Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 08.03.1988, Az.: BVerwG 2 B 92.87
Weisungsrecht des Dienstherrn; Verbot, eine eindeutig auf eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Überzeugung eines Lehrers hinweisende Kleidung zu tragen (hier bhagwan-typische Rottöne)
Bibliographie
- Gericht
- BVerwG
- Datum
- 08.03.1988
- Aktenzeichen
- BVerwG 2 B 92.87
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1988, 12414
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG München - 18.02.1986 - AZ: 5 K 85.00752
- VGH Bayern - 04.06.1987 - AZ: 3 B 86.01626
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- DVBl 1988, 698-699 (Volltext mit amtl. LS)
- DÖD 1988, 114-115
- JA 1989, 320-321
- KirchE 1993 26, 37 - 38
- NVwZ 1988, 937-938 (Volltext mit amtl. LS)
- NVwZ-RR 1988, 41 (amtl. Leitsatz)
- RiA 1988, 302-303
- ZBR 1988, 218-219
- ZTR 1988, 192
- ZevKR 1990, 89-91
Amtlicher Leitsatz
Grenzen der Bekenntnisfreiheit eines Lehrers an öffentlichen Schulen (Tragen bhagwan-tyischer Rottöne).
Der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat
am 8. März 1988
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schwarz,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Franke und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Maiwald
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 4. Juni 1987 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6.000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.
Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - Rechtsfrage aufwirft, deren zu erwartende revisionsgerichtliche Klärung der Einheit oder der Fortbildung des Rechts zu dienen vermag (vgl. u.a. BVerwGE 13. 90 <91 f.>). Eine solche Rechtsfrage ergibt sich aus der Beschwerdeschrift nicht.
Die mit unterschiedlichen Formulierungen bezeichnete Frage nach den Voraussetzungen und Grenzen eines Grundsatzes der "Neutralitätspflicht der Schule in Sachen der Religion und des Glaubens" und dessen Verhältnis zu anderen Verfassungsprinzipien wäre in dieser Form und Allgemeinheit in einem künftigen Revisionsverfahren nicht zu entscheiden. Sie würde sich vielmehr dahin stellen, in welcher Weise nach dem Grundsatz der Einheit der Verfassung das Spannungsverhältnis zwischen der durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten positiven Bekenntnisfreiheit und der ebenfalls durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleisteten negativen Bekenntnisfreiheit im Schulbereich zu lösen ist. Der Kläger will geklärt wissen, ob der Dienstherr einem Lehrer, der einer Religionsgemeinschaft angehört, deren Mitglieder Kleidung in bestimmten Farbtönen tragen - hier in bhagwan-typischen Rottönen von rosa bis dunkelviolett - untersagen kann, diese Kleidung während des Unterrichts zu tragen. Insoweit ist das Berufungsgericht zutreffend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgegangen, nach der das Grundrecht der Religionsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht schrankenlos gewährt ist, vielmehr insbesondere dort seine Grenzen findet, wo seine Ausübung auf die kollidierenden Grundrechte anders denkender Personen trifft, und in diesem Falle unter Berücksichtigung des Toleranzgebots ein Ausgleich gesucht werden muß (BVerfGE 52. 223 <246 f.> m.w.N.). Daher kann auch, was das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, das regelmäßige Tragen bestimmter, von herkömmlicher Straßenkleidung abweichender Kleidungsstücke, die eindeutig auf eine bestimmte religiöse oder weltanschauliche Überzeugung eines Lehrers an einer öffentlichen Schule hinweisen, auf Unverständnis oder Ablehnung andersdenkender Schüler oder deren Erziehungsberechtigten stoßen und diesen Personenkreis in seinem Grundrecht negativer Bekenntnisfreiheit treffen, weil er sich einer solchen Demonstration religiöser Überzeugung nicht entziehen kann. Ob hiernach dem Kläger zu Recht untersagt worden ist, Kleidung in den für seine Religionsgemeinschaft typischen Farben in der Schule während des Unterrichts zu tragen, kann nur unter maßgeblicher Berücksichtigung der konkreten Umstände, insbesondere der näheren Gestaltung dieser Kleidung und ihrer Wirkung nach außen im Rahmen des gesamten Auftretens der Anhänger dieser Religionsgemeinschaft beantwortet werden, wie im angefochtenen Urteil auch geschehen. Einer rechtsgrundsätzlichen Beantwortung ist die Frage damit gerade nicht zugänglich.
Entsprechendes gilt für die Frage, ob "allein ... die aus religiösen Gründen getragene Kleidung untersagt werden kann, wenn Träger der gleichen Kleidung unbehelligt bleiben, solange sie erklären, dies ausschließlich aus Geschmacksgründen zu tun".
Weitere Fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung sind dem Beschwerdevorbringen nicht zu entnehmen. Die Beschwerde greift vielmehr mit ihren allgemeinen Ausführungen, mit denen sie im vorliegenden konkreten Fall eine mangelnde Berücksichtigung des Toleranzgebots als Gestaltungsprinzip zu Lasten des Klägers zu begründen versucht, in Vernachlässigung des rechtssystematischen Unterschiedes zwischen der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde und der Begründung einer Revision in Wahrheit lediglich die Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht an. Mit solchen Angriffen kann aber die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg haben. Das gilt selbst dann, wenn die Beschwerde - wie hier - zur Begründung ihrer abweichenden Auffassungen verfassungsrechtliche Erwägungen anführt.
Ein Verfahrensfehler, der die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rechtfertigen könnte, liegt ebenfalls nicht vor.
Die Beschwerde rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG. §§ 108 Abs. 2. 138 Nr. 3 VwGO) verletzt, weil es dessen Tatsachenvortrag in der Berufungsbegründung vom 4. September 1986 auf S. 14 f. unter IV zu dem Mißverständnis darüber, was er und die Gemeinschaft der Sannyasin unter Meditation verstehe, nicht berücksichtigt habe; es sei ein wesentlicher Unterschied, ob die Kleidung und die Mala unterrichtsschädlich wirkten - so der Verwaltungsgerichtshof - oder unterrichtsneutral seien, wie der Kläger meine. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (u.a. BVerfGE 27. 248 <251 f.>; 54. 43 <46>: 66, 211 <213>). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann deshalb - in Ausnahme fällen - nur dann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalles deutlich ergibt, daß das Gericht tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (BVerfGE 27, 248 <252>[BVerfG 02.12.1969 - 2 BvR 320/69]; 28. 378 <384 f.>; 47. 182 <187 f.>). Solche die Annahme eines Ausnahmefalles rechtfertitigende Umstände sind hier nicht ersichtlich. Der Verwaltungsgerichtshof hat die von dem Kläger beanstandeten Ausführungen eindeutig als Inhalt des im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ergangenen Beschlusses vom 9. September 1985 gekennzeichnet. Sodann hat er ausgeführt, daß an dieser Rechtsauffassung festgehalten werde; das Hauptsacheverfahren habe keine Gesichtspunkte ergeben, die ein Abrücken von dieser Rechtsauffassung erforderlich machten. Damit hat er sinngemäß zum Ausdruck gebracht, auch das geänderte tatsächliche Vorbringen ändere nichts an seiner Auffassung, ein Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen positiver und negativer Bekenntnisfreiheit lasse sich nach dem Gebot der Toleranz nur dadurch finden, daß sich der Kläger im Unterricht in einer Weise kleide, die diese Beeinflussung der Schüler vermeide. Im übrigen betreffen die von der Beschwerde angeführten Formulierungen mit den einleitenden Worten "Das wird dadurch unterstrichen ..." ersichtlich keine die Entscheidung tragenden Ausführungen.
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ergibt sich nach den vorangehenden Ausführungen auch nicht aus dem Hinweis auf das Vorbringen in der Berufungsbegründung auf S. 12 f., nach dem sich der Kläger nicht mehr vom "Rot-Verbot" befreien könne, auch wenn er sich zwischenzeitlich von der Rajneesh-Religionsgemeinschaft abwende. Die Beschwerde berücksichtigt auch hier nicht in ausreichendem Maße, daß gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO in einem Urteil nur die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend waren. Das Gericht braucht sich nicht mit jeder Einzelheit und jeder Formulierung des Vorbringens der Beteiligten auseinanderzusetzen. Im Grunde wendet sich die Beschwerde hier - ebenso wie bei der vorangehenden Rüge - dagegen, daß das Berufungsgericht die Sach- und Rechtslage nicht so gewürdigt hat, wie der Kläger sie gewürdigt wissen will. Die Versagung des rechtlichen Gehörs kann damit nicht begründet werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, [...]
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6.000 DM festgesetzt.
[D]ie Festsetzung des Streitwertes [folgt] aus § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Dr. Franke
Dr. Maiwald