Bundesgerichtshof
Urt. v. 17.04.1967, Az.: II ZR 104/66
Klage gegen die Kfz-Haftpflichtversicherung auf Versicherungsschutz; Verspätete Geltendmachung der Ansprüche; Rechtzeitige Zustellung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 17.04.1967
- Aktenzeichen
- II ZR 104/66
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1967, 11774
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Hamm - 15.04.1966
Rechtsgrundlagen
Prozessführer
Kaufmann Josef H., A., B.str. ...
Prozessgegner
Die N. Allgemeine Vers. Akt. Ges. mit Sitz in L., T. Allee ...,
vertreten durch ihren Vorstand Dr. Werner P. (Vorsitzer), Dr. Ernst K., Dr. Erich
C., Dr. Heinrich Lo. und Dr. Erich F.
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 1967
unter Mitwirkung
des Senatspräsidenten Dr. Fischer und
der Bundesrichter Dr. Kuhn, Dr. Bukow, Dr. Schulze und Fleck
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 15. April 1966 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger verlangt im Wege der Feststellungsklage von der Beklagten Haftpflichtversicherungsschutz gegen die Ansprüche, die wegen eines Verkehrsunfalls vom 19. Januar 1964 gegen ihn als Halter eines Personenkraftwagens erhoben werden.
Mit einem dem Kläger am 22. Oktober 1964 zugegangenen Schreiben verweigerte die Beklagte den Versicherungsschutz, weil das Kraftfahrzeug wegen eines abgefahrenen Vorderreifens verkehrsunsicher gewesen sei. In dem Schreiben wies die Beklagte, "einer gesetzlichen Verpflichtung nachkommend", auf § 8 AKB bin, den sie wörtlich wiedergab. Am 20. April 1965 reichte der Kläger beim Landgericht die Klageschrift ein. Der Aufforderung des Gerichts vom selben Tag, den Streitwert anzugeben, kam der Prozeßbevollmächtigte des Klägers am 26. April 1965 nach. Daraufhin ging dem Anwalt am 30. April 1965 die gerichtliche Aufforderung zu, 79 DM Prozeßgebühr zu zahlen. Diese Zahlung ging am 28. Mai 1965 beim Landgericht in Kostenmarken ein. Daraufhin wurde die Klage am 3. Juni 1965 der Beklagten zugestellt. Bereits unter dem 30. April 1965 hatte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers der Beklagten eine Abschrift der Klage mit dem Bemerken übersandt, er habe Klage beim Landgericht eingereicht.
Gegenüber dem Vorbringen der Beklagten, er habe die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG versäumt, hat der Kläger u.a. geltend gemacht, er habe infolge von Schicksalsschlägen, eigener Krankheit und dadurch hervorgerufener Geldknappheit den Prozeßkostenvorschuß nicht früher einzahlen können.
Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision, um deren. Zurückweisung die Beklagte bittet, verfolgt der Kläger seinen Feststellungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Nach § 12 Abs. 3 VVG ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Anspruch auf die Leistung nicht innerhalb von sechs Monaten seit dem Tage geltend gemacht wird, an dem der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer den erhobenen Anspruch unter Angabe der mit dem Fristablauf verbundenen Rechtsfolge schriftlich abgelehnt hat. Nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts reichte das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 19. Oktober 1964 mit der wörtlichen Wiedergabe des § 8 AKB aus, um die Frist in Lauf zu setzen. Da der Kläger den Brief am 22. Oktober 1964 erhalten hat, endigte somit die Frist gemäß §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit dem Ablauf des 22. April 1965. Zwei Tage vorher hat der Kläger seine Klage eingereicht. Damit hätte er nach § 261 b Abs. 3 ZPO die Ausschlußfrist des § 12 Abs. 3 VVG gewahrt, wenn die Klageschrift der Beklagten "demnächst" zugestellt worden wäre. Diese Voraussetzung hat das Berufungsgericht verneint, weil der Kläger die Prozeßgebühr schuldhaft zu spät gezahlt und sich hierdurch die Zustellung erheblich verzögert habe. Deshalb hält es die Beklagte für leistungsfrei. Dem kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden.
Die Vorschrift des § 261 b Abs. 3 ZPO soll die Partei, welche die Zustellung betreibt, vor den nachteiligen Folgen solcher Verzögerungen bewahren, die im Geschäftsablauf des Gerichts begründet liegen und auf die sie keinen Einfluß hat. Die Vorschrift ist daher grundsätzlich weitherzig oder, wie es in Entscheidungen anderer Zivilsenate heißt, "nicht engherzig" auszulegen. Nur gebietet es in der Regel die billige Rücksicht auf die Gegenpartei, eine Rückwirkung der Zustellung auf den Tag des Eingangs der Klage bei Gericht dort zu verneinen, wo der Kläger oder sein Prozeßbevollmächtigter durch Nachlässigkeit zu einer nicht nur geringfügigen Verzögerung der Zustellung beigetragen hat (BGHZ 31, 342, 346 [BGH 16.12.1959 - IV ZR 103/59]; 25, 66, 77 [BGH 29.06.1957 - IV ZR 88/57]; BGH VersR 1966, 675; 1960, 210; 1956, 471und 503).
Mit Recht hat das Berufungsgericht weder dem Kläger zur Last gelegt, daß er die Klageschrift erst zwei Tage vor Fristablauf eingereicht hat, noch ihn für verpflichtet gehalten, die Prozeßgebühr vor Anforderung selbst zu berechnen und einzuzahlen (BGH VersR 1966, 675; 1956, 503u.a.m.). Auch auf die Tatsache, daß der Streitwert nicht schon in der Klageschrift angegeben war, ist hier kein entscheidendes Gewicht zu legen, da der Prozeßbevollmächtigte des Klägers nach der Rückfrage des Gerichts die Angabe alsbald mit einem schon sechs Tage nach der Klageschrift und vier Tage nach Fristablauf eingereichten Schriftsatz nachgeholt hat (vgl. BGH VersR 1964, 75). Für die Frage, ob der Kläger durch sein eigenes Verhalten die Zustellung der Klage schuldhaft verzögert hat, kommt demnach nur die Zeit vom 30. April 1965, dem Tag, an dem die gerichtliche Zahlungsaufforderung dem Anwalt des Klägers zugegangen ist, bis zur Einzahlung des Vorschusses am 28. Mai 1965 in Betracht.
Hierbei ist zu berücksichtigen, daß der Kläger, sein damaliger Prozeßbevollmächtigter und das Landgericht ihren Sitz jeweils an einem anderen Ort haben. Der Prozeßbevollmächtigte mußte die ihm zugegangene Zahlungsaufforderung prüfen und an den auswärts wohnenden Kläger weitergeben. Nachdem der Kläger die Mitteilung gelesen und das Geld beschafft hatte, hat er es wieder auf dem umgekehrten Weg über seinen Anwalt dem Gericht zugeleitet. Alle diese Vorgänge bedingten eine auch bei ordnungsmäßigem Geschäftsgang unvermeidbare Verzögerung, die mit insgesamt 10 Tagen angesetzt werden kann. Es bleibt dann noch ein Zeitraum von 18 Tagen, den der Kläger allerdings ungenutzt hat verstreichen lassen, ohne hierfür zwingende Gründe anführen zu können. Ob es bei einer Säumnis von solcher Dauer, je nach Lage des Falles, im Interesse der Gegenpartei nicht mehr vertretbar sein kann, die Zustellungswirkung gemäß § 261 b Abs. 3 ZPO auf den Tag des Eingangs bei Gericht zurückzubeziehen (wie z.B. in dem Urteil BGH VersR 1961, 713 für den dort entschiedenen Sachverhalt angenommen wurde), ist in diesem Fall nicht zu entscheiden. Unter den hier vorliegenden Umständen kann sich die Beklagte gemäß § 242 BGB nicht darauf berufen, die Klage sei ihr infolge Nachlässigkeit des Klägers zu spät zugestellt worden.
Bei der auch in diesem Fall gebotenen Abwägung aller Umstände kann nämlich nicht unberücksichtigt bleiben, inwieweit die Verlängerung der Zeitspanne zwischen Einreichung und Zustellung der Klageschrift schutzwürdige Interessen der Beklagten tatsächlich beeinträchtigt hat (BGH VersR 1960, 210; 1964, 58) [BGH 21.11.1963 - II ZR 64/61]. Unter diesem Gesichtspunkt kommt der Art und dem Zweck der Frist, die durch die Klageerhebung gewahrt werden soll, eine wesentliche Bedeutung zu (vgl. BGH VersR 1956, 471; NJW 1953, 620). Die Ausschlußfrist des § 12 Abs. 3 VVG soll lediglich dem Versicherer Klarheit darüber verschaffen, ob er noch mit Versicherungsansprüchen zu rechnen hat oder nicht. "Denn durch jede Verzögerung in der Erledigung zweifelhafter Ansprüche wird die zuverlässige Feststellung der maßgebenden Tatsachen erschwert und zugleich die Übersicht über den wahren Stand des Vermögens des Versicherers beeinträchtigt" (Begr. zu § 12, Neudruck der Motive zum VVG, 1963, S. 87). Da aber nach § 261 b Abs. 3 ZPO die Frist schon durch die Einreichung der Klageschrift bei Gericht gewahrt werden kann, wenn demnächst zugestellt wird, muß der Versicherer auch nach Ablauf von sechs Monaten noch eine gewisse Zeit mit einer wirksamen Anspruchserhebung rechnen.
Noch innerhalb dieser Zeitspanne hat hier die Beklagte nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers durch sein Schreiben vom 30. April 1965 davon erfahren, daß die abschriftlich beigefügte Deckungsklage beim Landgericht bereits eingereicht war. Zwar ist es entgegen den Ausführungen der Revision nicht möglich, mit dem Zugang des Schreibens die Klage gemäß § 187 ZPO als zugestellt anzusehen. Denn eine Zustellung war mit der einfachen Übersendung dieses Schreibens nicht beabsichtigt und auch nicht möglich (BGHZ 7, 268; BGH VersR 1964, 58 [BGH 21.11.1963 - II ZR 64/61]). Auf Grund der durch einen Rechtsanwalt erteilten Nachricht konnte und mußte sich die Beklagte aber auf den jetzt mit Sicherheit bevorstehenden Rechtsstreit einrichten. Damit war ihr beachtliches Klarstellungsinteresse, dem § 12 Abs. 3 VVG Rechnung trägt, gewahrt, auch wenn man in Betracht zieht, daß der Kläger die Zeit bis zur Zustellung der Klage durch schnellere Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses noch um über zwei Wochen hätte verkürzen können. Denn dieser Zeitraum ließ es gerade noch zu, daß seinetwegen keine ernsten Zweifel an der endgültigen Durchführung des Rechtsstreits aufkommen konnten, daß also noch nicht jene Unsicherheit eintrat, vor der das Gesetz den Versicherer schützen will. Deshalb macht die Beklagte hier keinen zulässigen Gebrauch von ihren Rechten, wenn sie ihre Leistungsfreiheit gemäß § 12 Abs. 3 VVG daraus herleiten will, daß der Kläger die Zustellung der Klage schuldhaft verzögert habe.
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, der Kläger habe es versäumt, durch einen Antrag gemäß § 111 Abs. 4 GKG schon vor der Zahlung der Prozeßgebühr die Zustellung der Klage zu erwirken. Für einen solchen Antrag hat kein Anlaß bestanden, da der Kläger fähig und willens gewesen ist, den Kostenvorschuß noch so früh zu zahlen, daß die Beklagte durch den Zeitablauf bei der hier gegebenen Sachlage nicht unbillig beschwert worden ist (BGH VersR 1966, 675).
Auf die Einschränkung, die der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinen Urteilen vom 30. Juni 1966 (VersR 1966, 938 = NJW 1966, 2211 mit ablehnender Anm. Redeker) und vom 23. Januar 1967 (VersR 1967, 400) gegenüber der vom II., IV., V. und VI. Zivilsenat in ständiger Rechtsprechung vertretenen weitherzigen Auslegung des § 261 b Abs. 3 ZPO vorgenommen hat, kommt es hiernach nicht an. Denn die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt darin, daß die Beklagte von der rechtzeitig eingereichten Klage in einem Zeitpunkt zuverlässig unterrichtet worden ist, als sie auch bei strengster Auslegung des § 261 b Abs. 3 ZPO noch nicht damit rechnen konnte, gemäß § 12 Abs. 3 VVG leistungsfrei geworden zu sein.
Die Sache ist daher unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das nunmehr zu prüfen haben wir, ob sich die Beklagte mit Recht auf die Bestimmungen über die Gefahrerhöhung beruft.
Dr. Kuhn
Dr. Bukow
Dr. Schulze
Fleck