Aufsichtspflichtverletzung
1 Einführung
Aufgrund Gesetzes oder Vertrages aufsichtspflichtige Personen (u.a. Eltern / Erzieher) sind verpflichtet, Minderjährige oder geistig behinderte Menschen so zu beaufsichtigen, dass die zu beaufsichtigende Person weder sich selbst noch Dritte schädigt.
Rechtsgrundlage der Haftung eines Aufsichtspflichtigen (Eltern / Erzieher) ist entweder eine vertragliche Vereinbarung oder das Deliktsrecht.
2 Voraussetzungen der Aufsichtspflichtverletzung
- a)
Aufsichtsbedürftigkeit:
Aufsichtsbedürftig sind Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres sowie Personen, die wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung aufsichtsbedürftig sind.
- b)
Bestehen einer Aufsichtspflicht:
Die Aufsichtspflicht von Eltern ist Teil der Personensorge, d.h. des Sorgerechts. Die Personensorge umfasst gemäß §§ 1626, 1631 BGB das Recht und die Pflicht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.
Auch die Vormundschaft bzw. die Pflegschaft begründet eine Aufsichtspflicht des Vormundes bzw. des Pflegers, dem die Personensorge zusteht.
Die Aufsichtspflicht der Erzieher besteht aufgrund vertraglicher Vereinbarung.
- c)
Schuldhafte Verletzung der Aufsichtspflicht.
- d)
Eintritt eines Schadens, der kausal auf der Aufsichtspflichtverletzung beruht.
Die Beurteilung, ob der Aufsichtspflichtige die Aufsichtspflicht verletzt hat, beurteilt sich nach dem Einzelfall. Die Rechtsprechung urteilt nach einem objektiven Maßstab. Entscheidend ist nicht, ob der Aufsichtspflichtige allgemein seine Aufsichtspflicht erfüllt hat, sondern ob er in der konkreten, zum Schaden führenden Situation seinen gesetzlichen Pflichten nachgekommen ist. Der Einsatz der erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen richtet sich danach, ob ein konkreter Aufsichtsanlass vorliegt, d.h. ob Situationen gegeben sind, bei denen es typischerweise zu einem Schadenseintritt kommt.
3 Inhalt der Aufsichtspflicht
Bei dem Inhalt der Aufsichtspflicht ist u.a. zu unterscheiden zwischen der Aufsichtspflicht der Eltern und der Aufsichtspflicht eines Erziehers.
4 Folgen der Aufsichtspflichtverletzung
4.1 Vertragliche Haftung
Gemäß § 280 BGB kann der Schuldner bei der Verletzung einer aus einem Vertrag bestehenden Pflicht Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verlangen (Schadensersatzpflicht im Schuldrecht).
Ein Regress des aus Vertrag haftenden Arbeitgebers gegen seinen die Aufsichtspflicht verletzenden Mitarbeiters (Aufsichtspflicht eines Erziehers) bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen der Haftung des Arbeitnehmers.
4.2 Deliktische Haftung
4.2.1 Bei einer Haftung gemäß § 832 BGB
Wer kraft Gesetzes oder aufgrund eines Vertrages zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit (Kind, Jugendliche) oder wegen ihres geistigen oder körperlichen Zustands der Beaufsichtigung bedarf, ist gemäß § 832 BGB zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den diese Person einem Dritten (!) widerrechtlich zufügt.
Das Verschulden wird vermutet. Der Aufsichtspflichtige hat zwei Möglichkeiten, den Entlastungsbeweis zu führen:
- a)
Er beweist, dass er seine Aufsichtspflicht nicht verletzt hat.
oder
- b)
Er beweist, dass zwischen seiner Aufsichtspflichtverletzung und dem Schadenseintritt kein Kausalzusammenhang besteht.
Rechtsgrundlage des Anspruchs des Kindes gegen seine Eltern auf Schadensersatz wegen der Verletzung der Aufsichtspflicht ist § 1664 BGB (OLG Karlsruhe 03.05.2012 - 1 U 186/11). Praktische Relevanz hat dies bei der Geltendmachung von Ansprüche auf Gesamtschuldnerausgleich durch die (Kfz-)Haftpflichtversicherung des Schädigers.
4.2.2 Bei einer Haftung gemäß § 823 BGB
Wird die aufsichtsbedürftige Person selbst verletzt, kommt eine allgemeine Schadensersatzpflicht gemäß § 823 BGB in Betracht.
4.2.3 Bei der Amtshaftung
Sofern der Aufsichtspflichtige im öffentlichen Dienst beschäftigt ist (z.B. Kita als kommunale Einrichtung) und es sich bei der Aufsichtspflichtverletzung gleichzeitig um eine Amtspflichtverletzung (Amtshaftung) handelt, können die die Aufsichtspflichtverletzung und deren Kausalität vermutenden Grundsätze des § 832 BGB herangezogen werden (BGH 13.12.2012 - III ZR 226/12).
Hinweis:
Anderslautende Urteile, so z.B. OLG Karlsruhe 30.03.2006 - 12 U 298/05, sind damit überholt.
4.3 Mitverschulden
Der Anteil des Geschädigten und seiner Aufsichtspflichtigen am Zustandekommen eines Unfalls ist nach den Regeln des Mitverschuldens in Beziehung zu setzen zum Verursachungs- und Verschuldensanteil des Schädigers und der diesem gegenüber Aufsichtspflichtigen (OLG Karlsruhe 10.08.2007 - 14 U 8/06).
5 Anspruchskonkurrenz
Das Kind bzw. der Heranwachsende haftet bei Vorliegen der Voraussetzungen auch selbst für den Schaden. Beide Haftungsgrundlagen stehen dann gleichwertig nebeneinander. Der Aufsichtspflichtige und das Kinder / der Heranwachsende haften grundsätzlich als Gesamtschuldner.
§ 840 Abs. 2 BGB überträgt die Haftung im Innenverhältnis der Gesamtschuldner allein auf den Aufsichtspflichtigen.