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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 23.10.2023, Az.: BVerwG 7 B 7.23
Klage gegen eine erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung nebst Änderungsgenehmigung für eine Windenergieanlage; Berücksichtigung eines in Aufstellung befindlichen Ziels der Raumordnung als öffentlicher Belang im Rahmen des § 35 BauGB
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 23.10.2023
Referenz: JurionRS 2023, 43952
Aktenzeichen: BVerwG 7 B 7.23
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2023:231023B7B7.23.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

OVG Berlin-Brandenburg - 28.02.2023 - AZ: 3a B 1/23

BVerwG, 23.10.2023 - BVerwG 7 B 7.23

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Ein in Aufstellung befindliches Ziel der Raumordnung kann nur dann als öffentlicher Belang im Rahmen des § 35 BauGB berücksichtigt werden, wenn der inhaltlich konkretisierte Entwurf der Zielfestlegung die hinreichend sichere Erwartung rechtfertigt, dass er über das Entwurfsstadium hinaus zu einer verbindlichen Vorgabe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG erstarken wird.

  2. 2.

    Bei der Prognose, ob ein in Aufstellung befindliches Ziel der Raumordnung zu einer verbindlichen Vorgabe erstarken wird, ist zu berücksichtigen, dass der Planungsträger einen möglichen Ausfertigungsfehler heilen kann.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Oktober 2023
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wöckel und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Februar 2023 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Klägerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 60 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung nebst Änderungsgenehmigung für eine Windenergieanlage, mit der der Beklagte als Genehmigungsbehörde das von der Klägerin versagte gemeindliche Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB ersetzt hat. Das Verwaltungsgericht hob die angefochtenen Bescheide auf. Das Oberverwaltungsgericht hat den Berufungen des Beklagten und der Beigeladenen stattgegeben und die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils abgewiesen. Die Revision gegen sein Urteil hat das Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

2

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

3

1. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

4

Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung (unter anderem) des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 7 B 19.21 - NVwZ-RR 2023, 95 Rn. 13). Daran fehlt es hier.

5

a) Entgegen dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung (S. 7 f.) ist im angegriffenen Berufungsurteil bereits kein Rechtssatz aufgestellt worden, wonach für den Fall, dass ein Kriterium als weiches Tabukriterium ausgestaltet ist, deswegen der Abwägungsprozess bis zu einer abschließenden Abwägungsentscheidung immer als gänzlich offen anzusehen ist.

6

Vielmehr ist das Oberverwaltungsgericht (UA S. 13 unten) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zunächst davon ausgegangen, dass ein in Aufstellung befindliches Ziel der Raumordnung nur dann als öffentlicher Belang im Rahmen des § 35 BauGB berücksichtigt werden kann, wenn der inhaltlich konkretisierte Entwurf der Zielfestlegung die hinreichend sichere Erwartung rechtfertigt, dass er über das Entwurfsstadium hinaus zu einer verbindlichen Vorgabe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG erstarken wird. Die Planung muss ein genügendes Maß an Verlässlichkeit bieten, um auf der Genehmigungsebene als Versagungsgrund zu dienen. Diesem Erfordernis ist erst dann genügt, wenn ein Planungsstand erreicht ist, der die Prognose nahelegt, dass die ins Auge gefasste planerische Aussage Eingang in die endgültige Fassung des Raumordnungsplans finden wird. Davon kann nicht die Rede sein, solange der Abwägungsprozess gänzlich offen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2005 - 4 C 5.04 - BVerwGE 122, 364 <372>). Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes hat das Berufungsgericht sodann eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommen, wonach diese Voraussetzungen nach seiner Auffassung vorliegend aus mehreren - selbständig tragenden - Gründen nicht erfüllt sind (UA S. 14 f.).

7

In der angegriffenen Entscheidung wird hierzu unter anderem angeführt, dass der Abwägungsprozess bei Beschluss des Entwurfs zur Fortschreibung des Teilregionalplans "Windnutzung, Rohstoffsicherung und -gewinnung" durch die Regionalversammlung der Planungsgemeinschaft Uckermark-Barnim am 2. Dezember 2013 noch gänzlich offen gewesen sei, weil der Mindestabstand von 800 m zu Wohnnutzungen als weiches Tabukriterium ausgestaltet und damit einer erneuten Abwägung nach der Beteiligung der Öffentlichkeit - vor allem im Außenbereich - noch nicht entzogen gewesen sei (UA S. 14). Diese Rechtsauffassung steht entgegen der Beschwerdebegründung nicht im Widerspruch zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 2014 - 4 B 56.13 - (juris Rn. 16), wonach die Begriffe der harten und weichen Tabuzonen die Funktion haben, schlagwortartig Teile des Planungsraums zu kennzeichnen, die für eine Nutzung, aus welchen Gründen auch immer, nicht in Betracht kommen (harte Tabuzonen) oder nach dem Willen des Plangebers aus unterschiedlichen Gründen für eine Nutzung von vornherein ausgeschlossen sein sollen (weiche Tabuzonen) und ihnen eine weitergehende Bedeutung nicht zukommt. Der in einem frühen Planungsstadium zum Ausdruck gebrachte Willen des Plangebers schließt es eben nicht aus, dass nach Auslegung der Planunterlagen und Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung im Fall eines weichen Tabukriteriums eine andere Abwägungsentscheidung getroffen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2013 - 4 CN 2.12 - NVwZ 2013, 1017 Rn. 6). Die Beschwerde beanstandet hier unter Rekurs auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Mai 2014 - 4 B 56.13 -, in der nicht die fehlende Differenzierung, sondern lediglich die mangelnde Verwendung der Begriffe harte und weiche Tabuzone als unschädlich erkannt wurde (BVerwG, Beschluss vom 22. Mai 2014 - 4 B 56.13 - juris Rn. 16), in der Sache die aus ihrer Sicht unzutreffende Würdigung des Einzelfalls durch das Berufungsgericht. Das Infragestellen der rechtlichen Richtigkeit des Rechtsanwendungsprozesses und -ergebnisses eröffnet die revisionsgerichtliche Prüfung über § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO jedoch nicht (BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 2022 - 7 B 20.22 - juris Rn. 4).

8

b) Ein Rechtssatz, wonach das Vorhandensein von Form- bzw. Verfahrensfehlern der Prognose, ein als Ziel der Raumordnung bestimmtes Kriterium werde zu einer verbindlichen Vorgabe erstarken, entgegenstehe, ist im Berufungsurteil, entgegen der Beschwerdebegründung (S. 10 f.), ebenfalls schon nicht aufgestellt worden.

9

Stattdessen hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles habe bei Erteilung der Änderungsgenehmigung am 18. Dezember 2013 alles dafür gesprochen, dass der Entwurf zur Fortschreibung des Teilregionalplans vom 2. Dezember 2013 mit dem dort festgelegten Mindestabstand zur Wohnnutzung als einem - unterstellten - Ziel der Raumordnung, der Gegenstand der öffentlichen Bekanntmachung zur förmlichen Beteiligung in der Zeit vom 1. April bis zum 30. Juni 2014 war, aufgrund formaler Mängel nicht zu einer verbindlichen Vorgabe werde (UA S. 14). Danach trifft auch der Vorwurf in der Beschwerdebegründung nicht zu, die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts verstoße gegen einen im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 1. Juli 2010 - 4 C 4.08 - (BVerwGE 137, 247) aufgestellten abstrakten Rechtssatz. Nach dieser Rechtsprechung ist bei der Prognose, ob ein in Aufstellung befindliches Ziel der Raumordnung zu einer verbindlichen Vorgabe erstarken wird, zu berücksichtigen, dass der Planungsträger einen möglichen Ausfertigungsfehler heilen kann (BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2010 - 4 C 4.08 - BVerwGE 137, 247 Rn. 17). Auch ein Widerspruch zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. September 2008 - 4 BN 22.08 - (DVBl 2008, 1511) besteht nicht. Ein in Aufstellung befindliches Ziel der Raumordnung ist hiernach im Zulassungsregime des § 35 BauGB relevant, wenn der das Ziel enthaltende Raumordnungsplan von einem Gericht nur wegen eines Ausfertigungs- und Bekanntmachungsmangels für unwirksam erklärt worden ist, die zur Behebung des Mangels erforderliche erneute Ausfertigung und Bekanntmachung noch aussteht und es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Planungsträger die gerichtliche Entscheidung zum Anlass nimmt, sich von den ursprünglich formulierten und fixierten Planvorstellungen zu distanzieren (BVerwG, Beschluss vom 17. September 2008 - 4 BN 22.08 - DVBl 2008, 1511 Rn. 6). Vorliegend handelte es sich um die Auslegungsbekanntmachung eines Planentwurfs, wodurch die Öffentlichkeitsbeteiligung erst eröffnet wurde. Der Planungsprozess befand sich mithin hier noch am Anfang. Diesen Umstand hat das Berufungsgericht seiner Prognose, dass noch kein genügendes Maß an Verlässlichkeit bestanden habe, zugrunde gelegt. Die Auffassung der Beschwerde, dass diese Einzelfallprognose unzutreffend gewesen sei, führt nicht zur Zulassung der Revision.

10

2. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Klägerin beigemessene grundsätzliche Bedeutung.

11

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2022 - 7 B 15.21 - NVwZ 2022, 1634 Rn. 7).

12

Die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich angesehene Frage,

"Kann eine als weiches Tabukriterium ausgestaltete Mindestabstandsregelung in einem Regionalplan als in Aufstellung befindliches Ziel der Raumordnung im Anlagengenehmigungsverfahren gemäß § 35 Abs. 3 S. 1 BauGB i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG berücksichtigungsfähig sein?

bzw.

Ist die zu Form- und Verfahrensfehlern ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der bei der Prognose, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt hinreichend sicher zu erwarten ist, dass das Ziel über das Entwurfsstadium hinaus zu einer verbindlichen Vorgabe i. S. d. § 3 [Abs. 1] Nr. 2 ROG erstarken wird, zu berücksichtigen ist, dass der Planungsträger einen möglichen Fehler heilen kann (BVerwG, Urt. vom 1. 7.2010 - 4 C 4/08 - m. w. N., juris), auch auf Inhaltsfehler übertragbar?",

rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil es nach der angegriffenen Entscheidung auf sie nicht entscheidungserheblich ankäme.

13

Ist die Berufungsentscheidung - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt worden, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 7 B 19.21 - NVwZ-RR 2023, 95 Rn. 11). Die Klägerin vermochte mit ihrer Beschwerdebegründung indes hinsichtlich der weiteren tragenden Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts - wie oben zu 1. a) und b) ausgeführt - keinen Revisionszulassungsgrund darzulegen.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.

Prof. Dr. Korbmacher

Dr. Wöckel

Bähr

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