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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 17.11.2023, Az.: 1 BvR 1915/23
Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtlichen Entscheidungen der Ablehnung der Eintragung eines neugeborenen Kindes ohne eine Angabe zum Geschlecht in das Geburtsregister; Schutz der geschlechtlichen Identität eines Menschen durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 17.11.2023
Referenz: JurionRS 2023, 47383
Aktenzeichen: 1 BvR 1915/23
ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2023:rk20231117.1bvr191523

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG München - 07.07.2023 - AZ: 721 III 43/23

OLG München - 01.09.2023 - AZ: 31 Wx 210/23 e

BVerfG, 17.11.2023 - 1 BvR 1915/23

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandlos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft gerichtliche Entscheidungen, mit denen abgelehnt wurde, ein neugeborenes Kind ohne eine Angabe zum Geschlecht in das Geburtsregister einzutragen.

I.

2

Die Beschwerdeführenden sind die Eltern eines am 19. September 2022 im Rahmen einer Hausgeburt geborenen Kindes. Sie und die bei der Geburt anwesende Hebamme hatten in der Geburtsanzeige bei dem Geschlecht des Kindes "ohne" angekreuzt. Auf Nachfrage des Standesamts zum Geschlecht des Kindes bezog sich die Hebamme auf eine angebliche Schweigepflicht. Die Beschwerdeführenden verweigerten ebenfalls Angaben zum Geschlecht des Kindes beziehungsweise gingen davon aus, dass die Angaben in der Geburtsanzeige für eine Eintragung in das Geburtsregister ausreichten. Amtsgericht und Oberlandesgericht lehnten mit den angegriffenen Entscheidungen eine Eintragung im Geburtsregister ohne Geschlechtsangabe mit Hinweis auf § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG sowie auf den fehlenden Nachweis einer fehlenden Zuordnungsmöglichkeit zum männlichen oder weiblichen Geschlecht im Sinne des § 22 Abs. 3 PStG ab.

3

Die beschwerdeführenden Eltern machen geltend, durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen jeweils in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt zu sein. Das damit gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht schütze auch das Finden der eigenen geschlechtlichen Identität, was das empfundene nicht binäre Geschlecht umfasse. Die Geschlechtsidentität eines Kindes entwickele sich erst später, so dass eine Festlegung zum jetzigen Zeitpunkt nicht geboten sei.

II.

4

Die Verfassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig ist.

5

1. Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt nicht den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG folgenden Anforderungen; insbesondere wird die Möglichkeit einer Verletzung der Beschwerdeführenden in Grundrechten nicht aufgezeigt.

6

a) Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerfGE 140, 229 [BVerfG 10.11.2015 - 1 BvR 2056/12] <232 Rn. 9>; 157, 300 <310 Rn. 25>). Liegt zu den mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Verfassungsfragen bereits Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, so ist der behauptete Grundrechtsverstoß in Auseinandersetzung mit den darin entwickelten Maßstäben zu begründen (vgl. BVerfGE 149, 346 [BVerfG 24.07.2018 - 2 BvR 1961/09] <359 Rn. 23>; 153, 74 <137 Rn. 104>; 158, 210 <230 f. Rn. 51>; stRspr). Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, bedarf es in der Regel einer ins Einzelne gehenden argumentativen Auseinandersetzung mit ihr und ihrer Begründung.

7

b) Vorliegend setzen sich die Beschwerdeführenden weder hinreichend mit den verfassungsrechtlichen Maßstäben noch mit den angegriffenen Entscheidungen auseinander. Die Möglichkeit einer Verletzung der beschwerdeführenden Eltern in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist ebenso wenig erkennbar wie eine mögliche Verletzung ihres - ausdrücklich ohnehin nicht als verletzt geltend gemachten - Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG).

8

aa) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch die geschlechtliche Identität eines Menschen, die regelmäßig ein konstituierender Aspekt der eigenen Persönlichkeit ist. Der Zuordnung eines Menschen zu einem Geschlecht kommt dabei für die individuelle Identität typischerweise eine herausragende Bedeutung sowohl im Selbstverständnis der Person als auch in deren Wahrnehmung durch Dritte zu (vgl. BVerfGE 147, 1 [BVerfG 10.10.2017 - 1 BvR 2019/16] <19 Rn. 39>). Ausgehend von diesem Schutzbereichsverständnis zeigt die Verfassungsbeschwerde nicht auf, dass und in welcher Weise die jeweils eigene geschlechtliche Identität der beschwerdeführenden Eltern selbst durch den das Geschlecht ihres Kindes betreffenden Eintrag in das Geburtenregister berührt sein könnte.

9

bb) Eine mögliche Verletzung des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) lässt die Begründung der Verfassungsbeschwerde ebenfalls nicht erkennen. Dazu wäre es zumindest erforderlich gewesen, sich mit dem Schutzbereich von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG näher zu befassen. Bereits daran fehlt es.

10

c) Sollten die Beschwerdeführenden als grundsätzlich zur Vertretung ihres Kindes auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren befugte sorgeberechtigte Eltern auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ihres Kindes für dieses geltend gemacht haben, ohne dies in der Begründung der Verfassungsbeschwerde klarzustellen, wäre auch insoweit die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung nicht aufgezeigt. Dazu hätte es ebenfalls einer näheren Befassung mit dem Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, hier in seiner Ausprägung als Schutz der Geschlechtsidentität, bedurft. Dass eine Eintragung ihres Kindes in das Geburtenregister mit einer Geschlechtseintragung das Kind derzeit in seiner grundrechtlich geschützten geschlechtlichen Identität beeinträchtigen könnte, zeigen die Beschwerdeführenden nicht einmal ansatzweise auf.

11

2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

12

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

13

4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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