Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 18.08.1987, Az.: BVerwG 6 B 69/86
Anerkennung des Klägers als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen; Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist ; Einhaltung der Rechtssicherheit dienender Fristvorschriften
Bibliographie
- Gericht
- BVerwG
- Datum
- 18.08.1987
- Aktenzeichen
- BVerwG 6 B 69/86
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1987, 17521
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Köln - 19.06.1986 - AZ: VG 15 K 3767/84
Rechtsgrundlage
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. August 1987
durch
die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eckstein und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schinkel und Ernst
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 19. Juni 1986 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg, weil der mit ihr geltend gemachte Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht gegeben ist.
Die Beschwerde wendet sich dagegen, daß das Verwaltungsgericht die Klage auf Anerkennung des Klägers als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen als unzulässig abgewiesen hat, weil der Kläger nicht rechtzeitig Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid des Prüfungsausschusses für Kriegsdienstverweigerer vom 8. März 1983 eingelegt hat; dieser Bescheid ist dem Kläger mit einem am 7. April 1983 zur Post gegebenen Einschreiben in der von ihm angegebenen Wohnung zu Händen seiner Mutter zugestellt worden.
Die Beschwerde, die sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts wendet, mit Recht sei der am 28. April 1983 vom Kläger beim Kreiswehrersatzamt eingelegte Widerspruch als verspätet angesehen und eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Widerspruchsfrist versagt worden, macht zwar keinen Mangel des Verfahrens des Verwaltungsgerichts, sondern einen Mangel des Verwaltungsverfahrens geltend. Da sich dieser Mangel aber auch auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren ausgewirkt hätte und das Verwaltungsgericht ebenso wie die Prüfungskammer für Kriegsdienstverweigerer als Widerspruchsbehörde befugt gewesen wäre, dem Kläger die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (vgl. Beschluß vom 21. Oktober 1976 - BVerwG 7 B 94.76 - <Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 94> sowie Beschluß vom 19. März 1981 - BVerwG 6 CB 91.80 - <ZBR 1981, 320>), kann dies auch mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden.
Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat das Verwaltungsgericht jedoch mit Recht angenommen, daß dem Kläger deshalb keine Wiedereinsetzung gemäß § 32 Abs. 1 VwVfG gewährt werden konnte, weil er die Widerspruchsfrist nicht ohne sein Verschulden versäumt hat. Wie der Senat in seinem Urteil vom 25. April 1975 - BVerwG 6 C 231.73 - (Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 83 = NJW 1975, 1574) sowie im Urteil vom 8. Juli 1981 - BVerwG 6 C 174.80 - näher ausgeführt hat, muß auch in Kriegsdienstverweigerungssachen derjenige, der ein Verwaltungsverfahren betreibt, die Sorgfalt walten lassen, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den Umständen zumutbar sind. Diese Anforderungen dürfen zwar im Hinblick auf die durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Einräumung der Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes sowie auf den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht unzumutbar erschwert werden (vgl. BVerfGE 37, 93 [BVerfG 02.04.1974 - 2 BvR 444/73]). Das Maß an Achtsamkeit und Vorsorge, das die Einhaltung der der Rechtssicherheit dienenden Fristvorschriften erfordert, bestimmt sich aber nach den Umständen des einzelnen Falles.
Diese Umstände hat das Verwaltungsgericht hier mit Recht dahin gewürdigt, daß der Kläger, der mit der Zustellung der am 8. März 1983 unter Erteilung eines Rechtsbehelfshinweises verkündeten Entscheidung des Prüfungsausschusses rechnen mußte, nicht die von ihm zu erwartenden Vorkehrungen getroffen hat, um zu gewährleisten, daß er von dieser Zustellung Kenntnis erhielt. Nach seinem Vorbringen war er zur Zeit der Übermittlung des Einschreibens nicht aus Urlaubsgründen, sondern wegen eines "familiären Zerwürfnisses" von der Wohnung seiner Eltern abwesend. Die Dauer dieser Abwesenheit war nach seinem Vorbringen unbestimmt, wenn sie auch vorübergehend sein sollte. Bei einer solchen Entfernung vom Ort der mit Sicherheit zu erwartenden Zustellung eines ergangenen Bescheides erfordert es die in eigenen Angelegenheiten mindestens zu beachtende Sorgfalt, daß man entweder der Verwaltungsbehörde, deren Bescheid zu erwarten ist, oder den Mitbewohnern, bei denen ein solcher Bescheid abgegeben werden kann, Mitteilung von dem Wechsel des Aufenthaltsorts macht und Vorkehrungen dafür trifft, daß man von einer Zustellung Kenntnis erhält. Damit werden entgegen dem Beschwerdevorbringen für den Fall einer nicht urlaubsbedingten Abwesenheit keine höheren Anforderungen gestellt, als für den Fall einer urlaubsbedingten Entfernung vom Ort der zu erwartenden Zustellung. Auch bei urlaubsbedingter Abwesenheit sind - anders als im Falle der Anhängigkeit eines Ermittlungsverfahrens mit unbestimmtem Ausgang - Vorkehrungen dafür zu treffen, daß der Zustellungsadressat rechtzeitig über die Zustellung eines in seiner Abwesenheit verkündeten Bescheides Kenntnis erhält (vgl. Beschluß vom 23. Mai 1974 - BVerwG 6 CB 218.73 -). Die insoweit vom Verwaltungsgericht gestellten Anforderungen sind nicht übertrieben oder unrealistisch.
Demnach war die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 DM festgesetzt.
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes folgt aus § 13 Abs. 1 GKG a.F.