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Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 14.10.1982, Az.: BVerwG 3 C 46.81

Verwaltungsakt; Änderung; Nachteil; Anhörung; Nachholung

Bibliographie

Gericht
BVerwG
Datum
14.10.1982
Aktenzeichen
BVerwG 3 C 46.81
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1982, 11767
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Arnsberg - 12.02.1980 - AZ: 7 K 1272/79
OVG Nordrhein-Westfalen - 13.02.1981 - AZ: 13 A 635/80

Fundstellen

  • BVerwGE 66, 184 - 192
  • BayVBl 1983, 406-408
  • DVBl 1983, 272-274
  • DVBl 1983, 271-274 (Volltext mit amtl. LS)
  • DÖV 1983, 337-339
  • JuS 1984, 565-567
  • NJW 1983, 2044-2046 (Volltext mit amtl. LS)
  • NVwZ 1983, 609 (amtl. Leitsatz)
  • VA 72, 55

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein Verwaltungsakt, der einen früheren begünstigenden Verwaltungsakt zum Nachteil eines Beteiligten ändert, greift in Rechte des Beteiligten ein.

  2. 2.

    Als entscheidungserheblich im Sinne des § 28 Abs. 1 VwVfG-NW sind nur diejenigen Tatsachen anzusehen, auf die es nach der rechtlichen Einschätzung der Behörde ankommt.

  3. 3.

    Ist vor Erlaß eines Verwaltungsakts die erforderliche Anhörung unterblieben, so ist dies bei einer Ermessensentscheidung dann unbeachtlich, wenn die Anhörung von der erlassenden Behörde nachgeholt worden ist.

  4. 4.

    Die Nachholung der Anhörung bedarf nur dann eines besonderen Hinweises an den Beteiligten, wenn die Behörde bei Erlaß des Verwaltungsakts eine nach ihrer rechtlichen Einschätzung entscheidungserhebliche Tatsache übersehen und der Beteiligte sich dazu auch nicht geäußert hat.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 23. September 1982
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dodenhoff,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Fandré, Schäfer,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schmidt und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gaentzsch
für Recht erkannt:

Tenor:

Das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 1981 ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.

Entscheidungsgründe

1

I.

Die Klägerin ist seit dem Jahre 1975 Trägerin des früheren Amtskrankenhauses und jetzigen Stadtkrankenhauses in Hemer/Westfalen.

2

Mit Schreiben vom 25. Juni 1975 beantragte die Klägerin beim Beklagten für den beabsichtigten Um- und Ausbau des Stadtkrankenhauses Hemer die Bewilligung eines Landeszuschusses gemäß den Vorschriften zur Förderung der Errichtung von Krankenhäusern.

3

Aufgrund dieses Antrags fand am 25. November 1975 im Ministerium für Arbeit. Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen eine Besprechung statt, an welcher Vertreter des Ministeriums, des Beklagten und der Klägerin teilnahmen. Dabei wurde die Klägerin auf die Möglichkeit hingewiesen, die von ihr beabsichtigte Baumaßnahme in ein im Jahre 1975 angelaufenes Förderungsprogramm einzubeziehen und bis zu einem Betrag von 1.600.000 DM zu fördern. Dies setze aber voraus, daß mit den Bauarbeiten noch im Jahre 1975 begonnen werde und diese bis zum 31. Dezember 1976 abgeschlossen werden könnten.

4

Damit erklärte sich die Klägerin mit Schreiben vom 27. November 1975 unter der Voraussetzung des rechtzeitigen Eingangs des Bewilligungsbescheides einverstanden.

5

Daraufhin teilte der Beklagte mit Schreiben vom 12. Februar 1976 der Klägerin mit, daß die Sanierung des Stadtkrankenhauses mit einem Betrag von 1.600.000 DM gefördert werden könne. Etwaige Mehrkosten müßten von der Klägerin getragen werden. Hinsichtlich der Ausführung der Baumaßnahmen schlug er der Klägerin eine Reihe von Änderungen vor. Schließlich wies er nochmals darauf hin, daß die Fördermittel bis zum 31. Dezember 1976 verbraucht sein müßten.

6

Mit einem an den Minister gerichteten Schreiben vom 19. März 1976 teilte die Klägerin mit, daß es ihr wegen der Verzögerung der Bewilligung der Fördermittel nicht mehr möglich sein werde, die Baumaßnahmen bis zum 31. Dezember 1976 abzuschließen. Sie bat deshalb um Verschiebung des Fertigstellungstermins bis zum 31. März 1977.

7

Mit Schreiben vom 13. April 1976 lehnte der Beklagte eine Verlängerung des Fertigstellungstermins ab und wies auch darauf hin, daß bis zum 31. Dezember 1976 nicht verbrauchte Mittel nicht in das Jahr 1977 übertragen werden könnten.

8

Mit Schreiben vom 27. April 1976 erklärte sich die Klägerin mit dem Inhalt der Verfügung des Beklagten vom 12. Februar 1976 einverstanden.

9

Nunmehr bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 13. Mai 1976 nach Maßgabe der Bestimmungen des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, der Verfahrensrichtlinien vom 25. Oktober 1973 in Verbindung mit dem Erlaß des Ministers für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 30. Oktober 1975 und der Allgemeinen Bewirtschaftungsgrundsätze - Gemeinden - für die Sanierungsmaßnahme beim Stadtkrankenhaus einen Landeszuschuß von 1.600.000 DM. In Nr. 5.4 der Bedinungen und Auflagen heißt es, daß die Maßnahme spätestens bis zum 31. Dezember 1976 fertiggestellt und abgerechnet sein müsse.

10

Mit Schreiben vom 19. Mai 1976 erklärte sich die Klägerin mit den Bedingungen und Auflagen des Bescheides vom 13. Mai 1976 einverstanden.

11

Die Auszahlung der Fördermittel erfolgte in zwei Raten, und zwar gemäß Bescheid vom 4. November 1976 in Höhe von 700.000 DM und gemäß Bescheid vom 23. Dezember 1976 in Höhe von 900.000 DM.

12

Später teilte der Beklagte - offenbar aufgrund einer Beanstandung des Rechnungshofes - durch Bescheid vom 12. April 1979 der Klägerin mit, daß nach seinen aufgrund der Überprüfung der Verwendungsnachweise getroffenen Feststellungen Teilbeträge der zweiten Rate von 900.000 DM in Höhe von zusammen 524.725,69 DM nicht fristgerecht verwandt worden seien. Nach Nr. 1.3 der Grundsätze für die Verwendung der Zuwendung des Landes an die Gemeinden und Gemeindeverbände sowie für den Nachweis und die Prüfung der Verwendung dürften Zuwendungen nicht eher angefordert werden, als sie für Zahlungen benötigt werden. Gegen diese Bestimmung habe die Klägerin verstoßen. Er fordere sie auf, wegen der vorzeitig angeforderten Mittel einen Zinsbetrag von 12.089,62 DM zu zahlen.

13

Der Widerspruch der Klägerin gegen die Festsetzung des Zinsbetrages und die Zahlungsaufforderung blieb erfolglos.

14

Zur Begründung ihrer deswegen erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, daß der Zinsanforderungsbescheid vom 12. April 1979 rechtswidrig sei, weil für einen Zinsanspruch keine rechtliche Grundlage bestehe. Die Klägerin hat die Aufhebung des Bescheides beantragt.

15

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, daß der Zinsanspruch seine Grundlage in den Allgemeinen Bewirtschaftungsgrundsätzen - Gemeinden - habe, die Bestandteil des Bewilligungsbescheides vom 13. Mai 1976 seien. Im übrigen habe sich die Klägerin auch mit dem Bewilligungsbescheid einverstanden erklärt und sich ihm damit unterworfen.

16

Das Verwaltungsgericht hat durch Urteil vom 12. Februar 1980 die Klage als unbegründet abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt, der Zinsanspruch des Beklagten bestehe aufgrund der Bestimmungen in Nr. 1.3 und 1.4 der Allgemeinen Bewirtschaftsgrundsätze - Gemeinden -, die Bestandteil des Bewilligungsbescheides vom 13. Mai 1976 seien. Die Voraussetzungen der Nr. 1.4 der Grundsätze seien gegeben, da die Mittelanforderung bezüglich eines Betrages von 524.725,69 DM vorzeitig erfolgt sei. Für einen Verzicht des Beklagten auf den Zinsanspruch seien keine Anhaltspunkte ersichtlich.

17

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie hat ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft und zusätzlich geltend gemacht, daß der Zinsanforderungsbescheid auch deshalb rechtswidrig sei, weil der Beklagte bei seiner Ermessensentscheidung die entscheidungserheblichen Umstände nicht gerecht gegeneinander abgewogen habe. Insbesondere habe er nicht berücksichtigt, daß seine eigene verspätete Freigabe der Mittel die Ursache dafür sei, daß die für den Verbrauch der Mittel gesetzte Frist bis zum 31. Dezember 1976 nicht eingehalten werden konnte. Schließlich sei der Bescheid auch deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil vor seinem Erlaß die nach dem Verwaltungverfahrensgesetz erforderliche Anhörung unterblieben sei.

18

Die Klägerin hat beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.

19

Der Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

20

Er hat über sein erstinstanzliches Vorbringen hinaus ausgeführt, daß er die Unerfüllbarkeit der Einhaltung der Frist bis zum 31. Dezember 1976 nicht gekannt habe.

21

Das Oberverwaltungsgericht hat durch das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. Februar 1981 ergangene Urteil der Berufung stattgegeben und den Zinsanforderungsbescheid des Beklagten vom 12. April 1979 aufgehoben. Es hat dazu ausgeführt, daß der Bescheid an einem Mangel leide, der zu seiner Rechtswidrigkeit führe. Nach § 28 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG-NW) vom 21. Dezember 1976 habe die Behörde vor Erlaß eines Verwaltungsakts, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tasachen zu äußern. Dies habe der Beklagte hier unterlassen. Es habe auch kein Grund vorgelegen, der es gemäß § 28 VwVfG-NW gerechtfertigt hätte, von der Anhörung abzusehen. Schließlich sei auch keine Heilung des Mangels eingetreten. Eine Nachholung der Anhörung sei zwar gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG-NW bis zum Abschluß des Vorverfahrens möglich gewesen. In der Einlegung des Widerspruchs und der Kenntnisnahme von der Widerspruchsbegründung könne jedoch keine nachgeholte Anhörung gesehen werden. Da der Mangel "bis" zum Abschluß des Vorverfahrens geheilt werden müßte, könne er nicht schon allein "durch" die Durchführung des Vorverfahrens geheilt werden. Es hätte vielmehr eine gesonderte Anhörung erfolgen müssen. Da dies nicht geschehen sei, sei der angefochtene Bescheid aufzuheben.

22

Gegen das Berufungsurteil hat der Beklagte die vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision eingelegt.

23

Der Beklagte rügt gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO die Verletzung des § 45 VwVfG-NW. Das Berufungsgericht habe diese Vorschrift zu seinem Nachteil falsch ausgelegt. Es sei zwar unstreitig, daß vor Erlaß des angefochtenen Bescheides die nach § 28 VwVfG-NW vorgeschriebene Anhörung unterblieben sei. Dieser Mangel sei jedoch dadurch geheilt worden, daß die Klägerin im Widerspruchsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt habe. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts sei eine ausdrückliche Aufforderung an die Klägerin, sich zu äußern, nicht erforderlich gewesen. Dies hat der Beklagte unter Hinweis auf die - unterschiedliche - Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den damit zusammenhängenden Fragen noch im einzelnen näher ausgeführt.

24

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 1981 aufzuheben, und er regt an, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

25

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

26

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und weist darauf hin, daß die Regelung des § 28 Abs. 1 VwVfG-NW überflüssig wäre, wenn § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG-NW im Sinne des Beklagten ausgelegt würde. Denn bei nahezu jeder Verletzung des § 28 Abs. 1 VwVfG-NW habe der Betroffene Gelegenheit sich im Wege der Einlegung des Widerspruchs zum Sachverhalt zu äußern. Allein damit wäre die Verletzung stets geheilt. Eine solche Auslegung könne nicht sinnvoll sein. Dies müsse im besonderen Maße bei Ermessensentscheidungen gelten, bei denen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Anhörung unerläßlich sei. Bei Ermessensentscheidungen könne dem Zweck der vorherigen Anhörung durch die bloße nachträgliche Einlegung des Widerspruchs bei der Widerspruchsbehörde nicht genügt werden, da diese erfahrungsgemäß bestandsorientiert sei. Deshalb müsse die Anhörung jedenfalls bei Ermessensentscheidungen in der durch § 28 Abs. 1 VwVfG-NW vorgeschriebenen Form nachgeholt werden.

27

Der Oberbundesanwalt beteiligt sich am Verfahren. Er vertritt die Auffassung, der Mangel der unterbliebenen vorherigen Anhörung könne entgegen der Meinung des Berufungsgerichts nicht nur neben dem eigentlichen Widerspruchsverfahren, sondern auch dadurch geheilt werden, daß der betroffene Beteiligte im Widerspruchsverfahren Gelegenheit erhalte, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Gelegenheit erhalte er regelmäßig mit der Kenntnisnahme vom Inhalt des ohne Anhörung erlassenen Verwaltungsakts. Von der damit eröffneten Möglichkeit, sich zu äußern, habe hier die Klägerin durch die Einlegung des Widerspruchs auch Gebrauch gemacht. Eine zusätzliche Anhörungspflicht wäre geeignet, das Widerspruchsverfahren zu verzögern.

28

II.

Die Revision des Beklagten erweist sich als begründet. Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts beruht auf der Verletzung der §§ 28 Abs. 1 und 45 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 21. Dezember 1976.

29

Die von dem Berufungsgericht zur alleinigen Grundlage seiner Entscheidung gemachte Rechtsfrage, ob die durch § 28 Abs. 1 VwVfG-NW vorgeschriebene Anhörung der Beteiligten, die gemäß § 45 Abs. 1 und 2 VwVfG-NW "bis" zum Abschluß eines Vorverfahrens "nachgeholt" werden darf, hier als nachgeholt angesehen werden kann, ist aufgrund des Wortlautes sowie nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht in der Weise wie im angefochtenen Urteil zu beantworten.

30

Nach § 28 Abs. 1 VwVfG-NW ist vor Erlaß eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Handelt es sich bei dem Verwaltungsakt um eine Ermessensentscheidung, so gehören zu den erheblichen Tatsachen auch diejenigen Umstände, die für die Ermessensausübung erheblich sind. Ein Verwaltungsakt der "Eingriffsverwaltung" liegt immer dann vor, wenn der zu erlassende Verwaltungsakt in die bisherige Rechtsstellung des Beteiligten eingreift. Dies ist der Fall, wenn durch den Verwaltungsakt die bisherige Rechtsstellung des Beteiligten zu seinem Nachteil verändert, ihm eine rechtliche Verpflichtung auferlegt, insbesondere von ihm ein Tun oder Unterlassen gefordert wird (Umwandlung eines Status quo in einen Status quo minus). Dagegen genügt es nicht, wenn der Erlaß eines Verwaltungsakts abgelehnt wird, der erst eine Rechtsposition gewähren soll (vgl. die amtliche Begründung zu § 24 Abs. 1 des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucksache 7/910, Seite 51; Urteil des Senats vom 30. April 1981 - BVerwG 3 C 135.79 - [Buchholz 451.74 § 8 KHG Nr. 3]). Ein Eingriff i.S. von § 28 Abs. 1 VwVfG-NW liegt insbesondere dann vor, wenn durch den Verwaltungsakt ein früherer, den Beteiligten begünstigender Verwaltungsakt für nichtig erklärt, zurückgenommen oder widerrufen ocer sonst zum Nachteil des Beteiligten verändert wird.

31

Diese Voraussetzung liegt hier vor, da der Beklagte durch den angefochtenen Zinsanforderungsbescheid vom 12. April 1979 seinen Bewilligungsbescheid vom 13. Mai 1976 dahin modifiziert hat, daß er jetzt von der Klägerin eine Verzinsung der damals zinslos bewilligten Fördermittel verlangt. Vor Erlaß dieses Bescheides hätte also der Beklagte der Klägerin Gelegenheit geben müssen, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Anhörung hat er unterlassen.

32

Nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG-NW ist eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 28 Abs. 1 VwVfG-NW unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt worden ist. Allerdings ist diese Nachholung gemäß § 45 Abs. 2 VwVfG-NW nur bis zum Abschluß des Vorverfahrens möglich. Findet kein Vorverfahren statt, dann kann die Nachholung bis zur Erhebung der verwaltungsgerichtlichen Klage erfolgen.

33

Die Regelung des § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG-NW ist nicht eindeutig. Insbesondere ist ihr nicht zweifelsfrei zu entnehmen, von welcher Behörde eine unterbliebene Anhörung nachzuholen ist, in welcher Form die Nachholung vorzunehmen ist und welche Tatsachen als für die Entscheidung erheblich zu gelten haben. Zuständig für die Nachholung kann entweder die Ausgangsbehörde oder die Widerspruchsbehörde sein. Für die Nachholung kann entweder die Zustellung des Ausgangsbescheides in Verbindung mit dem Inhalt der Widerspruchsbegründung genügen oder ein besonderer Hinweis auf die Gelegenheit zur Äußerung erforderlich sein. Für den Umfang der entscheidungserheblichen Tatsachen kann es entweder auf die rechtliche Einschätzung der nachholenden Behörde oder auf die "objektiv richtige" Rechtsauffassung, d.h. gegebenenfalls auf die des letztinstanzlich befaßten Gerichts, ankommen.

34

Zu der erstgenannten Frage ist der erkennende Senat der Auffassung, daß in Fällen, in denen der Verwaltungsakt eine Entscheidung nach zwingendem Recht betrifft, die Anhörung sowohl von der Ausgangsbehörde als auch von der Widerspruchsbehörde nachgeholt werden kann. Bei einer Ermessensentscheidung muß die Nachholung hingegen von der Ausgangsbehörde vorgenommen werden. Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Mit der Frage der Nachholung der Anhörung bei einer Ermessensentscheidung hat sich vor allem der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts befaßt. In seinen grundlegenden Urteilen vom 13. Juli 1967 - BVerwG 8 C 13.67 - - (BVerwGE 27, 295) und vom 10. März 1971 - BVerwG 8 C 210.67 - (BVerwGE 37, 307-311 ff. -) hat er dargelegt, daß die rechtliche Bedeutung eines Verstoßes gegen Vorschriften über das Verwaltungsverfahren aus dem der Verwaltungsvorschrift zugedachten Zweck, insbesondere aus ihrer Schutzfunktion für den Betroffenen, herzuleiten ist. Was speziell die Vorschriften über die vor Erlaß eines Verwaltungsakts gebotene Anhörung des Betroffenen angeht, so könne eine vorschriftswidrig unterbliebene Anhörung mit heilender Wirkung nachgeholt werden. Im Falle einer Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen, daß zwar von der Widerspruchsbehörde auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts nachgeprüft werde. "Ermessenskontrolle" sei aber nicht notwendig gleichbedeutend mit Ermessensausübung. Wenn die Widerspruchsbehörde mit der Zurückweisung des Widerspruchs bestätigt, daß das Ermessen zweckmäßig ausgeübt worden sei, so schließe das nicht aus, daß sie nicht auch eine andere dem Betroffenen günstigere Ermessenausübung gebilligt hätte. Es sei also nicht auszuschließen, daß in Fällen vorheriger Anhörung eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung ergeht, wie er sie im Widerspruchsverfahren nicht mehr erreichen kann. Darum könne die Nachholung nur durch eine Handlung der erlassenden Behörde selbst bewirkt werden. Hieran hat der 8. Senat in seinem Urteil vom 17. Februar 1972 - BVerwG 8 C 66.70 - (NJW 1972, 1483) grundsätzlich festgehalten. Der 6. Senat ist dem im wesentlichen gefolgt. Dabei hat er in seinem Urteil vom 25. Juli 1973 - BVerwG 6 C 43.73 - (BVerwGE 44, 17) klargestellt, daß die vom 8. Senat vorgenommene Einschränkung, die Heilung des Mangels der vorherigen Anhörung müsse von der erlassenden Behörde selbst bewirkt werden, nur für Ermessensentscheidungen gilt. Bei Entscheidungen nach zwingendem Recht könne die unterbliebene Anhörung auch durch die Widerspruchsbehörde nachgeholt werden.

35

Der erkennende Senat schließt sich dem im wesentlichen an. Nach seiner Auffassung ist bei der Frage, von welcher Behörde die Anhörung nachzuholen ist, entsprechend der Schutzfunktion der §§ 28 Abs. 1, 45 Abs. 1 VwVfG-NW danach zu differenzieren, ob es sich um eine Entscheidung nach zwingendem Recht oder um eine Ermessensentscheidung handelt. Der Schutzzweck der Vorschrift erfordert es nur bei einer Ermessensentscheidung, daß die nachträgliche Anhörung von derjenigen Behörde vorgenommen wird, welche die Ermessensentscheidung getroffen hat. Dies gilt unabhängig davon, ob der Widerspruchsbehörde nur eine Ermessenskontrolle im engeren Sinne (als Rechtskontrolle) obliegt oder ob sie Ermessen an Stelle des Ermessens der Ausgangsbehörde auszuüben hat. Denn auch im letzteren Falle ist nicht auszuschließen daß die Ausgangsbehörde eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung trifft, als sie die übergeordnete Behörde treffen würde. Deshalb hat bei Ermessensentscheidungen stets die Ausgangsbehörde aufgrund des Ergebnisses der nachgeholten Anhörung gemäß § 72 VwGO darüber zu befinden, ob sie dem Widerspruch abhilft.

36

Vorliegend ist diese Voraussetzung erfüllt, ohne daß abschließend beurteilt werden muß, ob der Zinsanforderungsbescheid vom 12. April 1979 eine Entscheidung nach zwingendem Recht oder eine Ermessensentscheidung betrifft. Denn die Anhörung ist von der Ausgangsbehörde nachgeholt worden, da diese hier mit der Widerspruchsbehörde identisch ist. (§ 73 Abs. 1 Nr. 2 VwGO).

37

Zu der damit in einem inneren Zusammenhang stehenden Frage der Form der Nachholung ist der erkennende Senat der Auffassung, daß es grundsätzlich genügt, wenn der betroffene Beteiligte durch den Erhalt des Verwaltungsakts von den entscheidungserheblichen Tatsachen Kenntnis und damit zugleich Gelegenheit erhalten hat, sich zu diesen Tatsachen zu äußern. Insoweit schließt sich der Senat dem Urteil des 5. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. August 1977 - BVerwG 5 C 8.77 - (BVerwGE 54, 276) sowie dem Urteil des 1. Senats vom 17. August 1982 - BVerwG 1 C 22.81 - an. Dem 1. Senat ist darin beizupflichten, daß der Schutzzweck des Anhörungsgebots im Hinblick auf die Nachholung der Anhörung grundsätzlich keine besondere Maßnahme der nachholenden Behörde fordert. Deshalb bedarf es in der Regel auch keines besonderen Hinweises der nachholenden Behörde an den betroffenen Beteiligten, daß er nunmehr Gelegenheit habe sich zu äußern. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Ausgangsbehörde bei ihrer Entscheidung eine entscheidungserhebliche Tatsache übersehen hat und sich der Beteiligte dazu auch nicht geäußert hat. In einem solchen Falle ist es im Hinblick auf den Schutzzweck der Anhörung geboten, daß die nachholende Behörde den Beteiligten darauf hinweist, daß diese bisher übersehene Tatsache für ihre Entscheidung erheblich sei und er Gelegenheit habe, sich dazu zu äußern.

38

Ob die hier vom Beklagten nachgeholte Anhörung der Klägerin diesen Grundsätzen entspricht, vermag der Senat auf der Grundlage der Ausführungen im Berufungsurteil nicht mit letzter Sicherheit zu beurteilen. Keine Bedenken würden bestehen, wenn es sich bei dem angefochtenen Verwaltungsakt um eine Entscheidung nach zwingendem Recht handeln sollte. Dann wären im Widerspruchsverfahren alle entscheidungserheblichen Tatsachen erörtert worden. Eine andere Beurteilung könnte möglicherweise dann Platz greifen, wenn es sich um eine Ermessensentscheidung handeln würde. In diesem Falle könnte es eines Hinweises des Beklagten an die Klägerin bedurft haben, zu denjenigen Tatsachen Stellung zu nehmen, die für die Ermessensausübung erheblich sind. Dazu könnte auch die Frage gehören, welche Nutzungen, insbesondere Zinsen, die Klägerin aus den vorzeitig empfangenen Beträgen gezogen hat, was bisher nicht erörtert worden ist.

39

In diesem Zusammenhang stellt sich sodann auch die weitere Frage, welche Tatsachen "für die Entscheidung erheblich" im Sinne von § 28 Abs. 1 VwVfG-NW sind. Zu dieser Frage vertritt der erkennende Senat die Auffassung, daß es dafür auf die rechtliche Einschätzung der anhörenden Behörde ankommt. Geht man von dem Schutzzweck des Anhörungsgebots aus, so soll der Beteiligte Gelegenheit haben, der Behörde, die den Verwaltungsakt erläßt, diejenigen Tatsachen mitzuteilen, die für ihre Entscheidung erheblich sind. Für die Entscheidung, welche die Behörde trifft, sind aber nur solche Tatsachen bedeutsam, auf die es nach ihrer rechtlichen Einschätzung ankommt. Deswegen kann von der Behörde nicht verlangt werden, die Anhörung auch auf solche Tatsachen zu erstrecken, die nach ihrer rechtlichen Einschätzung unerheblich sind.

40

Insoweit sind hier die gleichen Grundsätze anzuwenden, wie sie das Bundesverwaltungsgericht zur Frage des Vorliegens einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) entwickelt hat. Auch dort kommt es allein auf die Rechtsauffassung des Gerichts an, das die Sachaufklärung unterlassen hat. Brauchte sich dem Gericht nach seiner rechtlichen Einschätzung die Sachaufklärung nicht aufzudrängen, so liegt insoweit kein Mangel des Verfahrens, sondern allenfalls ein Fehler in der rechtlichen Einschätzung, also in der Rechtsanwendung vor.

41

Daraus folgt, daß es hier für die Frage, zu welchen Tatsachen die Klägerin anzuhören war, auf die rechtliche Einschätzung des Beklagten ankommt. War er der Auffassung, sein Bescheid vom 12. April 1979 betreffe eine Entscheidung nach zwingendem Recht, so brauchte er die Klägerin nur zu den dafür erheblichen Tatsachen zu hören. Nur wenn es sich um eine Ermessensentscheidung handeln sollte und der Beklagte sich dessen auch bewußt war, stellt sich die Frage, ob er der Klägerin hinreichend Gelegenheit gegeben hat, sich zu den für die Ermessensausübung erheblichen Tatsachen zu äußern.

42

Das Berufungsgericht hat die hiernach ausschlaggebende Rechtsfrage ob der Anspruch des Beklagten gegen die Klägerin auf eine Verzinsung der vorzeitig ausgezahlten Fördermittel auf zwingendem Recht beruht oder ob die Geltendmachung des Anspruchs im Ermessen des Beklagten steht, nicht mit hinreichender Deutlichkeit entschieden. Einerseits heißt es im Berufungsurteil, der Beklagte habe von dem Erlaß des Zinsanforderungsbescheides absehen können. Andererseits vermögen die dafür gegebenen Begründungen nicht zu überzeugen. Denn der Umstand, daß der Landesrechnungshof die Geltendmachung des Zinsanspruchs veranlaßt hat, sagt nichts darüber aus, ob der Beklagte zur Geltendmachung rechtlich verpflichtet war oder ob die Geltendmachung in seinem Ermessen stand. Ebensowenig aussagekräftig ist der Hinweis, daß der Beklagte der Klägerin eine Frist zur zweckentsprechenden Einsetzung der vorzeitig abgerufenen Mittel hätte setzen können. Danach ist es für den Senat offen, ob der Zinsanforderungsbescheid eine Entscheidung nach zwingendem Recht oder eine Ermessensentscheidung betrifft. Der Senat kann darüber selbst nicht befinden, weil diese Frage durch Auslegung von Landesrecht zu entscheiden ist, das durch § 137 Abs. 1 VwGO der rechtlichen Beurteilung des Revisionsgerichts entzogen ist.

43

Aus diesem Grunde vermag der Senat auch nicht zu beurteilen, ob sich das Berufungsurteil in jedem Falle um deswillen im Ergebnis als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO), weil es der Beklagte, wenn es sich um eine Ermessensentscheidung handeln sollte, an einer den rechtlichen Anforderungen genügenden Ermessensausübung hat fehlen lassen. Nur so viel sei bemerkt, daß sowohl der Bescheid vom 12. April 1979 ("sind zu verzinsen") als auch der Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 1979 ("ist eine Zuwendung zu verzinsen") den Eindruck erwecken, der Beklagte habe eine Entscheidung nach zwingendem Recht treffen wollen. Erwägungen darüber, ob Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, von der Geltendmachung einer Zinsforderung abzusehen, sind jedenfalls den Bescheiden nicht zu entnehmen.

44

Zusammenfassend ergibt sich, daß das Berufungsurteil keinen Bestand haben kann. Zugleich mit seiner Aufhebung ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird jetzt zu entscheiden haben, ob für den Erlaß des Zinsanforderungsbescheides eine ausreichende Rechtsgrundlage vorhanden ist und bejahendenfalls, ob der Beklagte eine Entscheidung nach zwingendem Recht oder eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte und ob im letzteren Falle eine hinreichende Nachholung der unterbliebenen Anhörung sowie eine rechtmässige Ermessensausübung vorliegen.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 12.089,62 DM festgesetzt.

Prof. Dr. Dodenhoff
Fandré
Schäfer
Schmidt
Dr. Gaentzsch