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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 09.02.2024, Az.: 2 BvR 17/24
Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde; Strafrechtliche Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 09.02.2024
Referenz: JurionRS 2024, 10896
Aktenzeichen: 2 BvR 17/24
ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2024:rk20240209.2bvr001724

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG München - 10.11.2022 - AZ: 824 Cs 256 Js 111256/22

LG München I -19.07.2023 - AZ: 15 NBs 256 Js 111256/22

BayObLG - 12.12.2023 - AZ: 205 StRR 403/23

BVerfG, 09.02.2024 - 2 BvR 17/24

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine strafrechtliche Verurteilung wegen Hausfriedensbruchs.

2

1. Die - zwischenzeitlich verstorbene - Mutter der Beschwerdeführerin war von 2019 bis Februar 2023 im Pflegeheim des (...) in (...) untergebracht. Zwischen der Beschwerdeführerin und dem Pflegeheim war es in der Vergangenheit zu zivilgerichtlichen Auseinandersetzungen um mehrere Hausverbote gekommen, die die Heimleitung gegen die Beschwerdeführerin verhängt hatte. Der Beschwerdeführerin war zum Vorwurf gemacht worden, gegenüber dem Personal ausfällig geworden und den Betrieb schwerwiegend gestört sowie die Bewohnerinnen und Bewohner und die Angestellten durch wiederholte Verletzungen der Maßnahmen zum Schutz vor der Ausbreitung von Covid-19 in Gefahr gebracht zu haben. Zudem hatte die Betreuerin der Mutter der Beschwerdeführerin ein betreuungsrechtliches Kontaktverbot ausgesprochen. Zivilgerichtliche Klagen gegen die Hausverbote und die betreuungsrechtlichen Umgangsregelungen waren erfolglos geblieben. Mit Beschluss vom 25. Januar 2023 nahm die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine gegen die Abweisung einer Klage gegen das Hausverbot gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, da sie den Grundsatz der Subsidiarität nicht wahre. Die Beschwerdeführerin müsse sich zunächst gegen die Umgangsregelung wenden. Das Betreuungsgericht habe die Frage zu klären, ob der Mutter der Beschwerdeführerin tatsächlich Gefahr drohe, sollte sie Kontakt zur Beschwerdeführerin haben. Hierzu sei Beweis zu erheben. Sodann könne die Beschwerdeführerin gegen die Hausverbote des Pflegeheims vorgehen. Das Pflegeheim könne derartige Maßnahmen nur aus wichtigem Grund, nach Abmahnung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls erlassen.

3

2. a) Das Amtsgericht München verurteilte die Beschwerdeführerin mit Urteil vom 10. November 2022 wegen Hausfriedensbruchs in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu jeweils 75,00 Euro.

4

b) Ihre gegen dieses Urteil gerichtete Berufung verwarf das Landgericht München I mit Urteil vom 19. Juli 2023 als unbegründet. Das Landgericht sah es als erwiesen an, dass sich die Beschwerdeführerin am 10. Dezember 2021 und 19. Januar 2022 über am 24. Februar und 10. Dezember 2021 ausgesprochene, unbefristete Hausverbote des (...)-Pflegeheims (...), (...), hinweggesetzt habe. Die Hausverbote seien wirksam gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne ein solches aus wichtigem Grund nach Abmahnung und Abwägung aller Umstände des Einzelfalls verhängt werden. Eine Abmahnung sei im vorliegenden Fall entbehrlich. Die Beschwerdeführerin habe sich seit 2019 gegenüber dem Personal ausfällig verhalten und den Betrieb schwerwiegend gestört; zudem habe sie sich wiederholt über Maßnahmen zum Schutz vor der Ausbreitung von Covid-19 hinweggesetzt. Daher seien in der Vergangenheit - jeweils ohne vorherige Abmahnung - 30 bis 40 Hausverbote ausgesprochen worden. Bei der Vielzahl der zuvor ergangenen Hausverbote seien Abmahnungen entbehrlich. Sie hätten ihren Zweck erkennbar nicht mehr erreichen können.

5

c) Das Bayerische Oberste Landesgericht verwarf die von der Beschwerdeführerin erhobene Revision mit Beschluss vom 12. Dezember 2023 als unbegründet. Es könne dahinstehen, ob die Wirksamkeit eines Hausverbots in jedem Falle einer wirksamen Abmahnung bedurft hätte. Es seien vorliegend wiederholt Hausverbote ausgesprochen worden. Der Ausspruch eines Hausverbots stelle im Hinblick auf eine Abmahnung ein "Mehr" dar. Das nunmehr infrage stehende Hausverbot sei für die Beschwerdeführerin alles andere als überraschend gekommen. Sie hätte die zuvor ausgesprochenen Hausverbote, ebenso wie Abmahnungen, jeweils gerichtlich überprüfen lassen können.

6

Die Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin verwarf das Bayerische Oberste Landesgericht als unbegründet.

II.

7

Die Beschwerdeführerin hat am 8. Januar 2024 Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Im Kern macht sie geltend, die Fachgerichte hätten ihre Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte dadurch verletzt, dass sie die verfahrensgegenständlichen Hausverbote, die ohne vorherige Abmahnungen verhängt worden seien, entgegen der ausdrücklichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für wirksam erachteten. Es könne nicht richtig sein, dass über 30 Hausverbote, die wegen Verstoßes gegen das Abmahnungserfordernis sämtlich rechtswidrig seien, eine Abmahnung ersetzen könnten.

III.

8

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da eine Verletzung von Verfassungsrecht durch die angegriffenen Entscheidungen nicht ausreichend im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG dargelegt wurde. Die Kammer kann auf Grundlage des Vortrags der Beschwerdeführerin einen Verfassungsverstoß nicht erkennen.

9

1. In ihrem Beschluss vom 25. Januar 2023 führte die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts aus, ein Pflegeheim sei zum Erlass eines Hausverbots nur aus wichtigem Grund, unter Abwägung aller entgegenstehenden Interessen und Umstände des Einzelfalls und nach Abmahnung berechtigt. Damit fasste die Kammer zum Zweck der Förderung der weiterhin zu erwartenden zivilgerichtlichen Auseinandersetzungen die geltenden Grundsätze zum Recht einer Heimleitung, Hausverbote zu verhängen, zusammen. Diese summarischen Ausführungen schließen allerdings nicht aus, dass eine vorherige Abmahnung im Einzelfall entbehrlich sein kann. Hierbei ist grundsätzlich auf allgemeine Prinzipien, die im Zusammenhang mit Abmahnungen im Zivilrecht und im Verwaltungsrecht entwickelt wurden und die in der Rechtsprechung anerkannt sind, zurückzugreifen (vgl. für das Arbeitsrecht vgl. BAG, Urteil vom 19. April 2012 - 2 AZR 258/11 -, juris, Rn. 15; Urteil vom 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 -, juris, Rn. 18; Beschluss vom 10. Februar 2009 - 3 AZN 1003/08 -, juris, Rn. 8; Urteil vom 18. Mai 1994 - 2 AZR 626/93 -, juris, Rn. 21; Hessisches LAG, Urteil vom 4. November 2022 - 10 Sa 778/22 -, juris, Rn. 41; für das öffentliche Recht BVerwG, Beschluss vom 13. November 1997 - 1 B 213/97 -, juris, Rn. 8). Bei der Anwendung dieser Grundsätze auf den einzelnen Fall kann auch die besondere Interessenlage, die sich im Zusammenhang mit dem Betrieb von Pflegeheimen stellt, zu beachten sein.

10

2. Die Auffassung der Fachgerichte, eine Abmahnung sei jedenfalls im vorliegenden Fall jeweils entbehrlich gewesen, ist vor diesem Hintergrund verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Hausrechtsverstöße, die der Beschwerdeführerin konkret zur Last gelegt wurden und von denen das Landgericht nach der Beweisaufnahme in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise überzeugt war, wiegen so schwer, dass sie jeweils ein sofortiges Hausverbot ohne Abmahnung rechtfertigen. Im Übrigen war nach der Vielzahl der Vorfälle und der immer wieder zum Scheitern verurteilten Versuche, eine funktionsfähige Besuchsregelung zu etablieren, nicht mehr damit zu rechnen, dass die Beschwerdeführerin ihr Verhalten nach Abmahnung noch ändern würde. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falls wären Abmahnungen bloßer Formalismus gewesen, der dem Pflegeheim nicht zuzumuten gewesen wäre.

11

3. Die Abwägungsentscheidung der Fachgerichte kann ebenfalls nicht beanstandet werden. Hervorzuheben sind vor allem die ausführlichen und umsichtigen Darlegungen des Landgerichts, das auch das besondere Interesse der Beschwerdeführerin am Kontakt zu ihrer Mutter, die sich in der letzten Phase ihres Lebens befand, besonders würdigte.

12

4. Im Übrigen wird von einer Begründung abgesehen (§ 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

13

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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