Transsexualität kommt auch in die Jahre

Gesundheit Arzthaftung
12.02.2016994 Mal gelesen
Probleme mit der Kostenübernahme für eine Brustoperation durch die Krankenversicherung bei einer im Jahre 1943 geborenen Frau.

Meine Mandantin, Jahrgang 1943, ist transsexuell und hatte in den Sechziger Jahren ihre geschlechtsangleichende Operation, um ein Leben als Frau führen zu können. Die Kosten für Hormonpräparate und den Aufbau einer weiblichen Brust durch Implantate übernahm meine Mandantin seinerzeit selbst. Die letzte Brustoperation erfolgte 1979 im Klinikum in Wiesbaden.

 Die Implantate, die meine Mandantin seit über 30 Jahren in ihrem Körper trug, waren verkapselt und mussten dringend ausgetauscht werden. Sie litt täglich und des nachts unter erheblichen Schmerzen. Meine Mandantin stellte auf Anraten einen Antrag auf Kostenübernahme für eine Brustoperation, der in zwei Abschnitte geteilt war: die Entfernung der verkapselten Implantate und das Einsetzen neuer Implantate zum Brustaufbau.

 Niemand nahm an, dass die Krankenversicherung bei einer über 70-jährigen Frau eine Brustoperation mit diesem Ausmaß durchwinken würde - obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen vorlagen. Obschon meine Mandantin mit der Diagnose Transsexualität nach ständiger Rechtsprechung einen Anspruch auf nicht nur optische Angleichung an das weibliche Geschlecht hatte.

 Zunächst wurde seitens der Krankenversicherung argumentiert, dass eine Bearbeitung oder gar Begutachtung ohne Unterlagen über die geschlechtsangleichende Operation, damalige Hormoneinnahme, Heilungsablauf, Brustoperation, etc. nicht erfolgen könne. Diese Argumentation stellte eine unzumutbare Benachteiligung für meine Mandantin dar, weil die 30-jährige Aufbewahrungsfrist zur Aufbewahrung solcher Unterlagen verstrichen und keine Patientenakten mehr auffindbar waren. Krankenhäuser bewahren mit Blick auf Haftungsprozesse relevante Unterlagen wie Operationsberichte 30 Jahre lang auf - dies entspricht der Verjährungsfrist nach § 199 Abs. 2 BGB bei Schadenersatzansprüchen.

 Dieses Vorgehen der Krankenversicherung war jedoch nichts weiter als eine Nebelkerze. Bei bestehender Diagnose Transsexualismus und den bereits vor Jahren durchgeführten Operationen konnte es m.E. keine Zweifel mehr an der Leistungspflicht der Krankenversicherung geben. Die "Antragsunterlagen", die maßgeblich zur Prüfung vor der geschlechtsangleichenden Operation sind, waren hier obsolet, weil dieses Stadium bereits lange zurück lag.

 Nachdem auf diese Problematik hingewiesen wurde, fand eine Begutachtung über die medizinische Notwendigkeit der Operation nach Aktenlage durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung statt. Die Begutachtung ergab, dass die Entfernung der verkapselten Implantate befürwortet, das Einsetzen neuer Implantate mit Hinweis auf § 52 Abs. 2 SGB V von meiner Mandantin selbst zu zahlen wäre.

 Nach § 52 Abs. 2 SGB V hat die Krankenkasse die Versicherten in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen, wenn sich die Versicherten eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte, ästhetische Operation zugezogen haben.

 Diese Argumentation des MDK war kaum sachlich und rechtlich nachvollziehbar. Es steht außer Frage, dass bei meiner Mandantin die Diagnose Transsexualität vorliegt, die vor 30 Jahren durchgeführten Operation waren demnach keineswegs "medizinisch nicht indizierte, ästhetische Operationen". Da selbst der Gutachter die Diagnose Transsexualität in seinem Gutachten bestätigte, kann ihm höchstens zugute gehalten werden, dass es wohl kaum Fälle gab, in denen eine transsexuelle Frau aufgrund Verkapselung und Verschleiß neue Brustimplantate benötigt und daher Unsicherheiten bezüglich der gesetzlichen Voraussetzungen bestanden.

Nachdem ich per Widerspruch den Irrtum des MDK ausbügeln konnte, indem ich auf Problematik mit den Verjährungsfristen, der in überhaupt keinem Zweifel mehr stehenden Diagnose "Transsexualismus" und den Fakt, dass meine Mandantin ohne neue Brustimplantate in ihrem Erscheinungsbild als Frau entstellt sei, verwies, wurde die Kostenübernahme für die gesamte Operation erklärt und die Krankenversicherung stellte sich den aus der Diagnose ergebenen Konsequenzen.

 Sicher ist, dass meine Mandantin nach Ablehnung des Antrages ihr Begehr nicht weiter verfolgt hätte, sondern davon ausgegangen wäre, dass ihr die Operation nicht zustehe. Fakt ist auch, dass meine Mandantin aufgrund ihres hohen Alters von mittlerweile 74 Jahren ein besonderer Einzelfall ist. Hieraus kann man etwaige Fehleinschätzungen oder Irrtümer des MDK ableiten. Mit dem nötigen Einfühlungsvermögen für beide Seiten und einer Prise Hartnäckigkeit ist es jedoch möglich gewesen, meiner Mandantin zu ihrem Recht zu verhelfen. Noch heute bedankt sie sich regelmäßig für die Hilfe, streicht sich über ihre Brüste und sagt: "Das habe ich alles Dir zu verdanken." Sehr gern geschehen.