EuGH: Staatlich verordnete Preissenkung für Arzneimittel zulässig

Gesundheit Arzthaftung
14.07.2009988 Mal gelesen

Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 2. April 2009 (Az.: C-352/07) ist die staatlich verordnete Preissenkung für Arzneimittel zulässig. Die EU- Mitgliedstaaten dürften sogar mehrere Preissenkungen in einem Jahr verordnen, sofern diese auf objektive und nachprüfbare Daten gestützt seien.

Sachverhalt
 
In den Jahren 2005 und 2006 erließ die italienische Arzneimittelagentur (Agenzia Italiana del Farmaco), die mit der Kontrolle des Arzneimittelverbrauchs und der zulasten des italienischen staatlichen Gesundheitsdienstes (Servizio Sanitario Nazionale) gehenden Arzneimittelausgaben betraut ist, Maßnahmen zur Senkung der Preise von Arzneimitteln, um die Einhaltung der Obergrenze für die Arzneimittelausgaben, die vom Servizio Sanitario Nazionale getragen werden, sicherzustellen. Die Kläger vertreiben Arzneimittel, deren Kosten vollständig vom Servizio Sanitario Nazionale getragen werden, und klagten gegen die staatlich verordneten Preissenkungen der Arzneimittel gegen das italienische Gesundheitsministerium (Ministerio della salute) und die Agenzia Italiana del Farmaco vor dem zuständigen nationalen Gericht. Dieses setzte das Verfahren aus und fragte in einem Vorabentscheidungsverfahren den EuGH, ob das italienische System zur Festsetzung der Arzneimittelpreise mit der sog. "Transparenz-Richtlinie", der Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. 1989, L 40, S. 8) im Einklang stehe.
 
Entscheidungsgründe
 
Der EuGH hat zunächst darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und zur Regulierung des Arzneimittelverbrauchs im Hinblick auf die Erhaltung des finanziellen Gleichgewichts ihrer Krankenversicherungssysteme zuständig seien.
 
Sodann stellte der EuGH fest, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates Maßnahmen von allgemeiner Tragweite, die in der Senkung der Preise für alle Arzneimittel oder für bestimmte Arzneimittelkategorien bestünden, auch dann erlassen könnten, wenn kein entsprechender Preisstopp (vgl. Art. 4 der Richtlinie 89/105/EWG) vorausgegangen sei. Gem. Art. 4 der Richtlinie 89/105/EWG hat ein Mitgliedstat, der einen Preisstopp für Arzneimittel verfügt hat, mindestens einmal jährlich zu überprüfen, ob nach der gesamtwirtschaftlichen Lage die Beibehaltung des Preisstopps gerechtfertigt ist. Diese Überprüfung stellt ein Mindesterfordernis dar. Der EuGH stellte nunmehr klar, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 89/105/EWG dahin auszulegen sei, dass, sofern die in dieser Bestimmung vorgesehenen Anforderungen eingehalten würden, Maßnahmen der Senkung der Preise für alle Arzneimittel oder für bestimmte Arzneimittelkategorien mehrmals im Laufe ein und desselben Jahres über mehrere Jahre erlassen werden könnten.
 
Ferner sei Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 89/105/EWG dahin auszulegen, dass er dem Erlass von Maßnahmen, die eine Kontrolle der Preise für alle Arzneimittel oder für bestimmte Arzneimittelkategorien anhand von Ausgabenschätzungen vorsehen, nicht entgegenstehe, sofern die in dieser Bestimmung vorgesehenen Anforderungen eingehalten würden und diese Schätzungen auf objektive und nachprüfbare Daten gestützt seien.
 
Dabei sei es nach Auffassung des EuGH Sache der Mitgliedstaaten, unter Wahrung des mit der Richtlinie 89/105/EWG verfolgten Transparenzziels und Einhaltung der in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 89/105/EWG vorgesehenen Anforderungen die Kriterien festzulegen, anhand derer die in dieser Bestimmung vorgesehene Überprüfung nach der gesamtwirtschaftlichen Lage zu erfolgen habe, und dass diese Kriterien in den Arzneimittelausgaben allein, in den Gesundheitsausgaben insgesamt und auch in anderen einschlägigen Arten von Ausgaben bestehen könnten.
 
Abschließend wies der EuGH darauf hin, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/105/EWG dahin auszulegen sei,
 
  • dass die Mitgliedstaaten für ein Unternehmen, das von einer (Preissenkungs-) Maßnahme betroffen ist, stets die Möglichkeit vorsehen müssten, eine Ausnahme von dem durch diese Maßnahme vorgeschriebenen Preis zu beantragen,
  • dass die Mitgliedstaaten sicherzustellen hätten, dass eine begründete Entscheidung über jeden derartigen Antrag getroffen werde, und
  • dass die konkrete Beteiligung des betroffenen Unternehmens zum einen darin bestehe, dass es die besonderen Gründe für seinen Ausnahmeantrag hinreichend darlegt, und zum anderen darin, dass es zusätzliche Einzelangaben macht, falls die Angaben zur Begründung des Antrags unzureichend seien.
Kommentar
 
Zutreffend weist der EuGH in seinem Urteil vom 2. April 2009 (Az.: C-352/07) eingangs darauf hin, dass die Sozialpolitik in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fällt. Die Folge ist, dass in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Preisregelungsmechanismen zur Preisfestsetzung von Arzneimitteln vorherrschen.
 
Ähnlich wie in Italien, ist auch in Deutschland die Preisbildung für Arzneimittel nicht dem freien Wettbewerb ausgesetzt, sondern nach § 78 AMG und der auf Grundlage des § 78 Abs. 1 AMG erlassenen Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisVO) stark reglementiert. Die AMPreisVO schließt für verschreibungspflichtige Arzneimittel durch ein System von Fest- und Höchstzuschlägen auf die Herstellerabgabepreise den Preiswettbewerb unter den Apotheken völlig aus und schränkt ihn auf der Großhandelsstufe erheblich ein. Ziel der Preisregulierung durch die AMPreisVO ist es, die Arzneimittelpreise im Sinne eines funktionierenden, finanzierbaren Gesundheitssystems möglichst niedrig zu halten. Darüber hinaus soll der einheitliche Apothekenverkaufspreis einen ruinösen Preiswettbewerb unter den Apotheken verhindern und damit eine flächendeckende, d.h. zeit- und ortsnahe sowie qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherstellen. Da die AMPreisVO die freie Preisbestimmung der Hersteller unberührt lässt (so OLG Saarbrücken, WRP 2004, 255, 258 ff.), kann die Festsetzung der Preisspannen des Großhandels und der Apotheken gem. §§ 2 ff. AMPreisVO einheitliche Apothekenabgabepreise nur sicherstellen, wenn auch der Herstellerabgabepreis einheitlich ist. Dazu melden in der Praxis die Arzneimittelhersteller ihre Abgabepreise an die Informationsstelle für Arzneispezialitäten (IFA GmbH), an der jeweils zu einem Drittel die Bundesverbände der pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI), der Verband des pharmazeutischen Großhandels e.V. (PHAGRO) und die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) beteiligt sind. Die IFA GmbH übermittelt die Daten an die ABDATA - Pharma - Daten - Service, ein Unternehmensbereich der WUV - Werbe- und Vertriebsgesellschaft Deutscher Apotheker mbH, ihrerseits ein Tochterunternehmen der ABDA. Die ABDATA - Pharma - Daten - Service veröffentlicht die gemeldeten Herstellerabgabepreise bzw. die sich daraus unter Zugrundelegung der AMPreisVO ergebenden Apothekeneinkaufs- und Verkaufspreise in der sog. "Großen Deutschen Spezialitätentaxe" (auch "Lauertaxe"). Die Lauertaxe, die vierzehntätig herausgegeben wird, beinhaltet u.a. Artikelbezeichnung, Darreichungsform, Packungsgrößen, Pharmazentralnummer und Preise. Die Lauertaxe ist damit eines der wichtigsten Nachschlagewerke des Apothekers.
 
Besonderheiten bei der Preisfestsetzung für verschreibungspflichtige Arzneimittel ergeben sich nur für die Abgabe von Arzneimitteln zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mittelbar aus den Rabattvorschriften der §§ 130 ff. SGB V zugunsten der GKV. Das Sozialrecht lässt die Regelungen zur Festsetzung der Preisspannen im Übrigen unberührt.
 
Preissenkungen und Preisstopps bei Arzneimittelpreisen waren auch in Deutschland in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand in der Diskussion zur Kostendämpfung in der GKV. Beispielhaft sei hier auf die Diskussion im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses zum "Arzneimittel-Ausgaben-Begrenzungsgesetz" vom 16. Februar 2002 hingewiesen, wonach eine 4 %-ige Preissenkung sowie ein Preismoratorium für die Jahre 2002 und 2003 für nicht der Festbetragsregelung unterliegende verschreibungspflichtige Arzneimittel erfolgen sollte. Das Gesetzesvorhaben wurde nicht weiter verfolgt, da der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) eine Einmalzahlung von € 400 Mio. leistete. Mit Inkrafttreten des Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetzes (AVWG) zum 1. Mai 2006 wurden jedoch u.a. bis zum 31. März 2008 die Preise für alle Arzneimittel, die zu Lasten der GKV verordnet werden, eingefroren. Der Preisstopp bezog sich auf den Herstellerabgabepreis.
 
Mit dem Urteil des EuGH vom 2. April 2009 (Az.: C-352/07) ist nunmehr klargestellt worden, dass solche "Eingriffe" in die Preisbildung seitens des Staates mit dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere der Transparenz-Richtlinie 89/105/EWG, vereinbar sind, um eine adäquate Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu angemessenen Kosten zu gewährleisten.
 
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Miriam Germer, MLE
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