meint das Berufungsgericht - sei logisch zwingend, so daß für die Heranziehung der sogen. Uhklarheitenregel zu Lasten der Klägerin, die das Bürgschaftsformular in die Vertragsverhandlungen eingeführt habe, kein Raum sei. Folge man aber der vorgenannten Auslegung und gehe davon aus, daß Mitte 1972 der Bürgschaftshöchstbetrag einvernehmlich auf 170.000 DM herabgesetzt worden sei und Ende 1972 keine Zinsrückstände mehr bestanden hätten, so belaufe sich die jetzt noch offene Bürgschaftssumme auf 8.909,82 DM.
II.
Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision stand. Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei der Bürgschaftsurkunde um ein lediglich von der Klägerin benutztes Formular handelt, oder ob die Verwendung dieses Formulars in gleicher oder ähnlicher Form im Kreditgewerbe allgemein üblich ist und der Senat daher die in ihm enthaltenen Erklärungen der Bürgen frei auslegen kann; denn die Auslegung durch das Berufungsgericht ist nicht nur rechtlich möglich, sondern deckt sich auch mit derjenigen, die der Senat selbst treffen würde.
1.
Bei der von den Beklagten eingegangenen Bürgschaft handelt es sich um eine sogen. Höchstbetragsbürgschaft dergestalt, daß lediglich die Bürgschaftsverpflichtung auf einen bestimmten Betrag beschränkt sein sollte, während der Kredit für die Hauptschuldnerin - ihr war von der Klägerin neben dem Darlehen von 400.000 DM unstreitig zumindest noch ein weiterer Kontokorrentkredit eingeräumt worden - nach oben nicht begrenzt war und der in Anspruch genommene Kredit die Höchstbetragsbürgschaft von Anfang an nicht unwesentlich überstieg (vgl. dazu RGZ 136, 178, 182 f; BGH Urteil vom 7. März 1956 - IV ZR 271/55 - WM 1956, 885, 886; Mormann in BGB-RGRK; 12. Aufl. § 765 Anm. 8; Scholz, Das Recht der Kreditsicherung S. 138 f). Daß in einem solchen Fall die Haftung der Bürgen über den Höchstbetrag hinaus nur diejenigen Zinsrückstände erfaßt, die auf die jeweils maßgebliche Bürgschaftssumme entfallen, ergibt sich bereits eindeutig aus dem Wortlaut der Bürgschaftserklärung, die in Nr. 1 ihrer Bedingungen gerade nicht von den bei Fälligkeit nicht bezahlten Zinsen der Hauptschuld, sondern von denen der Bürgschaftssumme spricht. Im übrigen würde, worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist, eine andere Auslegung mit dem Sinn der Höchstbetragsbürgschaft, die das Risiko für den Bürgen gerade in überschaubaren Grenzen halten soll, und damit mit den wohlverstandenen Interessen beider Parteien nicht zu vereinbaren sein (BGH Urteil vom 7. März 1956 - IV ZR 271/55 a.a.O. S. 886 m.w. Nachw.; OLG Stuttgart WM 1970, 54). Beide Parteien nehmen im Revisionsrechtszug diese Auslegung auch hin.
2.
Ebenso zwingend ist die damit eng zusammenhängende, vom Berufungsgericht ebenfalls im Wege der Auslegung gewonnene Feststellung, daß die von den Beklagten als Bürgen auf die Zinsverpflichtung der Hauptschuldnerin erbrachten Zahlungen nicht zugleich zu einer Verminderung der Bürgschaftssumme geführt haben. Durch Nr. 1 der in der Bürgschaftsurkunde vom 21. April 1970 enthaltenen Bedingungen ist die Bürgenhaftung über den jeweils maßgeblichen Höchstbetrag hinaus auf die Zinsrückstände, soweit sie sich auf den verbürgten Teil der Hauptschuld bezogen (s.o. unter II, 1), erstreckt worden. Wenn die Bürgen sich - etwa weil sie angesichts der Zahlungsschwierigkeiten bei der Hauptschuldnerin mit dem Auflaufen von Zinsrückständen rechneten - zur Zahlung dieser Zinsen bei Fälligkeit für die Hauptschuldnerin entschlossen, so führten sie damit nicht etwa ihre Bürgenhaftung zurück, sondern verhinderten lediglich eine sich aus Nr. 1 der Bürgschaftsbedingungen ergebende Erweiterung ihrer Haftung über den Höchstbetrag hinaus. Die Bürgschaftssumme selbst blieb dadurch unberührt. Es kann für die Höhe der Bürgschaftssumme keinen Unterschied ausmachen, ob die Beklagten nach Eintritt des Verzuges auf seiten der Haupt Schuldnerin über die Bürgschaftssumme hinaus für Kreditzinsen in Anspruch genommen worden wären, oder ob sie eine derartige Inanspruchnahme durch rechtzeitige Zahlung für die Hauptschuldnerin von vorneherein verhinderten.
3.
Bei dieser Sachlage ist für eine Heranziehung der sogen. Unklarheitenregel kein Raum. Diese von Rechtsprechung und Schrifttum entwickelte und nunmehr in § 5 AGB-Gesetz kodifizierte Auslegungsregel, nach der Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäfts- und Formularbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen, trägt dem Umstand Rechnung, daß dieser einseitig vorformulierte Klauseln ohne Einflußmöglichkeit des Vertragspartners in den Vertrag einführt und ihn damit für eine etwaige Unklarheit die Verantwortung trifft (Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz § 5 Rdn. 16; Löwe/Graf von Westphalen/Trinkner, AGB-Gesetz § 5 Rdn. 8; Dietlein/Rebmann, AGB aktuell, § 5 Rdn. 1 sowie die dort auf S. 234 f auszugsweise wiedergegebenen Bundestagsdrucksachen 7/5422 und 7/3919 Anl. 1). Das besagt jedoch nicht, daß die Unklarheitenregel bereits dann heranzuziehen ist, wenn der Vertragstext im Hinblick auf eine bestimmte Fallgestaltung der Auslegung bedarf (Senatsurteil vom 2. Juli 1962 - VIII ZR 92/61 = LM BGB § 157 [A] Nr. 14) oder wenn zwischen den Parteien lediglich Streit über die Tragweite einer Klausel besteht (Schmidt-Salzer, AGB 2. Aufl. S. 158 f). Vielmehr ist zunächst durch Auslegung der Inhalt der Klausel oder Formularbedingung - und zwar ausgehend von der Verständnismöglichkeit des an derartigen Rechtsgeschäften typischerweise beteiligten Durchschnittsbürgers - zu ermitteln (BGHZ 60, 174, 177; Senatsurteil vom 17. Mai 1960 - VIII ZR 61/59 = NJW 1960, 1661; st.Rspr.). Damit ist der Anwendungsbereich der sogen. Unklarheitenregel von vornherein eingeschränkt (s. dazu Robert Fischer ZHR Bd. 125, 203, 206 f). Erst wenn im Wege der Auslegung keine Klärung möglich ist, gehen bestehenbleibende Zweifel zu Lasten des Verwenders. Dabei ist allerdings zu beachten, daß - anders als bei der Auslegung von Normen - Auslegungsmittel und insbesondere logische Schlußfolgerungen, die sich dem Verständnis des typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Durchschnittsbürgers verschließen, nicht zur Auslegung von Allgemeinen Geschäfts- und Formularbedingungen herangezogen werden können (BGHZ 60, 174, 177; Senatsurteil vom 14. Februar 1968 - VIII ZR 220/65 - WM 1968, 447 - NJW 1968, 885); und nichts anderes besagt das vom Berufungsgericht angezogene Urteil des BGH vom 12. Februar 1952 (BGHZ 5, 111, 115; vgl. dazu auch Erman/Hefermehl, BGB, 6. Aufl. Bd. I vor § 145 Rdn. 39).
Insoweit bleibt Raum für die Anwendung der sogen. Unklarheitenregel. Von all dem kann aber hier angesichts des eindeutigen Sinngehalts der Bürgschaftsurkunde keine Rede sein; denn daß die Beklagten nicht mit denselben Zahlungen zugleich das Auflaufen von Zinsrückständen auf Seiten der Hauptschuldnerin verhindern und außerdem noch ihre Bürgenhaftung betragsmäßig herabführen konnten, mußte ihnen bei unvoreingenommener Betrachtung von vornherein klar sein, auch wenn dies im Vertragstext nicht nochmals ausdrücklich hervorgehoben war.
III.
Da die Beklagten gegen die rechnerische Richtigkeit der Ausführungen des Berufungsgerichts keine Einwendungen erheben, Rechtsfehler im übrigen insoweit auch nicht ersichtlich sind, war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Claßen
Dr. Hiddemann
Hoffmann
Dr. Brunotte