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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 23.10.2023, Az.: BVerwG 10 B 6.23
Erteilung einer wasserrechtlichen Genehmigung für die Errichtung einer Sohlrampe im Bach; Rüge der aktenwidrigen Feststellungen zur Frage der Wasserzuleitung in den Mühlgraben nach dem Hochwasser; Auslegung des Begriffs des Wohls der Allgemeinheit
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 23.10.2023
Referenz: JurionRS 2023, 44889
Aktenzeichen: BVerwG 10 B 6.23
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2023:231023B10B6.23.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

OVG Sachsen - 08.11.2022 - AZ: 4 A 1166/19

Rechtsgrundlagen:

§ 132 Abs. 2 Nr. 1, 3 VwGO

§ 26 Abs. 4 SächsWG

BVerwG, 23.10.2023 - BVerwG 10 B 6.23

Redaktioneller Leitsatz:

Die inhaltliche Anknüpfung des § 26 SächsWG an die bundesrechtliche Vorschrift des § 36 WHG führt nicht zur Revisibilität der landesrechtlichen Norm des § 26 Abs. 4 SächsWG.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Oktober 2023
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Rublack
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und
Dr. Löffelbein
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. November 2022 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Der Kläger wendet sich gegen eine wasserrechtliche Genehmigung vom 14. Juli 2014, die der beklagte Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge der beigeladenen Stadt S. für die Errichtung einer Sohlrampe im L. Bach erteilt hat. Der Kläger ist Eigentümer der K. in L. Im Bereich der heutigen Sohlrampe hatte sich bis zu einem Hochwasser im August 2010 die Wehrschwelle der Stauanlage für den Mühlgraben der K. befunden. Der Bau der Sohlrampe führt aufgrund eines geringen Wasserdargebots im L. Bach dazu, dass dem Mühlgraben nur noch in Zeiten stärkerer Niederschläge Wasser zugeführt wird.

2

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid vom 14. Juli 2014 aufgehoben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

3

Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Weder liegt ein vom Kläger geltend gemachter Verfahrensfehler vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann, noch hat die Rechtssache die ihr vom Kläger zugemessene grundsätzliche Bedeutung.

4

1. Der Kläger hat keinen Verfahrensmangel dargelegt, auf dem das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

5

a) Aktenwidrige Feststellungen des Berufungsgerichts, die der Kläger als Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO rügt, sind nicht ersichtlich.

6

Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Grenzen der "Freiheit" des Gerichts sind jedoch überschritten, wenn es entweder seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt, sondern nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. Solche Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz können als Verfahrensmängel gerügt werden (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 2023 - 10 BN 2.23 - juris Rn. 7 m. w. N.). Eine "aktenwidrige Entscheidung" liegt erst vor, wenn der Streitstoff, den das Tatsachengericht seiner Entscheidung zugrunde legt, von dem tatsächlichen Streitstoff, wie er sich aus den Akten ergibt, zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht, sei es, dass er darüber hinausgeht, indem aktenwidrig - "ins Blaue hinein" - Tatsachen angenommen werden, sei es, dass er dahinter zurückbleibt, indem Akteninhalt übergangen wird (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 2023 - 10 BN 2.23 - juris Rn. 7 m. w. N.).

7

aa) Der Kläger macht aktenwidrige Feststellungen in Bezug auf einen "Planfeststellungsbeschluss vom 16. Januar 1936" geltend. In den Urteilsgründen (UA Rn. 40) heiße es, dass sich aus den vorliegenden Verwaltungsvorgängen keine Anhaltspunkte für eine Planfeststellung in Bezug auf den vorherigen Zustand des L. Baches ergäben. Im Widerspruch hierzu folgten aus der unstrittigen Aktenlage hinsichtlich einer straßenrechtlichen Zulassung vom 16. Januar 1936 deutliche Anhaltspunkte für eine Genehmigung in einem förmlichen Verwaltungsverfahren vergleichbar einem Planfeststellungsbeschluss.

8

Dieser Beschwerdevortrag verweist auf keine aktenwidrige Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts. Die vom Kläger kritisierte Passage in den Urteilsgründen zu Anhaltspunkten für eine Planfeststellung stellt eine rechtliche Würdigung des Akteninhalts dar und ist keine Abweichung vom nach Aktenlage gegebenen tatsächlichen Streitstoff. Demgegenüber behauptet auch der Kläger nicht, dass das Berufungsgericht das zur Verlegung der Staatsstraße F.-R. einschließlich der hiermit einhergehenden Verlegung der Wehranlage im Jahr 1936 durchgeführte Verwaltungsverfahren übergehe (siehe hierzu UA Rn. 35). Zudem fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit. Das Oberverwaltungsgericht führt in rechtlicher Hinsicht aus, dass es nicht darauf ankomme, ob im Jahr 1936 - wie der Kläger meine - ein dem heutigen Planfeststellungsverfahren entsprechendes Verfahren durchgeführt worden sei (UA Rn. 35).

9

bb) Weiter rügt der Kläger aktenwidrige Feststellungen zur Frage der Wasserzuleitung in den Mühlgraben nach dem Hochwasser im August 2010. Diesbezügliche Aussagen in den Urteilsgründen seien so zu verstehen, dass nach der Sichtweise des Berufungsgerichts ab der hochwasserbedingten Zerstörung des Wehres kein konstanter Wasserzufluss in den Mühlgraben mehr gegeben gewesen sei, was der unstreitigen Aktenlage widerspreche. Aus den Akten ergebe sich nämlich, dass unmittelbar nach dem Hochwasser ein provisorisches Gerinne gebaut worden sei, das eine kontinuierliche Wasserzuführung in den Mühlgraben gewährleistet habe.

10

Auch dieser Vortrag führt auf keine Aktenwidrigkeit des angefochtenen Urteils. Abweichungen vom tatsächlichen Streitstoff, wie er sich aus den Akten ergibt, enthalten die von der Beschwerde diesbezüglich zitierten Urteilspassagen (UA Rn. 4, 42 und 45), die sich ausschließlich auf die Folgen des Hochwasserereignisses als solchem beziehen, nicht. Der Kläger vermag auch sonst weder darzulegen noch ist anderweitig ersichtlich, dass das Berufungsgericht die zwischenzeitliche Errichtung eines provisorischen Gerinnes entscheidungserheblich übergangen hätte. Aus einer vom Kläger zur Entscheidungserheblichkeit der gerügten Aktenwidrigkeit selbst zitierten Urteilspassage (UA Rn. 42) wird vielmehr deutlich, dass das Oberverwaltungsgericht die Rechtsfrage der Wesentlichkeit der Umgestaltung des L. Baches anhand einer Gegenüberstellung der durch das August-Hochwasser 2010 entstandenen tatsächlichen Situation und des Zustands infolge der Errichtung der mit Bescheid vom 14. Juli 2014 genehmigten Sohlrampe beantwortet hat. Dies steht in Einklang mit den von der Beschwerde ebenfalls in Bezug genommenen weiteren Urteilsausführungen, wonach das Berufungsgericht entscheidungserheblich auf einen Vergleich des tatsächlichen Zustands nach dem Hochwasser mit dem Zustand nach der Errichtung der Sohlrampe abstellt (UA Rn. 40). Auf das provisorische Gerinne kommt es für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts mithin nicht an.

11

b) Das Urteil des Berufungsgerichts stellt keine unter Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) ergangene unzulässige Überraschungsentscheidung dar. Auch eine Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO wird nicht verletzt.

12

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs umfasst die Gelegenheit, sich zu allen Tatsachen und Rechtsfragen zu äußern, die für die Entscheidung erheblich sein können. Zwar korrespondiert mit diesem Äußerungsrecht keine umfassende Hinweispflicht des Gerichts, vielmehr kann regelmäßig erwartet werden, dass die Beteiligten von sich aus erkennen, welche rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte Bedeutung für den Fortgang des Verfahrens und die abschließende Sachentscheidung des Gerichts erlangen können, und entsprechend vortragen. Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verbietet es aber, dass das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens und unter Berücksichtigung der Vielfalt der vertretenen Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 30. August 2023 - 10 C 10.23 - juris Rn. 3 m. w. N.).

13

Eine derartige unzulässige Überraschungsentscheidung hat das Oberverwaltungsgericht nicht getroffen. Das Berufungsgericht hat in seinem Urteil auf keinen Gesichtspunkt abgestellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte. Entgegen der Darstellung der Beschwerde stellt die Entscheidung hinsichtlich des Erlöschens der für die Wehranlage bestehenden Genehmigung infolge der weitgehenden Zerstörung der Anlage durch Hochwasser nicht auf eine "Erledigung der straßenrechtlichen Genehmigung vom 16. Januar 1936 auf andere Weise gemäß § 43 II Alt. 5 VwVfG durch Wegfall des Regelungsobjekts" (Schriftsatz vom 10. Januar 2023, S. 10) ab. Ungeachtet dessen, dass die Beschwerde selbst einräumt, dass das Berufungsgericht im gegebenen Zusammenhang weder die straßenrechtliche Genehmigung bezeichnet noch die genannte Norm zitiert, ergibt sich eine derartige - für überraschend erachtete - Rechtsauffassung aus den Urteilsgründen auch der Sache nach nicht. Das Oberverwaltungsgericht leitet die Rechtsfolge des Erlöschens vielmehr ausdrücklich aus einem Umkehrschluss aus § 21 Abs. 6 SächsWG ab (UA Rn. 40). Die Heranziehung dieser Vorschrift, die die Genehmigungsbedürftigkeit rechtmäßig errichteter und durch Naturkatastrophen zerstörter oder wesentlich beschädigter Wasserkraftanlagen betrifft und bereits im Widerspruchsbescheid vom 8. August 2019 (S. 8) in Bezug genommen wird, stellt auch der Kläger nicht als überraschend dar.

14

c) Das Berufungsurteil beruht nicht auf einem Verstoß gegen das von der Beschwerde als Verfahrensvorschrift herangezogene Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG). Einen solchen Verstoß sieht der Kläger darin, dass das Oberverwaltungsgericht die Frage, ob die Genehmigung der durch Hochwasser zerstörten Wehranlage einen förmlichen Planfeststellungsbeschluss darstelle, einer Beweislastentscheidung für zugänglich erachtet habe. Belege für eine solche Vorgehensweise und deren Entscheidungserheblichkeit legt der Kläger jedoch weder dar noch finden sich anderweitig diesbezügliche Hinweise in den Urteilsgründen. Das Oberverwaltungsgericht führt vielmehr - wie bereits dargelegt - aus, dass es nicht darauf ankomme, ob im Jahr 1936 ein dem heutigen Planfeststellungsverfahren entsprechendes Verfahren durchgeführt worden sei (UA Rn. 35).

15

2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

16

Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und sowohl für die Vorinstanz als auch in dem angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 2023 - 10 B 17.22 - juris Rn. 10 m. w. N.).

17

a) Die Fragestellung

Ist der Begriff des Wohls der Allgemeinheit in dem die bundesrechtliche Norm des § 36 WHG ausfüllenden § 26 Abs. 4 SächsWG so auszulegen, dass grundsätzlich beachtliche denkmalrechtliche Belange von der zuständigen Behörde im Rahmen der wasserrechtlichen Genehmigung dann stets nicht zu beachten sind, wenn ein selbstständiges denkmalrechtliches Genehmigungsverfahren erforderlich ist und keines dieser beiden Verfahren Konzentrationswirkung auf das jeweils andere entfaltet?,

betrifft keine Frage des revisiblen Bundesrechts (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die inhaltliche Anknüpfung des § 26 SächsWG an die bundesrechtliche Vorschrift des § 36 WHG führt nicht zur Revisibilität der landesrechtlichen Norm des § 26 Abs. 4 SächsWG. Dies erkennt offenbar auch die Beschwerde, die insoweit darauf abstellen will, dass die revisible Norm des Art. 20 Abs. 3 GG dogmatischer Anknüpfungspunkt für eine generelle Koordinierungspflicht bei sich überschneidenden Zulassungsverfahren sei. Bezogen auf die Auslegung des Art. 20 Abs. 3 GG hat der Kläger jedoch - wie auch bezüglich § 36 WHG - schon keine für rechtsgrundsätzlich erachtete Fragestellung formuliert.

18

b) Die weitere für rechtsgrundsätzlich erachtete Frage

Ist § 43 Abs. 2 Var. 5 VwVfG dahingehend auszulegen, dass eine Erledigung auf andere Weise in Gestalt des Wegfalls des Regelungsobjekts bei Komplexanlagen auch schon dann vorliegt, wenn eine in Funktion und Größe untergeordnete Nebenanlage des genehmigten Objekts zerstört wird?,

ist jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat, wie bereits dargelegt, die Vorschrift des § 43 Abs. 2 Var. 5 VwVfG weder ausdrücklich noch der Sache nach zur Begründung seines Urteils herangezogen.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen dem Kläger aufzuerlegen, da sich diese durch ihre Antragstellung selbst einem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dr. Rublack

Dr. Schemmer

Dr. Löffelbein

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