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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 07.12.2023, Az.: BVerwG 9 B 16.23
Erhebung von Vorausleistungen auf einen Erschließungsbeitrag; Ausschluss der Erstattung der Vorausleistung an den Vorausleistenden im Interesse der Gemeinde
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 07.12.2023
Referenz: JurionRS 2023, 48456
Aktenzeichen: BVerwG 9 B 16.23
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2023:071223B9B16.23.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

OVG Rheinland-Pfalz - 25.04.2023 - AZ: 6 A 10047/23

BVerwG, 07.12.2023 - BVerwG 9 B 16.23

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. Dezember 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Schübel-Pfister
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. April 2023 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 46 847,63 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger wendet sich gegen die Erhebung von Vorausleistungen auf einen Erschließungsbeitrag. Er wurde von der Beklagten für zwei Grundstücke zu Vorausleistungen in Höhe von insgesamt knapp 47 000 € herangezogen, von denen er rund 40 000 € in monatlichen Raten beglich. Nach Veräußerung der Grundstücke erließ die Beklagte endgültige Beitragsbescheide gegenüber dem neuen Grundstückseigentümer, bei denen sie die vom Kläger gezahlten Vorausleistungen mit den endgültigen Beiträgen verrechnete. Die Klage, die zuletzt auf Aufhebung der Vorausleistungsbescheide und auf Verpflichtung der Beklagten zur Festsetzung einer Erstattung zugunsten des Klägers in Höhe von rund 40 000 € gerichtet war, wurde in der Berufungsinstanz vollumfänglich abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Kläger erhobene Nichtzulassungsbeschwerde.

II

2

Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

3

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen hier erfüllt sind.

4

Die Frage,

ob ein Vorausleistungsbescheid auf den Erschließungsbeitrag auch dann die ihm vom Oberverwaltungsgericht zugedachte Wirkung entfaltet, wenn der Adressat des Vorausleistungsbescheids Raten zahlt, die nicht in einem förmlichen Bescheid festgesetzt sind,

führt nicht zur Zulassung der Revision.

5

Der Kläger hat schon keine auf eine bestimmte entscheidungserhebliche Bundesrechtsnorm bezogene, allgemein klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage formuliert. In seiner Beschwerdebegründung referiert er einleitend die beiden vom Oberverwaltungsgericht aufgestellten Leitsätze, greift die darin enthaltenen Aussagen als solche aber nicht an. Vielmehr wirft er - bei grundsätzlicher Akzeptanz des Aussagegehalts - die Frage auf, ob der Vorausleistungsbescheid die ihm vom Oberverwaltungsgericht zugedachte Wirkung "auch dann" entfaltet, wenn es um eine nicht durch Verwaltungsakt festgesetzte Ratenzahlung geht. Diese Rüge wird an späterer Stelle in ähnlicher Form wiederholt.

6

Auf welche Passage in den Leitsätzen der Kläger mit der Formulierung "vom Oberverwaltungsgericht zugedachte Wirkung" genau Bezug nimmt, ist nicht klar. Soweit sich seine Ausführungen auf das - den Gegenstand von Leitsatz 2 bildende - Verhältnis zwischen Vorausleistungsbescheid und endgültigem Beitragsbescheid beziehen, sind die maßgeblichen Fragen in der Rechtsprechung geklärt. Nach § 133 Abs. 3 Satz 2 BauGB ist die (tatsächlich erbrachte) Vorausleistung mit der endgültigen Beitragsschuld zu verrechnen. Diese gesetzliche Tilgungswirkung ist das Charakteristikum der Vorausleistung, die als zeitlich vorgezogene Beitragsleistung konzipiert ist (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2017, § 18 Rn. 16, 45 f.). Nach Halbsatz 2 erfolgt die Verrechnung auch dann, wenn der Vorausleistende nicht beitragspflichtig ist. Hat das Eigentum am Grundstück nach Erbringung der Vorausleistung und vor Entstehen der endgültigen Beitragspflicht gewechselt, wirkt demnach die Tilgung zugunsten des neuen Eigentümers; eine Erstattung der Vorausleistung an den Vorausleistenden ist im Interesse der Gemeinde ausgeschlossen (vgl. in Auseinandersetzung mit der früheren Rechtslage nach dem Bundesbaugesetz BVerwG, Urteil vom 24. Januar 1997 - 8 C 42.95 - NVwZ 1998, 294 <295> = juris Rn. 17; BT-Drs. 10/4630 S. 116). Von diesen allgemeinen Grundsätzen ist auch das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung ausgegangen (UA S. 9); der Kläger stellt sie als solche nicht in Frage.

7

Warum in diesem Zusammenhang zwischen einer in einem gesonderten Bescheid festgesetzten Ratenzahlung und einer vom Beitragsschuldner ohne einen solchen Bescheid in Anspruch genommenen Raten- oder Teilzahlung differenziert werden müsste, wird vom Kläger nicht dargelegt. Es ist auch kein Sachgrund ersichtlich, der eine solche Unterscheidung im Rahmen des § 133 Abs. 3 Satz 2 BauGB rechtfertigen könnte. Zu der Frage, in welcher Form die Vorausleistung erbracht wird, trifft der Wortlaut der genannten Vorschrift keine Aussage. Auch das Oberverwaltungsgericht hat sich dazu nicht geäußert und die Ratenzahlung des Klägers in den Entscheidungsgründen nicht erwähnt; für seine Urteilsfindung kam es auf die Zahlungsmodalitäten ersichtlich nicht an. Das ist auch insofern folgerichtig, als Rechtsgrund für Zahlungen auf einen Vorausleistungsbescheid allein dieser und nicht eine etwaige (förmliche) Bewilligung einer Ratenzahlung ist. In der Sache moniert der Kläger die unterbliebene schriftliche Verbescheidung seines Antrags auf Ratenzahlung und thematisiert damit zusammenhängende Schwierigkeiten in der kommunalen Verwaltungspraxis. Diese das Erhebungsverfahren betreffenden Fragen waren aber, wie der Kläger letztlich selbst einräumt, aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Sie haben mit der Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheids und seinem rechtlichen Fortbestand in den Fällen eines Eigentümerwechsels nichts zu tun.

8

2. Ein Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt ebenfalls nicht vor. Die Ablehnung der beiden in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge hat das rechtliche Gehör des Klägers nicht verletzt. Verfahrensfehlerhaft ist die Ablehnung eines förmlichen (unbedingt gestellten) Beweisantrags nach § 86 Abs. 2 VwGO nur dann, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. November 1978 - 1 BvR 158/78 - BVerfGE 50, 32 <35 f.>; Kammerbeschluss vom 1. August 2017 - 2 BvR 3068/14 - NJW 2017, 3218 Rn. 47 f.; BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 9 BN 4.21 - NVwZ-RR 2022, 408 Rn. 14). Dies ist hier nicht der Fall. Auch ein Verstoß gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO ist nicht gegeben.

9

a) Der Kläger hatte die Einvernahme eines in der mündlichen Verhandlung anwesenden Zeugen "zum Beweis der Tatsache, dass in der östlichen Albert-Schweitzer-Straße und in der nördlichen Robert-Koch-Straße funktionierende Straßenlampen schon vor dem Straßenbau 2019 existierten" beantragt. Das Berufungsgericht hat den Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung durch Beschluss abgelehnt und die Ablehnung in den Urteilsgründen (UA S. 15) damit begründet, dass es wegen der fehlenden Straßenentwässerung auf das Vorhandensein der übrigen Herstellungsmerkmale nicht mehr entscheidungserheblich ankomme; deshalb könne die Existenz funktionierender Straßenlampen als zutreffend unterstellt werden.

10

Die Ablehnung des Beweisantrags erfolgte prozessordnungskonform. Ein Beweisantrag kann unter anderem abgelehnt werden, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts nicht entscheidungserheblich ist, etwa weil sie als wahr unterstellt werden kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. August 1998 - 7 B 162.98 - juris Rn. 2 und vom 30. Juni 2021 - 9 B 46.20 - juris Rn. 6; jeweils m. w. N.; Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 75). So lag es hier. Aus Sicht des Berufungsgerichts war ? entgegen der Auffassung des Klägers ? nicht von einem Eintritt der Vorteilslage bereits im Jahr 1988 auszugehen, weil die Verkehrsanlagen seinerzeit nicht das in den Erschließungsbeitragssatzungen definierte Herstellungsmerkmal der Straßenentwässerung aufwiesen (UA S. 14 f.). Zu dieser Auffassung gelangte das Gericht unter anderem durch Inaugenscheinnahme der vorgelegten Lichtbilder sowie durch Würdigung des Beteiligtenvorbringens. Da somit bereits wegen der fehlenden Straßenentwässerung ein Eintritt der Vorteilslage zu diesem frühen Zeitpunkt zu verneinen war, kam es auf das damalige Vorhandensein der übrigen Herstellungsmerkmale nicht mehr entscheidungserheblich an.

11

b) Ebenfalls abgelehnt hat das Oberverwaltungsgericht die beantragte Zeugeneinvernahme "zum Beweis der Tatsache, dass die östliche Albert-Schweitzer-Straße und die Robert-Koch-Straße in Kirn von 1988 an bis zum Beginn der Straßenbaumaßnahmen 2019 einen durchgehend ausreichenden Ausbauzustand aufwiesen". Zur Begründung führte das Gericht aus (UA S. 16), dass der Beweisantrag auf die Beantwortung einer Rechtsfrage gerichtet sei, die vom Senat zu entscheiden und damit einer Beweisaufnahme nicht zugänglich sei. Auch diese Ablehnung ist nicht zu beanstanden. Die Frage nach dem (ausreichenden) Ausbauzustand einer Erschließungsanlage, der für die endgültige Herstellung und den Eintritt der Vorteilslage von Bedeutung ist (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 15. November 2022 - 9 C 12.21 - KStZ 2023, 107 = juris Rn. 35 ff.), zielt nicht auf den Beweis einer einzelnen konkreten Tatsache, sondern auf eine Würdigung der Gesamtumstände. Derartige Wertungen sind dem Gericht vorbehalten und einer Beweiserhebung nicht zugänglich (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. November 2020 - 9 A 12.19 - Rn. 208, 216 <in BVerwGE 170, 33 insoweit nicht abgedruckt>).

12

c) Auch im Übrigen liegt ein Aufklärungsmangel im Sinn des § 86 Abs. 1 VwGO nicht vor. Warum sich der Vorinstanz, wie der Kläger meint, neben den vorgenommenen Aufklärungsmaßnahmen zusätzlich die Durchführung eines Ortstermins hätte aufdrängen müssen, ist weder nachvollziehbar dargelegt noch sonst ersichtlich. Karten und Lichtbilder sind im Rahmen des § 86 Abs. 1 VwGO unbedenklich verwertbar, wenn sie die räumlichen Gegebenheiten in ihren für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Merkmalen so eindeutig ausweisen, dass sich der mit einer Ortsbesichtigung erreichbare Zweck mit ihrer Hilfe ebenso zuverlässig erfüllen lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2022 - 9 B 32.21 - juris Rn. 8 m. w. N.). Ob ein Gericht aus den tatsächlichen Gegebenheiten zutreffende rechtliche Schlussfolgerungen zieht, ist keine Frage des § 86 Abs. 1 VwGO.

13

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG; sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanz.

Prof. Dr. Bick

Steinkühler

Prof. Dr. Schübel-Pfister

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