Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 16.10.2023, Az.: BVerwG 4 BN 12.23
Normenkontrollklage gegen eine Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB; Gerichtliche Kontrolle von untergesetzlichen Normen
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 16.10.2023
Referenz: JurionRS 2023, 43949
Aktenzeichen: BVerwG 4 BN 12.23
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2023:161023B4BN12.23.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

VGH Baden-Württemberg - 18.01.2023 - AZ: 3 S 2025/21

BVerwG, 16.10.2023 - BVerwG 4 BN 12.23

Redaktioneller Leitsatz:

Es ist geklärt, dass die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG an eine Erhaltungssatzung - hier nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB - nicht geringer sind, weil es bei deren Erlass nur zu einer eingeschränkten Abwägung kommt. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht, die Prüfung, ob eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann, auf solche Gründe zu beschränken, die der jeweilige Normgeber ausdrücklich benannt hat. Dessen ungeachtet ist nicht zu beanstanden, wenn die Normenkontrollgerichte - wie regelmäßig - die Materialien auswerten und daraufhin prüfen, ob sie tragfähige Begründungen für die jeweiligen Regelungen enthalten. Für die gerichtliche Kontrolle von untergesetzlichen Normen gilt grundsätzlich nichts Anderes.

In der Normenkontrollsache
hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Oktober 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Külpmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Januar 2023 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet und bleibt daher erfolglos.

2

Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB. Sie hält den Geltungsbereich der Satzung für fehlerhaft abgegrenzt. Die Antragsgegnerin habe die Satzung nicht auf eine als "Mittlerer Teil" bezeichnete Fläche erstreckt, weil die dort errichteten Wohnungen vorrangig in genossenschaftlichem oder kommunalem Eigentum stehen und die Aufwertungspotenziale für energetische Modernisierungen bereits weitgehend genutzt seien. An diesen Kriterien gemessen habe der Geltungsbereich auch die im Eigentum der Antragstellerin stehenden Grundstücke nicht erfassen dürfen. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Einwand zurückgewiesen, weil sich die Grundstücke der Antragstellerin anders als der "Mittlere Teil" nicht am Rand des Geltungsbereichs befänden und die Fläche um ein Vielfaches kleiner sei (UA S. 32).

3

I. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, die ihr die Beschwerde beimisst.

4

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).

5

1. Die Beschwerde wirft mit ihren Fragen 1 b), 2 a), 2 b) und 3 b) der Sache nach als grundsätzlich klärungsbedürftig auf,

ob sich der Gemeinderat bei der Abgrenzung des Geltungsbereichs einer Satzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB von selbst gewählten Kriterien leiten lassen muss und auch die Befugnis zu großzügiger und pauschaler Betrachtung keine Abweichung gestattet,

ob eine Abgrenzung abwägungsfehlerhaft ist, wenn der Gemeinderat die nach den selbst gewählten Kriterien maßgeblichen Umstände nicht ermittelt und daher nicht einheitlich anwendet,

ob eine Abgrenzung abwägungsfehlerhaft ist, wenn die einheitliche Beachtung der selbst gewählten Kriterien zu einer anderen Abgrenzung hätte führen müssen sowie,

ob die Abgrenzung dem Art. 3 Abs. 1 GG genügt, wenn (1.) der Gemeinderat Kriterien für die Abgrenzung aufstellt, (2.) er diese Kriterien nicht einheitlich anwendet, (3.) bei einheitlicher Anwendung das Gebiet anders abgegrenzt worden wäre und (4.) die Verwaltung nachträglich (neue) Gründe für eine Ungleichbehandlung anführt.

6

Die Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision, weil sie nicht entscheidungserheblich sind. Die Fragen gehen jeweils von der Annahme aus, der Gemeinderat der Antragsgegnerin habe der Abgrenzung des Geltungsbereichs einheitliche Kriterien zugrunde gelegt und solche Flächen ausschließen wollen, bei denen die Wohnungen kein Aufwertungspotenzial mehr aufwiesen und die vorrangig in kommunalem oder genossenschaftlichem Eigentum stehen. Die Beachtung anderer Kriterien habe er ausgeschlossen, etwa die Größe der Fläche oder ihre Lage innerhalb oder am Rande des Gebiets der Erhaltungssatzung.

7

Dies führt nicht zur Zulassung der Revision. Denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass der Gemeinderat sich an so formulierten abstrakten Vorgaben orientiert hat und den Kriterien "Größe" und "Lage" der Fläche keine Bedeutung zumessen wollte. Auch die von der Beschwerde genannten Dokumente gestatten diesen Schluss nicht. Sie legen dar, welche Gründe für den Ausschluss des "Mittleren Teils" aus dem Gebiet der Erhaltungssatzung maßgeblich waren. Dass diese Gründe für die Abgrenzung abschließend maßgeblich und Größe und Lage der jeweiligen Flächen bedeutungslos sein sollten, folgt daraus nicht. Eines gesonderten Eingehens auf die Größe und die Randlage des "Mittleren Teils" in den Dokumenten bedurfte es schon deshalb nicht, weil sich bereits aus dem Kartenmaterial ergab, dass Größe und Lage des "Mittleren Teils" jedenfalls nicht gegen die vorgeschlagene Abgrenzung des Gebiets sprachen.

8

2. Die Beschwerde möchte mit ihrer Frage 3 a) der Sache nach klären lassen,

ob die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG an eine Erhaltungssatzung - hier: nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB - geringer sind, weil es bei deren Erlass nur zu einer eingeschränkten Abwägung kommt.

9

Die Frage führt nicht zur Zulassung der Revision. Sie ist, soweit sie allgemeiner Klärung zugänglich ist, in der Rechtsprechung bereits beantwortet. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er verlangt auch bei Erlass einer Satzung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB Beachtung (vgl. zur Satzungsautonomie BVerfG, Beschluss vom 23. Februar 1972 - 2 BvL 36/71 - BVerfGE 32, 346 <361>; BVerwG, Urteile vom 24. Mai 2023 - 9 CN 1.22 - NVwZ 2023, 1406 Rn. 58 f. und vom 13. Juni 2023 - 9 CN 2.22 - juris Rn. 30). Davon ist die Vorinstanz ausgegangen (UA S. 32). Dass Art. 3 Abs. 1 GG insoweit "geringere Anforderungen" stelle oder nur mit Abstrichen gelte, hat sie nicht angenommen. Dafür ist auch nichts ersichtlich.

10

Die Beschwerde wirft dem Verwaltungsgerichtshof der Sache nach vor, er habe die unterschiedliche Behandlung des "Mittleren Teils" und der Grundstücke der Antragsgegnerin mit Gründen gerechtfertigt, auf die sich der Gemeinderat bei Erlass der Satzung nicht gestützt habe. Eine solche Überlegung hält sie für nicht oder nur eingeschränkt mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Dies trifft nicht zu.

11

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nicht, die Prüfung, ob eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden kann, auf solche Gründe zu beschränken, die der jeweilige Normgeber ausdrücklich benannt hat (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. März 1979 - 1 BvR 111/74 u. a. - BVerfGE 51, 1 <26 f.>, vom 5. Mai 1987 - 1 BvR 724/81 u. a. - BVerfGE 75, 246 <268>, vom 11. Februar 1992 - 1 BvL 29/87 - BVerfGE 85, 238 <245> und vom 19. Dezember 2012 - 1 BvL 18/11 - BVerfGE 133, 1 Rn. 46). Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1992 - 1 BvL 51/86 u. a. - (BVerfGE 87, 1 <36 f.>) und dem Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u. a. - (BVerfGE 90, 145 <196>) folgt nichts Anderes. Ihnen lässt sich nicht entnehmen, dass das Bundesverfassungsgericht die Prüfung, ob eine Ungleichbehandlung den Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 GG standhält, auf die vom jeweiligen Gesetzgeber bewusst in den Blick genommenen Gründe begrenzt. Dessen ungeachtet ist nicht zu beanstanden, wenn die Normenkontrollgerichte - wie regelmäßig - die Materialien auswerten und daraufhin prüfen, ob sie tragfähige Begründungen für die jeweiligen Regelungen enthalten.

12

Für die gerichtliche Kontrolle von untergesetzlichen Normen gilt grundsätzlich nichts Anderes. Bei dieser Kontrolle kommt es im Grundsatz auf das Ergebnis des Rechtsetzungsverfahrens an, also auf die erlassene Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung, nicht aber auf die die Rechtsnorm tragenden Motive desjenigen, der an ihrem Erlass mitwirkt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Dezember 1984 - 7 C 3.83 u. a. - BVerwGE 70, 318 <335>, vom 26. Juni 2014 - 4 C 3.13 - BVerwGE 150, 114 Rn. 25 und vom 22. November 2022 - 3 CN 2.21 - NVwZ 2023, 1011 Rn. 12). Der Weg zu einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung des Abwägungsvorgangs ist bei untergesetzlichen Normen nur eröffnet, wenn der Normgeber - wie etwa im Recht der Bauleitplanung - einer besonders ausgestalteten Bindung an gesetzlich formulierte Abwägungsdirektiven unterliegt (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2014, a. a. O.). Hiermit übereinstimmend wird in der Literatur mehrheitlich angenommen, die gerichtliche Kontrolle einer - nicht begründungspflichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1987 - 4 C 26.85 - BVerwGE 78, 23 <26>) - Erhaltungssatzung sei auf das Abwägungsergebnis beschränkt (Möller, in: Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 172 Rn. 21; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Mai 2023, § 172 Rn. 69; Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 172 Rn. 38; ebenso OVG Hamburg, Urteil vom 9. Juli 2014 - 2 E 3/13.N - juris Rn. 42). Ob dies zutrifft, mag dahinstehen. Jedenfalls Art. 3 Abs. 1 GG verlangt keine Kontrolle des Abwägungsvorgangs.

13

3. Die zu 1 a) formulierte Frage ist auf den Einzelfall bezogen und entzieht sich rechtsgrundsätzlicher Klärung. Daran ändert nichts, dass die in den Blick genommenen Größen nur vage formuliert sind ("mehrere hundert Quadratmeter große Fläche"; "zahlreiche zusammenhängende Wohnungen").

14

II. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

15

Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 4).

16

Die Beschwerde entnimmt den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 1985 - 2 BvL 17/83 - (BVerfGE 69, 150 [BVerfG 30.01.1985 - 1 BvR 876/84] <160>), vom 7. Juli 1992 - 1 BvL 51/86 u. a. - (BVerfGE 87, 1 <37>) und vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92 u. a. - (BVerfGE 90, 145 <196>) Rechtssätze zur Geltung des Art. 3 Abs. 1 GG bei dem Erlass von Normen durch die Verwaltung sowie Rechtssätze zur Anwendung des Gleichheitssatzes, insbesondere zur Notwendigkeit, die für eine Ungleichbehandlung maßgeblichen Kriterien sachgerecht zu bestimmen. Von diesen Rechtssätzen sei die Vorinstanz abgewichen. Denn sie habe nicht beanstandet, dass die Antragsgegnerin die Eigentumsverhältnisse bei den Grundstücken der Antragstellerin nicht ermittelt und der Gemeinderat diesen Gesichtspunkt nicht ausdrücklich in seine Abwägung einbezogen habe (UA S. 32).

17

Darin liegt keine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Geltung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG für den Erlass von untergesetzlichen Normen angenommen und ist davon ausgegangen, dass zwischen dem - nicht in den Geltungsbereich einbezogenen - "Mittleren Teil" und den Grundstücken der Antragstellerin Unterschiede mit Blick auf die Lage der Grundstücke und die Größe der Fläche bestehen, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (UA S. 32). Dass er demgegenüber den Eigentümerbelangen keine Bedeutung zugemessen hat und daher deren fehlende Ermittlung nicht beanstandet hat, widerspricht den angeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht. Die gegenteilige Auffassung der Beschwerde beruht auf ihrer Annahme, dass Gericht sei bei der Prüfung, ob eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist, auf die vom jeweiligen Normgeber ausdrücklich in den Blick genommenen Gründe beschränkt. Diese Annahme trifft indes nicht zu (s. o.); sie lässt sich auch den angeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht entnehmen.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Schipper

Prof. Dr. Külpmann

Dr. Emmenegger

Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.