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Bundesgerichtshof
Urt. v. 20.02.1974, Az.: 2 StR 448/73

Hinweispflicht des Gerichts bei vom Anklagevorwurf abweichender Verurteilung; Beurteilung des Wechsels vom rechtlichen Gesichtspunkt der heimtückischen Tötung zu dem der Tötung aus niedrigen Beweggründen

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
20.02.1974
Aktenzeichen
2 StR 448/73
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1974, 12215
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Trier - 19.04.1973

Fundstellen

  • BGHSt 25, 287 - 290
  • MDR 1974, 503 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1974, 1005-1006 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Mord u.a.

Prozessführer

Dachdeckergeselle A. F. M. aus T., dort geboren am ... 1940, zur Zeit in Untersuchungshaft

Amtlicher Leitsatz

Will das Schwurgericht den Angeklagten abweichend vom Anklagevorwurf nicht aus dem Gesichtspunkt der Heimtücke, sondern dem der niedrigen Beweggründe wegen Mordes verurteilen, so muß es ihn zuvor hierauf hinweisen; dasselbe gilt beim Übergang vor. Vorwurf des Tötens in Verdeckungsabsicht zum Vorwurf des Tötens aus Wut, Verärgerung und Rachsucht.

Der 2. Strafsenat der Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 20. Februar 1974,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Schumacher,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Willms, Kirchhof, Dr. Müller, Dr. Meyer als beisitzende Richter,
Staatsanwalt Dr. ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ... aus ... als Verteidiger des Angeklagten,
Justizobersekretär ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht in Trier vom 19. April 1973 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Schwurgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen vollendeter, und versuchten Mordes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünfzehn Jahren verurteilt. Seine Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und Verletzung des sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.

2

Die auf die Nichtbeachtung des § 265 Abs. 1 StPO gestützte Verfahrensrüge führt zur Aufhebung des Urteils.

3

Mit der Anklage war dem Angeklagten zur Last gelegt worden, er habe den Gastwirt G. "heimtückisch" getötet und durch eine weitere Tat versucht, den Zeugen S. zu töten, um damit eine andere Straftat zu verdecken. Als der Gastwirt sich der Herren-Toilette seines Lokals genähert habe, sei der Angeklagte, der ihm dort aufgelauert habe, plötzlich aus der Toilettentüre zu dem gegenüberliegenden Treppenaufgang getreten und habe auf Grünenberger einen Schuß abgegeben, durch den dieser tödlich getroffen worden sei. Der Angeklagte habe dann versucht zu flüchten. Hinter der Ausgangstüre des Lokals sei ihm der Zeuge S. entgegengekommen. Mit den Worten: "Jetzt bist Du dran" habe er die Waffe gegen diesen Zeugen gerichtet und abgedrückt. Hierdurch habe er sich den Fluchtweg freimachen wollen, um nicht wegen der vorher begangenen Tötungshandlung zur Verantwortung gezogen werden zu können. Infolge einer Ladehemmung sei der Schuß nicht losgegangen. Im Eröffnungsbeschluß ist die Anklage unverändert zugelassen, zusätzlich aber darauf hingewiesen worden, daß auch eine Bestrafung wegen versuchten und vollendeten Totschlags in Betracht kommen könne. Das Schwurgericht hat den Angeklagten zwar entsprechend der rechtlichen Würdigung in der Anklageschrift wegen vollendeten und versuchten Mordes verurteilt, jedoch nicht unter den Gesichtspunkten der Heimtücke und der Vordeckungsabsicht, sondern in beiden Fällen wegen Handelns aus niedrigen Beweggründen, und zwar jeweils aus Haß, Verärgerung und Rachsucht, in der, Versuchsfall außerdem, weil er sich der Festnahme wegen der vorherigen Tat habe entziehen wollen. Auf diese Veränderung der rechtlichen Wertung ist der Angeklagte ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht hingewiesen worden. Mit Recht rügt der Beschwerdeführer dieses Verfahren.

4

Eines Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO bedarf es nicht nur, wenn ein anderes Strafgesetz als das im Eröffnungsbeschluß genannte angewandt, sondern auch dann, wenn der Angeklagte wegen einer andersartigen Begehungsform desselben Strafgesetzes verurteilt werden soll (BGHSt 23, 95, 96). Denn der Hinweis dient dazu, ihm Gelegenheit zu geben, sich gegenüber einem neuen Vorwurf zu verteidigen; er soll vor Überraschungen geschützt werden. Ob es sich um eine solche andersartige Begehungsform oder lediglich um eine gleichartige Erscheinungsform desselben Tatbestands handelt, bestimmt sich nicht nach äußeren Merkmalen, sondern ausschließlich nach dem wesensmäßigen Inhalt der Begehungsform (BGH a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Im Bereich des § 211 StGB hat der Bundesgerichtshof eine Hinweispflicht beim Übergang von der Tötung "aus niedrigen Beweggründen" zur "grausamen" Tötung bejaht (BGH, Urteil vom 14. April 1953 - 1 StR 152/53 -), ferner wenn der Anklagevorwurf auf Tötung aus dem niedrigen Beweggrund des Hasses lautete, die Verurteilung aber wegen Tötung "zur Befriedigung des Geschlechtstriebs" erfolgte (BGH a.a.O.). In einer weiteren nicht veröffentlichten Entscheidung (BGH, Urteil vom 17. Juli 1962 - 1 StR 266/62 -) wird davon ausgegangen, daß die verschiedenen Erscheinungsformen des § 211 Abs. 2 StGB jeweils andersartige gesetzliche Tatbestände darstellen. Sie läßt dann aber offen, ob das auch bei einen Übergang von der Begehungsform des Tötens "um eine andere Straftat zu ermöglichen" zu der des Tötens "um eine andere Straftat zu verdecken" und umgekehrt dann gelte, wenn dieselbe Tat gemeint ist. Im vorliegenden Fall besteht zu einer derart umfassenden Entscheidung kein Anlaß. Soweit es sich um die Tat zum Nachteil des Gastwirts G. handelt, ist allein der Wechsel vom rechtlichen Gesichtspunkt der heimtückischen Tötung zu dem der Tötung aus niedrigen Beweggründen zu beurteilen. Diese beiden Begehungsformen unterscheiden sich ihrem Wesen nach aber völlig. Bei dem einen Merkmal beruht die besondere Verwerflichkeit in der Ausführungsweise der Tat, bei dem anderen in der inneren Einstellung des Täters. Dementsprechend sind die niedrigen Beweggründe, im Gegensatz zur Heimtücke, besondere persönliche Merkmale im Sinne des § 50 Abs. 2 StGB (BGHSt 22, 375; 23, 103). Wechselt der Anklagevorwurf zwischen ihnen, so muß der Angeklagte seine Verteidigung grundsätzlich ändern. Deshalb war hier ein Hinweis nach § 265 Abs. 1 StPO geboten. Das gilt auch in dem Fall des versuchten Mordes gegenüber dem Zeugen S. Zwar ist insoweit kein Übergang von einem tatbezogenen auf einen täterbezogenen Umstand gegeben, weil sowohl die in der Anklage zugrunde gelegte Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, als auch die vom Schwurgericht festgestellten niedrigen Beweggründe besondere persönliche Merkmale darstellen (BGHSt 23, 39; 22, 375). Dennoch unterscheiden sich die beiden Begehungsformen hier in ihrer Zielrichtung grundsätzlich, soweit es sich um das Verhältnis des Tötens in Verdeckungsabsicht zur Tötung aus Wut, Verärgerung und Rachsucht handelt. Ob das auch gegenüber der Alternative des Tötens, um der Festnahme wegen der vorausgegangenen Tat zu entgehen, zutrifft, kann dahingestellt bleiben da das Schwurgericht in diesem Bestreben lediglich einen zusätzlichen niedrigen Beweggrund gesehen hat.

5

Die beiden Verfahrensmängel erfordern die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Sache. Es läßt sich nicht sicher ausschließen, daß sich der Angeklagte nach einem entsprechenden Hinweis erfolgreich gegenüber dem Vorwurf des Handelns aus den niedrigen Beweggründen der Wut, Verärgerung und Rachsucht verteidigt hätte.

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Schumacher
Richter am Bundesgerichtshof Willms
Richter am Bundesgerichtshof Kirchhof
Richter am Bundesgerichtshof Müller
Richter am Bundesgerichtshof Meyer