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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 18.07.2017, Az.: 2 BvR 980/16
Beschluss der Europäischen Zentralbank (EZB) zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (Public Sector Assets Purchase Programme - PSPP); Verpflichtung der Bundesregierung und des Bundestags zur dauerhaften Beobachtung der Durchführung des PSPP aufgrund der ihnen obliegenden Integrationsverantwortung; Übertragung von Befugnissen der Deutschen Bundesbank auf die EZB; Verfassungsgerichtliche Prüfung des Beruhens von Maßnahmen von Organen, Einrichtungen der Europäischen Union (EU) auf ersichtlichen Kompetenzüberschreitungen; Verbot monetärer Staatsfinanzierung; Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung; Erfüllung von 90 v.H. des PSPP mit Anleihen nationaler Emittenten
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 18.07.2017
Referenz: JurionRS 2017, 21926
Aktenzeichen: 2 BvR 980/16
ECLI: [keine Angabe]

Rechtsgrundlagen:

§ 13 Nr. 8a BVerfGG

§§ 90 ff. BVerfGG

Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG

Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG

Art. 79 Abs. 3 GG

Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG

Art. 119 ff. AEUV

Art. 123 AEUV

Art. 267 Abs. 1 Buchstabe a, b AEUV

Art. 5 Abs. 1 EUV

Art. 19 Abs. 3 Buchstabe b EUV

BVerfG, 18.07.2017 - 2 BvR 980/16

In den Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerden
I. 1. des Herrn Dr. W...,
2. des Herrn Dr. H...,
3. des Herrn Dr. A...,
- Bevollmächtigter: Prof. Dr. Christoph Degenhart,
Burgstraße 27, 04109 Leipzig -
gegen 1. das Unterlassen von Bundestag und Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass
- der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 4. September 2014 über den Ankauf forderungsbesicherter Wertpapiere (ECB/2014/45) und Beschluss der Europäischen Zentralbank hierüber vom 19. November 2014 (Beschluss [EU] 2015/5 vom 19. November 2014), geändert durch Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 10. September 2015 (Beschluss [EU] 2015/1613),
- der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank über ein 3. Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (covered bonds) vom 15. Oktober 2014 (ECB/2014/40),
- der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 22. Januar 2015 über ein erweitertes Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (ECB/2015/10) und die Entscheidung der Europäischen Zentralbank vom 4. März 2015 (Beschluss [EU] 2015/774) über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (Public Sector Asset Purchase Programme), geändert durch Entscheidung der Europäischen Zentralbank vom 5. November 2015 (Beschluss [EU] 2015/ 2101), Entscheidung der Europäischen Zentralbank vom 16. Dezember 2015 (Beschluss [EU] 2015/2464) und Entscheidung der Europäischen Zentralbank vom 18. April 2016 (Beschluss [EU] 2016/702),
- der Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 10. März 2016 (Beschluss [EU] 2016/16) und die Entscheidung der Europäischen Zentralbank vom 1. Juni 2016 (Beschluss [EU] 2016/948) über ein Programm zum Ankauf von Unternehmensanleihen (Corporate Sector Purchase Programme - CSPP)
aufgehoben beziehungsweise nicht durchgeführt werden,
2. das Unterlassen der Deutschen Bundesbank, sich gegen ihre Einbeziehung in das Ankaufprogramm der Europäischen Zentralbank durch eine Klage vor dem EuGH zu wehren
- 2 BvR 859/15 -,
II. 1. des Herrn Prof. Dr. L...,
2. des Herrn Prof. Dr. h.c. H...,
3. des Herrn Prof. Dr. St...,
4. des Herrn K...,
5. der Frau T...,
sowie weiterer 1729 Beschwerdeführer
- Bevollmächtigte:
1. Prof. Dr. Hans-Detlef Horn,
Universitätsstraße 6, 35037 Marburg,
2. Dr. Gunnar Beck,
SOAS University of London, 10 Thornhaugh Street, Russell Square London WC1H OXG, 1 Essex Court, Chambers of the Rt Hon Sir Tony, Baldry MP, Temple, London EC4Y 9AR, Großbritannien -
gegen 1. die innerstaatliche Anwendbarkeit
a) der Beschlüsse des Rates der Europäischen Zentralbank vom 22. Januar 2015 und des Beschlusses (EU) 2015/774 der Europäischen Zentralbank vom 4. März 2015 (EZB/2015/10) über ein Programm zum Ankauf von Anleihen des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (Public Sector Assets Purchase Programme - PSPP), nebst
- dem Beschluss (EU) 2015/2101 der Europäischen Zentralbank vom 3. September / 5. November 2015 (EZB/2015/33) zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/774 (EZB/2015/10) über ein Programm zum Ankauf von Anleihen des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten,
- dem Beschluss (EU) 2015/2464 der Europäischen Zentralbank vom 3. Dezember / 16. Dezember 2015 (EZB/2015/48) zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/774 (EZB/2015/10) über ein Programm zum Ankauf von Anleihen des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten,
- dem Beschluss (EU) 2016/702 der Europäischen Zentralbank vom 10. März / 18. April 2016 (EZB/2016/8) zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/774 (EZB/2015/10) über ein Programm zum Ankauf von Anleihen des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten,
b) der Beschlüsse des Rates der Europäischen Zentralbank vom 4. September 2014 und 2. Oktober 2014 und des Beschlusses (EU) 2015/5 der Europäischen Zentralbank vom 19. November 2014 (EZB/2014/45) über die Einrichtung und Umsetzung des Programms zum Ankauf von forderungsbesicherten Wertpapieren (Asset-Backed Securities Purchase Programme - ABSPP), nebst
- dem Beschluss (EU) 2015/1613 der Europäischen Zentralbank vom 10. September 2015 (EZB/2015/31) zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/5 (EZB/2014/45) über die Umsetzung des Programms zum Ankauf für Asset-Backed Securities,
c) der Beschlüsse des Rates der Europäischen Zentralbank vom 4. September 2014 und 2. Oktober 2014 und des Beschlusses der Europäischen Zentralbank vom 15. Oktober 2014 (EZB/2014/40) über die Einrichtung und Umsetzung des dritten Programms zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (Third Covered Bond Purchase Programme - CBPP3),
d) der Beschlüsse des Rates der Europäischen Zentralbank vom 10. März / 21. April 2016 und des Beschlusses (EU) 2016/948 der Europäischen Zentralbank vom 1. Juni 2016 (EZB/2016/16) über die Umsetzung des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (Corporate Sector Purchase Programme - CSPP),
2. die Mitwirkung der Deutschen Bundesbank an der Durchführung der vorstehend unter Ziffer 1. a) bis d) genannten Beschlüsse zum Ankauf von Vermögenswerten,
3. das Unterlassen der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages, auf die Aufhebung der vorstehend unter Ziffer 1. a) bis d) genannten Beschlüsse zum Ankauf von Vermögenswerten aktiv hinzuwirken und geeignete Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die innerstaatlichen Belastungen aus der fortgesetzten Durchführung dieser Beschlüsse möglichst begrenzt bleiben
- 2 BvR 1651/15 -,
III. des Herrn Dr. G...,
- Bevollmächtigter: Prof. Dr. Dietrich Murswiek,
Lindenaustraße 17, 79199 Kirchzarten -
gegen die Untätigkeit der Bundesregierung im Hinblick auf das Asset Purchase Programme (APP) der Europäischen Zentralbank und im Hinblick auf die Befangenheitspraxis der Organe der Europäischen Zentralbank
- 2 BvR 2006/15 -,
IV. 1.des Herrn Prof. Dr. v. St...,
2. des Herrn Prof. Dr. H...,
3. des Herrn M...,
4. des Herrn v. E...,
5. des Herrn Dr. G...,
6. der Frau M...,
7. des Herrn Dr. H...,
8. des Herrn Dr. St...,
9. des Herrn Prof. Dr. K...,
- Bevollmächtigter zu 1. bis 8.: Rechtsanwalt Prof. Dr. Markus C. Kerber,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin -
gegen 1. das von der Europäischen Zentralbank am 22. Januar 2015 angekündigte Public Sector Purchase Programme (PSPP), mit Beschluss (EU) 2015/774 der Europäischen Zentralbank vom 4. März 2015, in Kraft getreten am 15. Mai 2015, über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2015/ 10) sowie seine am 3. Dezember 2015 und 10. März 2016 beschlossenen und am 21. April konkretisierten Erweiterungen,
2. die Mitwirkung der Deutschen Bundesbank am Vollzug des Public Sector Purchase Programme (PSPP) der Europäischen Zentralbank, insbesondere seiner Erweiterungen durch die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank vom 3. Dezember 2015, 10. März 2016 und 21. April 2016,
3. die Untätigkeit der Bundesregierung im Hinblick auf das Public Sector Purchase Programme (PSPP) der Europäischen Zentralbank, insbesondere seiner Erweiterungen durch die Beschlüsse der Europäischen Zentralbank vom 3. Dezember 2015, 10. März 2016 und 21. April 2016
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom 24. Mai 2017
- 2 BvR 980/16 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
König,
Maidowski,
Langenfeld
am 18. Juli 2017 beschlossen:

Tenor:

  1. I.

    Die Verfahren werden ausgesetzt.

  2. II.

    Gemäß Artikel 19 Absatz 3 Buchstabe b des Vertrages über die Europäische Union und Artikel 267 Absatz 1 Buchstabe a und Buchstabe b des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union werden dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1. 1.

      Verstößt der Beschluss (EU) 2015/774 der Europäischen Zentralbank vom 4. März 2015 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2015/ 10) in der Fassung des Beschlusses (EU) 2015/2101 der Europäischen Zentralbank vom 5. November 2015 zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/774 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2015/33), des Beschlusses (EU) 2016/702 der Europäischen Zentralbank vom 18. April 2016 zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/774 über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (EZB/2016/8) sowie des Beschlusses (EU) 2016/1041 der Europäischen Zentralbank vom 22. Juni 2016 über die Notenbankfähigkeit der von der Hellenischen Republik begebenen oder in vollem Umfang garantierten marktfähigen Schuldtitel und zur Aufhebung des Beschlusses (EU) 2015/300 (EZB/2016/18) beziehungsweise die Art und Weise seiner Ausführung gegen Artikel 123 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union?

      Verstößt es insbesondere gegen Artikel 123 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, wenn im Rahmen des Programms zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors an den Sekundärmärkten (PSPP)

      1. a)

        Einzelheiten der Ankäufe in einer Art und Weise mitgeteilt werden, die auf den Märkten die faktische Gewissheit begründet, dass das Eurosystem von den Mitgliedstaaten zu emittierende Anleihen teilweise erwerben wird?

      2. b)

        auch nachträglich keine Einzelheiten über die Einhaltung von Mindestfristen zwischen der Ausgabe eines Schuldtitels auf dem Primärmarkt und seinem Ankauf auf dem Sekundärmarkt bekannt gegeben werden, so dass insoweit eine gerichtliche Kontrolle nicht möglich ist?

      3. c)

        sämtliche erworbenen Anleihen nicht wieder verkauft, sondern bis zur Endfälligkeit gehalten und damit dem Markt entzogen werden?

      4. d)

        das Eurosystem nominal marktfähige Schuldtitel mit negativer Endfälligkeitsrendite erwirbt?

    2. 2.

      Verstößt der unter 1. genannte Beschluss jedenfalls dann gegen Artikel 123 AEUV, wenn seine weitere Durchführung angesichts veränderter Bedingungen an den Finanzmärkten, insbesondere infolge einer Verknappung ankaufbarer Schuldtitel eine stetige Lockerung der ursprünglich geltenden Ankaufregeln erfordert und die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs festgelegten Beschränkungen für ein Anleihekaufprogramm, wie es das PSPP darstellt, ihre Wirkung verlieren?

    3. 3.

      Verstößt der unter 1. genannte Beschluss (EU) 2015/774 der Europäischen Zentralbank vom 4. März 2015 in seiner aktuellen Fassung gegen Artikel 119 und Artikel 127 Absatz 1 und Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie Artikel 17 bis 24 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, weil er über das in diesen Vorschriften geregelte Mandat der Europäischen Zentralbank zur Währungspolitik hinausgeht und deshalb in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten übergreift?

      Ergibt sich eine Überschreitung des Mandats der Europäischen Zentralbank insbesondere daraus, dass

      1. a)

        der unter 1. genannte Beschluss aufgrund des Volumens des PSPP, das am 12. Mai 2017 1.534,8 Milliarden Euro betrug, die Refinanzierungsbedingungen der Mitgliedstaaten erheblich beeinflusst?

      2. b)

        der unter 1. genannte Beschluss in Ansehung der unter a) genannten Verbesserung der Refinanzierungsbedingungen der Mitgliedstaaten und deren Auswirkungen auf die Geschäftsbanken nicht nur mittelbare wirtschaftspolitische Folgen hat, sondern seine objektiv feststellbaren Auswirkungen eine wirtschaftspolitische Zielsetzung des Programms zumindest als gleichrangig neben der währungspolitischen Zielsetzung nahe legen?

      3. c)

        der unter 1. genannte Beschluss wegen seiner starken wirtschaftspolitischen Auswirkungen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt?

      4. d)

        der unter 1. genannte Beschluss mangels spezifischer Begründung während des mehr als zwei Jahre andauernden Vollzugs nicht auf seine fortdauernde Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden kann?

    4. 4.

      Verstößt der unter 1. genannte Beschluss jedenfalls deswegen gegen Artikel 119 und Artikel 127 Absatz 1 und Absatz 2 AEUV sowie Artikel 17 bis 24 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, weil sein Volumen und sein mehr als zwei Jahre dauernder Vollzug und die sich hieraus ergebenden wirtschaftspolitischen Auswirkungen zu einer veränderten Betrachtung der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit des PSPP Anlass geben und er sich dadurch ab einem bestimmten Zeitpunkt als eine Überschreitung des währungspolitischen Mandats der Europäischen Zentralbank darstellt?

    5. 5.

      Verstößt die im unter 1. genannten Beschluss möglicherweise angelegte unbegrenzte Risikoverteilung bei Ausfällen von Anleihen der Zentralregierungen und ihnen gleich gestellter Emittenten zwischen den nationalen Zentralbanken des Eurosystems gegen Artikel 123 und Artikel 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie gegen Artikel 4 Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union, wenn dadurch eine Rekapitalisierung nationaler Zentralbanken mit Haushaltsmitteln erforderlich werden kann?

  3. III.

    Es wird mit Blick auf den Antrag auf einstweilige Anordnung der Beschwerdeführer zu IV. gemäß Artikel 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union beantragt, die Rechtssache dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen..

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