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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 03.11.2023, Az.: BVerwG 6 B 5.23
Beschränkung des Freizügigkeitsrechts durch eine prüfungsrechtliche Anrechnungsregelung; Ausschluss einer Gutschreibung von Noten für an anderen Hochschulen erbrachte Prüfungsleistungen im Inland und Ausland
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 03.11.2023
Referenz: JurionRS 2023, 45806
Aktenzeichen: BVerwG 6 B 5.23
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2023:031123B6B5.23.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

VG Münster - 23.02.2021 - AZ: 4 K 795/19

OVG Nordrhein-Westfalen - 13.12.2022 - AZ: 14 A 741/21

Rechtsgrundlagen:

Art. 21 Abs. 1 AEUV

§ 14 Abs. 7 S. 1, 2, 3 PO

Fundstellen:

DÖV 2024, 243

NVwZ 2024, 75-76

NWVBl 2024, 137-139

BVerwG, 03.11.2023 - BVerwG 6 B 5.23

Amtlicher Leitsatz:

Eine prüfungsrechtliche Anrechnungsregelung, die eine Gutschreibung von Noten für an anderen Hochschulen erbrachte Prüfungsleistungen im In- und Ausland ausschließt, stellt keine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts i. S. d. Art. 21 Abs. 1 AEUV dar.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. November 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft
sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller und Hahn
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger, ein Student, will seine deutsche Heimatuniversität verpflichten, die in einem Auslandssemester an einer polnischen Hochschule erzielten Noten als Prüfungsleistungen anzuerkennen.

2

Der Kläger studierte bei der Beklagten seit dem Wintersemester 2015/16 im Bachelorstudiengang Betriebswirtschaftslehre. Im Rahmen des Programms Erasmus+ besuchte er von September 2018 bis Januar 2019 Lehrveranstaltungen an der Poznan University of Economics and Business in Polen. Auf seinen Antrag erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Februar 2019 die an der Poznan University erbrachten Leistungen, nicht aber die dort vergebenen Noten an.

3

Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung im Kern darauf gestützt, dass sich der geltend gemachte Anspruch des Klägers nicht aus dem Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen ergebe. Die den Hochschulen danach überlassene Regelung der Einzelheiten der Anerkennung von an ausländischen Hochschulen erbrachten Prüfungsleistungen habe die Beklagte in § 14 der Ordnung für die Prüfungen im Studiengang Betriebswirtschaftslehre mit dem Abschluss Bachelor of Science vom 7. Februar 2017 (i. d. F. der 1. ÄndVO vom 1. Oktober 2018) - PO - getroffen.

4

Nach § 14 Abs. 7 Satz 1 PO würden bestandene Leistungen auf Prüfungsleistungen in der Weise anerkannt, dass die dafür vorgesehenen Leistungspunkte ohne Note gutgeschrieben würden. Eine Berücksichtigung in der Gesamtnote erfolge nicht (§ 14 Abs. 7 Satz 2 PO). Die Sätze 1 und 2 gälten nicht für solche Leistungen, die in anderen Studiengängen der Beklagten erbracht worden seien; diese würden mit der erbrachten Note angerechnet (§ 14 Abs. 7 Satz 3 PO). Da es sich bei den streitgegenständlichen Studienleistungen des Klägers um solche im Sinne des § 14 Abs. 7 Satz 1 PO handele, erfolge eine Anerkennung ohne Note.

5

Diese Regelungen der Prüfungsordnung würden von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Weder widersprächen sie dem Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region vom 11. April 1997 (Lissabonner Anerkennungskonvention, von der Bundesrepublik Deutschland am 16. Mai 2007 ratifiziert, BGBl. 2007 II S. 712 ff.), noch beschränkten sie das unionsrechtliche Freizügigkeitsrecht.

6

Die Regelungen der Beklagten schränkten das in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a und Art. 21 Abs. 1 AEUV niedergelegte Freizügigkeitsrecht des Klägers nicht ein. Das sei nur dann der Fall, wenn negative Konsequenzen nicht von den Umständen des Einzelfalls abhingen, sondern sich in jedem Fall ergäben. Die Nichtberücksichtigung der Noten der anerkannten Prüfungsleistungen in der Gesamtnote des Studierenden könne jedoch - je nach erworbener Punktzahl - für den Studierenden von Vor- oder Nachteil sein. Darüber hinaus versage die Regelung die Gutschrift von Noten nicht deshalb, weil der Studierende von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, sondern weil er die Prüfungsleistungen nicht bei der Beklagten erbracht habe. Denn es erfolge auch keine Notengutschrift für anerkannte Prüfungsleistungen, die an einer anderen Hochschule in Nordrhein-Westfalen, im sonstigen Bundesgebiet oder im außereuropäischen Ausland erbracht worden seien.

7

Die Regelung in § 14 Abs. 7 PO vereitele nicht nur die Chance einer Notenverbesserung, sondern nehme dem Studierenden auch das Risiko ab, im Fall eines negativen Verlaufs des Auslandsstudiums die bereits im Ausland erbrachten Prüfungsleistungen in Deutschland erneut erbringen und das Studium verlängern zu müssen, weil sich ein Antrag auf Anerkennung negativ auf die Gesamtnote auswirken würde.

8

Weder verstoße § 14 Abs. 7 PO gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch stehe die Regelung im Widerspruch zu den im Rahmen der Erasmus Charta für die Hochschulbildung von der Beklagten eingegangenen Verpflichtungen. Diese habe sich nur zu einer Gutschrift der von anderen Hochschulen vergebenen ECTS-Punkte, nicht jedoch zu einer Gutschrift von Noten verpflichtet.

9

Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde, der die Beklagte entgegentritt.

II

10

Die Beschwerde des Klägers, mit der dieser die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, bleibt ohne Erfolg.

11

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Mai 2023 - 6 B 30.22 - NVwZ-RR 2023, 716 Rn. 7 m. w. N.).

12

Die Beschwerde erachtet folgende Frage als grundsätzlich bedeutsam:

"Steht das in Art. 20 Abs. 2a, Art. 21 Abs. 1 AEUV normierte Freizügigkeitsrecht einer Regelung in einer universitären Prüfungsordnung eine[s] Bachelorstudiums entgegen, die die Anrechnung von Studienleistungen an Universitäten in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mit der Note prinzipiell ausschließt?"

13

Die so formulierte Frage würde sich in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Denn die Regelung in § 14 Abs. 7 PO knüpft - nach der für das Revisionsgericht maßgeblichen Auslegung durch die Vorinstanz (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO) - die (Nicht-)Berücksichtigung normativ allein daran, ob die in anderen Studiengängen erzielten Noten an der Beklagten erworben worden sind oder nicht. Entgegen der von der Beschwerde formulierten Frage kommt es für die Berücksichtigungsfähigkeit gerade nicht auf den Sitz der Hochschule in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union an. Damit erweist sich die Fragestellung mangels Entscheidungserheblichkeit nicht als klärungsfähig.

14

Die Frage bedarf, auch wenn man sie auf ihren allenfalls relevanten Teilgehalt einer faktischen Beschränkung des Freizügigkeitsrechts mit Blick auf an einer ausländischen Hochschule erworbene Noten zurückführt, keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Denn sie kann auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) sowie des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres beantwortet werden. Danach ist geklärt, dass eine Beschränkung des in Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV niedergelegten Freizügigkeitsrechts nur dann vorliegt, wenn eine Regelung seines Herkunftsstaats Nachteile für den Unionsbürger allein daran anknüpft, dass er von seinem Aufenthaltsrecht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Gebrauch gemacht hat. Das ist vorliegend nicht der Fall.

15

Nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV hat jeder Unionsbürger und damit auch jeder deutsche Staatsangehörige das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Auf dieses Recht kann sich ein Unionsbürger auch gegenüber seinem Herkunftsmitgliedstaat berufen. Die Mitgliedstaaten sind zwar nach Art. 165 Abs. 1 AEUV für die Lehrinhalte und die Gestaltung ihrer jeweiligen Bildungssysteme zuständig. Sie müssen aber diese Zuständigkeit unter Beachtung des Unionsrechts ausüben, und zwar insbesondere unter Beachtung des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV.

16

Eine Hochschule eines Mitgliedstaats hat daher, wenn sie die Modalitäten der Anerkennung von Prüfungsleistungen regelt, dafür Sorge zu tragen, dass sie das Recht aller Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht ungerechtfertigt beschränkt. Eine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV liegt dann vor, wenn eine nationale Regelung bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben. Denn die vom Vertrag auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Unionsbürger gewährten Erleichterungen könnten nicht ihre volle Wirkung entfalten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat infolge einer Regelung seines Herkunftsstaats entgegenstehen, die ihn allein deshalb ungünstiger stellt, weil er von ihnen Gebrauch gemacht hat (vgl. EuGH, Urteile vom 23. Oktober 2007 - C-11/06 und C-12/06 [ECLI:EU:C:2007: 626], Morgan und Bucher - Rn. 25 f., vom 18. Juli 2013 - C-523/11 und C-585/11 [ECLI:EU:C:2013:524], Prinz und Seeberger - Rn. 27 f., vom 24. Oktober 2013 - C-220/12 [ECLI:EU:C:2013:683], Thiele Meneses - Rn. 22 f., vom 24. Oktober 2013 - C-275/12 [ECLI:EU:C:2013:684], Elrick - Rn. 22 f., vom 26. Februar 2015 - C-359/13 [ECLI:EU:C:2015:118], Martens - Rn. 25 f., vom 8. Juni 2017 - C-541/15 [ECLI:EU:C:2017:432], Freitag - Rn. 35 und vom 25. Juli 2018 - C-679/16 [ECLI:EU:C:2018:601], A <Hilfe für eine schwerbehinderte Person> - Rn. 60 f.; BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 5 C 22.12 - BVerwGE 146, 294 Rn. 13).

17

Danach bedarf es keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens oder einer Vorlage an den Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV, um klarzustellen, dass eine prüfungsrechtliche Anrechnungsregelung einer Hochschule, die eine Anerkennung von Noten für an anderen Hochschulen erbrachte Prüfungsleistungen ausschließt, keine Beschränkung des Freizügigkeitsrechts im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV darstellt. Denn wie bereits vom Berufungsgericht ausgeführt, betrifft § 14 Abs. 7 PO alle Studenten, die Prüfungsleistungen nicht bei der Beklagten, sondern an anderen Hochschulen im In- oder Ausland erbracht haben. Für die Regelung ist der Sitz der Hochschule in Deutschland, einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Drittstaat völlig ohne Bedeutung. Damit fehlt es jedenfalls an der Voraussetzung für das Vorliegen einer Beschränkung des Freizügigkeitsrechts nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 AEUV, dass die Regelung bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben.

18

Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO). Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.

Prof. Dr. Kraft

Dr. Möller

Hahn

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