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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 28.06.2013, Az.: BVerwG 5 B 79.12
Sachverhaltsermittlung und Aufklärungsbedürftigkeit der Verbindung eines Arztes zum Widerstand und zu den Umständen seiner Verhaftung im Juli 1944 sowie Inhaftierungen in Konzentrationslagern
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 28.06.2013
Referenz: JurionRS 2013, 39945
Aktenzeichen: BVerwG 5 B 79.12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

VG Potsdam - 19.04.2012 - AZ: VG 1 K 1790/10

BVerwG, 28.06.2013 - BVerwG 5 B 79.12

Redaktioneller Leitsatz:

Mit der Behauptung des Abweichens von einem Hinweis, welche tatsächlichen Umstände das Verwaltungsgericht vor seiner nach Zurückverweisung der Sache zu treffenden erneuten Entscheidung wird aufklären müssen, kann eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht begründet werden.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Juni 2013
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 19. April 2012 wird zurückgewiesen.

Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe der Divergenz (1.) und eines Verfahrensfehlers (2.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht wegen Divergenz zuzulassen.

3

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z.B. Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Gemessen daran ist die Beschwerde nicht ausreichend begründet.

4

Die Klägerinnen sind der Auffassung, das Verwaltungsgericht sei von der Erwägung in dem denselben Rechtsstreit betreffenden, das frühere Urteil des Verwaltungsgerichts aufhebende und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückverweisende Urteil des Senats vom 30. Juni 2010 - BVerwG 5 C 9.09 -(Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 20 Rn. 20) abgewichen, nach der die Vorinstanz "insbesondere dem Vortrag der Klägerinnen zu einer Verbindung von Dr. S. zum Widerstand, zu den näheren Umständen seiner Verhaftung im Juli 1944 sowie zu seiner Inhaftierung in verschiedenen Konzentrationslagern (wird) nachgehen müssen". Damit kann die Divergenzrüge schon deshalb nicht begründet werden, weil es sich insoweit nicht um einen vom Senat aufgestellten Rechtssatz handelt, sondern um einen Hinweis, welche tatsächlichen Umstände das Verwaltungsgericht vor seiner nach Zurückverweisung der Sache zu treffenden erneuten Entscheidung wird aufklären müssen.

5

2. Der Beschwerde ist auch nicht wegen Vorliegens eines Verfahrensfehlers Erfolg beschieden.

6

a) Die Revision ist nicht wegen Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht im Sinne des § 86 Abs. 1 VwGO zuzulassen.

7

Eine angebliche Verletzung der Sachaufklärungspflicht des Gerichts ist u.a. nur dann ausreichend bezeichnet, wenn im Einzelnen dargetan wird, welche Tatsachen auf der Grundlage der insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das angefochtene Urteil auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass auf die Erhebung der Beweise vor dem Tatsachengericht durch Stellung förmlicher Beweisanträge hingewirkt worden ist oder - sollte dies nicht der Fall gewesen sein - aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Sachaufklärung dem Gericht hätte aufdrängen müssen (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 13. Januar 2009 - BVerwG 9 B 64.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 372 S. 18 <S. 20> und vom 5. März 2010 - BVerwG 5 B 7.10 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 94 S. 11 <S. 11 f.> m.w.N.). Diesen Anforderungen trägt die Beschwerde nicht ausreichend Rechnung.

8

Die Klägerinnen sehen eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht insbesondere darin, dass es das Verwaltungsgericht versäumt habe, die Einzelheiten der Widerstandshandlungen und das weitere Schicksal des Dr. S. im Zusammenhang mit seiner Inhaftierung aufzuklären. Da sie insoweit keine förmlichen Beweisanträge gestellt haben, könnte dieser Rüge nur dann Erfolg beschieden sein, wenn sich dem Verwaltungsgericht die unterbliebene Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen. Dass dies der Fall war, zeigt die Beschwerde nicht auf.

9

Die Vorinstanz hat sich ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob den festgestellten gewichtigen Handlungen, durch die Dr. S. dem nationalsozialistischen System Vorschub geleistet hat, mindestens ebenso gewichtige und bedeutsame systemschädliche Handlungen gegenüberstehen. In diesem Zusammenhang hat es unter Hinweis auf zahlreiche Erkenntnisquellen Tatsachen festgestellt und gewürdigt, die die Verbindung von Dr. S. zu Personen des Widerstands gegen das nationalsozialistische Regime sowie seine Inhaftierung und Verbringung ins Konzentrationslager betreffen. Es ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich eine weitere Sachverhaltsaufklärung dem Gericht hätte aufdrängen müssen. Eine weitere Aufklärung musste sich dem Gericht auch deshalb nicht aufdrängen, weil die Klägerin zu 1, ihr Prozessbevollmächtigter und der Vertreter des Beklagten in der nichtöffentlichen Sitzung des Verwaltungsgerichts am 3. November 2011 ausweislich der Niederschrift über diese Sitzung übereinstimmend erklärten, dass sie es nicht für erforderlich halten, dass das Gericht über den bereits ermittelten Sachverhalt hinaus eigenständig weitere Sachverhaltsermittlungen anstellt.

10

Soweit die Klägerinnen die Sachverhaltswürdigung durch das Verwaltungsgericht für unzutreffend halten, kann damit die Rüge der Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO nicht zulässigerweise begründet werden.

11

b) Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

12

Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zu dem Gesamtergebnis des Verfahrens gehören insbesondere die Erklärungen der Verfahrensbeteiligten, der Inhalt der vom Gericht beigezogenen Akten sowie die im Rahmen einer Beweiserhebung getroffenen tatsächlichen Feststellungen, unbeschadet der Befugnis des Gerichts, die Erklärungen der Verfahrensbeteiligten, den Inhalt der beigezogenen Akten sowie das Ergebnis einer Beweisaufnahme frei zu würdigen. Die Grundsätze der Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f. und vom 14. Juli 2010 - BVerwG 10 B 7.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4, jeweils m.w.N.). Ein Verfahrensfehler kann aber ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (vgl. Beschlüsse vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - NVwZ 2003, 1132 <1135> und vom 14. Juli 2010 a.a.O. Rn. 4, jeweils m.w.N.). Gemessen daran liegt ein Verfahrensfehler nicht vor.

13

Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es seien keine systemschädlichen Handlungen des Dr. S. ersichtlich, die nach Art und Gewicht sein Wirken zugunsten des Nationalsozialismus im Rahmen einer Gesamtwürdigung relativieren könnten, verstößt nicht gegen Denkgesetze. Anders läge es, wenn das Gericht insoweit einen Schluss gezogen hat, der aus Gründen der Logik schlechthin ausgeschlossen ist (vgl. Beschlüsse vom 19. August 1997 a.a.O. S. 15 f. und vom 14. Juli 2010 a.a.O. Rn. 4). Das ist nicht der Fall. Soweit die Klägerinnen die sachliche Richtigkeit von tatsächlichen Feststellungen und deren Würdigung in Zweifel ziehen, begründet dies nicht die Annahme eines Verstoßes gegen Denkgesetze. Dafür genügt es nicht, dass das Tatsachengericht nach Meinung eines Beteiligten unrichtige oder gar fernliegende Schlüsse gezogen hat. Ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder gar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen.

14

Das Verwaltungsgericht hat auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. Es gibt keinen unzweifelhaft geltenden und durch keine Ausnahme durchbrochenen Erfahrungssatz (vgl. Urteil vom 15. Oktober 1991 - BVerwG 1 C 24.90 - BVerwGE 89, 110 <117> = Buchholz 402.43 § 12 MRRG Nr. 3 S. 5 <S. 11>, jeweils m.w.N.) zu systemschädigendem Verhalten von Dr. S.

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Schließlich erweist sich die Tatsachenwürdigung durch das Verwaltungsgericht auch nicht als willkürlich. Das wäre nur dann der Fall, wenn sie - gemessen an objektiven Kriterien - unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar wäre und sich der Schluss aufdrängte, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Dafür fehlen jegliche Anhaltspunkte.

16

3. Im Übrigen sieht der Senat von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

17

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 GKG i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.

Vormeier

Dr. Fleuß

Stengelhofen

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