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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 10.08.2016, Az.: BVerwG 1 B 93.16
Unzulässigkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei fehlender Kausalität zwischen Mittellosigkeit und Fristversäumnis
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 10.08.2016
Referenz: JurionRS 2016, 23313
Aktenzeichen: BVerwG 1 B 93.16
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2016:100816B1B93.16.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

VG Minden - 29.08.2012 - AZ: 7 K 1744/12

OVG Nordrhein-Westfalen - 25.05.2016 - AZ: 18 A 2206/12

Rechtsgrundlage:

§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO

Fundstellen:

BayVBl 2017, 179

DÖV 2016, 964

JZ 2016, 641

NVwZ-RR 2016, 5

NVwZ-RR 2016, 805

NWVBl 2016, 496-497

VRÜ 2017, 71

BVerwG, 10.08.2016 - BVerwG 1 B 93.16

Amtlicher Leitsatz:

Voraussetzung für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist, dass zwischen dem unverschuldeten Hindernis und der Fristversäumnis ein Kausalzusammenhang besteht.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. August 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Sie legt den geltend gemachten Revisionszulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) nicht in einer Weise dar, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Der weiter geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.

2

1. Eine die Revisionszulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder eines anderen der in der Vorschrift genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Februar 2015 - 1 B 3.15 - Rn. 7 m.w.N.). Die nach Auffassung des Beschwerdeführers divergierenden Rechtssätze müssen einander präzise gegenübergestellt werden. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder unter anderem das Bundesverfassungsgericht in der Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht.

3

So liegt der Fall hier. Die Beschwerde hat dem Leitsatz aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juli 2003 (1 B 386.02 - Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 39) keinen Rechtssatz aus der Entscheidung des Berufungsgerichts gegenüber gestellt. Sie rügt vielmehr die Nichtbeachtung der Entscheidung vom 23. Juli 2003 bei der Rechtsanwendung des Berufungsgerichts im vorliegenden Fall. Damit kann sie die Zulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht erreichen.

4

2. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht habe die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen, ohne zuvor über den innerhalb der Berufungsbegründungsfrist gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts entschieden und ggf. Wiedereinsetzung nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe gewährt zu haben. Damit habe das Gericht Verfahrensrecht und im Hinblick auf die Verweigerung des Zugangs zur Berufungsinstanz zugleich den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verletzt.

5

Die geltend gemachte Verletzung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegt unabhängig von der Frage der Entscheidungserheblichkeit nicht vor. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist einer Partei auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Daher liegt regelmäßig ein Grund zur Wiedereinsetzung vor, wenn eine erstinstanzlich unterlegene Partei, die sich für bedürftig halten durfte, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist einen vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe eingereicht hat, um abhängig von der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe darüber zu entscheiden, ob die Berufung durchgeführt werden soll, das Berufungsgericht über diesen Antrag aber nicht innerhalb der Frist für die Begründung der Berufung entschieden hat. Allerdings entspricht es der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass Wiedereinsetzung nur dann zu gewähren ist, wenn die fristgemäße Einlegung oder Begründung des Rechtsmittels "wegen" der ausstehenden Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag unterblieben ist (Beschluss vom 5. Juni 2008 - 5 B 28.09 - Rn. 6). Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher, dass zwischen dem unverschuldeten Hindernis und der Fristversäumnis ein Kausalzusammenhang besteht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2012 - IV ZB 16.11 - NJW 2012, 2041; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 60 Rn. 101). Die fehlende Begründung des Rechtsmittels muss nämlich gerade auf die Bedürftigkeit der Partei zurückzuführen sein. Die Kausalität kann verneint werden, wenn der Beschwerdeführer nicht zu erkennen gegeben hat, dass der Rechtsanwalt, der die Berufung eingelegt hat, nur dann zu einem weiteren Tätigwerden im Berufungsverfahren bereit ist, wenn Prozesskostenhilfe bewilligt wird (BVerfG, Beschluss vom 11. März 2010 - 1 BvR 290/10 - Rn. 18).

6

Auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung hat das Berufungsgericht verfahrensfehlerfrei seine Entscheidung gestützt, das Wiedereinsetzungsgesuch abzulehnen. Es hat eingehend dargelegt, warum nach seiner Würdigung im vorliegenden Fall ein kausaler Zusammenhang zwischen der geltend gemachten Mittellosigkeit und dem Fristversäumnis nicht zu erkennen sei (UA S. 12). So habe der Kläger selbst vorgetragen, sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufung - unmittelbar nach der Zulassung und vor der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch - am 23. April 2015 begründet und abgesandt. Gegen die erforderliche Kausalität spreche zudem der Gang des zweitinstanzlichen Verfahrens. Der Kläger habe schon den Antrag auf Zulassung der Berufung fristgerecht und ohne Abwarten einer Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag umfangreich begründet. Dieser tatrichterlichen Würdigung tritt die Beschwerde nicht entgegen.

7

Die Beschwerde tritt auch der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts, wonach der Kläger ein mangelndes Verschulden an der Versäumung der Begründungsfrist nicht glaubhaft gemacht hat (UA S. 8 -10), nicht entgegen. Fehlt es an einer unverschuldeten Fristversäumnis, werden der Rechtsschutz und das rechtliche Gehör des Klägers aber nicht in einer Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG verletzenden Weise verkürzt.

8

3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

9

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Prof. Dr. Berlit

Prof. Dr. Dörig

Fricke

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