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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 20.09.2023, Az.: BVerwG 8 B 8.23
Klage einer kreisangehörigen Gemeinde gegen die Erhebung der Kreisumlage für das Haushaltsjahr 2019; Aus dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht abzuleitender Grundsatz des finanziellen Gleichrangs des Finanzbedarfs des Kreises und der Gemeinden
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 20.09.2023
Referenz: JurionRS 2023, 41902
Aktenzeichen: BVerwG 8 B 8.23
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2023:200923B8B8.23.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

OVG Sachsen-Anhalt - 22.11.2022 - AZ: 4 L 98/21

BVerwG, 20.09.2023 - BVerwG 8 B 8.23

Redaktioneller Leitsatz:

Es ist geklärt, dass die Pflicht gemäß Art. 28 Abs. 2 GG, den Finanzbedarf der Gemeinden gleichrangig mit dem des Kreises zu berücksichtigen, keine Abwägungsentscheidung verlangt, wie sie aus dem Planungsrecht geläufig ist und dort den Maßgaben der Abwägungsfehlerlehre unterliegt. Stattdessen ist nach Art. 28 Abs. 2 GG in materiell-rechtlicher Hinsicht zu überprüfen, ob die Umlagenfestsetzung das Recht der betroffenen Gemeinden auf eine finanzielle Mindestausstattung wahrt und darüber hinaus Finanzinteressen des Kreises nicht einseitig und rücksichtslos gegenüber denen der Gemeinden bevorzugt. Denn dem Grundsatz des Gleichrangs des Finanzbedarfs von Kreis und kreisangehörigen Gemeinden widerspräche es, wenn der Kreis die eigene Unterfinanzierung stets in vollem Umfang auf die kreisangehörigen Gemeinden abwälzen dürfte oder gar müsste, selbst wenn diesen dadurch nicht einmal mehr die verfassungsrechtlich gebotene Mindestausstattung bliebe.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. September 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Naumann
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 22. November 2022 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6 554 902 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Klägerin, eine kreisangehörige Gemeinde des Beklagten, wendet sich gegen die Erhebung der Kreisumlage für das Haushaltsjahr 2019. Im Dezember 2018 beschloss der Kreistag des Beklagten die Haushaltssatzung für das Jahr 2019 und legte in deren § 5 einen Kreisumlagesatz von 40,1 v. H. fest. Mit Bescheid vom 12. Februar 2019 setzte der Beklagte die danach von der Klägerin zu zahlende Kreisumlage auf 6 554 902 € fest. Auf die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Festsetzungsbescheid aufgehoben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der vom Kreistag verfahrensfehlerfrei festgesetzte Umlagesatz verstoße in materiell-rechtlicher Hinsicht gegen den aus dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht abzuleitenden Grundsatz des finanziellen Gleichrangs des Finanzbedarfs des Kreises und der Gemeinden. Der Beklagte habe seine eigenen finanziellen Belange gegenüber den finanziellen Belangen der kreisangehörigen Gemeinden einseitig und rücksichtslos bevorzugt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

2

Die dagegen erhobene Beschwerde des Beklagten, die einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) rügt und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg.

3

1. Das Berufungsurteil leidet nicht unter einem Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO nicht verletzt. Dieses grundrechtsgleiche Recht verpflichtet das Gericht, nach seiner Rechtsauffassung rechtlich erhebliches Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Gericht das gesamte Vorbringen in den Entscheidungsgründen abhandeln muss. Vielmehr muss es auch in einem Urteil nur diejenigen tatsächlichen und rechtlichen Gründe angeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet zudem nicht, dass das Gericht den Vorstellungen eines Beteiligten folgt (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2018 - 10 C 8.17 - BVerwGE 162, 244 Rn. 26 m. w. N.).

4

Nach diesem Maßstab liegt keine Verletzung rechtlichen Gehörs vor. Die Rüge des Beklagten, das Berufungsgericht habe seinen Vortrag zum Inhalt der Anlage 2.1 zur Informationsvorlage Nr. 2018/20/0597 übergangen, ist nicht berechtigt. Das Berufungsurteil hat sich hiermit ausdrücklich befasst (UA S. 19 ff.). Dabei hat es sich nicht auf die Erörterung der auf Seite 2 der Anlage (Bl. 64 des Verwaltungsvorgangs) aufgeführten und in den Urteilsgründen (UA S. 19 f.) wiedergegebenen vier Gründe für die Tragbarkeit des zunächst von der Kreisverwaltung vorgeschlagenen Umlagesatzes von 41,0 % beschränkt. Vielmehr hat sich das Berufungsgericht auch mit den nachfolgenden Ausführungen der genannten Anlage zur Abwägung der finanziellen Interessen auseinandergesetzt. Es hat ausdrücklich auf die unter der Überschrift "VI. Endabwägung zu Kreisumlage nach Anhörung der Gemeinden" angestellten Überlegungen (Bl. 66 f. des Verwaltungsvorgangs) Bezug genommen und beanstandet, dass damit nur die Frage, ob die Mindestfinanzausstattung der Gemeinde verletzt sei, in die Bewertung des finanziellen Gleichrangs einbezogen worden sei. Darin hat es eine nur unzureichende inhaltliche Würdigung der finanziellen Belange der Gemeinden gesehen. Es beanstandet, dass der Beklagte etwa der Hälfte der kreisangehörigen Gemeinden einen Fehlbetrag im Haushaltsjahr 2019 zugemutet habe, um prognostisch selbst einen ausgeglichenen Haushalt zu erzielen.

5

Sollte der Beklagte darüber hinaus sinngemäß eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes rügen wollen, legt er nicht dar, dass das Berufungsgericht nach dessen Rechtsauffassung erheblichen Akteninhalt übergangen und dadurch den Überzeugungsgrundsatz gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verletzt hätte.

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2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 28. Januar 2019 - 8 B 37.18 - juris Rn. 4). Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerde nicht.

7

a) Die vom Beklagten aufgeworfene Frage,

ob Art. 28 Abs. 2 GG den Landkreisen beim Erlass ihrer Haushaltssatzungen und der darin enthaltenen Festsetzung des oder der Kreisumlagesätze einen Bewertungs- und Einschätzungsspielraum belässt,

würde sich im angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil das Oberverwaltungsgericht sein Urteil nicht auf Erwägungen zum Vorliegen oder Fehlen eines Bewertungs- oder Einschätzungsspielraums bei der Anwendung des Art. 28 Abs. 2 GG gestützt hat.

8

Soweit die Frage sinngemäß darauf zielt zu klären, in welchem Umfang die Festsetzung des Kreisumlagesatzes der gerichtlichen Überprüfung unterliegt, bedarf sie nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, weil Gegenstand und Dichte der gerichtlichen Kontrolle am Maßstab des Art. 28 Abs. 2 GG, soweit hier entscheidungserheblich, bereits in der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt sind. Danach kommt dem Gesetzgeber und sonstigen Normgebern bei der Ausgestaltung der Finanzbeziehungen zwischen Land, Kreisen und Gemeinden ein weiter Regelungsspielraum zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 8 C 1.12 - BVerwGE 145, 378 Rn. 13). Dieser Spielraum wird durch Art. 28 Abs. 2 GG begrenzt. Dessen Anforderungen sind gerichtlich uneingeschränkt zu kontrollieren. Die gerichtliche Überprüfung des Kreisumlagesatzes erstreckt sich hierbei nicht nur auf die verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen seiner Festsetzung, wozu die Beachtung der aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden Ermittlungs- und Offenlegungspflicht des Kreises gehört (vgl. BVerwG, Urteile vom 31. Januar 2013 - 8 C 1.12 - BVerwGE 145, 378 Rn. 14 sowie vom 27. September 2021 - 8 C 29.20 - juris Rn. 18 und - 8 C 30.20 - BVerwGE 173, 274 Rn. 22). Vielmehr ist der Kreisumlagesatz auch an den aus Art. 28 Abs. 2 GG folgenden materiellen Maßstäben zu messen (BVerwG, Urteil vom 15. September 2020 - 8 CN 4.19 - juris Rn. 19). Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt, dass die Pflicht gemäß Art. 28 Abs. 2 GG, den Finanzbedarf der Gemeinden gleichrangig mit dem des Kreises zu berücksichtigen, keine Abwägungsentscheidung verlangt, wie sie aus dem Planungsrecht geläufig ist und dort den Maßgaben der Abwägungsfehlerlehre unterliegt. Stattdessen ist nach Art. 28 Abs. 2 GG in materiell-rechtlicher Hinsicht zu überprüfen, ob die Umlagenfestsetzung das Recht der betroffenen Gemeinden auf eine finanzielle Mindestausstattung wahrt und darüber hinaus Finanzinteressen des Kreises nicht einseitig und rücksichtslos gegenüber denen der Gemeinden bevorzugt (BVerwG, Urteile vom 27. September 2021 - 8 C 30.20 - BVerwGE 173, 274 Rn. 25 und - 8 C 29.20 - juris Rn. 21; Beschluss vom 16. September 2020 - 8 B 22.20 - juris Rn. 13). Dem Grundsatz des Gleichrangs des Finanzbedarfs von Kreis und kreisangehörigen Gemeinden widerspräche es, wenn der Kreis die eigene Unterfinanzierung stets in vollem Umfang auf die kreisangehörigen Gemeinden abwälzen dürfte oder gar müsste, selbst wenn diesen dadurch nicht einmal mehr die verfassungsrechtlich gebotene Mindestausstattung bliebe (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 8 C 1.12 - BVerwGE 145, 378 Rn. 25).

9

b) Die weitere Frage,

ob die kreisliche Festsetzung eines Kreisumlagesatzes als einseitig und rücksichtslos und mithin als Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 GG anzusehen sein kann, wenn ein Landkreis diesen Kreisumlagesatz allein mit Hilfe von Einsparungen im eigenen Haushalt abgesenkt hat,

wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht ist nicht von einer solchen Annahme ausgegangen. Vielmehr hat es darauf abgestellt, dass die durch Ausschöpfung eigener Einsparpotentiale des Landkreises herbeigeführte Absenkung des Kreisumlagesatzes den Landkreis nicht von der inhaltlichen Würdigung der finanziellen Belange der Gemeinden befreit. Es hat die angenommene Verletzung des Grundsatzes des finanziellen Gleichrangs der Gebietskörperschaften auf diese Erwägung, nicht hingegen auf die Nutzung von Einsparpotentialen des Landkreises gestützt.

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c) Schließlich rechtfertigt auch die Frage,

ob die Landkreise entgegen einer landesgesetzlichen Pflicht zur Erhebung der Kreisumlage zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Finanzbedarfs (Fehlbedarfs) und entgegen einem landesgesetzlichen Verschuldungsverbot von Verfassungs wegen auf eine auskömmliche Kreisumlage verzichten und stattdessen Kredite aufnehmen müssen, wenn ansonsten eine wesentliche Zahl kreisangehöriger (umlagepflichtiger) Gemeinden zur Aufnahme neuer oder zusätzlicher Kredite veranlasst würden,

mangels Entscheidungserheblichkeit nicht die Zulassung der Revision. Sie würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren ebenfalls nicht stellen. Das Berufungsgericht hat nicht angenommen, der Landkreis sei zur Deckung eines Fehlbedarfs durch Kreditaufnahme verpflichtet, um einer wesentlichen Anzahl umlagepflichtiger Gemeinden eine Kreditaufnahme zu ersparen. Es verlangt zur gleichrangigen Berücksichtigung der finanziellen Belange der kreisangehörigen Gemeinden lediglich, dass der Landkreis nicht, um den eigenen Finanzbedarf voll zu decken, einem erheblichen Teil der kreisangehörigen Gemeinden defizitäre Haushalte zumutet, ohne zusätzliche Erwägungen anzustellen und offenzulegen, die die ungleiche Bedarfsdeckung vor dem Grundsatz des Gleichrangs rechtfertigen können.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Dr. Held-Daab

Hoock

Dr. Naumann

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