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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 05.02.2024, Az.: 1 BvR 315/24
Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung; Aussetzung der Vollziehung von Umsatzsteuerbescheiden unter Voraussetzung einer Sicherheitsleistung
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 05.02.2024
Referenz: JurionRS 2024, 10833
Aktenzeichen: 1 BvR 315/24
ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2024:rk20240205.1bvr031524

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Baden-Württemberg - 17.01.2024 - AZ: 1 V 1728/23

Rechtsgrundlage:

§ 32 BVerfGG

BVerfG, 05.02.2024 - 1 BvR 315/24

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe

1

Die Beschwerdeführerin ist ein Handelsunternehmen in der Rechtsform der GmbH. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde und ihrem damit verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet sie sich dagegen, dass das Finanzgericht die Aussetzung der Vollziehung von Umsatzsteuerbescheiden von einer Sicherheitsleistung in Höhe von 7,5 Mio. Euro abhängig gemacht hat.

2

Das Finanzamt (...) erließ am 24. Juli 2023 auf Grundlage von Ermittlungen der Steuerfahndung geänderte Umsatzsteuerbescheide gegen die Beschwerdeführerin für die Steuerjahre 2017 - 2022, die zu Mehrsteuern in Höhe von insgesamt rund 15 Mio. Euro führten.

3

Die Beschwerdeführerin legte Einsprüche gegen die Bescheide ein, über die noch nicht entschieden ist. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Bescheide hat das Finanzamt abgelehnt. Daraufhin hat die Beschwerdeführerin beim Finanzgericht Baden-Württemberg die Aussetzung der Vollziehung der Bescheide ohne Sicherheitsleistung, hilfsweise die Zulassung der Beschwerde zum Bundesfinanzhof beantragt.

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Mit dem angegriffenen Beschluss vom 17. Januar 2024 hat das Finanzgericht zwar antragsgemäß die Vollziehung der Bescheide gemäß § 69 Abs. 3 FGO ausgesetzt, jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 7,5 Mio. Euro. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung ohne Sicherheitsleistung seien nicht erfüllt.

5

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin insbesondere die Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG.

II.

6

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG liegen nicht vor.

7

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

8

a) Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnung haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache zu entscheidende Verfassungsbeschwerde erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 140, 99 <106 Rn. 11>; 143, 65 <87 Rn. 35>; stRspr). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 140, 99 [BVerfG 21.07.2015 - 1 BvF 2/13] <106 Rn. 11>; 143, 65 <87 Rn. 35>; 157, 332 <377 Rn. 73>; 157, 394 <401 f. Rn. 19>; 160, 336 <339 f. Rn. 10> jeweils m.w.N.).

9

b) Sind durch den angegriffenen Hoheitsakt gewerblich oder beruflich tätige Personen betroffen, kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung namentlich dann in Betracht, wenn ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet ist und dadurch ein Schaden entstehen würde, der im Fall der späteren Feststellung der Verfassungswidrigkeit nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte (vgl. BVerfGE 14, 153 [BVerfG 19.06.1962 - 1 BvR 371/61] <153 f.>; 40, 179 <181>; 68, 233 <236>; 131, 47 <61 ff.>; BVerfGK 7, 188 <192>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 19. Juli 2019 - 1 BvR 1627/19 -). Derartige Nachteile sind in die Folgenabwägung einzustellen. Dabei muss die nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG gebotene Begründung des Antrags zumindest individualisierte und konkrete Darlegungen enthalten, die im Sinne einer Plausibilitätskontrolle nachvollziehbar sind.

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2. Gemessen an diesen Voraussetzungen ist der Eilantrag bereits unzulässig. Denn die Beschwerdeführerin hat nicht hinreichend dargelegt, dass ihr durch ein Abwarten bis zum Abschluss des Verfassungsbeschwerdeverfahrens schwere Nachteile im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG entstehen.

11

Insbesondere eine Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz ergibt sich aus der Antragsbegründung nicht hinreichend substantiiert. Die Beschwerdeführerin behauptet zwar pauschal eine konkrete Insolvenzgefahr. Diese ist jedoch durch den weiteren Tatsachenvortrag nicht hinreichend belegt. Die Beschwerdeführerin gibt insbesondere keine zusammenfassende Darstellung ihrer aktuellen wirtschaftlichen Lage, aus der sich etwa mögliche Insolvenzgründe ergeben könnten. So wird etwa weder eine Liquiditäts- noch eine Überschuldungsbilanz vorgelegt, die Auskunft über eine Insolvenzreife geben könnten, es bleibt offen, ob der Geschäftsbetrieb derzeit noch fortgeführt wird, und auch die Vermögenslage und der Stand der Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sind unklar. Die Beschwerdeführerin beschränkt sich vielmehr darauf, einzelne (aktive und passive) Vermögenspositionen zu benennen. Ein aussagekräftiges Bild ihrer wirtschaftlichen Lage entsteht dadurch nicht.

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Die behauptete Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz liegt angesichts des erheblichen Geschäftsumfangs der Beschwerdeführerin - sie hat seit 2018 jährliche Umsätze von über 100 Mio. Euro erzielt - auch nicht derart auf der Hand, dass auf weitere substantiierte Angaben verzichtet werden könnte.

13

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Entscheidungsform: Ablehnung einstweilige Anordnung

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