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Bundesgerichtshof
Urt. v. 13.07.1962, Az.: I ZR 43/61
„Bärenfang“

Rechtsmittel

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
13.07.1962
Aktenzeichen
I ZR 43/61
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1962, 14568
Entscheidungsname
Bärenfang
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg - 26.01.1961

Fundstellen

  • DB 1962, 1433-1434 (Volltext)
  • DRiZ 1963, 27-28
  • JZ 1963, 225-226 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1962, 963-964 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1962, 2149-2153 (Volltext mit amtl. LS) "Meinungsbefragung)"

Verfahrensgegenstand

"Bärenfang"

Prozessführer

der Firma T. & Ko., H., W.str. ..., vertreten durch ihre persönlich haftenden Gesellschafter Ingenieur Johannes Ko. und Kaufmann Walter Ko., daselbst,

Prozessgegner

die Firma Luigi To., Alleininhaber: Kaufmann Luigi To., U.-Ke./K., Weißhausstr. 9,

Amtlicher Leitsatz

  1. a)

    Bei der Frage, ob eine Werbebehauptung unrichtig ist, kann den Beklagten im Hinblick auf das Gebot einer redlichen Prozeßführung dann eine Darlegungs- und Beweispflicht treffen, wenn der Kläger außerhalb der für die Beurteilung der Wahrheit der Behauptung entscheidenden Tatumstände steht und keine Möglichkeit hat, den Sachverhalt von sich aus zu ermitteln, der Beklagte aber die erforderliche Aufklärung ohne weiteres geben kann und ihm das nach den Umständen auch zuzumuten ist.

  2. b)

    Ob der Richter die für die Beurteilung der Wahrheit einer Werbebehauptung maßgebende Verkehrsauffassung aus eigener Sachkunde beurteilen kann, hängt davon ab, ob er in dem umfange, wie es für die beabsichtigte Entscheidung erforderlich ist, in die Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise eigenen Einblick besitzt. Zu der für die Annahme der Unrichtigkeit der Behauptung genügenden Feststellung, es werde ein nicht ganz unerheblicher Teil der angesprochenen Kreise irregeführt, wird die eigene Lebenserfahrung und Sachkenntnis nicht selten ausreichen; dagegen erfordert die Verneinung einer Täuschungsgefahr im Sinne von §3 UWG häufig die Erfassung eines so weitgespannten und vielschichtigen Personenkreises, daß der Richter ein zuverlässiges Bild nicht ohne fremde Hilfe gewinnen kann.

  3. c)

    Zum Beweismittel der Meinungsbefragung.

hat der Erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 1962 unter Mitwirkung des Senatspräsidenten Prof. Dr. h. c. Wilde und der Bundesrichter Dr. Spreng, Jungbluth, Dr. Spengler und Ebel

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 26. Januar 1961 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

1

Beide Parteien befassen sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Spirituosen, Eines ihrer Erzeugnisse ist der als ostpreußische Spezialität bekannte "Bärenfang", ein Honiglikör, der nach den maßgebenden Begriffsbestimmungen der Spirituosenindustrie unter dieser oder einer gleichbedeutenden Bezeichnung nur in Verkehr gebracht werden darf, wenn er in bezug auf seinen Gehalt an Honig und Weingeist bestimmten Mindestanforderungen genügt.

2

Die um die Jahrhundertwende in Kö. (O.) gegründete Klägerin hat nach dem letzten Krieg ihren Betrieb in H. wieder aufgenommen. Sie bezieht sich in ihrer Werbung auf ihre alte ostpreußische Tradition und verwendet für ihren "Bärenfang" u.a. die eingetragenen Warenzeichen "Bärenfang aus der alten K. Likörfabrik T. & Ko." und "Original T. & Ko.'s ostpreußischer Bärenfang".

3

Die Beklagte wurde, wie sie vorträgt, im Jahre 1925 in K. gegründet und in den Jahren 1935 und 1940 durch Übernahme von zwei K. Herstellungsbetrieben für Trinkbranntwein erweitert; im Jahre 1950 ist sie im Handelsregister des Amtsgerichts Köln eingetragen worden. Sie bedient sich auf den Plaschenetiketten ihres "Bärenfang" und in der Zeitungswerbung für dieses Erzeugnis der Angabe: "nach einem alten ostpreußischen Familienrezept hergestellt".

4

Die Klägerin hält diesen Werbespruch für irreführend. Sie meint, der Hinweis auf ein altes ostpreußisches Familienrezept erwecke beim Verbraucher den falschen Eindruck, daß die Beklagte früher in Ostpreußen ansässig gewesen sei, dort jahrzehntelang oder vielleicht noch länger "Bärenfang" nach einem alten ostpreußischen Familienrezept erzeugt habe und nunmehr mit diesem alten Rezept und ihrer langjährigen Fabrikationserfahrung in die Bundesrepublik übergesiedelt sei und hier wie andere aus dem Osten verdrängte Unternehmen und wie sie, die Klägerin selbst, ihre Geschäftstätigkeit wieder aufgenommen habe. In Wirklichkeit verfüge die Beklagte weder über eine alte ostpreußische Gewerbe- und Familientradition noch habe sie in ihrer Familie ein altes ostpreußisches "Bärenfang"-Rezept besessen. Sie mache sich daher unberechtigterweise die besondere Gütevorstellung zunutze, die beim Verbraucher durch die Verbindung der Bezeichnung "Bärenfang" mit dem Begriff "Ostpreußen" hervorgerufen werde. Ferner habe sie insofern gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen, als sie in einem im Jahre 1960 erschienenen Inserat neben dem genannten Werbespruch die Angabe "Seit 35 Jahren To.-Liköre" verwendet und hierdurch eine 35jährige Erfahrung in der Herstellung von "Bärenfang" vorgetäuscht habe.

5

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

  1. a)

    es zu unterlassen, den von ihr hergestellten und vertriebenen "Bärenfang" mit dem Werbesatz "nach einem alten ostpreußischen Familienrezept hergestellt" zu versehen und die so ausgestattenen Flaschen anzubieten oder in Verkehr zu bringen oder sich in der Werbung für dieses Erzeugnis des genannten Werbespruchs zu bedienen,

  2. b)

    den genannten Werbespruch auf den Etiketten und in der Werbung unkenntlich zu machen.

6

Die Beklagte hat um Abweisung der Klage gebeten. Sie hat geltend gemacht, der mit der Klage beanstandete Werbesatz besage nicht mehr als sein wörtlicher Sinngehalt. Der Verbraucher werde nicht auf eine alte ostpreußische gewerbliche oder Familientradition des Herstellers schließen, sondern ohne weiteres erkennen, daß es sich um ein westdeutsches Unternehmen handle, und den Werbesatz lediglich so verstehen, wie er gemeint sei, nämlich, daß es dem Hersteller gelungen sei, ein altes ostpreußisches Familienrezept zu erwerben, und daß das Erzeugnis nach diesem Rezept hergestellt sei. Tatsächlich besitze sie, die Beklagte, ein solches Rezept und stelle danach ihren "Bärenfang" her. Sie habe das Rezept durch Vermittlung eines langjährigen und angesehenen, aus Ostdeutschland stammenden Fachberaters der deutschen Spirituosenindustrie erhalten. Sie sei bereit, den Namen dieses inzwischen verstorbenen Fachmannes zu nennen und das Rezept - allerdings zur Wahrung ihres Geschäftsgeheimnisses nur gegenüber einem vom Gericht zu bestellenden Sachverständigen - vorzulegen. Auch die Angabe "Seit 35 Jahren To.-Liköre" sei objektiv richtig; da sie jedoch in den Zeitungsanzeigen von 1960 infolge eines redaktionellen Versehens in mißverständlicher Art verwendet worden sei, habe sie, die Beklagte, diese Form der Werbung eingestellt.

7

Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre seitherigen Anträge weiter, während die Beklagte um Zurückweisung der Revision bittet.

Entscheidungsgründe:

8

I.

Das Berufungsurteil führt einleitend aus, die Werbeangabe "nach einen alten ostpreußischen Familienrezept hergestellt" sei geeignet, den Anschein eines besonders günstigen Angebots im Sinne von §3 UWG hervorzurufen, denn der Honiglikör "Bärenfang" sei, was unstreitig und zudem gerichtsbekannt sei, in weiten Kreisen als ostpreußische Spezialität bekannt. Es müsse deshalb damit gerechnet werden, daß viele Verbraucher einen "Bärenfang", dessen Hersteller sich auf eine ostpreußische Tradition oder ein ostpreußisches Rezept berufe, vor anderen Erzeugnissen gleichen Namens den Vorzug geben würden.

9

Es sei aber, so legt das Berufungsgericht weiter dar, nicht bewiesen, daß die beanstandete Werbemitteilung unrichtig sei. Hierbei müsse davon ausgegangen werden, daß die Beklagte tatsächlich über ein altes ostpreußisches Familienrezept verfüge und dieses bei der Herstellung ihres "Bärenfang" verwende, denn die Klägerin habe keinen Beweis dafür angetreten, daß die Beklagte ein solches Rezept nicht besitze. Der beanstandete Werbesatz würde zwar auch dann als irreführend anzusehen sein, wenn er bei einem wesentlichen Teil der Verbraucher über seinen wörtlichen Sinngehalt hinaus den falschen Eindruck hervorrufen sollte, daß die Beklagte eine - unstreitig nicht bestehende - gewerbliche ostpreußische Tradition in bezug auf die Herstellung von "Bärenfang" besitze. Dies sei jedoch weder bei der Gruppe von Verbrauchern zu befürchten, die unter "Bärenfang" nur eine besondere Likörsorte verständen, ohne von ihrem ostpreußischen Ursprung zu wissen, noch bei der Gruppe, der "Bärenfang" als ostpreußische Spezialität bekannt sei. Wenn ein solcher unrichtiger Eindruck überhaupt entstehen sollte, so könne es sich höchstens um einen völlig unerheblichen Teil der Verbraucherschaft handeln.

10

Schließlich untersucht und verneint das Berufungsgericht die Frage nach einem Verstoß gegen die guten Sitten im Wettbewerb. Es führt aus, gegen die im Jahre 1960 erschienene Werbeanzeige beständen allerdings erhebliche Bedenken; die hier in irreführender Weise verwendete Angabe "Seit 35 Jahren To.-Liköre" sei aber nicht Gegenstand des Klagebegehrens auch sei nicht ersichtlich, daß diese von der Beklagten inzwischen aufgegebene Form der Werbung eine große Verbreitung gefunden und die Verbrauchermeinung wesentlich beeinflußt habe.

11

II.

Schon die Auffassung des Berufungsgerichts, es müsse davon ausgegangen werden, daß die Beklagte tatsächlich ein altes ostpreußisches Familienrezept besitze, gibt, wie die Revision zutreffend geltend macht, zu rechtlichen Bedenken Anlaß.

12

1.

Das Berufungsgericht stützt seine Auffassung im einzelnen auf folgende Erwägungen: Für die klagebegründende Tatsache, daß die Beklagte kein solches Rezept besitze, treffe die Klägerin die Beweislast. Trotz eines entsprechenden Hinweises im Urteil des Landgerichts sei sie ihrer Beweispflicht nicht nachgekommen. Unistände, die zu einer Urakehrung der Beweislast führen könnten, lägen nicht vor. Die Klägerin wäre, so meint das Berufungsgericht schließlich, durchaus in der Lage gewesen, durch einen Antrag auf Vernehmung des Inhabers der Beklagten Beweis anzutreten. Es sei nicht Sache der Beklagten, ihr Rezept vorzulegen, denn einen solchen Zwang zur Preisgabe eines Geschäftsgeheimnisses kenne das Gesetz nicht.

13

2.

Das Berufungsgericht hat demnach richtig erkannt, daß sich die Nachprüfung der beanstandeten Werbebehauptung der Beklagten auf ihren Wahrheitsgehalt nicht auf die Frage beschränken darf, ob sie eine ostpreußische Gewerbe- und Familientradition der Beklagten vortäuscht, sondern daß auch, und zwar folgerichtig an erster Stelle, geprüft werden muß, ob der Werbesatz seinem Wortsinne nach der Wahrheit entspricht, nämlich ob die Beklagte tatsächlich ein "altes ostpreußisches Familienrezept" in dem Sinne, wie der von der Werbung angesprochene Durchschnittsverbraucher diese Angabe verstehen wird, besitzt und danach ihren "Bärenfang" herstellt.

14

Die Zurückweisung des dahingehenden Vertrags der Klägerin mit dem Hinweis auf ihre Darlegungs- und Beweispflicht wird jedoch der Sachlage nicht gerecht. Im Ausgangspunkt sind die Erwägungen des Berufungsgerichts zwar richtig, denn bei einer Klage aus §3 UWG liegt es grundsätzlich dem Kläger ob, die - eine wesentliche Anspruchsvoraussetzung bildende - Unwahrheit der angegriffenen Behauptung des Beklagten substantiiert darzulegen und zu beweisen. Das Berufungsgericht läßt aber außer acht, daß dieser Grundsatz nicht ausnahmslos und nicht uneingeschränkt gilt und daß er nach feststehender Rechtsprechung insbesondere für solche Fälle einer Einschränkung bedarf, in denen der Kläger außerhalb des Geschehensablaufs steht und den Sachverhalt nicht von sich aus ermitteln kann, während dem Beklagten die erforderliche tatsächliche Aufklärung ohne weiteres möglich und auch zuzumuten ist. In Fällen dieser Art würde es dem Gedanken von Treu und Glauben, der auch das Prozeßrecht beherrscht (vgl. Staudinger, BGB, 11. Aufl., §242, Anm. A 58 mit zahlreichen Nachweisungen), widersprechen, wollte man den Kläger an der für ihn grundsätzlich bestehenden vollen Darlegungs- und Beweispflicht festhalten; es ist vielmehr, wie der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 20. Januar 1961 (GRUR 1961, 356, 359 - Prossedienst) unter Bezugnahme auf einschlägige Entscheidungen des Reichsgerichts näher ausgeführt hat, hinsichtlich derjenigen tatsächlichen Umstände, deren Aufklärung nach Lage der Sache vom Kläger billigerweise nicht erwartet werden kann, eine Darlegungs- und Beweispflicht des Beklagten anzunehmen.

15

3.

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Die Klägerin stand - ähnlich wie im Falle der Entscheidung in GRUR 1961, 356, 359 - Pressedienst - völlig außerhalb des tatsächlichen Geschehensablaufs, der für die Beurteilung der Wahrheit der Werbebehauptung in Betracht kommt. Sie konnte lediglich auf die Zweifelsgründe hinweisen, die sich daraus ergeben, daß die Beklagte stets in K. ansässig gewesen war und nicht in unmittelbaren Beziehungen zu Ostpreußen gestanden hatte, und mußte sich im übrigen, da ihr eigene Mittel zur Aufklärung nicht zur Verfügung standen, auf eine Erklärung "mit Nichtwissen" beschränken. Ein weitergehender tatsächlicher Vortrag und das Angebot geeigneter Beweise war von ihr unter diesen Umständen nicht zu erwarten.

16

Andererseits mußte die Beklagte ohne weiteres in der Lage sein, die erforderliche Aufklärung zu geben und ihre Behauptungen unter Beweis zu stellen. Dies war ihr auch zuzumuten, denn wenn sie sich des Besitzes eines alten ostpreußischen Familienrezeptes berühmte, um damit für ihren "Bärenfang" zu werben und dem Leser der Ankündigung einen besonderen Anreiz zum Kauf gerade ihres Erzeugnisses und nicht der gleichbenannten Erzeugnisse von Mitbewerbern zu geben, so entspricht es dem Gebot einer redlichen, mit Treu und Glauben zu vereinbarenden Prozeßführung, daß sie die für die Beurteilung maßgebenden tatsächlichen Umstände offenbart, soweit ihr nicht, was jedoch höchstens hinsichtlich des Inhalts des Rezeptes selbst gilt, ein berechtigtes Interesse an der Währung ihrer Geschäftsgeheimnisse zur Seite steht.

17

Unter diesen Umständen durfte die Klägerin nicht an ihrer grundsätzlich bestehenden Darlegungs- und Beweislast festgehalten und insbesondere nicht darauf verwiesen werden, daß sie ja einen Antrag auf Vernehmung des Inhabers der Beklagten als Partei hätte stellen können. Es wäre vielmehr die eigene Darlegungspflicht der Beklagten zu berücksichtigen gewesen, die nicht etwa, wie das Berufungsgericht anzunehmen scheint, von dem Vorliegen besonderer, eine "Umkehrung der Beweislast" rechtfertigender Umstände abhängig war. Unter diesen Gesichtspunkt hätte die bereits von der Beklagten gegebene - im Berufungsurteil unberücksichtigt gebliebene - Darstellung über die Herkunft ihres Rezeptes von einem angesehenen Fachberater der Spirituosenindustrie gewürdigt und ihr unter Umständen aufgegeben werden müssen, ihren Vortrag zu ergänzen und geeignete Beweise anzutreten. Diese Beweise hätten alsdann, vorausgesetzt, daß die Darstellung der Beklagten geeignet erschienen wäre, die Wahrheit ihrer Werbebehauptung schlüssig darzutun, erhoben werden müssen.

18

4.

Diese in den Vorinstanzen unterbliebene Aufklärung des Sachverhalts wird das Berufungsgericht nach der - auch aus anderen Gründen erforderlichen - Zurückverweisung der Sache im weiteren Verfahren nachzuholen haben, es sei denn, daß die Klage aus dem von der Klägerin an zweiter Stelle geltend gemachten Gesichtspunkt, der Werbespruch sei auch deshalb irreführend, weil er bei den angesprochenen Verkehrskreisen über seinen wörtlichen Sinngehalt hinaus unrichtige Vorstellungen erwecke (s. hierüber unten III), ohnehin zum Erfolg führen sollte.

19

Die hiernach gegebenenfalls erforderliche weitere Sachaufklärung wird sich zunächst auf die im Berufungsurteil zwar in anderem Zusammenhang berührte, aber nicht näher untersuchte Frage zu erstrecken haben, welche Vorstellungen die von der Werbung der Beklagten angesprochenen Kreise mit dem Begriff "Familienrezept" verbinden werden. Insbesondere wird zu prüfen sein, ob etwa, wie die Revision geltend macht, ein nicht unbeträchtlicher Teil der Verbraucherschaft an ein Rezept denken wird, das sich seit mehreren Generationen im Besitze einer bestimmten ostpreußischen Familie befunden hat und möglicherweise als Familiengeheimnis besonders gehütet worden ist und das bis zum Erwerb durch die Beklagte ausschließlich zu der - in Ostpreußen unstreitig viel geübten Herstellung von "Bärenfang" für den privaten Gebrauch verwendet worden ist, oder ob der Begriff nach den Anschauungen der beteiligten Kreise eine Herstellung zu gewerblichen Zwecken unter bestimmten Voraussetzungen - beispielsweise wenn der Herstellungsbetrieb ein sog. "Familienunternehmen" ist - nicht ausschließt. Ferner wird zu untersuchen sein, reiche Vorstellungen vom Alter des Rezepts die Angabe, es handle sich um ein "altes" Rezept, in den maßgebenden Kreisen hervorrufen wird.

20

Sodann wird unter Zugrundelegung des Vertrags und der Beweisangebote der Beklagten und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme zu untersuchen sein, ob das Rezept, auf dessen Besitz sich die Beklagte in ihrer Werbung beruft, den zuvor ermittelten Vorstellungen des Verkehrs von einem "alten ostpreußischen Familienrezept" entspricht. In diesem Zusammenhang wird, falls sich die Darstellung der Beklagten von Erwerb des Rezeptes durch Vermittlung eines Fachberaters der Spirituosenindustrie bestätigen sollte, auch geprüft werden müssen, ob ein Rezept, das ursprünglich ein echtes Familienrezept gewesen sein mag, nicht durch einen solchen von einem Fachberater vermittelten Besitzwechsel in den Augen der beteiligten Kreise diese Eigenschaft verliert. Hierbei kann möglicherweise eine Rolle spielen, ob nach Lage der Sache die Gewähr besteht, daß der letzte Erwerber das Originalrezept erworben hat oder ob, wie die Revision geltend macht, mit der Möglichkeit gerechnet werden muß, daß es sich lediglich um eine von dem Vermittler geschaffene Variation handelt.

21

Sollten jedoch bei allen diesen Untersuchungen durchgreifende Bedenken gegen die Wahrheit der Werbebehauptung nicht hervortreten, so wird das Berufungsgericht schließlich erneut zu erwägen haben, ob nicht die möglichen Nachwirkungen der eingestandenermaßen irreführenden, im Jahre 1960 betriebenen Anzeigenwerbung der Beklagten zur Anlegung eines besonders strengen Maßstabes nötigen und ob die beanstandete Behauptung bei der Prüfung auf ihren Wahrheitsgehalt auch diesen erhöhten Anforderungen standhält (vgl. hierzu BGH GRUR 1958, 86, 89 - Ei-fein).

22

III.

Auch die Darlegungen des Berufungsgerichtes zu der weiteren Frage, ob der Werbespruch der Beklagten selbst dann geeignet ist, bei den angesprochenen Verkehrskreisen unrichtige Vorstellungen hervorzurufen, wenn er, wie das Berufungsgericht unterstellt, seinem wörtlichen Sinngehalt nach der Wahrheit entsprechen sollte, erweisen sich in verschiedenen entscheidungserheblichen Punkten als rechtlich nicht haltbar.

23

1.

Das Berufungsgericht faßt das Ergebnis seiner Prüfung vorweg dahin zusammen, daß der irrige Eindruck einer eigenen ostpreußischen Gewerbetradition der Beklagten bei einem wesentlichen Teil der Verbraucher nicht entstehen könne, und führt aus: es bedürfe zu dieser Feststellung keiner Beweisaufnahme; das Gericht könne vielmehr aus eigener Erfahrung entscheiden, wenn es auf die Auffassung eines flüchtigen Durchschnittskäufers ankomme und die beteiligten Richter diesem Verkehrskreis selbst angehörten. Die Einschaltung eines Instituts zur Erforschung der öffentlichen Meinung im Wege des Sachverständigenbeweises erscheine nach den mit diesem Beweismittel bisher gemachten Erfahrungen nicht zweckmäßig. Durch die Art der Fragestellung werde nämlich für die Auskunftsperson eine Situation geschaffen, die von der eines flüchtigen Verbrauchers wesentlich abweiche; Ergebnisse von wirklich entscheidender Bedeutung würden daher nicht gewonnen. Es rechtfertige sich unter diesen Umständen nicht, den Parteien durch eine solche Meinungserforschung Kosten zu machen, die zu den sonstigen Gerichts- und Anwaltskosten derartiger Prozesse in keinem Verhältnis ständen.

24

Bei der anschließenden Untersuchung der Verkehrsauffassung im einzelnen unterscheidet das Berufungsgericht zwei Gruppen von Verbrauchern, nämlich diejenigen, die "Bärenfang" als ostpreußische Spezialität betrachten, und diejenigen, die nur wissen, daß es sich um eine besondere, früher möglicherweise auch in Ostpreußen hergestellte Likörsorte handelt. Für jede dieser Gruppen prüft es die Frage der Täuschungsgefahr gesondert in der Richtung, ob die beteiligten Kreise annehmen werden, daß die Beklagte aus Ostpreußen stamme, ob sie auf eine jahrzehntelange Erfahrung der Beklagten in der Herstellung von "Bärenfang" und ob sie auf eine Bewährung des Rezeptes in der gewerblichen Produktion schließen werden. Es gelangt in eingehenden Untersuchungen zur Verneinung aller dieser Fragen und faßt das Ergebnis seiner Prüfung gesondert für jede der beiden Verbrauchergruppen und dann auch für die Gesamtheit der Verbraucherschaft dahin zusammen, daß eine Irreführung nicht zu befürchten sei und, wenn überhaupt, allenfalls bei einen völlig unerheblichen Teil der infrage kommenden Verkehrskreise eintreten werde.

25

2.

Die Revision greift diese Darlegungen zunächst insofern an, als sie die Frage betreffen, auf welchen Teil der von der Werbung der Beklagten angesprochenen Verkehrskreise es ankommt. Sie macht geltend, die Begründung des Berufungsurteils sei in dieser Hinsicht widerspruchsvoll, denn es stelle zu Anfang (S. 9 unten) fest, daß eine Irreführung bei einem "wesentlichen Teil" der Verbraucherschaft nicht eintreten werde, am Ende der jeweiligen Untersuchungen jedoch (S. 13, 17 unten und 18 oben), daß allenfalls ein "völlig unerheblicher Teil" der maßgebenden Kreise irregeführt werde. Selbst wenn die eine oder die andere Fassung auf einem redaktionellen Versehen beruhen sollte, so lasse die Urteilsbegründung jedenfalls nicht eindeutig erkennen, ob das Berufungsgericht die von der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze beachtet habe.

26

Der Revision ist zuzugeben, daß die unterschiedlichen Wortfassungen an den erwähnten Stellen der Urteilsbegründung in einen schwer lösbaren Widerspruch zueinander stehen und erhebliche Zweifel in der Richtung offen lassen, ob das Berufungsgericht bei seinen Überlegungen den richtigen Maßstab angelegt und beachtet hat, daß eine Irreführung des Verkehrs im Sinne des §3 UWG nach feststehender Rechtsprechung schon dann gegeben ist, wenn ein nicht völlig unbeachtlicher Teil der beteiligten Kreise getäuscht wird (siehe u.a. BGH GRUR 1961, 193, 196 - Medaillenwerbung - und GRUR 1961, 538, 540 - Feldstecher). Trotz dieses Rechtsfehlers kann die hierauf gestützte Revisionsrüge jedoch nicht zum Erfolg führen, da die abschließende Feststellung des Berufungsgerichts, es werde höchstens ein ganz unerheblicher Teil der Verbraucherschaft irregeführt - einerlei, ob bei den vorangegangenen Überlegungen der richtige Maßstab angelegt worden ist -, und die hieraus gezogene Folgerung, daß die Voraussetzungen des §3 UWG nicht erfüllt seien, im Ergebnis mit den Grundsätzen der Rechtsprechung nicht in Widerspruch steht und die angefochtene Entscheidung demnach auf jenem Rechtsfehler nicht beruht.

27

Durchgreifende Bedenken sind auch nicht dagegen zu erheben, daß das Berufungsgericht bei seiner Untersuchung zwei Gruppen von Verbrauchern unterschieden und zunächst gesondert beurteilt hat, denn es hat sich nicht etwa, was fehlerhaft gewesen wäre, auf diese getrennte Behandlung beschränkt, sondern seine abschließende Untersuchung auf die Gesamtheit der Verbraucherschaft erstreckt. Ob eine solche Aufgliederung der beteiligten Verkehrskreise in mehrere Gruppen allgemein zulässig ist und ob sie im vorliegenden Falle geboten oder doch zweckmäßig war, bedarf unter diesen Umständen keiner Erörterung.

28

3.

Den weiteren Angriffen, mit denen sich die Revision unter Berufung auf §286 ZPO gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, es könne aus eigener Sachkunde entscheiden, und gegen die Erwägungen wendet, aus denen es von der Einholung des Gutachtens eines Instituts für Meinungsforschung abgesehen hat, war dagegen der Erfolg nicht zu versagen.

29

a)

Der erkennende Senat hat zwar - in Übereinstimmung mit den bereits vom Reichsgericht entwickelten Grundsätzen - wiederholt ausgesprochen, daß der Tatrichter nicht selten durchaus in der Lage ist, sich ohne fremde Hilfe über die für seine Entscheidung maßgebenden Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise aufgrund seiner eigenen Sachkunde und Lebenserfahrung ein zuverlässiges Urteil zu bilden. Besonders ist das für solche Fälle anerkannt worden, in denen bei Gegenständen des allgemeinen Bedarfs die Anschauungen des unbefangenen Durchschnittskäufers zu ermitteln waren und der Richter oder die Mitglieder des zur Entscheidung berufenen Kollegiums selbst diesem Personenkreis angehörten (vgl. BGHZ 4, 96, 107[BGH 30.11.1951 - I ZR 9/50] - Farina-Urkölsch; BGH GRUR 1961, 193, 195 - Medaillenwerbung - und GRUR 1961, 538, 540 - Feldstecher).

30

Andererseits ist jedoch in diesen und zahlreichen anderen Entscheidungen immer wieder betont worden, daß in vielen Fällen die eigene Sachkunde des Gerichts nicht ausreicht, sondern zur Feststellung einer bestimmten Verkehrsauffassung die Erhebung geeigneter Beweise, etwa durch Umfrage bei den Industrie- und Handelskammern oder durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, unerläßlich ist. So ist beispielsweise in Fällen, in denen über die Verkehrsgeltung einer Warenbezeichnung, eines Firmen- oder Geschäftsabzeichens, eines Werbeverses oder dergl. zu entscheiden ist, bei einer - rechtsgrundsätzlich nicht ausgeschlossenen - Anwendung der eigenen Sachkunde besondere Vorsicht geboten und vielfach eine fremde Hilfe nicht zu entbehren (vgl. u.a. BGH GRUR 1955, 481, 483 - Hamburger Kinderstube -, 1960, 126 ff - Sternbild - und 1961, 193, 195 - Medaillenwerbung).

31

Der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist demnach nicht etwa, wie das Berufungsgericht offenbar meint, der Grundsatz zu entnehmen, daß das Gericht stets dann über eine genügende eigene Sachkunde verfügt, wenn es sich um die Feststellung der Anschauungen des flüchtigen Durchschnittskäufers handelt und die zur Entscheidung berufenen Richter selbst zu diesem Personenkreis gehören. Auch in Fällen dieser Art ist vielmehr weiterhin zu prüfen, ob die Kenntnisse und Erfahrungen, die dem Gericht durch eine solche eigene Beziehung zu den beteiligten Verkehrskreisen vermittelt werden, ausreichen, um die zur Entscheidung stehende Frage ohne fremde Hilfe so zu beantworten, wie es das Gericht für angebracht hält.

32

Handelt es sich, wie im Streitfalle, um die Frage, ob eine Werbemaßnahme im Sinne des §3 UWG irreführend ist, so werden in der Regel an die Sachkunde und Lebenserfahrung des Gerichts unterschiedliche Anforderungen zu stellen sein, je nachdem ob es dazu neigt, eine Irreführung zu bejahen oder sie zu verneinen. Im ersteren Falle wird der Tatrichter häufig ohne fremde Hilfe zum Ziel gelangen, denn wenn er selbst oder wenn die Mitglieder des zur Entscheidung berufenen Kollegiums glauben feststellen zu können, daß sie für ihre Person als unbefangene Durchschnittakäufer einer Irreführung unterliegen würden, und wenn dieses Urteil noch durch allgemeine Erfahrungen gestützt wird, so wird vielfach schon aus der Summe dieser Kenntnisse und Erfahrungen unbedenklich gefolgert werden können, daß zumindest ein nicht ganz unbeträchtlicher Teil der beteiligten Kreise getäuscht wird.

33

Anders verhält es sich aber, wenn das Gericht glaubt, die Gefahr einer Irreführung verneinen zu müssen. In diesen Fällen kommt es gewöhnlich auf die Gesamtheit der von der Werbung angesprochenen Verkehrskreise an und bedarf es der Feststellung, daß in allen diesen Kreisen, abgesehen höchstens von einen ganz unbeträchtlichen Teil, mit einer Täuschung ernstlich nicht zu rechnen ist. Über den hierzu - ähnlich wie regelmäßig bei der Beurteilung der Verkehrsgeltung - erforderlichen umfassenden Einblick in die Anschauungen eines weit gespannten und vielschichtigen Personenkreises, wobei zudem in vielen Fällen, wie auch in dem vorliegenden, ein weit ausgedehnter räumlicher Bereich in Betracht kommen kann, innerhalb dessen erfahrungsgemäß landsmannschaftliche Besonderheiten eine Rolle spielen können, wird das Gericht in der Regel nicht ohne weiteres verfügen und deshalb genötigt sein, sich geeigneter Beweismittel zu bedienen.

34

c)

Diesen rechtlichen Gesichtspunkten hat das Berufungsgericht nicht genügend Rechnung getragen. Die Tatsache, auf die es sich zur Begründung seiner Sachkunde allein beruft, nämlich daß die an der Entscheidung beteiligten Richter selbst dem für die Beurteilung maßgebenden Personenkreis der flüchtigen Durchschnittskäufer angehören, bietet keine hinreichende Gewähr dafür, daß das Berufungsgericht über die zur Verneinung der Frage erforderliche umfassende Sachkunde verfügt hat. Eine so weitreichende Kenntnis der für die Beurteilung in Betracht kommenden tatsächlichen Verhältnisse wird dem Gericht, wie bereits hervorgehoben, in der Regel nicht zur Verfügung stehen; wenn es dennoch glaubt, sie zu besitzen, so bedarf das einer näheren, der Nachprüfung in der Revisionsinstanz zugänglichen Begründung. Eine solche Begründung läßt das Berufungsurteil sowohl in seinen einleitenden Bemerkungen auf Seite 10 oben als auch in seinen weiteren ausführlichen Erörterungen zur Frage der Täuschungsgefahr im einzelnen vermissen. Diese Darlegungen begründen im Gegenteil erhebliche Zweifel, ob das Berufungsgericht das Maß der erforderlichen Sachkunde erkannt und ob es über eine solche Sachkunde verfügt hat oder ob seine Urteile über die Anschauungen der beteiligten Verkehrskreise nicht zu einem wesentlichen Teil persönliche Meinungsäußerungen sind, denen eine breitere Grundlage fehlt. Besonders gilt das für die abschließende Feststellung des Berufungsgerichts, es werde, wenn überhaupt, allenfalls nur ein ganz unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise irregeführt. Wenn das Berufungsgericht hinsichtlich eines - allerdings kleinen - Teiles der infrage kommenden Kreise eine Irreführung als möglich ansah, hätte es seine Ansicht, es handle sich hierbei höchstens um einen "völlig unerheblichen Teil", unter sorgfältiger Prüfung aller hierfür maßgebenden tatsächlichen Umstände näher begründen müssen.

35

d)

Auch die vom Berufungsgericht geäußerten grundsätzlichen Bedenken gegen eine Meinungsbefragung, die vermutlich bei seinen Entschluß, aus eigener Sachkunde zu entscheiden, mitbestimmend waren, sind nicht durchschlagend. Die Meinungsbefragung ist, wie der erkennende Senat wiederholt ausgesprochen hat (s. u.a. BGHZ 21, 182, 195[BGH 03.07.1956 - I ZR 137/54] - Funkberater; BGH GRUR 1957, 426, 428 - Getränkeindustrie), ein zulässiges und vielfach auch geeignetes Beweismittel. Der Auffassung des Berufungsgerichts, bei einer solchen Befragung werde durch die Art der Fragestellung für die Auskunftsperson eine Situation geschaffen, die wesentlich von der eines flüchtigen Verbrauchers abweiche, und es könnten deshalb Ergebnisse von wirklich entscheidender Bedeutung nicht gewonnen werden, kann - jedenfalls in dieser Allgemeinheit - nicht beigepflichtet werden.

36

Richtig ist zwar, daß bei der Meinungsumfrage auf die Abfassung der an die Auskunftspersonen zu richtenden Fragen besondere Sorgfalt verwendet und bedacht werden muß, daß nur eine geeignete Fragestellung brauchbare und repräsentative Ergebnisse erwarten läßt. Die hierin liegende, jedoch überwindbare Schwierigkeit kann es aber nicht rechtfertigen, das Beweismittel der Meinungsbefragung grundsätzlich abzulehnen; es wird vielmehr im Einzelfalle Aufgabe des Tatrichters sein, für die Art der Durchführung der Befragung durch geeignete Abfassung der Beweisfragen eine brauchbare Grundlage zu schaffen und gegebenenfalls schon seinerseits Vorschläge für die den Auskunftspersonen zu stellenden Fragen zu machen (BGH GRUR 1960, 232, 234 - Feuerzeugausstattung).

37

Auch die Erwägung, es rechtfertige sich nicht, den Parteien die mit einer solchen Befragung verbundenen erheblichen Kosten zu machen, geht fehl. Wenn die vom Kläger begehrte Entscheidung die Einholung eines Sachverständigengutachtens und zur Vorbereitung desselben die Durchführung einer Meinungsumfrage voraussetzt, so kann das Gericht im Interesse der Wahrheitsfindung, auf die die Prozeßparteien einen Rechtsanspruch haben, nicht im Hinblick auf die entstehenden Kosten von einer sonst für erforderlich gehaltenen Beweisaufnahme absehen. Allerdings wird das Gericht, bevor es eine Meinungsbefragung anordnet, zu prüfen haben, ob nicht ein anderer Weg beschritten werden kann, der mit geringerem Kostenaufwand zum gleichen Ziele führt, etwa der einer Umfrage bei den Industrie- und Handelskammern oder die Einholung von Auskünften einschlägiger Wirtschaftsverbände.

38

4.

Ebenso wie die unter II. behandelten Verfahrensmängel nötigen auch diese, ebenfalls vorwiegend auf verfahrensrechtlichem Gebiete liegenden Rechtsfehler dazu, das angefochtene Urteil aufzuheben und, da sich der erkennende Senat, wie noch zu erörtern sein wird, zu einer abschließenden eigenen Beurteilung nicht in der Lage sieht, den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird im weiteren Verfahren die Frage einer Irreführung des Verkehrs durch Vortäuschung einer alten ostpreußischen Tradition erneut in jeder Richtung zu prüfen haben, es sei denn, daß es, was ihn freisteht, die Prüfung des wörtlichen Inhalts des Werbespruches der Beklagten auf seinen Wahrheitsgehalt vorwegnimmt und daß sich die Klage schon nach dem Ergebnis dieser Prüfung als begründet erweisen sollte (vgl. oben II 4).

39

5.

Die Revision hat schließlich weitere Angriffe gegen die Sachbeurteilung durch das Berufungsgericht vorgebracht, die z.T. begründet sind. Insoweit ist für die weitere rechtliche Behandlung vor allem auf folgendes hinzuweisen:

40

a)

Die Erwägungen, die das Berufungsgericht an die bildliche Ausgestaltung der Flaschenetiketten der Beklagten und insbesondere daran knüpft, daß der beanstandete Werbespruch, wie es meint, in bezug auf Größe und Art der Schriftzeichen und infolge der wellenförmigen Anordnung der Schrift gegenüber der als Blickfang wirkenden Bezeichnung "Bärenfang" deutlich zurücktritt und daß auf den Etiketten in großer Schrift der Eigenname "To." erscheint, gehen fehl. Das Berufungsgericht verkennt, daß sich die Klage nicht nur gegen die derzeitige Aufmachung des Erzeugnisses der Beklagten richtet, sondern ein allgemeines Verbot der Verwendung des beanstandeten Werbespruches anstrebt und daß auch die Beklagte sich nicht etwa auf eine bestimmte Verwendungsart beschränken will, sondern das Recht für sich in Anspruch nimmt, ihren Werbespruch in jeder beliebigen Form zu verwenden.

41

b)

Auch die Überlegung, durch die Tatsache, daß im Werbespruch der Beklagten von "einem" und nicht von "unserem" alten ostpreußischen Familienrezept die Rede ist, werde bei beiden von Berufungsgericht unterschiedenen Verbrauchergruppen eine Irreführung weitgehend ausgeschlossen und insbesondere der Eindruck vermieden, daß das Rezept aus dem Besitz der Familie des Inhabers der Beklagten selbst stamme und daß diese über eine jahrzehntelange eigene Erfahrung in der Anwendung des Rezeptes verfüge, ist rechtlich nicht haltbar. Sie widerspricht der vom Berufungsgericht selbst hervorgehobenen Erfahrung, daß der Durchschnittskäufer dem genauen Wortlaut einer Werbemitteilung vielfach nur eine flüchtige Aufmerksamkeit schenkt. Der Gebrauch des unbestimmten Geschlechtswortes "ein" statt des besitzanzeigenden Fürwortes "unser" bietet daher entgegen der Annahme des Berufungsgerichts keine Gewähr dafür, daß der Werbespruch im ganzen keine unrichtigen Vorstellungen hervorrufen wird.

42

c)

Schwerwiegende Bedenken sind vor allem gegen die Auffassung des Berufungsgerichts zu erheben, daß selbst diejenigen Verbraucher, denen "Bärenfang" als ostpreußische Spezialität bekannt ist, nicht zu der irrigen Annahme gelangen konnten, daß die Beklagte aus Ostpreußen stamme und über eine alte ostpreußische Familien- und Gewerbetradition verfüge. Der Hinweis auf den Namen To. ist, abgesehen von den unter a) erwähnten Gründen, auch deshalb verfehlt, weil der zu vermutende italienische Ursprung des Namens keineswegs ausschließt, daß in Ostpreußen eine alteingesessene, möglicherweise vor Generationen von einem italienischen Einwanderer gegründete Firma dieses Namens bestanden hat. Auch die sonstigen Erwägungen, die das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang anstellt, und die abschließende Feststellung, es könne höchstens ein ganz unerheblicher Teil der genannten Verbrauchergruppe irregeführt werden, vermögen nicht zu überzeugen.

43

Bei unbefangener Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände kann nach der aus seiner eigenen Lebenserfahrung und Sachkenntnis geschöpften Auffassung des erkennenden Senats insgesamt kaum bezweifelt werden, daß einen Verbraucher, dem "Bärenfang" als ostpreußische Spezialität bekannt ist, durch den Werbespruch der Beklagten sehr wohl die unrichtige Vorstellung vermittelt werden kann, daß diese aus Ostpreußen stamme und über eine langjährige ostpreußische Tradition verfüge. In der ersten Zeit nach der Abtrennung der deutschen Ostgebiete hätten ernstliche Bedenken gegen diese Annahme überhaupt nicht erhoben werden können. Zweifelhaft erscheint dem Senat jedoch, ob sich nicht in der inzwischen verstrichenen Zeitspanne von mehr als 17 Jahren seit Kriegsende die früher gültigen Anschauungen gewandelt haben. Hierbei ist insbesondere daran zu denken, daß zahlreiche aus der ostdeutschen Heimat vertriebene Unternehmer erfahrungsgemäß ihre gewerbliche Tätigkeit nicht wieder aufgenommen, jedoch oft ihre Schutzrechte, gewerblichen Erfahrungen, Betriebsgeheimnisse u. dgl. auf westdeutsche Unternehmen übertragen haben und daß diese Unternehmen gerade bei Erzeugnissen, die als ostdeutsche Spezialitäten bekannt sind, in ihrer Werbung nicht selten befugterweise an die geschäftliche Tradition des fremden Ursprungsbetriebes anknüpfen. Ferner wird die allgemeine Erfahrung in Betracht zu ziehen sein, daß Spezialerzeugnisse, die vor dem Kriege ausschließlich oder fast ausschließlich in Ostdeutschland hergestellt worden waren, heute in großem Umfange in der Bundesrepublik hergestellt und angeboten werden und der Hinweis auf das ostdeutsche Ursprungsgebiet heute bereits vielfach weniger in geografischem Sinne als im Sinne der Kennzeichnung einer bestimmten charakteristischen Beschaffenheit der Ware verstanden wird.

44

Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß diese Entwicklung dazu geführt hat, daß selbst ein Verbraucher, der andernfalls beim Lesen des streitigen werbespruchs zu Rückschlüssen auf eine alte ostpreußische Tradition der Beklagten geneigt wäre, heute einer solchen irrigen Vorstellung nicht mehr unterliegen, sondern die Bezugnahme auf ein "altes ostpreußisches Familienrezept" nur noch auf die Herkunft des Rezeptes selbst aus dem ostpreußischen Wirtschaftsgebiet beziehen wird, und daß demnach die Irreführung eines nicht ganz unbeträchtlichen Teiles der Verbraucherschaft nicht mehr zu befürchten ist. Diese Frage vermag der erkennende Senat aus eigener Sachkunde nicht abschließend zu beurteilen; ihre Klärung muß daher der weiteren Nachprüfung durch den Tatrichter überlassen bleiben.

45

Sollte das Berufungsgericht bei Anlegung des gewöhnlichen Maßstabes an die Wahrheitspflicht erneut dazu gelangen, die Gefahr der Vortäuschung einer ostpreußischen Tradition der Beklagten zu verneinen, so wird es schließlich auch bei dieser Frage wieder zu erwägen haben, ob etwa mit Rücksicht auf die möglichen Nachwirkungen der vorangegangenen irreführenden Anzeigenwerbung der Beklagten ein strengerer Maßstab angelegt werden muß (vgl. oben II 4 am Ende).

46

IV.

Es war daher wie geschehen zu erkennen, wobei die Entscheidung über die Kosten der Revision dem Berufungsgericht zu übertragen war.

Wilde Spreng Jungbluth Spengler Ebel