Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 02.11.2023, Az.: BVerwG 8 A 3.23 (8 A 2.22)
Zurückweisung einer Anhörungsrüge wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs wie z.B. zu der Frage nach dem Erfordernis einer Ausgleichsleistung bei Anordnung der Treuhandverwaltung
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 02.11.2023
Referenz: JurionRS 2023, 42900
Aktenzeichen: BVerwG 8 A 3.23 (8 A 2.22)
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2023:021123B8A3.23.0

BVerwG, 02.11.2023 - BVerwG 8 A 3.23 (8 A 2.22)

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen.

  2. 2.

    Ein angeblicher Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz kann nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. November 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Meister
beschlossen:

Tenor:

Die Anhörungsrüge der Klägerinnen gegen das Urteil des Senats vom 14. März 2023 - BVerwG 8 A 2.22 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

1

Die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO hat keinen Erfolg. Der Senat hat den Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

2

1. Im gerichtlichen Verfahren gewährleisten Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO den Beteiligten das Recht, sich vor einer Entscheidung zu allen erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen zu äußern. Das Gericht muss das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass es das gesamte Vorbringen in den Urteilsgründen behandeln muss. Vielmehr sind in dem Urteil nur diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Geht das Gericht auf ein Element des Vorbringens eines Beteiligten in den Urteilsgründen nicht ein, folgt daraus noch nicht, dass es diesen Aspekt nicht in Erwägung gezogen hat. Vielmehr müssen besondere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass ein Vortrag, der nach dem materiell-rechtlichen Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft und zum Kern des danach erheblichen Beteiligtenvorbringens gehört, nicht zur Kenntnis genommen oder ersichtlich nicht in Erwägung gezogen wurde (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. September 2023 - 2 BvR 107/21 - juris Rn. 33 f.; BVerwG, Beschlüsse vom 2. September 2019 - 8 B 19.19 - juris Rn. 2 und vom 8. Dezember 2021 - 6 B 6.21 - K&R 2022, 292 Rn. 7, jeweils m. w. N.). Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen; die Vorschrift verpflichtet die Gerichte insbesondere nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen. Die Anhörungsrüge ist auch kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2008 - 8 B 53.08 - ZOV 2013, 68 Rn. 1).

3

Einwände gegen die Beweiswürdigung des Gerichts sind ebenfalls nicht geeignet, einen Gehörsverstoß darzutun. Angebliche Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) können nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 152a VwGO sein (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. November 2007 - 8 C 17.07 - juris Rn. 6 und vom 19. Dezember 2018 - 8 B 12.18 - juris Rn. 14). Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO gebieten auch nicht, die Beteiligten jeweils vor der Entscheidung auf die Rechtsauffassung des Gerichts oder dessen Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. November 1986 - 1 BvR 706/85 - BVerfGE 74, 1 <5>), weil sich die tatsächliche und rechtliche Beurteilung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2008 - 4 A 3001.08 - juris Rn. 2 m. w. N.). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt erst vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Gründe stützt, die weder im Verwaltungsverfahren noch im Prozess erörtert wurden und mit deren Entscheidungserheblichkeit auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf und unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht rechnen musste.

4

2. Nach diesem Maßstab ist der Anspruch der Klägerinnen auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht verletzt.

5

a) Der Senat hat ihren Vortrag, die einzelnen Rechtsbefehle der Nummern 1 bis 6 der angefochtenen Anordnung hätten der Begründung und der Ermessenserwägungen bedurft, nicht außer Acht gelassen. Er hat sich sowohl mit dem Erfordernis der Begründung der Anordnung (UA Rn. 26) als auch mit den für deren konkrete Ausgestaltung leitenden Ermessenserwägungen befasst (UA Rn. 74). Dass er dabei der rechtlichen Würdigung der Klägerinnen nicht gefolgt ist, verletzt nicht deren Anspruch auf rechtliches Gehör. Die von den Klägerinnen im Urteil vermisste Erwähnung der von ihnen für "zentral wichtig" gehaltenen Gesetzesmaterialien rechtfertigt nicht den Schluss, dass diese nicht berücksichtigt wurden. Vielmehr durfte sich der Senat auf die Erörterung der aus seiner materiell-rechtlichen Sicht maßgeblichen Gesichtspunkte beschränken, ohne auf jeden von den Klägerinnen vorgebrachten Aspekt einzugehen.

6

b) Der Senat hat das rechtliche Gehör der Klägerinnen auch nicht dadurch verletzt, dass er ihrer Auffassung, das Tatbestandsmerkmal der "Aufgabe" in § 17 Abs. 1 EnSiG sei "einer Auslegung nicht fähig", nicht gefolgt ist. Vielmehr hat er sich mit der von den Klägerinnen gerügten Unbestimmtheit des Tatbestandsmerkmals befasst (UA Rn. 32 f.), den Begriff der Aufgabe im Einzelnen ausgelegt (UA Rn. 48 bis 50) und damit zum Ausdruck gebracht, dass er die Rechtsauffassung der Klägerinnen nicht teilt. Deren Rüge, die Beklagte habe sie angesichts der Neuheit der Regelung über die Auslegung der Vorschrift informieren müssen, betrifft das Verwaltungsverfahren und bedurfte wegen der Rechtsauffassung des Senats zur Entbehrlichkeit der Anhörung gemäß § 28 Abs. 2 VwVfG keiner ausdrücklichen Bescheidung. Auf die von den Klägerinnen "als Beleg der Auskunftsverweigerung herangezogene[n] Korrespondenz mit dem PSt Kellner" kam es danach insoweit nicht an. Die aus seiner Sicht entscheidungsrelevanten Schreiben des Parlamentarischen Staatssekretärs (Anlage B 8a und Bl. 265 des Verwaltungsvorgangs) hat der Senat in Randnummer 82 des Urteils eingehend gewürdigt. Den Anlagen B 8b und B 8c kam aus dieser Sicht nicht die von den Klägerinnen geltend gemachte Bedeutung zu.

7

c) Den Vortrag, im Falle einer salvatorischen Klausel sei die Entschädigungspflicht zumindest dem Grunde nach zeitgleich mit dem Verwaltungsakt zu regeln, hat der Senat nicht übergangen. Die Entscheidungsgründe des Urteils setzen sich in Randnummer 37 mit der Frage des Erfordernisses einer Ausgleichsleistung bei Anordnung der Treuhandverwaltung ausdrücklich auseinander, ohne die Rechtsauffassung der Klägerinnen zu teilen. Angesichts der schriftsätzlichen und mündlichen Erörterung der Rechtsfrage mussten die Klägerinnen auch ohne ausdrücklichen Hinweis damit rechnen, dass der Senat ihrer Rechtsansicht nicht folgen würde.

8

d) Die Rüge der Klägerinnen, der Senat habe ihre Argumentation zum völkerrechtlichen Enteignungsbegriff übergangen, ist nicht berechtigt. Der Senat hat erläutert, dass § 17 EnSiG weder gegen Art. 14 GG noch gegen Art. 25 GG verstößt (UA Rn. 36 und 38), und ausgeführt, dass sich die Anordnung der Treuhandverwaltung im Einzelfall als verhältnismäßig (UA Rn. 101 f.) und völkerrechtskonform (UA Rn. 108 ff.) erweist. Dabei ist er auch auf die Voraussetzungen einer sogenannten faktischen oder schleichenden Enteignung eingegangen. Dass er den Enteignungsbegriff weniger weit versteht als die Klägerinnen, konnte diese nach der ausführlichen Erörterung in der mündlichen Verhandlung nicht überraschen. Ihre materiell-rechtlichen Einwände wiederholen und ergänzen ihr Klagevorbringen, ohne einen Gehörsverstoß darzutun.

9

e) Ebenso wenig hat der Senat den Vortrag der Klägerinnen zum Betreiberbegriff übergangen. Er hat in Randnummer 42 ff. der Entscheidungsgründe den Begriff des Betreibers im Sinne des § 17 Abs. 1 EnSiG definiert und dargelegt, weshalb die Rosneft Deutschland GmbH (RDG) und RN Refining & Marketing GmbH (RNRM) zu den Betreibern der PCK-Raffinerie zählen. Mit den Einwänden der Klägerinnen setzt sich das Urteil in Randnummer 45 auseinander. Weshalb all dies für die Klägerinnen trotz ausführlicher Erörterung in der mündlichen Verhandlung überraschend gewesen sein sollte, legen sie nicht dar. Dass der Senat ihrem abweichenden Verständnis des Betreiberbegriffs nicht gefolgt ist, verletzt nicht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör.

10

f) Der Senat hat das Vorbringen der Klägerinnen, die Verursachungsverhältnisse einer Gefahr oder Störung seien - zumindest bei der Ermessensausübung - zu berücksichtigen, nicht übergangen. Er musste darauf nicht näher eingehen, weil dieser Vortrag nach seiner Rechtsauffassung nicht erheblich war. Danach hing die Befugnis zum Einschreiten nach § 17 Abs. 1 EnSiG - wie im sonstigen Gefahrenabwehrrecht - nicht von der Rechtswidrigkeit oder Vorwerfbarkeit des Ursachenbeitrags ab, der zu einer Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit führt (UA Rn. 50). Die Erwägungen zur Ermessenskontrolle gehen davon aus, dass die Beklagte sich am Ziel wirksamer Gefahrenabwehr orientieren durfte. Sie prüfen und verneinen eine Pflicht, die Anordnung gegen einen anderen Adressaten zu richten oder auf bestimmte Beteiligungen zu beschränken. Auch danach kam es nicht darauf an, ob die Overcompliance der Geschäftspartner der Klägerinnen, die zur Gefährdung der Energieversorgungssicherheit führte, von den Klägerinnen selbst verursacht wurde.

11

g) Der Senat hat das rechtliche Gehör der Klägerinnen durch die Beweiswürdigung der Aussagen des Zeugen Dr. S. nicht verletzt. Die Klägerinnen rügen, der Senat habe dessen Aussagen, insbesondere zur Overcompliance, zur Gefahr eines Kapitalabzugs und zur "Moskau-Nähe" des Zeugen T., als glaubhaft anerkannt, obwohl er überwiegend keine eigenen Eindrücke, sondern Informationen von Dritten wiedergegeben habe. Die damit kritisierte Beweiswürdigung ist jedoch grundsätzlich dem sachlichen Recht und nicht dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Ein angeblicher Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) ist nicht mit der Anhörungsrüge geltend zu machen.

12

h) Die Rüge, der Senat habe die Aussagen der Zeugen Dr. S., T. und K. zur Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt übergangen, trifft nicht zu. Der Senat hat die Aussagen der genannten Zeugen - soweit sie für diesen Themenkomplex überhaupt ergiebig waren - ausdrücklich gewürdigt (UA Rn. 59, 77) und ist im Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerinnen an einer Beschleunigung der Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt zwecks Diversifizierung des Rohölbezugs kein erkennbares Interesse hatten (UA Rn. 77). Dass dies nicht der von den Klägerinnen bevorzugten Bewertung entspricht, begründet keine Verletzung rechtlichen Gehörs. Gleiches gilt für die Einwände gegen die gerichtliche Würdigung der Aussage des Zeugen T., ohne russisches Öl wäre Rosneft wahrscheinlich nicht mehr an der PCK-Raffinerie interessiert (UA Rn. 59). Welches weitere Material zu diesem Thema übergangen worden sein sollte, legen die Klägerinnen nicht dar. Es konnte sie auch nicht überraschen, dass der Senat dem Verwaltungsvorgang entnommen hat, das Ministerium habe bei Erlass der Anordnung eine zügige Ertüchtigung der Pipeline Rostock-Schwedt für unabdingbar gehalten, um eine Raffineriebelieferung auch bei unvorhergesehenen Unterbrechungen der Rohöllieferungen über die Drushba-Pipeline zu gewährleisten (UA Rn. 77).

13

i) Der Vorwurf der Klägerinnen, das Urteil habe Vortrag zur Frage der Overcompliance von Zahlungsdienstleistern übergangen, "indem es ohne Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Material zum Gegenteil die Geschäftstätigkeit 'wesentlich beeinträchtigt'" sehe, ist ebenfalls nicht berechtigt. Der Senat hat die in das Verfahren eingeführten Akten und Unterlagen sowie das Ergebnis der Beweisaufnahme zur Overcompliance von Zahlungsdienstleistern, einschließlich der im Schriftsatz der Klägerinnen vom 4. September 2023 (S. 12 bis 15) teilweise wiedergegebenen Aussagen der Zeugen T., K. und Dr. S., in Randnummern 62 f. und 85 des Urteils gewürdigt. Dass die Klägerinnen sich die Aussagen der Zeugen T. und K. in ihrer Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme zu eigen gemacht haben, entbindet das Gericht nicht von einer eigenständigen Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Mit ihrer abweichenden Bewertung der Zeugenaussagen beanstanden die Klägerinnen die dem materiellen Recht zuzuordnende Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Senats, ohne eine Verletzung rechtlichen Gehörs darzulegen. Auch die weitere Rüge, die Feststellungen des Senats über "eine fehlende vertragliche Vereinbarung einer Übernahme dieser Zahlungsleistungen der C.-Bank durch die I.-Bank" sowie "die I.-Bank 'sei erkennbar' bemüht gewesen, die Geschäftsbeziehungen mit RDG und RNRM nicht zu erweitern", seien überraschend gewesen und setzten sich mit den gegenläufigen Aussagen des Zeugen K. nicht auseinander, trifft nicht zu. Der Senat hat dem Rechtsstreit keine Wendung gegeben, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht hätte rechnen müssen. Vielmehr würdigt das Urteil in Randnummer 63 die in der mündlichen Verhandlung eingehend erörterten Geschäftsbeziehungen der Tochtergesellschaften zur I.-Bank und deren Kündigung des Kreditrahmens in Höhe von 100 Mio. € sowie in Randnummer 85 die Aussagen des Zeugen K. dazu. Dass die Klägerinnen die vom Senat aufgrund der Beweiswürdigung gewonnene Überzeugung nicht teilen, genügt nicht zur Darlegung einer Überraschungsentscheidung noch einer sonstigen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

14

j) Der Senat hat auch keinen Vortrag der Klägerinnen zur Overcompliance der Versicherungsgesellschaft H. übergangen. Er hat ihren Vortrag zur Kommunikation mit dem Geschäftsführer der PCK-Raffinerie in Randnummer 64 des Urteils berücksichtigt und ausgeführt, dass und weshalb diesem Vortrag kein Beweiswert zukomme. Der Senat hat dort auch die einschlägigen Aussagen der Zeugen T., K. und Dr. S. ausdrücklich gewürdigt. Mit ihrer abweichenden Beweiswürdigung legen die Klägerinnen weder eine Überraschungsentscheidung noch eine sonstige Gehörsverletzung dar. Auf die Aussage des Zeugen T., es lasse sich ein anderer Versicherer finden, musste der Senat nicht ausdrücklich eingehen. Wie sich aus den Urteilserwägungen zu den Bankverbindungen ergibt, konnten nach seiner Rechtsauffassung zuversichtliche, aber unsubstantiierte Prognosen nicht das Bestehen vertraglicher Abreden ersetzen.

15

k) Mit der Rechtsauffassung der Klägerinnen zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals "ohne eine Treuhandverwaltung" setzt das Urteil sich in Randnummer 67 auseinander. Es geht ausdrücklich auf ihre Ansicht ein, das Merkmal verlange eine Bewertung der negativen Auswirkungen einer Lieferunterbrechung im Verhältnis zu den positiven und negativen Auswirkungen der Treuhandverwaltung. Die Kritik der Klägerinnen an der Verhältnismäßigkeitsprüfung des Senats (UA Rn. 93 ff.) wendet sich gegen dessen materiell-rechtliche Rechtsauffassung und ist deshalb ungeeignet, eine Gehörsverletzung darzutun. Die Rüge, es habe eines gerichtlichen Hinweises bedurft, ist nicht ordnungsgemäß substantiiert. Ausführungen zum eigenen Verständnis verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung genügen nicht, darzulegen, dass die Klägerinnen trotz streitiger Erörterung der Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit im Prozess nicht mit der dem Urteil zugrundeliegenden Rechtsauffassung zu rechnen brauchten.

16

l) Die Rüge, der Senat habe den Vortrag der Klägerinnen zu kompensierenden Versorgungsbeiträgen anderer Unternehmen im Fall eines Ausfalls von RDG und RNRM nicht berücksichtigt, trifft nicht zu. Das Urteil geht in Randnummer 69 davon aus, dass beim Ausfall des Versorgungsbeitrags der beiden Tochtergesellschaften eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit drohte und die daraus folgenden Auswirkungen nicht absehbar verlässlich durch kompensierende Versorgungsbeiträge anderer Unternehmen hätten abgewendet werden können. Die von den Klägerinnen vorgetragenen alternativen Szenarien hat der Senat nicht als absehbar verlässliche Kompensation gewertet; dies konnte wegen der hohen Anforderungen an die Versorgungssicherheit und der Erörterung der von den Geschäftsführern bekundeten Risikobereitschaft auch ohne vorherigen Hinweis nicht überraschen.

17

m) Den Vortrag der Klägerinnen, die Begründung der Anordnung sei in Bezug auf die Belieferung der PCK-Raffinerie mit Rohöl über den Hafen Danzig bewusst falsch, hat der Senat nicht übergangen. Das Urteil setzt sich in Randnummer 77 f. mit der Frage, ob die in der Begründung der Anordnung dargelegten Erwägungen dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung entsprechen, sowie mit den vom Ministerium zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit während der Pipeline-Ertüchtigung für erforderlich gehaltenen zusätzlichen Rohöllieferungen über den Hafen Danzig ausführlich auseinander. Der Einwand, die Ausführungen in Randnummer 94 des Urteils stünden im Widerspruch zu aktenkundigen Feststellungen und Erwägungen der Beklagten, rügt einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), nicht gegen die Gewährleistung rechtlichen Gehörs.

18

n) Der Vorwurf der Klägerinnen, der Senat habe bei der Erörterung der Frage, ob die Anordnung tatsächlich erlassen worden sei, um ein Importembargo russischen Rohöls ohne gesetzliche Grundlage durchzusetzen, den Kern ihrer "für die Klage zentralen Argumentation ignoriert", ist nicht begründet. Das Urteil erörtert unter Einbeziehung der vorgelegten Akten und Unterlagen sowie der Zeugenaussagen ausführlich, weshalb der Vortrag der Klägerinnen, das Ministerium habe sein Ermessen missbraucht, um den verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes für Importbeschränkungen zu umgehen, nicht zutrifft (UA Rn. 79 bis 88). Es würdigt neben den in der Rügebegründung angeführten Dokumenten auch das wesentliche Vorbringen der Klägerinnen aus dem Klageverfahren (UA Rn. 86 f.). Zu einem ausdrücklichen Eingehen auf alle Details war er nicht verpflichtet. Dass er die Würdigung der Klägerinnen nicht teilt, begründet keine Verletzung rechtlichen Gehörs.

19

o) Der Vorwurf, der Senat habe die Einwände der Klägerinnen gegen die von ihnen für widersprüchlich gehaltene Aussage des Zeugen Dr. S. zum Thema Kapitalabzug nicht zur Kenntnis genommen, ist nicht berechtigt. Der Senat hat die dem Ministerium vorliegenden Hinweise auf Bemühungen um einen Kapitalabzug als zusätzliches Indiz für die Gefahr einer Lieferunterbrechung gewertet und diese Würdigung eingehend begründet (UA Rn. 22, 55 f.). Dabei hat er die Aussagen des Zeugen Dr. S. unter Berücksichtigung der Bedenken der Klägerinnen als glaubhaft gewürdigt (UA Rn. 56). Dass er sich nicht deren Würdigung anschließt, begründet keinen Gehörsverstoß. Auch die Kritik an den Urteilserwägungen zu längerfristigen Vorkassenregelungen, zum Zusammenhang zwischen Kapitalabzug und Lieferunterbrechung und zur Möglichkeit von Umgehungsgeschäften wendet sich gegen die Beweiswürdigung, ohne deren überraschenden Charakter oder einen sonstigen Gehörsverstoß darzulegen.

20

p) Der Senat hat keinen Vortrag der Klägerinnen zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne übergangen. Ihr Vorwurf, das Gericht habe lediglich eine Zumutbarkeitsprüfung der Gesamtmaßnahme, nicht aber "hinsichtlich der jeweils verglichenen Maßnahmen" vorgenommen, betrifft den materiell-rechtlichen Maßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung und übersieht, dass das Urteil mildere Alternativmaßnahmen für unzureichend erachtet, weil sie zentrale Ursachen der Probleme nicht adressieren (UA Rn. 97 f.), nicht effektiv durchzusetzen (UA Rn. 99) oder jederzeit einfach zu konterkarieren wären (UA Rn. 100). Die Behauptung, das Urteil weiche von verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zur Verhältnismäßigkeit ab, ist weder substantiiert noch geeignet, eine Gehörsverletzung darzutun.

21

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da für das Verfahren eine Festgebühr nach Nr. 5400 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG anfällt.

Dr. Held-Daab

Hoock

Dr. Meister

Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.