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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 09.05.2023, Az.: BVerwG 2 AV 2.23
Antrag auf Erlass einer Durchsuchungsanordnung und Beschlagnahmeanordnung i.R.e. Disziplinarverfahrens (hier: Betrug); Anordnung der Durchsuchungen und Beschlagnahme wegen des dringenden Tatverdachts des einem Beamten zur Last gelegten Dienstvergehens
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 09.05.2023
Referenz: JurionRS 2023, 19782
Aktenzeichen: BVerwG 2 AV 2.23
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2023:090523B2AV2.23.0

Fundstellen:

NJW 2023, 2961

NVwZ 2023, 1254-1256

BVerwG, 09.05.2023 - BVerwG 2 AV 2.23

Redaktioneller Leitsatz:

Maßnahmen nach § 27 Abs. 1 BDG kommen nur in Betracht, wenn angesichts des Dienstvergehens des betroffenen Beamten die Zurückstufung oder die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu erwarten ist.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Mai 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Durchsuchung der Wohnung des Antragsgegners (...) einschließlich aller Nebenräume sowie der dort befindlichen EDV-Anlagen sowie elektronischen Kommunikations- und Speichermedien wird angeordnet. Die Durchsuchungsanordnung bezieht sich auch auf von den vorgenannten Durchsuchungsobjekten räumlich getrennte Speichermedien, soweit auf sie von den durchsuchten Räumen aus zugegriffen werden kann.

  2. 2.

    Die Beschlagnahme folgender bei der Durchsuchung aufgefundener Gegenstände wird angeordnet, sofern sie nicht freiwillig herausgegeben werden:

    Laptops, Personal Computer, Tablets, Handys, SIM-Karten, USB-Sticks, Speicherkarten, Spielekonsolen, sonstige elektronische Kommunikations- und Speichermedien,

    sowie Kaufbelege, Bestellbestätigungen, Versandbestätigungen, Nachweise über Bargeldzahlungen, Abrechnungen von Kreditkarten, Belege über Bankeinzug, Belege über Zahlungen per Zahlungsdienstleister wie Paypal oder Klarna, Kontounterlagen sowie Unterlagen von Zahlungsdienstleistern, sofern sie den Zeitraum von Oktober 2019 bis Mai 2021 betreffen.

    Angeordnet wird ferner die Beschlagnahme von Barmitteln, sofern sie den Betrag von 1 000 € übersteigen.

  3. 3.

    Etwaige Mitgewahrsamsinhaber bezüglich der genannten Wohnung und der zu durchsuchenden sowie zu beschlagnahmenden Gegenstände haben die angeordneten Maßnahmen zu dulden.

  4. 4.

    Der Antragstellerin wird die Durchsicht und Auswertung der aufgefundenen Papiere, elektronischen Speichermedien und elektronischen Postfächer übertragen.

  5. 5.

    Vor Durchführung der Durchsuchung und Beschlagnahmemaßnahmen ist dem Antragsgegner dieser Beschluss zusammen mit der Antragsschrift vom 22. Februar 2023 und dem Schriftsatz vom 20. März 2023 durch die Antragstellerin auszuhändigen.

  6. 6.

    Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung gilt für vier Monate ab dem Datum des Beschlusses.

Gründe

I

1

Die Antragstellerin beantragt im Rahmen eines Disziplinarverfahrens gegen den Antragsgegner den Erlass einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung.

2

Der Antragsgegner ist seit September 2015 beim Bundesnachrichtendienst (BND) beschäftigt und war im Bereich der Technischen Einsatzunterstützung eingesetzt. Zu seinen dienstlichen Aufgaben gehörte die Beschaffung von Hard- und Softwareprodukten für den Betrieb des BND. Gegen den Antragsgegner wurde am 3. September 2021 das Disziplinarverfahren wegen des Vorwurfs eingeleitet, er habe im Zeitraum von Oktober 2019 bis Mai 2021 in 40 Fällen die Beschaffung von technischen Geräten (z. B. Laptops, PCs, Smartphones und Drohnen) sowie Guthaben (z. B. Prepaid-Guthaben) teilweise nur vorgetäuscht, sodann keine oder nur minderwertige Ware beschafft und inventarisiert und die Differenz zwischen den Kosten der beantragten und der tatsächlich vorgenommenen Beschaffung für sich behalten, wodurch ein Gesamtschaden von 66 387,11 € entstanden sei. Am 24. Juni 2022 ist das Disziplinarverfahren auf den Vorwurf ausgedehnt worden, der Antragsgegner habe mehrere Wochen krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit lediglich vorgetäuscht, um während dieser Zeit die für die Erteilung eines Jagdscheins erforderliche Ausbildung absolvieren zu können.

II

3

Nach § 27 Abs. 1 BDG kann das Gericht auf Antrag durch Beschluss Beschlagnahmen und Durchsuchungen anordnen. Das Ersuchen darf nur von dem Dienstvorgesetzten, seinem allgemeinen Vertreter oder einem beauftragten Beschäftigten gestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. Die Anordnung darf nur getroffen werden, wenn der Beamte des ihm zur Last gelegten Dienstvergehens dringend verdächtig ist und die Maßnahme zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

4

1. Das Anschreiben des BND vom 22. Februar 2023, präzisiert durch die Angaben im Schriftsatz des BND vom 20. März 2023, erfüllt die Voraussetzungen eines Antrags i. S. v. § 27 Abs. 1 Satz 1 BDG. Der Vizepräsident für zentrale Aufgaben ist allgemeiner Vertreter des Präsidenten des BND i. S. v. § 27 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i. V. m. § 25 Abs. 3 BDG. Zuständig ist nach § 45 Satz 5 BDG i. V. m. § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO das Bundesverwaltungsgericht.

5

2. Der Antragsgegner ist des ihm zur Last gelegten Dienstvergehens dringend verdächtig.

6

Dringender Tatverdacht, der dem Strafprozessrecht entnommen ist (§ 112 Abs. 1 Satz 1 StPO) und über die Kategorie "tatsächliche Anhaltspunkte" i. S. v. § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG weit hinausgeht, ist anzunehmen, wenn nicht nur ein auf vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen, sondern ein auf Tatsachen gestützter hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Antragsgegner das ihm zur Last gelegte Dienstvergehen begangen hat und die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens sowie seine Schuld nicht ausgeschlossen sind (BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Januar 2005 - 2 BvR 1975/03 - NJW 2005, 1707 f. zum Strafprozessrecht). Davon ist hier auszugehen.

7

Die Einlassungen des Antragsgegners bei seiner Vernehmung am 20. Januar 2022 und die in der dem Gericht vorliegenden Akten enthaltenen Beweismittel (z. B. Auskünfte von Elektronikhändlern und Prüfberichte zu technischen Geräten) legen die Annahme besonders nahe, dass der Antragsgegner bei 40 Vorgängen zur Beschaffung von technischen Geräten und Berechtigungen (Guthaben) vorsätzlich - zu seinem finanziellen Vorteil - gehandelt hat, damit vorsätzlich und schuldhaft gegen die ihm nach § 61 Abs. 1 BBG obliegenden Dienstpflichten verstoßen und der Antragstellerin einen großen wirtschaftlichen Schaden zugefügt hat. Ferner ist mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsgegner durch das Vortäuschen krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit aus Anlass der Jagdausbildung im November und Dezember 2020 vorsätzlich und schuldhaft gegen die ihm obliegende Pflicht zur Dienstleistung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 BBG) verstoßen hat.

8

3. Die Maßnahmen stehen zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme auch nicht außer Verhältnis.

9

a) Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt generell, dass Maßnahmen nach § 27 Abs. 1 BDG nur in Betracht kommen, wenn angesichts des Dienstvergehens des betroffenen Beamten die Zurückstufung oder die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu erwarten ist; sie sind als unverhältnismäßig einzustufen, wenn das mutmaßliche Dienstvergehen nur einen Verweis oder eine Geldbuße nach sich ziehen würde (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. Juni 2006 - 2 BvR 1780/04 - NVwZ 2006, 1282 <1183>).

10

Nach diesem Maßstab erweisen sich die Maßnahmen als verhältnismäßig. Denn auf der Grundlage der derzeit vorliegenden Erkenntnisse sowie der Erklärungen des Antragsgegners im Disziplinarverfahren ist damit zu rechnen, dass das einheitliche Dienstvergehen des Antragsgegners mit einer den Status berührenden Disziplinarmaßnahme nach §§ 9 und 10 BDG zu ahnden ist. Es kommt in Betracht, dass der Antragsgegner durch sein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG).

11

Es sprechen gewichtige Anhaltspunkte für die Annahme, dass das Verhalten des Antragsgegners anlässlich der 40 Beschaffungsvorgänge jeweils den Tatbestand des Betruges erfüllt und zugleich die Voraussetzungen des Regelbeispiels des gewerbsmäßigen Betruges sowie des Missbrauchs der Befugnisse als Amtsträger (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 4 StGB) gegeben sind. Zugleich dürfte jeweils der Tatbestand der Untreue nach § 266 StGB und das Regelbeispiel der Untreue in einem besonders schweren Fall verwirklicht sein (§ 266 Abs. 2 i. V. m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 4 StGB). Damit reicht die Strafandrohung bis zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren. Ausgehend von dieser Strafandrohung als Orientierungsrahmen ist die disziplinarrechtliche Ahndung bis hin zur Höchstmaßnahme eröffnet.

12

b) Nach § 27 Abs. 1 Satz 3 BDG und § 102 StPO kann eine Durchsuchung vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde. Die danach erforderliche berechtigte Auffindungsvermutung im Hinblick auf potentielle Beweismittel liegt hier vor. Die Durchsuchung ist auf das Auffinden von Gegenständen gerichtet, aus denen sich die Dienstpflichtverletzung des Antragsgegners ableiten lässt. Aus der maßgeblichen ex-ante Perspektive ist zumindest nicht auszuschließen, dass bei der Durchsuchung schriftliche Belege für Vorgänge im Zusammenhang mit der Beschaffung von technischem Gerät und Guthaben für den BND gefunden werden.

13

Nach eigener Aussage hat der Antragsgegner die ihm vom Dienstherrn überlassenen Barmittel zumindest teilweise auf sein Privatkonto eingezahlt und Beschaffungsvorgänge mit diesen Geldmitteln über sein Privatkonto abgewickelt. Dementsprechend sind auch Kontounterlagen, Abrechnungen von Kreditkarten und Abrechnungsunterlagen von Zahlungsdienstleistern zu beschlagnahmen, sofern sie Erwerbsvorgänge des Antragsgegners im Zeitraum von Oktober 2019 bis Mai 2021 betreffen.

14

Die Durchsuchungsanordnung bezieht sich auch auf von den Durchsuchungsobjekten räumlich getrennte Speichermedien, soweit auf sie von den durchsuchten Räumlichkeiten aus zugegriffen werden kann. Denn ohne diese Durchsuchung droht der Verlust der gesuchten Daten (§ 27 Abs. 1 Satz 3 BDG und § 110 Abs. 3 Satz 1 StPO).

15

c) Die Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen sind auch erforderlich. Ein milderes Mittel ist hier nicht ersichtlich. Es ist angesichts des bisherigen Verhaltens des Antragsgegners auch nicht zu erwarten, dass dieser ohne richterliche Anordnung entsprechende Beweismittel herausgeben wird. Eine bloße richterliche Anordnung nach § 26 Satz 2 BDG reicht nicht aus. Denn der Kreis der in Betracht kommenden und sich im Besitz des Antragsgegners befindlichen schriftlichen Unterlagen ist dem Dienstherrn bislang unbekannt.

16

d) Die Übertragung der Befugnis zur Durchsicht der elektronischen Postfächer auf die Antragstellerin beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 100 Abs. 3 Satz 2 StPO. Die Übermittlung der aufgefundenen Daten an das Gericht würde zu einer nicht hinnehmbaren Verzögerung führen. Die Durchsicht der bei der Durchsuchung aufgefundenen Papiere und elektronischen Speichermedien des Antragsgegners steht nach § 110 Abs. 1 StPO analog ohnehin dem Disziplinarvorgesetzten zu.

17

d) Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist die Anordnung zu befristen.

18

4. Die Anordnung ergeht ohne vorherige Anhörung des Antragsgegners, weil andernfalls ihr Zweck aller Voraussicht nach vereitelt würde (§ 27 Abs. 1 Satz 3 BDG i. V. m. § 33 Abs. 4 StPO). Bei einer vorherigen Anhörung wäre damit zu rechnen, dass Beweismittel beiseitegeschafft oder vernichtet werden.

19

Die gerichtliche Anordnung ist dem Antragsgegner zusammen mit der Antragsschrift zuzustellen (§ 3 BDG i. V. m. § 56 Abs. 2 VwGO und § 168 Abs. 2 ZPO). Die Zustellung haben diejenigen Bediensteten im Wege der Amtshilfe vorzunehmen, die für die Antragstellerin die Anordnung nach Maßgabe des § 27 Abs. 2 BDG durchführen. Wegen des durch die Anordnung begründeten Grundrechtseingriffs und wegen der unterbliebenen Anhörung des Antragsgegners im Vorfeld soll die Übergabe des Beschlusses - soweit möglich - vor Beginn der Maßnahme erfolgen (vgl. zum Unterrichtungserfordernis im Fall des § 102 StPO: Tsambikakis, in: Löwe-Rosenberg, StPO, Band 3/1, 27. Aufl. 2019, § 106 Rn. 14; Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 106 Rn. 5).

20

5. Die Kostenentscheidung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, weil es sich bei der Anordnung um eine unselbstständige Nebenentscheidung handelt.

Dr. Kenntner

Dr. Hartung

Hampel

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