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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 12.02.2024, Az.: BVerwG 7 B 8.23
Klage gegen eine nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG erteilte Freistellungserklärung für einen Typenwechsel genehmigter Windkraftanlagen; Anforderungen an die Voraussetzung des 'hätte Kenntnis erlangen können' im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 und 3 UmwRG
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 12.02.2024
Referenz: JurionRS 2024, 12661
Aktenzeichen: BVerwG 7 B 8.23
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2024:120224B7B8.23.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

VGH Bayern - 07.02.2023 - AZ: 22 B 21.2417

BVerwG, 12.02.2024 - BVerwG 7 B 8.23

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Soweit ein "Kennenkönnen" im Sinne des § 2 Abs. 3 UmwRG dann vorliegt, wenn sich der Umweltvereinigung das Vorliegen einer Entscheidung aufgrund objektiver Anhaltspunkte aufdrängen muss und wenn es ihr zudem möglich und zumutbar ist, sich etwa durch Anfragen beim Bauherrn oder bei der Genehmigungsbehörde Gewissheit zu verschaffen, kommt es dabei nicht (stets) auf tatsächlich wahrnehmbare Vorgänge wie eine Bautätigkeit - also einen äußeren Geschehensablauf - an.

  2. 2.

    Aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 3 UmwRG ergibt sich eindeutig, dass mit "Umstand" das Nichtergehen einer Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG entgegen geltenden Rechtsvorschriften gemeint ist.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Februar 2024
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Löffelbein und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Februar 2023 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger, eine anerkannte Umweltvereinigung, wendet sich gegen eine der Beigeladenen nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG erteilte Freistellungserklärung für einen Typenwechsel genehmigter Windkraftanlagen.

2

Das Verwaltungsgericht gab der Klage gegen die Freistellungserklärung statt und stellte fest, dass für den Typenwechsel ein immissionsschutzrechtliches Genehmigungsverfahren durchzuführen sei. Auf die Berufung der Beigeladenen hat der Verwaltungsgerichtshof die Urteile des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Die Revision gegen sein Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

3

Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat weder die ihr vom Kläger beigemessene grundsätzliche Bedeutung (hierzu 1.) noch legt die Beschwerde eine Abweichung des Berufungsurteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts dar (hierzu 2.).

4

1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 24. August 2023 - 7 B 5.23 - juris Rn. 4). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.

5

a) Die Frage

"Welche Anforderungen sind an die Voraussetzung des 'hätte Kenntnis erlangen können' im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 1 und 3 UmwRG zu stellen?"

bzw.

"Kommt es für das 'hätte Kenntnis erlangen können' nach § 2 Abs. 3 Satz 1 und 3 UmwRG auf tatsächlich wahrnehmbare Vorgänge, wie eine Bautätigkeit, an?"

lässt sich, soweit sie einer Beantwortung in verallgemeinerungsfähiger Form und damit einer rechtsgrundsätzlichen Klärung zugänglich ist, ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens auf der Grundlage vorhandener Rechtsprechung im Sinne der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts klären.

6

Der Verwaltungsgerichtshof (UA Rn. 57) bejaht ein "Kennenkönnen" im Sinne des § 2 Abs. 3 UmwRG dann, wenn sich der Umweltvereinigung das Vorliegen einer Entscheidung aufgrund objektiver Anhaltspunkte aufdrängen muss und wenn es ihr zudem möglich und zumutbar ist, sich etwa durch Anfragen beim Bauherrn oder bei der Genehmigungsbehörde Gewissheit zu verschaffen. Er folgt damit einer obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG Münster, Beschlüsse vom 24. September 2009 - 8 B 1342/09.AK - NuR 2010, 198 <199 f.> und vom 25. September 2015 - 8 A 970/15 - NuR 2016, 281 <282>; vgl. auch VGH Kassel, Beschluss vom 24. Juli 2014 - 2 B 864/14 - juris Rn. 5 ff.), die in der Literatur auf breite Zustimmung trifft (Fellenberg/Schille, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand September 2023, § 2 UmwRG Rn. 49; Franzius, in: Schink/Reidt/Mitschang, UVPG/UmwRG, 2. Aufl. 2023, § 2 UmwRG Rn. 25; Kment, in: Beckmann/Kment, UVPG/UmwRG, 6. Aufl. 2023, § 2 UmwRG Rn. 41; Schlacke, in: Gärditz, Verwaltungsgerichtsordnung mit Nebengesetzen, 2. Aufl. 2018, § 2 UmwRG Rn. 48) und sich eng an der zur Verwirkung im Baunachbarrecht ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschluss vom 28. August 1987 - 4 N 3.86 - BVerwGE 78, 85 <89 f.> m. w. N.) orientiert. Dies steht mit Bundesrecht in Einklang.

7

Soweit der Kläger die Fragestellung dahingehend konkretisiert, ob es (stets) auf tatsächlich wahrnehmbare Vorgänge wie eine Bautätigkeit - also einen äußeren Geschehensablauf - ankommt, lässt sich dies auf der Grundlage des Dargelegten ohne weiteres verneinen. Soweit er darüber hinaus - ausweislich der Beschwerdebegründung - wissen möchte, welche Nachforschungspflichten und Anforderungen bei der Einordnung und Auswertung von Informationen für eine Vereinigung im Einzelnen bestehen, entzieht sich dies einer Beantwortung in verallgemeinerungsfähiger Form und damit der rechtsgrundsätzlichen Klärung. Die Frage betrifft eine Vielzahl denkbarer, differenziert zu betrachtender Fallgestaltungen und ist daher einer Klärung im Revisionsverfahren nicht zugänglich (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 24. August 2023 - 7 B 5.23 - juris Rn. 7). Zugleich ist sie, soweit sie über die verfahrensgegenständliche Konstellation hinausreicht, nicht entscheidungserheblich.

8

b) Die weitere Fragestellung

"Ist eine nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung in Bezug auf eine Mitteilung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG, dass die Änderung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG keiner Genehmigung bedarf ('Freistellungserklärung'), klagebefugt nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz?"

bzw.

"Wird die Mitteilung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG, dass die Änderung nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG keiner Genehmigung bedarf ('Freistellungserklärung'), vom Anwendungsbereich des § 1 UmwRG erfasst?"

ist nicht entscheidungserheblich. Ungeachtet dessen, dass der Verwaltungsgerichtshof die Fragestellung im Sinne des Klägers beantwortet und dessen Klagebefugnis bejaht hat, ist sie für die seine Entscheidung tragende Annahme der Unzulässigkeit der Klage wegen Verfristung ohne Bedeutung.

9

c) Auch die Frage,

"Entspricht eine Mitteilung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG einem Unterlassen im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 3 UmwRG?"

ist nicht entscheidungserheblich. Der Verwaltungsgerichtshof (UA Rn. 49) hat dies ausdrücklich offengelassen, weil der Kläger unabhängig davon klagebefugt sei, ob die Freistellungserklärung als "zulassender" Verwaltungsakt aufgefasst oder als Unterlassen einer Zulassungsentscheidung eingeordnet werde.

10

d) Zur Beantwortung der Fragestellung

"Was bedeutet 'Umstand' im Sinne des § 2 Abs. 3 Satz 3 UmwRG?"

bzw.

"Für einen Fristbeginn nach § 2 Abs. 3 Satz 3 UmwRG muss nach seinem Wortlaut Kenntnis erlangt werden oder erlangt werden können von dem Umstand, dass entgegen geltenden Rechtsvorschriften eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG nicht getroffen worden ist. Ist dieser Umstand bei einer Klage gegen eine Mitteilung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 BImSchG die Mitteilung selbst oder ein weiterer Umstand neben der Mitteilung?"

bedarf es keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens. Aus dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 3 UmwRG ergibt sich eindeutig, dass mit "Umstand" das Nichtergehen einer Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG entgegen geltenden Rechtsvorschriften gemeint ist. Hiervon ist auch der Verwaltungsgerichtshof (UA Rn. 67 f.) ausgegangen. Im Übrigen legt der Kläger die Entscheidungserheblichkeit der Fragestellung nicht dar.

11

e) Die Frage

"Das Wissen welcher Personen muss sich eine nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung zurechnen lassen?"

ist - selbst wenn man sie ausgehend von der Beschwerdebegründung (nur) auf die Zurechnung des Wissens der Person eines Geschäftsführers bezöge - nicht entscheidungserheblich. Der Verwaltungsgerichtshof (UA Rn. 65) hat seine Entscheidung selbständig tragend auch damit begründet, dass es treuwidrig wäre, wenn eine für den Kläger handelnde Person - unabhängig von ihrer Einordnung in dessen Organisationsgefüge - von der Genehmigungsbehörde Informationen erbitte, und später, nachdem Informationen übermittelt worden seien, geltend gemacht werde, diese Person sei für die Entgegennahme von Informationen nicht zuständig gewesen.

12

f) Die weitere Frage

"Ist die Frist nach § 2 Abs. 3 UmwRG auf Feststellungsanträge nach § 43 VwGO anzuwenden?"

ist ebenfalls nicht entscheidungserheblich. Selbständig tragend hat der Verwaltungsgerichtshof (UA Rn. 75 f.) den Feststellungsantrag wegen der Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) für unzulässig erachtet.

13

2. Die Revision ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

14

Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung (unter anderem) des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 24. August 2023 - 7 B 5.23 - juris Rn. 22).

15

Daran fehlt es hier. Die Beschwerde benennt keinen das angefochtene Urteil tragenden Rechtssatz, der einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht. Die bloße Kritik des Klägers, das Berufungsgericht wende die höchstrichterliche Rechtsprechung falsch an, vermag eine Divergenzrüge nicht zu begründen.

16

Soweit der Kläger ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union anregt, fehlt es an einer substantiierten Darlegung eines Klärungsbedarfs durch den Gerichtshof (vgl. zum Ganzen etwa BVerwG, Beschluss vom 21. Mai 2021 - 7 B 14.20 - juris Rn. 7 m. w. N.).

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Prof. Dr. Korbmacher

Dr. Löffelbein

Bähr

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