Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 11.12.2023, Az.: BVerwG 4 BN 21.23
Klärungsbedürftigkeit der allgemeinen Anerkennung eines Abstands von 1000 m zur Wohnbebauung als weiches Tabukriterium; Unwirksamkeit des sachlichen Teilplans "Windenergie" des Regionalplans Mittelthüringen wegen beachtlicher Mängel des Abwägungsvorgangs
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 11.12.2023
Referenz: JurionRS 2023, 47691
Aktenzeichen: BVerwG 4 BN 21.23
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2023:111223B4BN21.23.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

OVG Thüringer - 09.11.2022 - AZ: 1 N 548/19

BVerwG, 11.12.2023 - BVerwG 4 BN 21.23

In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Dezember 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Decker und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Stamm
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 9. November 2022 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 180 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die allein auf den Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist jedenfalls unbegründet.

2

Die Antragsteller wenden sich gegen den Ende 2018 bekannt gemachten Sachlichen Teilplan "Windenergie" des Regionalplans Mittelthüringen. Auf ihre Normenkontrollanträge hat das Oberverwaltungsgericht den Teilplan wegen beachtlicher Mängel des Abwägungsvorgangs für unwirksam erklärt. Der Plan werde den Anforderungen an ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept nicht gerecht. Das gelte für die harte Tabuisierung bestimmter Landschaftsschutzgebiete (Nr. 2.6 und 2.7 des Kriterienkatalogs, UA S. 37 ff.) und für die Festlegung verschiedener weicher Tabukriterien, u. a. einer weichen Tabuzone von 1 250 m um alle vorhandenen Siedlungsflächen in den im Zusammenhang bebauten Ortsteilen (§ 34 BauGB) sowie um alle über Bebauungspläne definierten Baugebiete für Wohn- und Mischnutzung, Sondergebiete (§§ 10, 11 BauNVO mit vergleichbarer schutzbedürftiger Nutzung) und Kurparke, soweit dort keine Windenergieanlagen stehen oder genehmigt wurden (Nr. 1.3, UA S. 43 ff.), und eines Abstandspuffers für Flächen mit vorhandenen oder genehmigten Anlagen sowie um bestimmte Flächen aus Flächennutzungsplänen (Kriterienkatalog Nr. 1.4a <UA S. 48 f.>, Nr. 1.22 <UA S. 49 f.> und Nr. 1.23 <UA S. 50>).

3

Die Beschwerde formuliert zu den vom Oberverwaltungsgericht beanstandeten Tabukriterien eine Reihe von Fragen, die sie für grundsätzlich klärungsbedürftig hält. Es kann dahinstehen, ob eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung schon deshalb ausscheidet, weil die Regelungen für die Planung von Windenergiegebieten durch das Gesetz zur Erhöhung und Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen an Land vom 20. Juli 2022 (BGBl. I S. 1353) sowie das Gesetz zur Änderung des LNG-Beschleunigungsgesetzes und zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes und zur Änderung des Baugesetzbuchs vom 12. Juli 2023 (BGBl. I Nr. 184) und das Gesetz zur Änderung des Raumordnungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 22. März 2023 (BGBl. I Nr. 88) grundlegend novelliert wurden. Namentlich bedarf es keiner näheren Befassung mit den Übergangsregelungen in § 27 Abs. 4 ROG und den §§ 245e, 249 BauGB.

4

Die Zulassung scheitert jedenfalls daran, dass die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt ist und die Revision in solchen Fällen nur zugelassen werden kann, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2019 - 4 BN 4.18 - juris Rn. 10). Daran fehlt es. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass die festgestellten Mängel des gesamträumlichen Planungskonzepts zentrale Festlegungen des Teilplans betreffen und jeder Mangel unmittelbar das Verhältnis zwischen Positiv- und Negativflächen beeinflusst (vgl. UA S. 31, 50 f.), also für sich genommen zur Unwirksamkeit des verfahrensgegenständlichen Teilplans führt (vgl. zur Unteilbarkeit eines Windenergiekonzepts mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGBBVerwG, Urteil vom 18. August 2015 - 4 CN 7.14 - BVerwGE 152, 372 Rn. 14). Die Beschwerde dringt jedenfalls mit ihrer Grundsatzrüge zu dem vom Oberverwaltungsgericht beanstandeten Kriterium Nr. 1.3 nicht durch, mit den weiteren Grundsatzrügen muss sich der Senat daher nicht befassen.

5

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).

6

Die Beschwerde hält im Hinblick auf das Kriterium Nr. 1.3 für grundsätzlich klärungsbedürftig,

a) ob ein Abstand von 1 000 m zur Wohnbebauung dergestalt als weiches Tabukriterium "allgemein anerkannt" ist, dass ein darüber hinaus gehender Abstand zur Wohnbebauung im Rahmen der Abwägungsentscheidung in besonderem Maße sachlich oder rechtlich rechtfertigungsbedürftig ist und wo die Grenzen einer solchen Annahme der besonderen Rechtfertigungsbedürftigkeit im Hinblick auf das dem Plangeber zustehende Planungsermessen verlaufen,

b) ob von dem Plangeber bei der von ihm vorzunehmenden Abwägungsentscheidung für die Festlegung von Abständen zur Wohnbebauung auf Ebene der Regionalplanung im Rahmen der Begründung zur Abwägung eine Differenzierung zwischen verschiedenen Baugebietstypen verlangt werden kann oder es die dem Plangeber zustehende Typisierungsbefugnis - insbesondere im Hinblick auf regelmäßig nicht vorhandene Daten zur Bewertung der Baugebietstypen - sowie mit Blick auf die ohnehin übliche Zwischenwertbildung zwischen Baugebieten erlaubt, einen einheitlichen Abstand zu allen Baugebietstypen auch dann zugrunde zu legen, wenn dieser pauschale Abstand größer ist als 1 000 m,

c) welche rechtlichen Anforderungen hinsichtlich der Ermittlungs- und Begründungstiefe an eine "ausreichende Begründung" für eine Erweiterung des Abstandspuffers von 1 000 m zur Wohnbebauung zu stellen sind, damit sich der Plangeber nicht dem Vorwurf der "Unschärfe und Konturenlosigkeit" aussetzt und welche Anforderung das Abwägungsgebot in einem solchen Fall an die Begründungstiefe stellt.

7

Diese Fragen rechtfertigen - ungeachtet dessen, dass die Beschwerde in Frage a) mit der "besonderen sachlichen oder rechtlichen Rechtfertigungsbedürftigkeit" Begriffe verwendet, die sich in der angegriffenen Entscheidung so nicht finden - nicht die Zulassung der Grundsatzrevision. Sie zielen bei sachgerechtem Verständnis darauf, welche Grenzen das Planungsermessen der Planungsträger der gerichtlichen Kontrolle der Abwägungsentscheidung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 ROG bei der Festlegung eines Abstandspuffers von mehr als 1 000 m zur Wohnbebauung setzt. Hierauf lässt sich über die bereits geklärten Maßstäbe für die Abwägungskontrolle hinaus nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise antworten.

8

Eine planerische Entscheidung, die - wie hier - die Rechtsfolgen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB herbeiführen soll, bedarf zu ihrer Wirksamkeit eines schlüssigen gesamträumlichen Konzepts, das den allgemeinen Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots genügt. Die gerichtliche Überprüfung am Maßstab des Abwägungsgebots schließt die Anerkennung eines Abwägungsspielraums ein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2015 - 4 BN 20.14 - BRS Bd. 83 Nr. 158 S. 1033). Um den Anforderungen gerecht zu werden, die an den Abwägungsvorgang zu stellen sind, muss das Konzept nicht nur Auskunft darüber geben, von welchen Erwägungen die positive Standortzuweisung getragen wird, sondern auch die Gründe für die beabsichtigte Freihaltung des übrigen Planungsraums von Windenergieanlagen aufzeigen. Die sogenannten weichen Tabuzonen sind der Ebene der Abwägung zuzuordnen. Seine Entscheidung für weiche Tabuzonen muss der Plangeber rechtfertigen. Dazu muss er aufzeigen, wie er die eigenen Ausschlussgründe bewertet, d. h. kenntlich machen, dass er einen Bewertungsspielraum hat, und die Gründe für seine Wertung offenlegen (stRspr, vgl. Urteile vom 13. Dezember 2012 - 4 CN 1.11 - BVerwGE 145, 231 Rn. 9 ff. jeweils m. w. N. und vom 11. April 2013 - 4 CN 2.12 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 391 Rn. 5). Hiermit wird dem Plangeber nichts Unmögliches abverlangt. Von ihm wird nicht mehr gefordert als er "angemessenerweise" leisten kann (BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2015 - 4 BN 20.14 - a. a. O.).

9

Diese Maßstäbe, die für Festlegungen in Regionalplänen und Darstellungen in Flächennutzungsplänen gleichermaßen gelten, hat das Oberverwaltungsgericht seiner Überprüfung des Planungskonzepts zugrunde gelegt. Dabei hat es die Gründe, die der Plangeber für eine generelle Erweiterung des Vorsorgeabstands über den im Windenergieerlass allgemein anerkannten planerischen Vorsorgeabstand von 1 000 m hinaus angeführt hat, als unzureichend und hinsichtlich der Gleichbehandlung der Baugebiete als unzulässig typisierend erachtet. Im Ergebnis hat es eine Fehlgewichtung der zur Rechtfertigung eines Vorsorgeabstands von 1 250 m angeführten Belange (vorsorgend hohes Umweltschutzniveau für die Bevölkerung, Beeinträchtigung des Erholungswertes der Landschaft und des Orts- und Landschaftsbildes im siedlungsnahen Bereich, Ausweisung möglichst konfliktarmer Vorranggebiete) bei der Abwägung angenommen. Soweit die Beschwerde geltend macht, das Oberverwaltungsgericht habe einen zu engen Prüfungsmaßstab angelegt, wendet sie sich gegen die Rechtsanwendung im Einzelfall. Mit einer solchen Kritik kann die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht erreicht werden.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Schipper

Prof. Dr. Decker

Dr. Stamm

Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.