Bundesgerichtshof
Urt. v. 25.11.1969, Az.: VI ZR 100/68
Begriff der Kenntnis im Rahmen der Verjährung von Schadensersatzansprüchen aus dem Straßenverkehrsgesetz (StVG); Beginn der Verjährungsfrist mit Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 25.11.1969
- Aktenzeichen
- VI ZR 100/68
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1969, 11059
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Nürnberg - 29.01.1968
- LG Regensburg
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DB 1970, 537-538 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1970, 224-225 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1970, 326-327 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1970, 89-90 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
Zum Beginn der Verjährung von Schadenersatzansprüchen, die sich auf das Straßenverkehrsgesetz gründen.
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 1969
unter Mitwirkung
des Senatspräsidenten Dr. Engels und
der Bundesrichter Dr. Bode, Dr. Weber, Prof. Dr. Nüßgens und Sonnabend
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 29. Januar 1968 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision werden den Beklagten auferlegt.
Tatbestand
Der Zweitbeklagte befuhr am 28. November 1964 mit einem Lastzug, dessen Halterin die Erstbeklagte war, die Bundesstraße ... von Nü. in Richtung R.. In, der für ihn nach rechts verlaufenden Kurve bei km 47,5 kurz vor Se. kam es auf der dort 6,70 m breiten Straße zu einem Zusammenstoß zwischen dem Anhänger des Lastzuges und einem entgegenkommenden Volkswagen, dessen Halter und Fahrer der bei dem Unfall getötete Leonhard E. war. Zwei weitere Insassen des Volkswagens, darunter der Ehemann der Klägerin, wurden ebenfalls getötet, während der vierte Fahrgast schwer verletzt wurde.
Die Klägerin hat mit ihrer am 21. März 1967 bei Gericht eingegangenen und dem Beklagten am 30. März 1967 zugestellten Klage Ersatz der Todesfallkosten und des Unterhaltsschadens in Höhe von 6.800,92 DM nebst Zinsen gefordert. Ferner hat sie die Feststellung begehrt, daß die Beklagten ihr gesamtschuldnerisch zum Ersatz des künftigen Unfallschadens verpflichtet seien, vorbehaltlich eines Rechtsübergangs auf Sozialversicherungsträger.
Sie hat vorgetragen: Zwar sei der Unfallhergang nach Ansicht der Staatsanwaltschaft weitgehend ungeklärt geblieben. Auf Grund des Ergebnisses der umfangreichen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen könne jedoch davon ausgegangen werden, daß der Zweitbeklagte mit seinem Lastzug über die Fahrbahnmitte nach links geraten sei und dadurch den Zusammenstoß verursacht habe. Die Beklagten seien deshalb aus dem Gesichtspunkt der Gefährdungshaftung und der unerlaubten Handlung verpflichtet, den ihr durch den Tod ihres Ehemannes entstandenen Schaden zu ersetzen.
Die Beklagten haben um Abweisung der Klage gebeten.
Sie haben die Einrede der Verjährung erhoben. Hierzu haben sie vorgetragen: Über den Namen des Zweitbeklagten sei die Klägerin durch das Schreiben ihres Anwalts vom 15. Januar 1965 unterrichtet worden. Da ihr Anwalt vor Abfassung dieses Schreibens die Voranzeige der Landespolizei-Inspektion Pa. vom 29. November 1964 über den Unfall eingesehen habe, seien ihm die Namen beider Beklagten bekannt gewesen, so daß die Klägerin unschwer auch den Namen der Erstbeklagten von ihm habe erfahren können. Aus der bei der Staatsanwaltschaft R. am 1. Dezember 1964 eingegangenen Voranzeige sei auch der Unfallhergang im wesentlichen zu entnehmen gewesen. Die daraus zu gewinnende Kenntnis habe für die Erhebung einer Klage nach den §§ 7, 18 StVG ausgereicht. Das gelte selbst dann, wenn man die Kenntnis der Voranzeige für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 852 BGB nicht genügen lasse. Die Verjährungsfrist für Ansprüche aus Gefährdungshaftung nach § 14 StVG könne eher beginnen als für solche aus Verschuldenshaftung nach § 852 BGB.
Weiter haben sie geltend gemacht: Es sei in keiner Weise dargetan, daß ihr Lastzug während der Begegnung der Fahrzeuge über die Fahrbahnmitte gekommen sei. Vielmehr sei nach dem Gutachten des Sachverständigen Z. davon auszugehen, daß der getötete Pkw-Fahrer E. die für ihn nach links verlaufende Kurve geschnitten habe und daher auf die für ihn linke Fahrbahnseite und unter ihren Anhänger geraten sei. Damit entfalle ein Verschulden des Zweitbeklagten. Darüber hinaus sei der Unfall für den Zweitbeklagten auch bei Anwendung der äußersten ihm zumutbaren Sorgfalt nicht zu vermeiden gewesen; er habe seine rechte Fahrbahnseite eingehalten, der Fahrer des Pkw's sei aus ungeklärten Gründen unter seinen Anhänger geraten; somit scheide auch eine Haftung nach dem Straßenverkehrsgesetz aus.
Die Klägerin hat sich gegen die Einrede der Verjährung gewandt.
Das Landgericht hat durch Zwischen- und Teilurteil die Ansprüche auf Ersatz von Vermögens schaden dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die erbetene Feststellung getroffen, jeweils beschränkt auf den Haftungsrahmen des Straßenverkehrsgesetzes und vorbehaltlich eines Rechtsübergangs auf einen Sozialversicherungsträger. Mit ihrer erfolglosen Berufung haben die Beklagten die landgerichtliche Entscheidung nur insoweit angegriffen, als sie der Einrede der Verjährung nicht stattgegeben hat.
Die Beklagten verfolgen mit der zugelassenen Revision ihren Antrag auf Abweisung der Klage wegen Verjährung der Klageansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
Im Streit ist nur, ob die Klageansprüche verjährt sind. In Übereinstimmung mit dem Landgericht hält das Berufungsgericht die Einrede der Verjährung für nicht begründet.
I.
1.
Nach § 14 Abs. 1 StVO verjähren die in den §§ 7 bis 13 StVG aufgeführten Ansprüche in zwei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Ersatzberechtigte von Schaden und Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Diese Kenntnis ist erst dann vorhanden, wenn der Geschädigte aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Schadensersatzklage, wenn auch nur mit dem Ziel der Feststellung erheben kann, die bei verständiger Würdigung soviel Erfolgsaussicht bietet, daß ihm die Klage - wenn auch nicht risikolos - zuzumuten ist (BGHZ 6, 195, 201 m.w.N.; BGH Urteil vom 30. September 1969 - VI ZR 54/68 = VersR 1969, 1045; Urteil vom 27. September 1968 - VI ZR 26/67 = VersR 1968, 1163).
Zu der geforderten Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen genügt nicht das Wissen um dessen Namen und Anschrift. Denn aufgrund dieser Umstände vermag der Geschädigte noch keine Klage gegen diese Person mit einigermaßen sicherer Aussicht auf Erfolg zu begründen. Soweit muß aber die Kenntnis des Ersatzberechtigten reichen (vgl. RGZ 124, 111, 114). Erforderlich ist vielmehr außerdem ein hinreichenden Wissen um den Unfallhergang. So wird im Bereich der Haftung aus unerlaubter Handlung (§ 852 BGB) - die hier nicht in Frage steht - denn auch die Kenntnis der Tatsachen verlangt, die auf ein schuldhaftes Verhalten des Schädigers hinweisen (BGH Urteil vom 15. März 1960 - VI ZR 28/59 = VersR 1960, 429).
2.
Das Berufungsurteil (veröffentlicht ins VersR 1968, 679) nimmt an, daß diese Voraussetzungen nicht vor Anfang April 1965 bejaht werden können und damit die Verjährungsfrist des § 14 StVG nicht vor diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen hat, die damit im Zeitpunkt der Einreichung der Klage, auf den es hier unangefochten ankommt (vgl. § 261 b Abs. 3 ZPO), noch nicht abgelaufen war. Die Angriffe der Revision gegen diese Ausführungen sind nicht begründet.
Der Tatrichter konnte annehmen, daß die vorausgesetzte Kenntnis noch nicht aus der Voranzeige der bayerischen Landpolizei-Inspektion Pa. vom 29. November 1964, die der Anwalt der Klägerin bis zum 15. Januar 1965 kannte, zu gewinnen war. Diese Unfallvoranzeige berichtet über den Unfallhergang lediglich aufgrund ungesicherter Vermutungen, die sich zudem bei den späteren Ermittlungen gerade nicht bestätigten. Die Kenntnis bloßer Vermutungen steht der erforderlichen Kenntnis aber nicht gleich (BGH Urteil vom 13. Juni 1956 - VI ZR 44/55 = VersR 1956, 507 m.w.N.). Eine weitere Kenntnis fehlte. Zum damaligen Zeitpunkt standen noch keine anderen Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung. Schon deshalb war ohne Belang, ob eine solche Kenntnis des Anwalts zur geforderten Kenntnis der Klägerin ausreichen würde.
Eine den Verjährungsbeginn auslösende Kenntnis der Klägerin brauchte das Berufungsgericht auch nicht dem Umstand zu entnehmen, daß sie das Schreiben ihres Anwalts vom 15. Januar 1965 erhalten hat. Dieses Schreiben beruhte ausschließlich auf der erwähnten Voranzeige. Wenn es auch den Unfallhergang bestimmter als diese Voranzeige schilderte, berichtete es doch nur das, was sich aus den - erst zum Teil einsehbaren - Unfallakten ergab. So wurde denn auch der Umstand, daß es sich zunächst nur um eine Möglichkeit des Unfallablaufs handelte, auch in diesem Schreiben dadurch deutlich, daß der Anwalt ankündigte weiter zu berichten, wenn die Unfallakten vollständig seien. Im übrigen haben sich gerade die - nur als möglich hingestellten - Umstände des Unfallgeschehens, die für die Berechtigung der Schadensersatzansprüche der Klägerin sprechen konnten, im späteren Verfahren gerade nicht bestätigt. Schon deshalb kann nicht davon die Rede sein, die Klägerin habe hinreichende Kenntnis vom Unfallgeschehen im erforderlichen Umfange gehabt.
Die Klägerin konnte nach der Annahme des Berufungsgerichts frühestens aus der endgültigen Verkehrsunfallanzeige der Landpolizei-Inspektion Pa., die bei der Staatsanwaltschaft R. am 26. Januar 1965 einging und nunmehr auch die Niederschriften über die Zeugenvernehmungen enthielt. Genaueres über den Unfallhergang entnehmen. Diese Unfallanzeige hat der Anwalt der Klägerin aber erst Anfang April 1965 eingesehen. Der Tatrichter hat sich davon überzeugt, daß er erst zu diesem Zeitpunkt aus Gründen, die im Strafverfahren lagen, Einsicht nehmen konnte. Diesen Hergang würdigt das Berufungsgericht in möglicher Weise dahin, daß es auch der Klägerin bei aller Anstrengung ebenso wenig gelungen wäre, früher Einsicht zu nehmen.
3.
Vielfach wird die Kenntnis der die Schadensersatzpflicht begründenden Tatsachen allerdings genügen, die Verjährungsfrist in Lauf zu setzen (vgl. BGHZ 6, 195, 201; RGZ 157, 18, 20). Für die hier in Frage stehende Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG würde damit ausreichen, wenn die geschädigte Klägerin davon wußte, daß ihr Ehemann durch das vom Erstkläger gehaltene und vom Zweitkläger gefahrene Kraftfahrzeug ums Leben gekommen ist. Doch hat man stets hervorgehoben, das gelte nur in der Regel, es könne auch anders sein (BGHZ a.a.O. für den Fall, daß die Rechtsfragen verwickelt und zweifelhaft sind; vgl. auch RGZ 142, 280, 283). Ein solcher Ausnahmetatbestand liegt zwar nicht schon dann vor, wenn dem Geschädigten lediglich unbekannt ist oder unsicher erscheint, ob der Schädiger nicht Einwendungen oder Einreden, etwa des Mitverschuldens, vortragen wird (BGH Urteil vom 9. Dezember 1958 - VI ZR 272/57 = LM BGB § 852 Nr. 11 = VersR 1959, 274). Der zu beurteilende Sachverhalt liegt aber anders. Die Klägerin war nicht Zeuge des Unfalls. Der Zweitbeklagte hatte vorgebracht, der Fahrer des PkW habe die Kurve geschnitten und so die unfallauslösende Berührung der Kraftwagen herbeigeführt. Auch der Sachverständige Z. neigte im Ermittlungsverfahren der Auffassung zu, daß der Lastzug vor dem Unfall seine Fahrbahn nicht verlassen, der Pkw dagegen die Kurve geschnitten habe und dabei unter den Anhänger geraten sei. Von den vier Insassen des Pkw waren drei tödlich verunglückt. Der vierte hatte keinerlei Erinnerung an den Geschehensablauf. Hinreichende objektive Anhaltspunkte für den Unfallhergang fehlten. Damit war zumindest offen, ob die Beklagten oder der Fahrer des Pkw haftbar gemacht werden konnten. Es mußte sogar damit gerechnet werden, daß nicht Fahrer und Halter des Lastzuges hafteten, sondern nur der Fahrer des Pkw. So haben die Beklagten denn auch jede Haftung nach dem Straßenverkehrsgesetz in Abrede gestellt und sich auf das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses berufen. Unter diesen Umständen war jedenfalls die Frage, wer haftete, insbesondere ob die Beklagten, im damaligen Zeitraum noch so offen, daß die Klage gegen sie bei verständiger Würdigung der der Klägerin bekannten Tatsachen nicht soviel Erfolgsaussicht bot, um ihr die Klage - wenn auch nicht ohne Risiko - zuzumuten.
Diesen Erwägungen steht somit hier nicht, wie die Revision meint, der Umstand entgegen, daß es sich bei den Gegebenheiten, hinsichtlich deren der Klägerin eine hinreichende Kenntnis fehlte, nicht um klagebegründende Tatsachen, sondern um einen der Beweislast der Beklagten unterliegenden Ausschlußtatbestand (§ 7 Abs. 2 StVG) handelt. So hat auch das Reichsgericht bei einer Haftung aus Gefährdung (nach dem damaligen Kraftfahrzeuggesetz) die irrige Annahme des Ersatzberechtigten, die Geschwindigkeit des unfallursächlichen Fahrzeugs sei auf 20 km/st beschränkt, als für die Verjährung erhebliches Fehlen der erforderlichen Kenntnis gewertet (RGZ 124, 111, 114/115). Auch insoweit obliegt die Beweislast dafür, daß es sich um ein langsam bewegliches Kraftfahrzeug handelt, dem Halter (Floegel/Hartung StVR 17. Aufl. § 8 StVG Bem. 2).
Somit war die Revision unbegründet und mit der Kostenfolge aus § 97 ZPO zurückzuweisen.
Dr. Bode
Dr. Weber
Nüßgens
Sonnabend