Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.03.1961, Az.: VI ZR 189/59

Fahrgast; Fahruntüchtiger Fahrer; Körperverletzung; Rechtfertigende Einwilligung; Schadenshaftung; Erkannte Gefahrenlage

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
14.03.1961
Aktenzeichen
VI ZR 189/59
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1961, 10271
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Hamm - 28.09.1959
LG Detmold

Fundstellen

  • BGHZ 34, 355 - 367
  • DAR 1961, 138
  • DRiZ 1961, 121
  • JZ 1961, 602-605 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
  • MDR 1961, 403-404 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1961, 655-658 (Volltext mit amtl. LS) "Wirkungen des Handelns auf eigene Gefahr"
  • NJW 1965, 2189-2190 (Urteilsbesprechung von Dr. Gerold Schmidt)

Amtlicher Leitsatz

  1. a)

    Wer sich als Fahrgast einem als fahruntüchtig erkannten Fahrer eines Kraftfahrzeugs anvertraut, erklärt damit noch nicht eine rechtfertigende Einwilligung in Körperverletzungen, die der Fahrer verursacht.

  2. b)

    In der Regel ist nach § 254 BGB darüber zu entscheiden, welchen Einfluß es auf die Schadenshaftung hat, daß sich der Geschädigte ohne triftigen Grund einer erkannten Gefahrenlage aussetzte. Das widersprüchliche Verhalten des Geschädigten (venire contra factum proprium) kann dazu führen, ihm einen Schadensersatz zu versagen. Nach den Umständen des Einzelfalles kann aber auch eine Minderung des Ersatzanspruchs in Betracht kommen.

  3. c)

    Haben sich Minderjährige bewußt einer Gefahr ausgesetzt, so ist - wie sonst im Rahmen des § 254 BGB - § 828 BGB entsprechend anwendbar. Bei der Entscheidung, ob es angemessen ist, den Schadensersatz voll zu versagen, ist auch die Eigenart jugendlichen Verhaltens zu berücksichtigen.

    (Abweichung zu BGHZ 2, 159)

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Vertraut sich ein Fahrgast einem von ihm als fahruntüchtig erkannten Fahrer eines Kraftfahrzeugs an, ist damit noch keine Erklärung einer rechtfertigenden Einwilligung in Körperverletzungen, die der Fahrer verursacht, erfolgt

  2. 2.

    Für die Schadenshaftung ist nach § 254 BGB darüber zu entscheiden, welchen Einfluß die Begebenheit hatte, daß sich der Geschädigte ohne triftigen Grund einer erkannten Gefahrenlage aussetzte.

In dem Rechtsstreitverfahren hat
der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
auf die mündliche Verhandlung vom 7. Februar 1961
unter Mitwirkung
des Senatspräsidenten Dr. Engels und
der Bundesrichter Dr. Kleinewefers, Dr. Bode, Dr. Hauß und Dr. Pfretzschner
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Hamm vom 28. September 1959 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Kraftfahrzeugunfall, den er im Alter von 16 1/2 Jahren erlitten hat. Er und der fast 20 Jahre alte Erstbeklagte waren damals Kraftfahrzeugschlosserlehrlinge in einer Werkstatt in H. (Li.). Sie mußten einmal wöchentlich die Kreisberufsschule in D. besuchen. Am 21. Februar 1957 fuhren beide vereinbarungsgemäß mit dem Volkswagen eines Arbeitskollegen zur Berufsschule. Der Erstbeklagte allein hatte einen Führerschein und führte den Wagen. In der Mittagspause schlug er dem Kläger, dem fast 17 Jahre alten Zweitbeklagten und dem 17 1/2 Jahre alten Mitschüler J. - beide ebenfalls Kraftfahrzeugschlosserlehrlinge - vor, nach V. zu fahren, wo er bei seinen Eltern essen wollte. Auf dem Wege bat der Zweitbeklagte den Erstbeklagten, ihn einmal fahren zu lassen. Das lehnte der Erstbeklagte ab, denn er - wie auch der Kläger - wußte, daß der Zweitbeklagte keinen Führerschein hatte. Auf der Rückfahrt gab er jedoch dem erneuten Drängen des Zweitbeklagten nach, ihm jedenfalls auf einer kurzen Strecke das Steuer zu überlassen. Er wechselte bei laufendem Motor mit dem Zweitbeklagten, der neben ihm gesessen hatte, den Platz. Der Zweitbeklagte befuhr die abschüssige Straße mit einer Geschwindigkeit von etwa 60 km/st. Nach einigen hundert Metern verlor er in einer leichten Linkskurve, die er mit unvermindeter Geschwindigkeit durchfahren wollte, die Gewalt über das Fahrzeug. Der Wagen prallte auf der linken Straßenseite frontal gegen einen Baum. Der Zweitbeklagte trug eine Gehirnerschütterung, der Erstbeklagte eine Prellung am Kopf, J. eine Prellung am linken Auge davon. Der Kläger erlitt eine Gehirnerschütterung und eine Quetschung des linken Sehnervs. Die Sehfähigkeit des linken Auges ist um etwa 90 % herabgesetzt; mit einer Besserung ist nicht zu rechnen.

2

Der Kläger hat vorgetragen, er habe den Zweitbeklagten davor gewarnt, das Steuer zu übernehmen, allerdings nur wegen der Gefahr einer polizeilichen Kontrolle.

3

Er stellt sein Mitverschulden mit einem Fünftel in Rechnung und hat von den Beklagten als Gesamtschuldnern ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt und die Feststellung begehrt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet seien, ihm vier Fünftel des zukünftigen Schadens zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträger übergegangen sind.

4

Die Beklagten haben um Abweisung der Klage gebeten. Sie sind der Ansicht, der Kläger habe auf eigene Gefahr gehandelt. Er sei nicht nur damit einverstanden gewesen, daß der Zweitbeklagte trotz unzureichender Fahrkunst und fehlender Fahrberechtigung das Steuer des Wagens übernommen habe, sondern er habe außerdem selbst versucht, an das Steuer zu kommen und damit seine Kameraden zu gefährden.

5

Das Landgericht hat dem Kläger ein Schmerzensgeld von 4.000,- DM zugesprochen und festgestellt, daß die Beklagte als Gesamtschuldner verpflichtet seien, vorbehaltlich des Forderungsübergangs auf den Sozialversicherer dem Kläger zwei Drittel des zukünftigen Schadens zu ersetzen. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen.

6

Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision bittet der Kläger um Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.

Entscheidungsgründe

7

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die deliktische Haftung der beiden Beklagten sei nicht durch eine stillschweigende Abrede über eine Haftungsfreistellung ausgeschlossen, die der minderjährige Kläger ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters auch gar nicht habe abschließen können. Wohl aber führe der Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr zu einer Entlassung der beiden Beklagten aus der Haftung. Der Kläger habe die nötige Einsichtsfähigkeit besessen, um die mit der Übernahme der Wagenführung durch den Zweitbeklagten drohende Gefahr zu erkennen. Wie er aber selbst bereit gewesen sei, durch Lenkung des Wagens seihe Kameraden zu gefährden, so habe er es auch in Kenntnis der Gefährdung gebilligt, daß sich der Zweitbeklagte trotz mangelnder Fahrausbildung und Fahrübung ans Steuer gesetzt habe. Nur mit Rücksicht auf eine befürchtete polizeiliche Kontrolle habe er zunächst Bedenken erhoben, diese aber nicht aufrecht erhalten. Der Unfall sei nur durch die mangelnde Fahrpraxis und Fahrausbildung des Zweitbeklagten entstanden. Bei einem solchen Geschehensablauf widerspreche es Treu und Glauben, daß der Kläger die Beklagten für die Folgen der Gefahrenverwirklichung haftbar mache. Die angemessene Haftungsfreistellung der beiden Beklagten dürfe nicht durch die Anwendung des § 107 BGB unmöglich gemacht werden, für dessen Anwendung bei solchen Gefahrengemeinschaften Jugendlicher kein Bedürfnis bestehe. In diesem Sinne liege auch die neue Rechtsprechung, die die Zustimmung des Jugendlichen zu einem ärztlichen Eingriff nicht mehr dem Recht der Willenserklärung unterstelle, sondern auf seine Einsichtsfähigkeit abstelle (BGHZ 29, 33).

8

II.

Ohne weiteres zuzustimmen ist dem Berufungsgericht darin, daß die Haftung der Beklagten nicht wirksam vertraglich ausgeschlossen worden ist. Dagegen ist auf die Darlegungen des Berufungsgerichts über die Wirkung des Handelns auf eigene Gefahr eine grundsätzliche Stellungnahme erforderlich. In der gegenwärtigen Praxis des Haftungsrechts spricht man von einem Handeln auf eigene Gefahr, wenn sich jemand ohne triftigen Grund in eine Situation drohender Eigengefährdung begibt, obwohl er die besonderen Umstände kennt, die für ihn eine konkrete Gefahrenlage begründen. Führt diese Gefährdung dann zu einer Schädigung, so stellt sich die Frage, ob der so Geschädigte Schadensersatz von einem anderen fordern kann, der an sich nach dem Recht der Gefährdungshaftung oder nach Vertrags- oder Deliktsrecht schadensersatzpflichtig wäre. Die Rechtsprechung hat auf solche Fälle zunächst den sich anbietenden § 254 BGB angewandt, falls nicht im Einzelfall eine stillschweigende vertragliche Haftungsfreistellung vorlag, in deren Annahme man aber durchweg sehr zurückhaltend war. Eine eigenständige Bedeutung gewann der Begriff des Handelns auf eigene Gefahr in der Rechtspraxis erst, als das Reichsgericht unter Berufung auf diesen Gesichtspunkt die Gefährdungshaftung dann ausschloß, wenn sich der Geschädigte ohne rechtliche, berufliche oder moralische Verpflichtung der vermeidbaren Gefahr bewußt selbst ausgesetzt hatte (RG WarnRspr 1909 Nr. 357; RGZ 130, 162). Auf diese Weise wurden gewisse Schädigungen dem Anwendungsbereich der Gefährdungshaftung entzogen, bei denen nach der Art ihrer Entstehung der gesetzgeberische Grund der Gefährdungshaftung nicht zu passen schien. Indem das Reichsgericht den Gedanken heranzog, daß eine bewußte Gefahrexponierung ein Handeln auf eigene Gefahr sein könne, glaubte es, eine im Sinne der Absicht des Gesetzgebers liegende gerechte Ausgleichung gegenüber der strengen Gefährdungshaftung zu erreichen. Zugleich betonte das Reichsgericht, daß gegenüber einer Haftung des Beklagten aus § 823 BGB das Handeln auf eigene Gefahr allein nicht zur Abweisung des Schadensersatzanspruchs führen müsse. Vielmehr habe hier eine die Umstände des Einzelfalles berücksichtigende Abwägung gemäß § 254 BGB stattzufinden (RGZ 130, 162, 169; vgl. auch RG JW 1911, 28).

9

Erst in dem Urteil vom 19. Juni 1933 - RGZ 141, 262 - entwickelte das Reichsgericht im Anschluß an Flad - Recht 1919, 13 - die Auffassung, wer sich als Teilnehmer einer Fahrt im Kraftfahrzeug der besonderen mit dieser Fahrt verbundenen Gefahr bewußt sei, willige damit in eine Körperverletzung ein, die möglicherweise auf der Fahrt eintrete. Soweit die Einwilligung reiche und rechtlich erlaubt sei, entfalle die Widerrechtlichkeit der Schadenszufügung und damit die Haftung des Schädigers. Diese Einwilligung in die Rechtsgutverletzung sei eine empfangsbedürftige Willenserklärung und könne wegen ihrer nachteiligen Wirkung von einer beschränkt geschäftsfähigen Person nur mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters wirksam abgegeben werden. Das Reichsgericht ist bei dieser Auffassung geblieben (RGZ 145, 390; RG JW 1934, 2033; 1938, 2354). Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat sich ihr in BGHZ 2, 159 angeschlossen (vgl. auch III ZR 282/51 vom 9. Oktober 1952 = LM BGB § 823 Ha Nr. 3 = VersR 1952, 420). Der erkennende Senat hat bislang diese Auffassung seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt, wenn auch die entschiedenen Fälle durchweg solche waren, in denen die Voraussetzungen der Rechtfertigung durch das Handeln auf eigene Gefahr verneint wurden. Das Berufungsgericht will von der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs abweichen und hat deshalb die Revision zugelassen.

10

III.

Bereits in seinem Urteil VI ZR 13/57 vom 25. März 1958 = LM BGB § 107 Nr. 2 = NJW 1958, 905 [BGH 25.03.1958 - VI ZR 13/57] hat der Senat Zweifel geäußert, ob an jener rechtlichen Würdigung der bewußten Selbstgefährdung festgehalten werden kann, die mit der Entscheidung RGZ 141, 262 Eingang in die Rechtspraxis gefunden hat. Im juristischen Schrifttum hat die Konstruktion des Handelns auf eigene. Gefahr als einer rechtfertigenden Einwilligung in mögliche Rechtsgutverletzungen in zunehmendem Maße Ablehnung gefunden. Dabei ist besonders auf die gekünstelte und lebensfremde Betrachtung, die unpassende rechtsgeschäftliche Einkleidung und die mangelnde Eignung der Konstruktion zur Findung eines sachgemäßen Ergebnisses hingewiesen worden (vgl. Bemmann, VersR 1958, 583, 585; Böhmer, VersR 1957, 205;  1959, 746; MDR 1958, 78; Flume, Rechtsgeschäft und Privatautonomie in "100 Jahre Deutsches Rechtsleben", Festschrift zum deutschen Juristentag 1960 S. 136, 178 ff; Geigel, Der Haftpflichtprozeß 10. Aufl. 10. Kap. Nr. 53; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts 1. Bd. 4. Aufl. § 14 V b; Reimer Schmidt in Soergel BGBKomm 9. Aufl. § 254 Anm. 63, 64; Walter, Gefälligkeitsfahrt in Kraftverkehrs-Recht von A bis Z, Erläuterungen 1 Bl. 13; Wangemann, NJW 1955, 85; MDR 1956, 385; vgl. auch OLG Oldenburg, DAR 1956, 296).

11

Nach Ansicht des Senats sind diese Bedenken begründet; er hält an der Auffassung des Reichsgerichts nicht länger fest.

12

1)

Wird von dem praktisch wichtigsten Anwendungsfall, der Beförderung durch einen fahruntüchtigen Kraftfahrer ausgegangen, so widerspricht die Annahme, der die Fahruntüchtigkeit des Führers kennende Fahrgast willige in die ihn auf der Fahrt möglicherweise treffenden Körperverletzungen ein, offenbar der Wirklichkeit. Überträgt man die Grundsätze über die Unterscheidung zwischen (bedingtem) Vorsatz und (bewußter) Fahrlässigkeit von der Fremdschädigung auf die Eigenschädigung, so wird in aller Regel nur bewußte Fahrlässigkeit vorliegen. Der Fahrgast kennt zwar die Gefahr, hofft aber, sie werde sich nicht verwirklichen. Es ist seine leichtfertige Selbstgefährdnung, die den Vorwurf gegen ihn begründet. Dagegen läuft es in der Regel auf eine Fiktion hinaus, wenn man das sorglose Verhalten des Fahrgastes als Einwilligung in eine Körperverletzung zu deuten versucht.

13

2)

Eine Einwilligung könnte zudem nur in den engen durch die §§ 134, 138 BGB und § 226 a StGB gezogenen Grenzen rechtfertigende Wirkung haben. Führt die Körperverletzung zum Tode, so ist für eine Rechtfertigung durch Einwilligung schlechthin kein Raum (BGHSt 4, 88, 93) [BGH 22.01.1953 - 4 StR 373/52]. Aber auch wenn das gefährliche Unternehmen schwere Körperschädigungen, im besonderen den Ausfall wichtiger Organe zur Folge hat, kann eine Einwilligung des Betroffenen die fahrlässige Herbeiführung dieser Verletzung durch einen Dritten nicht rechtfertigen, da diese unbeschadet der Einwilligung sittlich anstößig bleibt und vom Recht nicht gebilligt wird, (vgl. BGHSt 6, 232, 234[BGH 24.06.1954 - 4 StR 159/54]; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts 15. Aufl., § 209 Anm. 27; § 212 II 3). Die Betrachtung der Selbstgefährdung unter dem Gesichtspunkt der Einwilligung führt daher zwangsläufig dazu, deren Rechtswirkung von dem mehr oder minder großen Schaden abhängig zu machen, ohne daß aus haftungsrechtlicher Sicht der Sinn dieser Unterscheidung einleuchtet. Kommt die Gefährdungshaftung zum Zuge, kann zudem von vornherein eine Rechtfertigung nicht in Betracht kommen, da die Gefährdungshaftung nicht an ein rechtswidriges Verhalten anknüpft (GSZ in BGHZ 24, 21, 26) [BGH 04.03.1957 - GSZ - 1/56].

14

3)

Ebensowenig paßt das Erfordernis, daß die als Willenserklärung verstandene Einwilligung in die Rechtsgutverletzung gemäß dem Erfordernis der Empfangsbedürftigkeit dem Schädiger zugeben müsse. Es ist im allgemeinen kein sinnvoller Grund ersichtlich, die Entscheidung über die Haftungsfreistellung davon abhängig zu machen, ob der Beklagte die bewußte Selbstgefährdung des Klägers erkannt hat oder doch erkennen konnte (vgl. den in dem Urteil des Senats vom 8. Dezember 1954 - VI ZR 161/53 - VersR 1955, 120 entschiedenen Fall). In den praktisch wichtigsten Fällen der Personenbeförderung durch einen angetrunkenen Fahrer werden zudem häufig Zweifel an der Empfangsfähigkeit des Adressaten der Willenserklärung bestehen.

15

4)

Auch die Behandlung minderjähriger Geschädigter ist unbefriedigend. Es erscheint unangemessen, daß die Entscheidung über die Haftung auch bei deliktsrechtlich verantwortungsfähigen Minderjährigen entscheidend von der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters zu der Selbstgefährdung abhängig sein soll. Eine solche Zustimmung wird zudem kaum praktisch, da es sich meist um spontane Entschlüsse handelt.

16

5)

Bei der Behandlung der auf Alkoholeinfluß zurückzuführenden Verkehrsunfälle zwang die hier abgelehnte Auffassung die Rechtspraxis, die Entscheidung zwischen automatischer Haftungsfreistellung und der nach § 254 BGB möglichen elastischen Verteilung der Haftungsfolgen davon abhängig zu machen, ob bei dem - häufig auch angetrunkenen - Fahrgast das Bewußtsein der Gefährdung bestand oder ob er sich der Erkenntnis der Gefährdung lediglich grob fahrlässig verschlossen hatte. Angesichts der fließenden Übergänge in diesem Bereich und der Schwierigkeit, den maßgebenden inneren Tatbestand durch eine einigermaßen zuverlässige Feststellung zu erfassen, erwies sich gerade in dem typischen Ausgangsfall der mit RGZ 141, 262 eingeleiteten Rechtsprechung das Abgrenzungskriterium als unpraktikabel. Seine Anwendung führte zu einer unsicheren Praxis.

17

6)

Schließlich sei darauf hingewiesen, daß als Folge der Auffassung des Reichsgerichts die Rechtswidrigkeit des Handelns des Schädigers im Zivilrecht anders beurteilt wurde als im Strafrecht. Im Strafrecht wird der bewußten Selbstgefährdung des Geschädigten bei fahrlässigen Körperverletzungen wenigstens nicht in dem Umfang rechtfertigende Kraft beigemessen, wie es in Anlehnung an RGZ 141, 262 im Zivilrecht geschieht (vgl. BGHSt 4, 88, 90[BGH 22.01.1953 - 4 StR 373/52]; Kohlhaas DAR 1960, 348). Außerdem wird die Einwilligung zu einem Eingriff in die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität im Strafrecht gerade nicht nach den Grundsätzen der bürgerlich-rechtlichen Willenserklärung behandelt (vgl. im einzelnen BGHZ 29, 33, 36, 37 [BGH 05.12.1958 - VI ZR 266/57];  ferner: Welzel: Das deutsche Strafrecht, 7. Aufl. § 14 VII 2; Kohlrausch/Lange, StGB 42, Aufl. II 3 b vor § 51). So führte die Lehre, die die Eigengefährdung als rechtfertigende Willenserklärung verstand, zwangsläufig dazu, daß dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung bei der Beurteilung rechtswidrigen Verhaltens Abbruch getan wurde.

18

IV.

Nach Auffassung des Senats geht es bei dem behandelten Problem nur dann um die Frage der Rechtswidrigkeit und der Rechtfertigung, wenn wirklich das Verhalten des Geschädigten ohne künstliche Unterstellung als Einwilligung in die als möglich vorgestellte Rechtsgutverletzung aufgefaßt werden kann, wie es etwa bei gefährlichen Sportarten zutreffen mag (vgl. BGHSt 4, 88, 92) [BGH 22.01.1953 - 4 StR 373/52]. Dagegen steht bei den Regelfällen, die die heutige Haftpflichtpraxis beschäftigen, fast immer nur die Frage zur Erörterung, ob und inwieweit die an sich gegebene Schadensersatzverpflichtung eines anderen dadurch berührt wird, daß sich der Geschädigte der drohenden Gefahr bewußt ausgesetzt hatte. Wird in solchen Fällen die Abwälzung des Schadens auf den anderen durchweg als mehr oder minder anstößig empfunden, so liegt der Grund für diese Beurteilung darin, daß sich der Geschädigte mit seinem eigenen und von ihm zu verantwortenden früheren Verhalten in Widerspruch setzt. Es ist der Grundsatz des gegen Treu und Glauben verstoßenden venire contra factum proprium, der es nicht zuläßt, daß der Geschädigte den beklagten Schädiger zur Rechenschaft zieht, ohne dabei zu berücksichtigen, daß er selbst die gefährliche Lage bewußt geschaffen oder mitgeschaffen hat, in der sich der vom Beklagten zu vertretende Beitrag zur Schadensentstehung auswirken konnte. Diese Erkenntnis zeigt aber, daß der rechtliche Standort des Problems in der vom Gesetz in § 254 BGB getroffenen Wertung zu suchen ist. Diese Regelung, die dem vom Geschädigten zu vertretenden eigenen Verhalten bei der Schadensentstehung, besonders seiner leichtfertigen Selbstgefährdung Bedeutung für die Haftung des Schädigers beimißt und sogar den Wegfall der Schadensersatzforderung als möglich vorsieht, beruht wesentlich auf dem im § 242 BGB verankerten Grundsatz über die Folgen widersprüchlichen Verhaltens. Für das Schadensrecht wird dieser Grundsatz durch § 254 BGB näher ausgeprägt (Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse 15. Aufl. § 16; Reimer Schmidt in Soergel BGBKomm 9. Aufl. § 254 Anm. 19). Es ist daher im Rahmen des § 254 BGB keine normfremde Erwägung, wenn der Richter den angeführten Gesichtspunkten einen bestimmenden Einfluß bei seinen Erwägungen über die auszusprechende Haftungsfolge gewährt. Im Gegenteil würde eine unzureichende Berücksichtigung der Momente der bewußten Selbstgefährdung und des widersprüchlichen Verhaltens bedeuten, daß die sogenannte Schadensabwägung den besonderen Umständen der Schadensentstehung und Schadensverantwortung nicht gerecht wird.

19

Mit der Zuordnung der praktisch wichtigsten Fälle bewußter Selbstgefährdung zum Anwendungsbereich des § 254 BGB ist allerdings der oft aufgestellte starre Grundsatz aufgegeben, daß das Handeln in Kenntnis konkreter bevorstehender Gefahr Handeln auf eigene Gefahr bedeutet und daher Schadensersatzansprüche ausschließt. Die Aufgabe dieses Grundsatzes ist aber nach der Auffassung des Senats kein Nachteil. Auch die bisher in der Rechtsprechung herrschende Auffassung konnte den Grundsatz nicht folgerichtig durchführen, sondern mußte ihn durch zum Teil sachwidrige Ausnahmen einschränken. Außerdem war in der Rechtsprechung die deutliche Neigung festzustellen, dadurch den Boden für die anpassungsfähige Regelung des § 254 BGB zu gewinnen, daß man an den Beweis der Kenntnis besonderer Gefahrenmommente so hohe Anforderungen stellte, daß er selten erbracht wurde.

20

Nach der Überzeugung des Senats läßt sich keine präzise begriffliche Formel dafür aufstellen, wann eine Haftungsfreistellung eingreifen muß, wenn sich der Geschädigte der Gefahr selbst ausgesetzt hat und wann eine bloße Haftungsminderung angemessen ist. Die Haftpflichtfälle, bei denen der Gesichtspunkt bewußter Selbstgefährdung eine Rolle spielt, tragen keineswegs ein so einheitliches Gepräge, daß aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit die Aufstellung einer starren einheitlichen Regel geboten ist. Gewiß wird dann, wenn sich der Geschädigte in klarer Kenntnis einer konkreten Gefahr ohne triftigen Grund dieser später verwirklichten Gefahr aussetzte oder sogar planvoll die Gefahrlage schaffte, die Freistellung des Beklagten von der Schadensersatzpflicht besonders naheliegen. Andererseits wäre es aber einseitig, nur die freiwillige Selbstgefährdung des Klägers zu sehen und den übrigen Umständen des Einzelfalles von vornherein jede Bedeutung abzusprechen. Insbesondere kann für die Entscheidung auch ins Gewicht fallen, wie die Gefahrlage entstanden ist, welches Maß von Verschulden den Beklagten an der Entstehung der Gefahrlage und der Verwirklichung der Gefahr traf, durch welche Beziehungen die Beteiligten verbunden waren und wie naheliegend sich die Aussicht auf die Verwirklichung der Gefahr darstellte (vgl. auch das Urteil des Senats vom 2. Dezember 1958 - VI ZR 24/58 - VersR 1959, 368). Wird die Entscheidung isoliert auf einen in einem bestimmten Zeitpunkt vorliegenden- und meist kaum zu ermittelnden psychologischen Sachverhalt beim Kläger gestellt, so wird nur zu oft der Wirklichkeit Gewalt angetan und der Weg zu einem angemessenen Ergebnis versperrt. Mit der Verweisung auf die Regelung des § 254 BGB ist dem Tatrichter die Möglichkeit eröffnet, in richterlicher Verantwortung den besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen, wobei ihm bei der Anwendung dieser Vorschrift die in der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätze und der Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens wichtige Anhaltspunkte für eine sachgerechte Ausübung seines Ermessens geben.

21

Da der III. Zivilsenat auf Antrage erkannt hat, er wolle nicht an der Auffassung festhalten, daß das "Handeln auf eigene Gefahr" grundsätzlich eine solche rechtliche Würdigung finden müsse, wie sie in den Entscheidungen BGHZ 2, 159 und LM § 823 BGB Ha Nr. 7 vorgenommen sei, konnte von einer Vorlage gemäß § 136 GVG an den Großen Senat für Zivilsachen abgesehen werden.

22

V.

Ist ein Minderjähriger geschädigt, so ist sein Mitverschulden (§ 254 BGB) nach anerkannter Rechtsprechung nach den entsprechend anzuwendenden Grundsätzen der deliktsrechtlichen Verantwortlichkeit (§ 828 BGB) zu beurteilen. Bei der Prüfung, ob der 16 1/2-jährige Kläger die bewußte Selbstgefährdung als Eigenverschulden zu vertreten hat, ist daher auf seine Fähigkeit abzustellen, die Gefährlichkeit seines Verhaltens zu erkennen und entsprechend zu handeln. Insoweit ist dem Berufungsgericht durchaus zuzustimmen. Wie aber bereits aus den obigen Ausführungen zu IV hervorgeht, kann den Berufungsgericht darin nicht gefolgt werden, daß es ohne weiteres aus der bewußten Selbstgefährdung des Klägers die Haftungsfreistellung der Beklagten ableitet. Gerade in dem vorliegenden Falle zeigt es sich, daß die isolierte Betrachtung unter diesem einen Gesichtspunkt zu einem unangemessenen Ergebnis führt.

23

Im einzelnen sei bemerkt:

24

Zu Lasten des Klägers fällt allerdings ins Gewicht, daß er seine Bedenken gegen die Übernahme der Führung des Wagens durch den Zweitbeklagten nicht aufrecht erhielt und sogar selbst bereit war, anstelle des Zweitbeklagten den Wagen zu steuern und damit die Mitfahrer zu gefährden. Andererseits war die Anregung, daß überhaupt einer der jungen Fahrtteilnehmer einen Fahrversuch machen sollte, nicht vom Kläger ausgegangene Berücksichtigt man die Eigenart jugendlichen Verhaltens, so ist das Gesamt verhalten des Klägers, wenn es auch tadelnswürdig ist, doch nicht ganz unverständlich. Gerade bei Jugendlichen seines Alters pflegt sich das schlechte Beispiel, das ein älterer Kamerad gibt, besonders nachhaltig auszuwirken, Nach den Umständen kann es dem Kläger jedenfalls nicht als schweres Verschulden angerechnet werden, daß er im Wagen blieb, als der Zweitbeklagte losfuhr. Auf der anderen Seite hat der Zweitbeklagte die Anregung zu dem verbotenen Fahrversuch gegeben und durch seine unvernünftige, seinem Fahrkönnen nicht angepaßte Fahrweise den schweren Unfall verursacht. Bei dem Erstbeklagten ist die Verantwortung besonders hoch einzuschätzen, weil er die Verfügungsgewalt über den Wagen hatte und weil er als Inhaber eines Führerscheins genau wissen mußte, welche Folgen die Überlassung der Steuerung des Wagens an den Zweitbeklagten haben konnte. Außerdem hätte er sich schon auf Grund seines höheren Alters gegenüber den jüngeren Kameraden durchsetzen müssen.

25

Mit diesen Erwägungen soll der endgültigen Entscheidung, die wegen des veränderten rechtlichen Gesichtspunktes und der möglichen Ergänzung des tatsächlichen Vorbringens zweckmäßig dem Tatrichter vorzubehalten war, nicht vorgegriffen werden. Die Erwägungen sind nur angestellt, um zu zeigen, daß es nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht angeht, die Beklagten, die anscheinend nur geringere Schäden davongetragen haben, gegenüber dem zeitlebens geschädigten Kläger von der Haftpflicht völlig freizustellen. Der vom Berufungsgericht zum Vergleich herangezogene Fall, daß drei gleichaltrige Jugendliche einen Wagen stehlen und ihn dann verabredungsgemäß ohne Fahrkönnen und ohne Führerschein abwechselnd fahren, wobei schließlich einer einen schweren Unfall verursacht, zeigt solche Unterschiede zum vorliegenden Fall, daß er zum Vergleich nicht geeignet ist. Der sehr allgemeine Gesichtspunkt der "Gefahrengemeinschaft Jugendlicher", dem das Berufungsgericht wesentliche Bedeutung für die Abweisung der Klage beimißt, bietet keine tragfähige rechtliche Grundlage, um die Verneinung der Schadensersatzhaftung der Beklagten zu rechtfertigen.

26

VI.

Die Sache war daher unter Aufhebung des Berufungsurteils zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten der Revision zu übertragen war. Das Rubrum ist im Einverständnis der Parteien geändert worden.

Engels
Dr. Kleinewefers
Dr. Bode
Dr. Hauß
Dr. Pfretzschner