Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 12.05.2025, Az.: 2 BvE 6/25
Einführung eines auf Korrektur von Auszählungsfehlern gerichteten, effektiven Rechtsbehelf vor Verkündung des amtlichen Endergebnisses der Bundestagswahl
Bibliographie
- Gericht
- BVerfG
- Datum
- 12.05.2025
- Aktenzeichen
- 2 BvE 6/25
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2025, 16147
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- NVwZ 2025, 1086-1088
Redaktioneller Leitsatz
Wird ein gesetzgeberisches Unterlassen im Wahlrecht gerügt, bedarf es einer Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG lediglich die Grundzüge für das Wahlsystem vorgibt und daher eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Vornahme einer bestimmten Wahlrechtsänderung regelmäßig nicht in Betracht kommt. Demgemäß ist aufzuzeigen, dass der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers von Verfassungs wegen auf die begehrte Gesetzesänderung verengt ist.
In dem Verfahren
über
die Anträge,
1. festzustellen, dass der Antragsgegner das organschaftliche Recht der Antragstellerin aus Artikel 21 Grundgesetz dadurch verletzt hat und weiterhin verletzt, indem er es sogar für kleinere Parteien, bei denen es aufgrund objektiver und gewichtiger Umstände und Indizien zumindest konkret möglich erscheint, dass sie die Fünf-Prozent-Hürde (gegebenenfalls äußerst) knapp überschritten haben, diese aber aufgrund üblicher, unvermeidbarer Auszählungsfehler im (vorläufigen) amtlichen Endergebnis als knapp unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde bewertet werden, komplett unterlassen hat, einen auf Korrektur von Auszählungsfehlern gerichteten, effektiven Rechtsbehelf jedenfalls vor Verkündung des amtlichen Endergebnisses einzuführen,
2. anzuordnen, dass das amtliche Endergebnis der Wahlen zum 21. Deutschen Bundestag erst dann festgestellt wird, wenn eine vollständige Neuauszählung der Wählerstimmen erfolgt ist,
hilfsweise anzuordnen, dass das amtliche Endergebnis der Wahlen zum 21. Deutschen Bundestag erst dann festgestellt wird, wenn aufgrund einer Neuauszählung der Wählerstimmen die Mandatsverteilung im 21. Deutschen Bundestag insbesondere unter Berücksichtigung des 5 %-Quorums nach § 4 Absatz 2 Satz 2 Bundeswahlgesetz zweifelsfrei feststeht,
3. festzustellen, dass der Antragstellerin die notwendigen Auslagen durch die Bundesrepublik
Deutschland erstattet werden
Antragstellerin: Partei Bündnis Sahra Wagenknecht - Vernunft und Gerechtigkeit (BSW),
vertreten durch die Parteivorsitzenden Dr. Sahra Wagenknecht und
Amira Mohamed Ali,
Glinkastraße 32, 10117 Berlin,
- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt (...) -
Antragsgegner: Deutscher Bundestag,
vertreten durch die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner,
Platz der Republik 1, 11011 Berlin,
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsidentin König,
Maidowski,
Langenfeld,
Wallrabenstein,
Fetzer,
Offenloch,
Frank,
Wöckel
am 12. Mai 2025 gemäß § 24 BVerfGG einstimmig beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Anträge werden verworfen.
- 2.
Der Antrag der Antragstellerin auf Erstattung ihrer notwendigen Auslagen wird abgelehnt.
Gründe
Der Organstreit betrifft die Frage, ob der Deutsche Bundestag verpflichtet ist, einen Rechtsbehelf einzuführen, mithilfe dessen bei einem knappen Unterschreiten der Fünf-Prozent-Hürde und geltend gemachten Zweifeln an der Richtigkeit dieses Ergebnisses eine umgehende Neuauszählung der Stimmen verlangt werden kann.
A.
I.
Die Antragstellerin ist eine politische Partei. Sie erreichte bei der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag nach dem in der Wahlnacht vom 23. auf den 24. Februar 2025 von der Bundeswahlleiterin bekanntgegebenen vorläufigen Ergebnis 4,97 % der gültigen Zweitstimmen. Ihr Stimmenanteil wurde im endgültigen Ergebnis vom 14. März 2025 mit 4,981 % der gültigen Zweitstimmen festgestellt.
II.
Die Antragstellerin hat vor der Bekanntgabe des endgültigen Wahlergebnisses Organklage erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie begehrt mit ihrem Antrag zu 1. die Feststellung, der Antragsgegner habe es unter Verletzung verfassungsrechtlicher Pflichten unterlassen, einen Anspruch auf (kurzfristige) Nachzählung der Stimmen unabhängig von der Durchführung eines Wahleinspruchs- und Wahlprüfungsverfahrens vorzusehen. Der Antrag zu 2., der hierzu gestellte Hilfsantrag und die Eilanträge sind darauf gerichtet, die Feststellung des Ergebnisses der Wahl zum 21. Deutschen Bundestag vor einer vollständigen Neuauszählung der Stimmen zu verhindern.
1. Die Antragsschrift listet zunächst als "hoffentlich nicht notwendige Rügen[, die] bei Ablehnung der Eilanträge in einem förmlichen Einspruchsverfahren und anschließenden Wahlprüfungsbeschwerdeverfahren erforderlich sind bzw. dann erforderlich wären", zahlreiche Gesichtspunkte auf, die gegen die Richtigkeit des Wahlergebnisses sprechen sollen. Dies sind die unterbliebene Einladung ihrer Parteivorsitzenden in die sogenannte Wahlarena 2025 im ARD-Fernsehen, die "Briefwahl-Thematik der auslandsdeutschen und der sich im Wahlgebiet aufhaltenden Wähler", verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen zur Gestaltung der Stimmzettel für die Listenwahl, der Bedarf einer erneuten Befassung des Bundesverfassungsgerichts mit der "Betreuungs-Thematik", die Wahlkreiseinteilung für sich genommen und im Zusammenhang mit dem "Nichteinzug von 23 direkt gewählten Bundestagsabgeordneten", die Stimmzettelfaltung und das Fehlen der Zustimmung des Bundesrats zum Bundeswahlgesetz.
Sodann macht die Antragstellerin geltend, dass es zu vielen Fehlern bei der Stimmauszählung gekommen sei. Insbesondere stützt sie sich dabei auf Übertragungsfehler bei der Ergebnisübermittlung am Wahlabend, die bei der anschließenden Feststellung des endgültigen Ergebnisses in den Kreis- und Landeswahlausschüssen berichtigt wurden. Sie listet hierfür aus nahezu allen Ländern Korrekturen zu ihren Gunsten auf. Aus ihnen ergebe sich, dass mit noch einer weit größeren Zahl unentdeckter Fehler zu ihren Lasten zu rechnen sei. Bei Sitzungen der Landeswahlausschüsse (jedenfalls) in Bremen und in Niedersachsen seien Begehren von Bürgerinnen und Bürgern, die im Hinblick auf die Antragstellerin weitere Korrekturbedarfe geltend gemacht hätten, unberücksichtigt geblieben.
2. Zur Zulässigkeit der Organklage führt die Antragstellerin aus, ein "Fall des (qualifizierten) gesetzgeberischen Unterlassen[s]" liege darin, dass der Bundestag "noch nicht einmal für atypische Sonderfälle wie dem hiesigen ein Recht einer (denkbar knapp) an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterten Partei zugebilligt [habe], Neuauszählungen sowie Auskünfte zu verlangen". Hierfür stützt sie sich insbesondere auf ein Kurzgutachten von Prof. Dr. (...), nach dem ausnahmsweise ein "vorverlegtes Wahlprüfungsverfahren" zulässig sei. Sie meint, daher könne auch die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens jedenfalls im vorliegenden Fall nicht in Zweifel gezogen werden.
3. Zur Begründung ihres Organklageantrags trägt die Antragstellerin vor, das Unterlassen des Gesetzgebers verletze ihren Anspruch auf Chancengleichheit aus Art. 21 GG beziehungsweise aus Art. 21 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG.
Große Parteien hätten regelmäßig kein nennenswertes Interesse daran, kritisch zu hinterfragen, ob sie durch die "normalen" Fehler bei einer Stimmenzählung, die in einem einwohnerstarken Flächenstaat unvermeidbar seien, gegebenenfalls 0,1 oder 0,2 Prozent "verloren" hätten. Dies sei jedoch bei einer Partei, die knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könne, grundlegend anders. Die Wirkung der Fünf-Prozent-Hürde werde stark intensiviert, "wenn eine Partei - objektiv - mit zumindest hoher Wahrscheinlichkeit die Hürde erreicht habe, aber aufgrund der ,normalen' Fehler, die bei der Ergebnisermittlung passieren können, mindestes 1 bis 2 Jahre nach der Wahl ,draußen bleiben muss', ehe eine Entscheidung im Wahlprüfungsausschuss oder, realistischer, im Wahlprüfungsbeschwerdeverfahren" ergehe. Indem der Wahlgesetzgeber keinerlei effektiven Rechtsschutz gegen auch erkennbare Auszählungsfehler zugelassen habe, nehme er es in Kauf, dass Stimmen für eine Partei nicht gewertet würden. Dadurch müsse eine Partei letztlich mehr als 5 Prozent der Stimmen erzielen. Dies könne allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn dieser Partei bis zur Verkündung des Endergebnisses bei einem äußerst knappen vorläufigen Ergebnis ein Anspruch auf Neuauszählung und entsprechende Auskünfte zugebilligt werde.
Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss über eine Verfassungsbeschwerde gegen ein landesverfassungsgerichtliches Urteil in einer Wahlprüfungssache, dass der Grundsatz der Wahlgleichheit verletzt werde, wenn die für einen Wahlbewerber gültig abgegebenen Stimmen nicht sämtlich als gültig bewertet oder nicht sämtlich für ihn gezählt würden (BVerfGE 85, 148 [BVerfG 12.12.1991 - 2 BvR 562/91] <157 f.>), gelte für das Begehren der Antragstellerin entsprechend. Es sei nicht erkennbar, welcher Vorteil für die Allgemeinheit darin bestünde, dass "erst in ein bis zwei Jahren durch den politisch mehrheitlich ,regierungstreu' besetzten Wahlprüfungsausschuss und Bundestag" oder gar erst noch später durch das Bundesverfassungsgericht eine Neuauszählung angeordnet würde.
III.
Von einer Zustellung der Antragsschrift an den Antragsgegner und einer Benachrichtigung nach § 65 Abs. 2 BVerfGG wurde abgesehen (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 GOBVerfG).
IV.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss des Zweiten Senats vom 13. März 2025 - 2 BvE 6/25 - abgelehnt. Dabei hat es entscheidend darauf abgestellt, dass ebenso wie vor der Wahl auch vor der Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses Rechtsschutz in Bezug auf diese Wahl nur begrenzt möglich ist. Insbesondere ist Rechtsschutz gegen etwaige Zählfehler dem Einspruch gegen die Wahl und dem Wahlprüfungsverfahren vorbehalten, ohne dass damit unzumutbare Nachteile verbunden wären.
B.
Die Organklage ist unzulässig.
I.
Der Organklageantrag muss auf eine Feststellung des Bundesverfassungsgerichts über eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gerichtet sein (1.) und eine Rechtsverletzung des Antragstellers durch diese schlüssig behaupten (2.).
1. Im Organstreitverfahren stellt das Bundesverfassungsgericht nach § 67 Satz 1 BVerfGG mit seiner Entscheidung fest, ob die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners gegen eine Bestimmung des Grundgesetzes verstößt. Damit stellt das Gesetz es grundsätzlich in das Ermessen des Antragsgegners, wie er eine verfassungsgemäße Lage herstellt. Das Bundesverfassungsgericht kann daher im Organstreitverfahren nicht eine bestimmte Maßnahme aufheben, für nichtig erklären oder den Antragsgegner zu einem bestimmten Verhalten verpflichten (vgl. BVerfGE 136, 277 [BVerfG 10.06.2014 - 2 BvE 2/09; 2 BvE 2/10] <301 Rn. 64>; 147, 50 <121 Rn. 175>; 151, 58 <64 f. Rn. 14>; 165, 270 <284 Rn. 43> - PartGuaÄndG 2018 - Organstreit; 166, 93 <186 Rn. 248> - Finanzierung Desiderius-Erasmus-Stiftung; zu einer Sonderkonstellation BVerfGE 112, 118 [BVerfG 08.12.2004 - 2 BvE 3/02] <147 f.>).
2. Ein Antrag im Organstreitverfahren ist gemäß § 64 Abs. 1 BVerfGG nur zulässig, wenn der Antragsteller schlüssig behauptet (vgl. BVerfGE 129, 356 [BVerfG 22.11.2011 - 2 BvE 3/08] <365>), dass er oder das Organ, dem er angehört, durch die Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG sind Anträge, die ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht einleiten, zu begründen; die erforderlichen Beweismittel sind anzugeben. § 23 Abs. 1 BVerfGG gilt als allgemeine Verfahrensvorschrift für alle Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, also auch für das Organstreitverfahren (vgl. BVerfGE 24, 252 [BVerfG 17.10.1968 - 2 BvE 2/67] <258>; 134, 141 <195 Rn. 161>; 136, 121 <124 f. Rn. 5>; 157, 1 <20 Rn. 61> - CETA-Organstreit I; 157, 300 <310 Rn. 25> - Unterschriftenquoren Bundestagswahl; 165, 270 <288 Rn. 55>; 166, 93 <146 Rn. 146>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 27. September 2024 - 2 BvE 11/20 -, Rn. 1). Die Verletzung des geltend gemachten verfassungsmäßigen Rechts muss sich aus dem Sachvortrag des Antragstellers als mögliche Rechtsfolge ergeben (vgl. BVerfGE 57, 1 [BVerfG 25.03.1981 - 2 BvE 1/79] <5>; 60, 374 <381>; 82, 322 <336>; 134, 141 <195 Rn. 161>; 157, 300 <310 Rn. 25>). Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass die von dem Antragsteller behauptete Verletzung oder unmittelbare Gefährdung seiner verfassungsmäßigen Rechte unter Beachtung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßstäbe nach dem vorgetragenen Sachverhalt möglich erscheint (vgl. BVerfGE 134, 141 <195 Rn. 161>; 138, 256 <259 Rn. 6>; 140, 1 <21 f. Rn. 58>; 150, 194 <201 Rn. 20>; 151, 191 <199 Rn. 22> - Bundesverfassungsrichterwahl II; 152, 8 <21 Rn. 29> - Anti-IS-Einsatz; 157, 1 <20 Rn. 59>; 157, 300 <310 Rn. 25>; 165, 270 <287 Rn. 53>; 166, 93 <146 Rn. 146>; stRspr).
II.
Dem genügt die Organklageschrift nicht.
1. Der Antrag zu 2. sowie der hierzu gestellte Hilfsantrag sind bereits nicht statthaft. Sie sind unmittelbar auf eine Rechtsgestaltung gerichtet, die dem Bundesverfassungsgericht im Organstreitverfahren nicht zukommt. Eine Auslegung des Antrags dahin, dass die Antragstellerin ein statthaftes Feststellungsbegehren verfolgt, scheidet von vornherein aus. Denn nach §§ 41 f. BWahlG wird das Wahlergebnis nicht durch den Antragsgegner, sondern durch die Wahlausschüsse festgestellt.
2. Im Hinblick auf den Antrag zu 1. ist die Antragstellerin nicht antragsbefugt, weil sie eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung ihrer organschaftlichen Rechte nicht dargetan hat. Sie setzt sich mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen, unter denen ein Unterlassen des Gesetzgebers verfassungswidrig sein kann, nicht hinreichend auseinander.
a) Ein Organstreitverfahren kann sich grundsätzlich sowohl gegen eine Maßnahme als auch gegen eine Unterlassung des Antragsgegners richten (§ 64 Abs. 1 BVerfGG).
aa) In welchen Fallkonstellationen ein Unterlassen des Gesetzgebers Gegenstand eines Organstreits sein kann, hat das Bundesverfassungsgericht bisher nicht abschließend entschieden (vgl. BVerfGE 92, 80 <87>; 103, 164 <168 f.>; 107, 286 <294>; 110, 403 <405>; 114, 107 <118>). Lediglich die Ablehnung eines Gesetzentwurfs hat es bisher als zulässigen Antragsgegenstand angesehen, weil eine solche "qualifizierte" Unterlassung dem als Maßnahme zu wertenden Erlass eines Gesetzes gleichstehe (vgl. BVerfGE 120, 82 [BVerfG 13.02.2008 - 2 BvK 1/07] <98 f.>; 142, 25 <47 f. Rn. 60>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 10. Dezember 2024 - 2 BvE 15/23 -, Rn. 29 - Unterschriftenquoren Bundestagswahl II).
Darüber hinaus kann auch das "bloße" Unterlassen einer Gesetzesänderung jedenfalls dann Gegenstand einer Organklage sein, wenn eine Partei die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG durch die rechtliche Gestaltung des Wahlverfahrens geltend macht. Hierfür steht ihr nicht der Weg der Verfassungsbeschwerde offen, sondern lediglich der Organstreit (vgl. BVerfGE 4, 27 [BVerfG 20.07.1954 - 1 PBvU 1/54]; stRspr). Der verfassungsgerichtliche Rechtsschutz von Parteien ist damit jedoch nicht schwächer als die Möglichkeit wahlrechtlicher Verfassungsbeschwerden von Bürgerinnen und Bürgern. Diese können geltend machen, ihre Rechte aus Art. 38 Abs. 1 GG seien verletzt, weil der Gesetzgeber einer verfassungsrechtlichen Handlungspflicht, die sich aus den Grundsätzen der allgemeinen und gleichen Wahl aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ergibt, nicht nachgekommen sei. Entsprechendes muss im Rahmen einer Organklage für Parteien gelten, die eine Verletzung ihrer Parteienfreiheit und Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG rügen, weil der Gesetzgeber eine solche Handlungspflicht missachtet habe (vgl. BVerfGE 157, 300 [BVerfG 13.04.2021 - 2 BvE 1/21] <310 f. Rn. 27>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 10. Dezember 2024 - 2 BvE 15/23 -, Rn. 30).
Eine Handlungspflicht des Wahlgesetzgebers kann nicht nur aufgrund neuer tatsächlicher Entwicklungen (vgl. BVerfGE 146, 327 [BVerfG 19.09.2017 - 2 BvC 46/14] <353 Rn. 65>; 157, 300 <313 Rn. 32>; 169, 236 <317 f. Rn. 248> - Bundeswahlgesetz 2023) entstehen, sondern auch infolge von Änderungen des rechtlichen Umfelds einer konkreten Bestimmung (vgl. BVerfGE 120, 82 [BVerfG 13.02.2008 - 2 BvK 1/07] <108 f.>; 169, 236 <317 Rn. 246 f.>). Im Bereich des Wahlrechts kommt dem Gesetzgeber allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum zu, sodass eine Verpflichtung zur Vornahme einer bestimmten Wahlrechtsänderung regelmäßig nicht besteht. Denn Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG geben lediglich die Grundzüge des Wahlsystems vor (vgl. BVerfGE 6, 104 [BVerfG 23.01.1957 - 2 BvF 3/56] <111>; 95, 335 <349>; 121, 266 <296>; 124, 1 <19>; 131, 316 <335>; 157, 300 <312 Rn. 30>). Die konkrete Ausgestaltung des Wahlrechts hat der Verfassungsgeber bewusst offengelassen und in Art. 38 Abs. 3 GG dem Bundesgesetzgeber übertragen (vgl. BVerfGE 131, 316 [BVerfG 25.07.2012 - 2 BvF 3/11] <334 f.>; 157, 300 <312 Rn. 31>; 169, 236 <284 Rn. 138>). Hierzu zählt auch das Verfahren zur Ermittlung des Wahlergebnisses (vgl. Kluth, in: Schmidt-Bleibtreu, GG, 15. Aufl. 2022, Art. 38 Rn. 42; Müller/Drossel, in: Huber/Voßkuhle, GG, Bd. 2, 8. Aufl. 2024, Art. 38 Rn. 224; Butzer, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 38 Rn. 113 <März 2025>).
bb) Verengt sich damit die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit nur in Ausnahmefällen darauf, dass allein durch eine bestimmte Maßnahme einer gesetzgeberischen Normsetzungspflicht Rechnung getragen werden kann, wirkt dies auf die Begründungsanforderungen gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 BVerfGG zurück (vgl. BVerfGE 157, 300 [BVerfG 13.04.2021 - 2 BvE 1/21] <311 f. Rn. 29> m.w.N.).
Soweit Antragstellende ein gesetzgeberisches Unterlassen rügen, haben sie sich zunächst mit der Frage auseinanderzusetzen, unter welchen Voraussetzungen ein gesetzgeberisches Unterlassen überhaupt zulässiger Gegenstand des Organstreitverfahrens sein kann (vgl. BVerfGE 138, 256 [BVerfG 13.01.2015 - 2 BvE 1/13] <260 Rn. 10>). Soweit der Erlass einer konkreten Regelung eingefordert wird, ist weiter substantiiert zu begründen, warum der dem Gesetzgeber grundsätzlich zukommende Gestaltungsspielraum auf den Erlass der eingeforderten Regelung verengt ist (vgl. BVerfGE 156, 224 [BVerfG 15.12.2020 - 2 BvC 46/19] <240 Rn. 44>; 157, 300 <311 f. Rn. 29>).
Wird ein gesetzgeberisches Unterlassen im Wahlrecht gerügt, bedarf es daher einer Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass Art. 38 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG lediglich die Grundzüge für das Wahlsystem vorgibt (vgl. BVerfGE 6, 104 [BVerfG 23.01.1957 - 2 BvF 3/56] <111>; 95, 335 <349>; 121, 266 <296>; 124, 1 <19>; 131, 316 <335>) und daher eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Vornahme einer bestimmten Wahlrechtsänderung regelmäßig nicht in Betracht kommt (vgl. BVerfGE 157, 300 <312 Rn. 30>). Demgemäß ist aufzuzeigen, dass der weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers von Verfassungs wegen auf die begehrte Gesetzesänderung verengt ist (vgl. BVerfGE 157, 300 [BVerfG 13.04.2021 - 2 BvE 1/21] <313 Rn. 33>).
b) Nach diesen Maßstäben hat die Antragstellerin die Möglichkeit einer Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG nicht hinreichend substantiiert begründet.
aa) Sie behauptet lediglich, es liege ein sogenanntes qualifiziertes Unterlassen des Gesetzgebers vor. Dass der Bundestag konkrete Gesetzesvorlagen zur Ermittlung des Wahlergebnisses nicht beraten oder abgelehnt habe, wird von der Antragstellerin indes nicht vorgetragen. Dies ist auch nicht ersichtlich.
bb) Woraus sich sonst eine konkrete Handlungspflicht des Gesetzgebers ergeben soll, das bestehende Verfahren zur Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses zu ändern und um einen (kurzfristigen) Nachzählungsanspruch zu erweitern, erläutert die Antragstellerin ebenfalls nicht. Neue tatsächliche Entwicklungen oder ein neues rechtliches Umfeld, die eine solche konkrete Handlungspflicht des Gesetzgebers auslösen könnten (vgl. BVerfGE 169, 236 <285 f. Rn. 142 ff.; speziell für die Sperrklausel <293 Rn. 166 f.>), erschließen sich auch nicht ohne Weiteres.
cc) Zudem gibt die Antragstellerin die von ihr in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einer möglichen Verletzung der Wahlrechtsgleichheit bei einer unzureichenden Wahlprüfungsmöglichkeit (BVerfGE 85, 148 [BVerfG 12.12.1991 - 2 BvR 562/91]) nur unvollständig wieder. Infolgedessen setzt sie sich mit ihr nicht ausreichend auseinander.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Wahlprüfungsentscheidung eines Landesverfassungsgerichts aufgehoben, weil sie dem Grundsatz der Wahlgleichheit nicht gerecht wurde. Dem Verfahren lag die Korrektur des Ergebnisses in einem Wahlkreis zugrunde, das zunächst zugunsten der Bewerberin der CDU festgestellt und infolge des Wahleinspruchs und der daraufhin durchgeführten Nachzählung zugunsten des Bewerbers der SPD geändert worden war. Eine Wahlberechtigte hatte Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl in diesem Wahlkreis eingelegt und dabei für zehn der insgesamt mehr als achtzig Stimmbezirke des Wahlkreises substantiiert dargelegt, dass die Vorschriften über die Auszählung der Stimmen nicht eingehalten worden seien. Dies erwies sich in acht Stimmbezirken als berechtigt. Der Landtag ordnete daraufhin eine Neuauszählung aller in diesem Wahlkreis abgegebenen Stimmen an. Diese ergab in einem weiteren Stimmbezirk, in Bezug auf den die Einspruchsführerin Wahlmängel nicht konkret beanstandet hatte, dass 93 für den SPD-Bewerber abgegebene Stimmen für die CDU-Bewerberin gezählt worden waren. Der Landtag berichtigte daher das Wahlergebnis und stellte fest, dass der Bewerber der SPD gewählt sei und die Bewerberin der CDU ihren Sitz verliere. Auf deren Wahlprüfungsbeschwerde hin hob das Landesverfassungsgericht den Beschluss des Landtags auf, weil die Anordnung der Nachzählung nicht auf den gesamten Wahlkreis habe erstreckt werden dürfen, sondern auf die gerügten Vorgänge habe beschränkt bleiben müssen. Gegen dieses Urteil richtete sich die - erfolgreiche - Verfassungsbeschwerde des Bewerbers der SPD zum Bundesverfassungsgericht.
Die Antragstellerin setzt sich nicht damit auseinander, dass sich dieser Beschluss des Bundesverfassungsgerichts auf ein Wahlprüfungsverfahren bezieht. Er stützt damit gerade nicht das Begehren der Antragstellerin, es müsse unter bestimmten Voraussetzungen ein gesetzlicher Anspruch auf vollständige, vorliegend also bundesweite, Neuauszählung unmittelbar nach der Wahl bestehen. Ein Widerspruch zwischen dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts und dem Umstand, dass die Nachprüfung und gegebenenfalls Neuauszählung von Stimmen bei der Bundestagswahl dem Einspruchs- und Wahlprüfungsverfahren vorbehalten ist, erschließt sich aus der Begründung der Organklage nicht.
3. Dem Wahleinspruchs- und Wahlprüfungsverfahren bleibt es vorbehalten, sich mit dem weiteren Vorbringen der Antragstellerin zu befassen. Dies gilt insbesondere für die Hinweise auf Fehler bei der Stimmauszählung. Soweit die Antragstellerin vorbringt, dies nehme zu viel Zeit in Anspruch, hat das Bundesverfassungsgericht die Erhebung einer Wahlprüfungsbeschwerde nicht ausgeschlossen, wenn über einen Wahleinspruch durch den Deutschen Bundestag nicht in angemessener Frist entschieden wird und dadurch die Gefahr besteht, dass das Wahlprüfungsbeschwerdeverfahren nicht mehr zeit- oder sachgerecht durchgeführt werden könnte (vgl. BVerfGE 149, 374 [BVerfG 24.07.2018 - 2 BvQ 33/18] <376 f. Rn. 7>; 149, 378 <380 f. Rn. 8>).
C.
Der Antrag auf Erstattung der notwendigen Auslagen ist abzulehnen. Die Auslagenerstattung richtet sich im Organstreitverfahren nach § 34a Abs. 3 BVerfGG und kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn besondere Billigkeitsgründe vorliegen (vgl. BVerfGE 20, 119 <133 f.>; 162, 207 <269 Rn. 186> - Äußerungsbefugnisse der Bundeskanzlerin; stRspr). Solche Gründe sind nicht vorgetragen und schon angesichts der Erfolglosigkeit des Organstreitantrags auch sonst nicht ersichtlich.