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Bundesgerichtshof
Urt. v. 27.04.1976, Az.: 1 StR 143/76

Voraussetzungen des Vorliegens niedriger Beweggründe; Innere Erfordernisse des Handelns aus niedrigen Beweggründen

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
27.04.1976
Aktenzeichen
1 StR 143/76
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1976, 12119
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Freiburg - 19.08.1975

Verfahrensgegenstand

Versuchter Mord u.a.

Prozessführer

Gelegenheitsarbeiter Battal S. aus B., geboren am ... 1943 in Ba./Türkei, zur Zeit in Haft

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 27. April 1976,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Pfeiffer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mösl, Pikart,
Herdegen, Kuhn als beisitzende Richter,
Erster Staatsanwalt ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ... als Verteidiger,
Justizangestellter ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. I.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg i.Br. vom 19. August 1975 mit den Feststellungen aufgehoben,

    1. 1.

      soweit der Angeklagte wegen versuchten Mordes verurteilt worden ist,

    2. 2.

      im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

  2. II.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  3. III.

    Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes, Bedrohung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt.

2

Die Revision hat mit der Sachbeschwerde teilweise Erfolg.

3

1.

Nach Annahme des Schwurgerichts hat der verheiratete Angeklagte aus niedrigen Beweggründen versucht, seine Geliebte Hanife T. zu töten. Hierzu führt das Urteil im wesentlichen aus: Hanife habe dem Angeklagten immer deutlicher zu erkennen gegeben, daß sie das Verhältnis mit ihm wegen schwerer persönlicher Konflikte und wegen der aus seiner geringen Arbeitsleistung resultierenden finanziellen Schwierigkeiten nicht mehr fortsetzen wolle. Diesen verständlichen Willen habe der Angeklagte unter keinen Umständen respektieren wollen; er habe sich vielmehr immer mehr von dem Gedanken beherrschen lassen, seine bisherige Freundin "mit der Todesdrohung unter Druck zu setzen und schließlich diese Tötungsabsicht, die zu dem gegebenen Anlaß in einem äußersten Mißverhältnis stand, auch in die Tat umzusetzen." Daneben habe sich der Angeklagte bei seinem durch hemmungslose Eigensucht bestimmten Tötungsentschluß auch dadurch leiten lassen, daß Hanife ihm ihre bisherige finanzielle Unterstützung entziehen wollte. Die Verbindung dieser Motivelemente lasse die Beweggründe der Tat insgesamt als besonders verwerflich und auf niedrigster Stufe stehend erscheinen (UA S. 9).

4

Diese Ausführungen reichen zur Rechtfertigung des Tatbestandsmerkmals der niedrigen Beweggründe schon deshalb nicht aus, weil sie keine Würdigung der objektiven Gesamtumstände erkennen lassen, die den Angeklagten zur Tat bewogen haben. In diesem Zusammenhang hätte namentlich die Konfliktslage erörtert werden müssen, die sich für den Angeklagten daraus ergeben hatte, daß er sich nach Aufnahme des Liebesverhältnisses mit Hanife von Frau und Kindern trennte (UA S. 2, 5), daß er jedoch von der Einleitung des Scheidungsverfahrens absah, weil er den Eindruck gewann, Hanife werde die begonnene enge Lebensgemeinschaft nicht fortsetzen, sondern sich von ihm abwenden (UA S. 2, 3), und daß ihm Hanife gleichwohl - trotz wachsender Spannungen - noch bis in die letzte Zeit hinein Gelegenheit zu intimen Begegnungen gewährte (UA S. 3). Ferner konnte nicht unberücksichtigt bleiben, daß unmittelbar vor der Tat ein Wortwechsel stattgefunden hatte, durch den der Angeklagte in Erregung geraten war (UA S. 6). Es ist nicht auszuschließen, daß eine nähere Prüfung dieser Vorgänge - zumal bei Beachtung der Herkunft und besonderen Vorstellungswelt des Angeklagten - bereits zu Zweifeln an dem erforderlichen groben Mißverhältnis zwischen Tatanlaß und Taterfolg (vgl. BGHSt 3, 180; BGH, Urteil vom 7. April 1970 - 1 StR 632/69) geführt hätte.

5

Vor allem aber leidet das Urteil daran, daß es der subjektiven Seite des Handelns aus niedrigen Beweggründen zu wenig Beachtung schenkt. Zu den inneren Erfordernissen des Handelns aus niedrigen Beweggründen gehört, daß der Täter sich bei Begehung der Tat derjenigen Umstände bewußt gewesen ist, die den Antrieb zum Handeln zu einem besonders verwerflichen machten (BGH LM StGB § 211 Nr. 2; BGHSt 6, 329; BGH NJW 1967, 1140; BGH, Urteil vom 5. März 1974 - 1 StR 20/74). Soweit hierbei gefühlsmäßige und triebhafte Regungen in Betracht kommen, müssen diese vom Täter gedanklich beherrscht und willensmäßig gesteuert werden können (BGH, Urteile vom 3. Juli 1951 - 1 StR 267/51, vom 26. Januar 1971 - 1 StR 204/70 - und vom 11. Dezember 1973 - 1 StR 517/73). Diese Voraussetzungen legt das Schwurgericht nicht dar. Darin liegt hier ein Mangel, der auch bei Heranziehung des Gesamtinhalts der Urteilsgründe nicht behoben werden kann. Die Tat war nicht vorgeplant; sie entsprang vielmehr nach den bisherigen Feststellungen einem Erregungszustand (UA S. 6), bei dem sich die bereits vorhandene Agressivität des Angeklagten während der Tatausführung zum Vernichtungswillen steigerte (UA S. 8). In diesem Zusammenhang wird dem Angeklagten zugutegehalten, daß seine labile Persönlichkeitsstruktur, die langdauernde Spannungslage, die akute Zuspitzung des affektiven Konflikts vor der Tat und Alkoholbeeinflussung eine tiefgreifende Störung der Selbstbestimmung zur Folge hatten, so daß eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) nicht ausgeschlossen werden könne (UA S. 11). Bei diesen Besonderheiten der Sachlage und des Persönlichkeitsbilds war es unerläßlich, der Frage nachzugehen, ob der Angeklagte im Zeitpunkt der Tat neben der Kenntnis der für das Vorliegen niedriger Beweggründe maßgebenden Umstände auch die insoweit erforderliche Fähigkeit der Abwägung und Triebsteuerung besaß.

6

Nach alledem kann der Schuldspruch wegen versuchten Mordes nicht aufrechterhalten werden. Da ergänzende Feststellungen nach Lage der Sache nicht ausgeschlossen sind, unterliegt das Urteil insoweit und im Ausspruch über die Gesamtstrafe der Aufhebung und Zurückverweisung.

7

2.

Im übrigen läßt die auf Grund der allgemeinen Sachbeschwerde gebotene umfassende Nachprüfung des Urteils Rechtsfehler nicht erkennen. Die jeweils an der unteren Grenze des Strafrahmens liegenden Einzelstrafen wegen Bedrohung und gefährlicher Körperverletzung werden durch die Aufhebung nicht berührt.

8

Die weitergehende Revision ist daher zu verwerfen.

Pfeiffer
Mösl
Pikart
Herdegen
Kuhn